Aus dem dreieinigen Königreich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ferdinand Schifkorn
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus dem dreieinigen Königreich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 682–685
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[682]

Aus dem dreieinigen Königreich.

Ein Beitrag zum Verständnis der kroatischen Wappenfrage.
Von Ferdinand Schifkorn.

Kroatien als Bezeichnung eines bestimmten Landgebietes gehört zu jenen geographischen „Begriffen“, welche dem Nichtösterreicher von der Schulzeit her als dunkle Punkte im Gedächtnisse haften, für deren spätere Klärung sich jedoch höchst selten Gelegenheit ergiebt.

Die breite Heerstraße der Touristen führt eben nur in die pittoresken Alpenländer Oesterreichs, um von dem großen Ausgangspunkte, der lebensfrohen Residenz, über Triest auf glatter Eisenspur oder sonniger Meeresfläche den alten germanischen Herzenszug nach dem Süden zu befriedigen; selbst ein gelegentlicher Abstecher nach Fiume, der aufstrebenden Rivalin Triests und Venedigs, erinnert nur insofern an die Existenz des „Königreiches Kroatien“, als man erfährt, daß die stets begehrlichen Magyaren auch dieses Kleinod mit eiserner Reiterfaust festhalten, ohne sich den Besitz durch rechtliche Scrupel oder liebevolle Rücksichten für die „kroatischen Brüder“ verkümmern zu lassen.

Als nun vor wenigen Wochen der elekrische Funke uns aus jenem Lande die Nachricht von plötzlich ausgebrochenen Unruhen brachte, da fehlte wohl den meisten deutschen Lesern das Verständniß für die Bedeutung und Tragweite jener Vorgänge. Warum hat denn die Anbringung eines Wappenschildes mit magyarisch-kroatischer Umschrift an dem Finanzgebäude zu Agram einen solchen Sturm entfesselt? Warum behandelte man die Revoltirenden mit einer für unsere Begriffe von staatlicher Ordnung so zarten Nachsicht? Das waren Fragen, die auf den Lippen Vieler schwebten und zum größten Theil unbeantwortet blieben.

Nur ein Blick in die Geschichte des Landes löst den Schleier dieses Geheimnisses, und diese Geschichte läßt sich zum Theil an der Hand der kroatischen Wappen erkären.

Sehen wir uns zuerst das nebenstehende an! Es ist das alte Wappen des dreieinigen Königreichs Kroatien, Slavonien und Dalmatien mit der kroatischen König Zwonimir-Krone. Es weckt in uns Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, in denen jenes Land eine nicht unbedeutende und blühende Macht bildete. Und diese Blüthe hatte es nur der deutschen Schirmherrschaft zu verdanken!

In den ersten Jahrhunderten der neueren Geschichte bildete Kroatien eine öde Wildniß, denn sengende und plündernde Avarenhaufen hatten in ihm nach barbarischer Sitte gehaust. Als sie aber ihre Raubzüge bis nach Thüringen ausgedehnt hatten, da zog der Frankenkönig Karl der Große gegen dieselben zu Felde, nicht aus Eroberungsgier, sondern um die Grenzen seines Reiches zu schützen. 796 wurde das wilde Asiatenvolk auf’s Haupt geschlagen und Kroatien als südöstliche Grenzmark dem deutschen Reiche angefügt. Da wurden Ruhe und Ordnung in dem verödeten Lande durch kaiserliche Beamte hergestellt, stammverwandte Ansiedler wanderten von dem benachbarten Dalmatien ein, bis die Eingeborenen allmählich zur Macht gelangten und ihre Herrscher als selbstständige kroatische Herzöge auftreten durften.

Schon im Jahre 888 konnten sie als Schutzherren dalmatinischer Seestädte Venedig Trotz bieten, und ihre Herrschaft wuchs beständig, bis mit dem kroatischen Wappen, welches ein roth-weißes Schachfeld zeigte, auch die drei goldenen Leopardenköpfe des dalmatinischen Wappens und dasjenige von Slavonien vereinigt wurden. Schon um das Jahr 970 nahm der kroatische Fürst Dirzislaw den königlichen Titel an und sein Nachfolger Zwonimir wurde auch als solcher anerkannt.

Aber seine Krone sollte nicht lange das kroatische Wappen schmücken, schon gegen das Ende des elften Jahrhunderts mußte sie einer andern weichen, der ungarischen Stephans-Krone, welche auf dem zweiten von uns abgebildeten Wappen zu sehen ist. Seit jener Zeit begann die lange Leidensperiode des kroatischen Volkes, deren Folgen, wie die neusten Vorfälle zeigen, bis heute nicht verwunden sind. Kroatien wechselte seine Herrscher, bald waren es Ungarn, bald Venetianer oder Türken, welche sich als Herren und Gebieter des Landes benahmen und trotz der Fruchtbarkeit desselben keinen Wohlstand aufkommen ließen.

Das Geschick der kroatischen Nation erfuhr auch unter österreichischer Herrschaft (seit 1797) keine nennenswerthe Veränderung, denn auf Wunsch magyarischer Magnaten wurde Kroatien mit dem Gebiet der Stephans-Krone vereinigt. Eine Ausnahme hiervon bildete die sogenannte Militärgrenze, deren allmähliche Organisation in den Zeitraum von 1741 bis 1766 fällt, die sich vom adriatischen Meere bis Orsova erstreckte und, in neunzehn Regimentsbezirke eingetheilt, unter militärischer Verwaltung stand.

So blieb es bis 1848, in welchem Jahre die lange unterdrückte Erbitterung gegen die magyarische Herrschaft im ganzen Lande in hellen Flammen emporloderte. Es ist genugsam bekannt, welche Gräuel leidenschaftlicher Nationalhaß und rachsüchtige Erbitterung auf beiden Seiten in den nachfolgenden Wirren herbeiführten, ebenso, welchen bedeutenden Einfluß die militärisch organisirten [683] Truppen der Kroaten und Serben unter der Leitung des Banus und seither viel gefeierten Nationalhelden Jellacie auf die Wendung der magyarischen Erhebung 1848 bis 1849 ausübte. In Folge dieses Einfusses wurde Kroatien und Slavonien abermals von Ungarn losgelöst und unter dem alten, durch das kurze Regime Napoleon’s (1809 bis 1815) neu belebten Titel eines Königreiches Illyrien als besonderes Kronland verwaltet.

Das October-Diplom 1860 machte jedoch dieser Errungenschaft ein rasches Ende, indem es die alten politischen Verhältnisse wieder herstellte; durch den Ausgleich vom Jahre 1867 endlich wurde Kroatien und Slavonien innerhalb des Verbandes mit Ungarn ein gewisser Grad von Selbstständigkeit durch eine nationale, politische wie administrative Verwaltung zugestanden, doch bildet eine ganze Reihe von Beschwerden über Auslegung und praktische Ausführung dieser Zugeständnisse von Seite der magyarischen Regierung einen Hauptgrund des fortdauernden Zertwürfnisses zwischen beiden Nationen. Als Repräsentant dieser Zeit möge das nebenstehende Wappen dienen, welches auf den meisten Aemtern angebracht ist und in den letzten Wochen eine so wichtige Rolle spielte.

Ein so verschiedenes, wechselreiches Geschick der einzelnen Theile des dreieinigen Königreiches, wie es schon aus diesem kurzen geschichtlichen Abriß ersichtlich ist, konnte selbstverständlich nicht ohne nachhaltige Wirkung auf Land und Leute bleiben, zumal ersteres, theils durch seine Bodenbeschaffenheit, theils durch die Nähe des Meeres, schon an und für sich der verschiedenartigsten Entwicklung physischer und geistiger Thätigkeit Vorschub leistete. Abgesehen von der italienischen Bevölkerung der dalmatinischen Seestädte, sowie von der deutschen oder deutschgebildeten Agrams, ist der culturelle Unterschied zwischen der betriebsamen slavischen Küstenbevölkerung und den halbwilden Bergstämmen der Bocchesen und Crivoscianer, oder zwischen der militärisch strammen, wohlhabenden Bevölkerung der fruchtbaren Grenzdistricte und den armen verkommenen Bauern Zagoriens in der That ein so bedeutender, daß auch die Antipathie so verschiedenartiger Volkselemente, wie sie ungeachtet der gemeinschaftlichen nationalen Abstammung mehrfach zu Tage trat, begreiflich erscheint.

Dalmatien ist als der berühmteste und zugänglichste Theil Altkroatiens auch der bekannteste. Die reizend gelegenen Inseln Lusina, Curzola, Lissa, nach welcher der denkwürdige Sieg des österreichischen Seehelden Wilhelm von Tegetthoff am 20. Juli 1866 benannt wurde, und das blühende Lacroma, seit dem unglücklichen Ende seines Besitzers, des Kaisers Maximilian von Mexico, wieder vergessen in der Einsamkeit des Meeres; die Städte Zara, das alte Jadera, dessen Schiffer der Sage nach unter Cäsar gegen Pompejus kämpften; Spalato mit seinem Diocletian-Palaste und den merkwürdigen Ruinen des alten Salona, mit seinen nationalen Erinnerungen an Zwonimir, welcher in der Peterskirche zum König von Kroatien und Dalmatien gekrönt wurde; Ragusa, einst das südslavische Athen; endlich das unvergleichlich schön gelegene Cattaro – wer kennt sie nicht, sei es aus eigener Anschauung, sei es durch Beschreibungen und Abbildungen, welche die Reize der Natur wie die Kunstschätze seiner Vergangenheit preisen?

Weit weniger besucht und bekannt ist das Innere des Landes, welches mit seinen steil aufragenden Felsenbergen, so schön deren pittoreske Formen sich aus der Ferne vom azurblauen Himmel abheben, den Touristen um so weniger verlockt, als die denkbar schlechtesten Wege in die spärlichen Oasen der wilden Felsenwüste führen, und selbst in diesen die Bewirthung der gastfreien Morlaken wie deren Betten noch von keiner civilisirten Zunge gepriesen wurden.

Man sagt, daß die staatsklugen Venetianer während ihrer langen Herrschaft über Dalmatien den heerlichen Wälderschmuck seiner Berge, welcher ihrer Flotte zu statten kam, absichtlich ohne jede Schonung und Vorsicht mit Stumpf und Stiel ausrotteten, um durch die Verarmung des Landes dessen Unterthänigkeit zu sichern. Wenn es so ist, so gelang das Vorhaben nur zu vollkommen. Armuth und in Folge dieser Unwissenheit im weitesten Sinne des Wortes herrschen unter diesem Bergvolke, trotz aller seitherigen civilisatorischen Bemühungen der österreichischen Regiernug und trotz dessen unleugbarer hoher Naturbegabung.

Die Morlaken oder Illyrier, wie sich die dalmatinischen Slaven zum Unterschiede von ihren kroatischen Brüdern gern nennen, sind ein hochgewachsener, kräftiger, schöner Menschenschlag, namentlich in Bezug auf das männliche Geschlecht, da die Frauen, wenn auch in früher Jugend schön, durch vorzeitigen Kindersegen und harte Arbeit schon in der Blüthe der Jahre verwelkt und häßlich erscheinen. Nationalhaupteigenschaft ist kriegerische Tapferkeit, welche, von Geschlecht zu Geschlecht vererbt, durch den Gebrauch der Waffen vom zartesten Alter an genährt, jeden Einzelnen zum schlagfertigen Vertheidiger seiner Heimath wie seiner wirklichen oder vermeintlichen Rechte, aber freilich auch zum gefährlichen Nachbar macht.

Auch im Verkehre unter sich wie mit Fremden wissen diese rauhen, unwissenden Söhne der Wildniß eine Art patriarchalische Höflichkeit, vereint mit stolzem Selbstbewußtsein, zu bewahren, welche an diesen prächtigen Männer- und Greisengestalten geradezu bestechend wirkt; doch gehen slavophile Federn wohl zu weit, wenn sie dieses Benehmen als einen Beweis überlegener, gleichsam natüriicher Cultur im Hinblick auf andere Nationen betonen. Die dalmatinischen Bergbewohner haben diese Würde in Sprache, Haltung und Geberde eben mit den benachbarten Orientalen und vielen noch wilderen Völkern gemein, deren „überlegene“ Cultur noch Niemand zu rühmen wagte.

Daß unter der würdevollen Hülle eine ganz unbändige Wildheit verborgen liegt, bewiesen die Crivoscianer im Jahre 1869 durch ihr Verhalten gegen wehrlose Gefangene zur Genüge, aber auch an ihrer übergroßen Veranlagung zum Culturvolke wird man so lange zweifeln dürfen, als das tapfere Bergvolk bürgerliche wie bäuerliche Arbeit als den freien, wehrhaften Mann entehrend betrachtet.

Der dalmatinische Landmann arbeitet thatsächlich nur, wenn ihn die Noth dazu zwingt, sonst überläßt er die Sorge um Haus, Vieh oder Feld den Weibern, um als freier Mann die Berge zu durchstreifen, oder träumerisch hingestreckt seine Pfeife zu rauchen, am liebsten aber um bei kreisendem Becher dem von der Gusla (zweisaitiges Instrument) begleiteten Vortrage eines Helden- oder Liebesliedes zu lauschen.

Die städtische Bevölkerung Dalmatiens gehörte in ihren gebildeten Schichten noch vor wenigen Jahrzehnten ausschließlich zur italienischen Nation, in deren Händen sich daher auch die politische wie administrative Verwaltung des Landes befand. Nur in Ragusa hatte sich neben der italienischen auch slavische Bildung geltend gemacht, und wurde daselbst vor hundert Jahren (1783) das erste slavische Buch im Lande gedruckt.

Seither haben sich die Verhältnisse wesentlich verändert. Mit dem Jahre 1848 war der nationale Volksgeist erwacht, zahlreiche slavische Unterrichtsanstalten unterstützten das Streben nach Bildung, Schritt um Schritt wurde das italienische Element aus seiner dominirenden Stellung getrennt, und heute ist die slavische Nationalpartei durch den Besitz der Landtagsmajorität factisch Herrin im Lande, daher sich die früheren Herren grollend in’s Privatleben zurückziehen, wenn sie es nicht vorziehen, der Heimath ihrer Väter für immer den Rücken zu kehren.

Unmittelbar aus den dalmatinischen Bergen in das Innere Kroatiens oder Slavoniens sich versetzend, erkennt man so recht deutlich die nachhaltige Einwirkung des Verwaltungssystems auf den Charakter des Volkes. Dort wie hier hatte man Jahrhunderte hindurch unter der Kriegsfurie und wechselnder Herrschermacht zu leiden, dort wie hier wurde das kroatische Volk Fremden unterthan, Armuth und Unwissenheit waren dort wie hier die natürliche Folge; während sich aber unter der italienischen Vormundschaft, welche zwar nicht förderte, doch auch nicht unterdrückte, ein freier, lebensfroher Sinn im Volke erhielt, dessen bildungreife Elemente unter der deutsch-liberalen Regierung eine überraschend lebenskräftige Entwickelung bethätigen, schuf das magyarisch-aristokratische Comitatssystem jene unterthänige Bauernschaft, welche, seufzend unter dem dreifachen Drucke der Arbeit, Steuerlast und Willkür, ihre natürlichen Anlagen nur zu jener Schlauheit und Verstellungskunst benützt, womit sie den kochenden Zorn unter der Maske resignirter Demuth verbirgt.

Sollte auch nur der zehnte Theil der haarsträubenden Details auf Wahrheit beruhen, wie sie namentlich über die landesübliche Steuereintreibung verlauten, das Elend des Volkes und dessen verzweifelte Wuthausbrüche wären damit hinlänglich motiviert.

Abgesehen davon, daß die Steuern überhaupt ganz willkürlich bemessen werden, sollen noch viele Bauern durch wiederholte [684] Eintreibung schon bezahlter Steuern, Andere wegen rückständiger Beträge von wenigen Kreuzern um Haus und Hof gekommen und selbst das von der Regierung an die Verarmten gespendete Aussaatgetreide von den Steuer-Executoren sofort wieder mit Beschlag belegt worden sein.

Uneingeweihten mag es befremdend erscheinen, daß in einem verhältnißmäßig freien, constitutionell regierten Staate Aehnliches auch nur ausnahmsweise vorkommen kann. Abgesehen von dem berüchtigten Tisza-Eszlarer Proceß, welcher die constitutionelle Praxis magyarischer Comitatswirtschaft vor aller Welt bloßlegte, muß man sich vergegenwärtigen, daß, während die nationale Partei für die Erziehung der wohlhabenden Jugend in höheren Bildungsanstalten reichlich sorgte, während beispielsweise in Agram eine Akademie und in neuester Zeit sogar eine kroatische Universität[1] errichtet wurde, das Volksschulwesen nach wie vor vernachlässigt blieb, unter der ländlichen Bevölkerung Lese- und Schreibkundige zu den Ausnahmen gehören, und selbst diese die höhere Schriftsprache nur in den seltensten Fällen verstehen.

Erwägt man weiter, daß in Folge dessen der sogenannte Dorfnotär (Gemeindeschreiber) mit dem Gemeindevorsteher die Intelligenz des Dorfes vertritt, Gesetze erläutert und auslegt, die Gemeindesteuer bemißt etc., daß diese Beiden aber schon im eignen Interesse Hand in Hand mit den aristokratischen Gutsbesitzern und Comitatsbeamten gehen, so können die Klagen über Corruption und Willkür kaum mehr Wunder nehmen.

Das ist es, was dem Landeskundigen den sonst so freundlichen Anblick verleidet, welchen der reiche Wechsel von waldumrauschten oder rebengeschmückten Hügeln und üppig grünen Niederungen, stattlichen Herrengütern und zwischen Pflaumenbäumen hervorlugenden Dörfern für den Reisenden bietet; das ist es, was ihn erleichtert aufathmen läßt, wenn ihn sein Weg in das nicht minder wechselreiche Gebiet der ehemaligen Militärgrenzbezirke führt.

Im Westen mitunter rauhes Bergland, gegen Osten dagegen milde, fruchtbare Tiefebene, zeigt das langgestreckte Gebiet eine Gleichheit des Volkscharakters, wie sie eben nur durch eine nahezu zweihundertjährige militärische Erziehung erreichbar ist. Es ist wahr, daß der Grenzer keine Ahnung von der demokratischen Freiheit eines Schweizer Bürgers hatte, doch wußte er auch nichts von dem Drucke feudaler Adelsherrschaft. Die Militärgesetze waren streng, aber vor diesen waren Alle gleich; ja, der Sohn des gemeinen Soldaten konnte so gut Officier werden – wollte und konnte er lernen – wie der Sohn des Obersten; Lesen, Schreiben und Rechnen mußte aber Jeder lernen, wollte oder wollte er nicht. Endlich forderte man von ihm Gehorsam, nicht Unterwürfigkeit, Offenheit, nicht lügenhafte Demuth.

Dies Alles machte allerdings noch keine Culturnation, höhere Ziele blieben dem Soldatenvolke verschlossen, doch schuf es eine treffliche Basis für die Zukunft, zog ein kräftiges, mannhaftes Geschlecht heran, das trotz Demuth und Arbeitslast den Kopf hoch trägt und keinen Herrn fürchtet; wenn aber ein an Disciplin und strenges Gesetz so sehr gewöhntes Volk dennoch revoltirt, wie dies als Nachspiel des Agramer Wappentumultes thatsächlich geschah, so beweist dies nur, wie schmerzlich es schon jetzt die Segnungen constitutioneller Comitatswirthschaft zu fühlen beginnt, und wie rasch der Sinn für Gesetzlichkeit durch deren Nichtachtung von oben herab erschüttert werden kann. Auch der Umstand, daß sich die Bewegung hier wie im ganzen Lande direct gegen die Magyaren oder deren Anhänger richtete, obschon die ganze Verwaltung in den Händen kroatischer Beamten ruht, läßt sich keineswegs durch den Anlaß der Wappenfrage, sondern nur durch die Nachwehen der vormärzlichen Verhältnisse erklären.

Damals waren die Magyaren thatsächlich die Herren im Lande, und wer immer von den eingeborenen Adeligen die fast königlichen Vorrechte magyarischer Gutsbesitzer mitgenießen wollte, mußte Magyare werden mit Leib und Seele, Weib und Kind. In welchem Grade diese Entnationalisirung stattfand, zeigt das drastische Beispiel von vierzehn Ortschaften in dem zwischen Agram und Sisseg gelegenen Bezirke Toropelye, deren slavische, jedoch geadelte Bewohner 1848 die Sache der Magyaren gegen ihre Landsleute verfochten. Doch die gewaltige Fluth der nationalen Volkserhebung war unbezwinglich und den vereinzelten Edelleuten blieb keine Wahl, als sich derselben so rasch als möglich anzuschließen; sie wurden wieder gute Kroaten und kämpften mit dem Volke, nach wieder hergestellter Ruhe aber spielten sie mit ihren alten Verbündeten in Comitat und Gemeinde die Herren so meisterhaft wie ehedem – und daher der Volkshaß gegen die „Magyaronen“.

Wie man sieht, wirkte die Anbringung des Wappenschildes mit magyarisch-kroatischer Umschrift an dem Finanzgebäude zu Agram nur als Zünder, welcher den lange aufgehäuften Brennstoff im Lande in Flammen setzte.

Die Partei, welche die gewaltsame Entfernung jenes Schildes am 15. August in Scene setzte, mochte zwar vor der Hand nur eine kräftige Demonstration zur Unterstützung der mannigfachen Beschwerden bezüglich des magyarisch-kroatischen Ausgleiches bezwecken, eine andere, minder scrupulöse aber benutzte die Gelegenheit, um den Volkszorn für Pläne auszunützen, deren Ziel der lebhaften Phantasie der Südslaven entspricht. Kroatien und Slavonien zählen circa 1,190,000 Slaven, die ehemalige Militärgrenze etwa 690,000, Dalmatien 430,000; rechnet man die Slaven Ungarns und jene von Bosnien und der Herzegowina mit rund 2,500,000 hinzu, so ergiebt sich auch ohne Serbien eine ganz respectable Basis für ein nationales Zukunftsreich, für dessen Verwirklichung allerdings nebst Anderem die Hauptsache fehlt: „Ein einig Volk von Brüdern!“

Alles in allem genommen hat die kleine Wappenfrage die große Nationalfrage auch im Süden der österreichischen Monarchie aufgerollt, und diese zweite Frage dürfte nicht so leicht aus der Welt zu schaffen sein wie die erste. Möge die Lösung zum Wohle Aller im Geiste nationaler Versöhnlichkeit gelingen!


  1. Zur richtigen Würdigung dieser Errungenschaft sei erwähnt, daß die kroatische – nicht serbische – Schriftsprache erst vor etwa 50 Jahren durch den nationalen Gelehrten Gay (1809 geb.) eingeführt und 1835 die erste kroatische Zeitung unter dem Titel „Naradne Novine“ herausgegeben wurde.