Aus den Gängen und Kerkern der Londoner Zwingburg
Vor wenigen Tagen ist in Lord Palmerston einer der letzten Zeugen der größten Ereignisse der Zeit gestorben. 1785 geboren, betrat er die öffentliche Laufbahn 1806 während des Kriegs, den England mit dem Aufgebot seiner ganzen Kräfte führte, um den in Frankreich geborenen Geist zu besiegen, und wurde in seinem spätern Leben selbst ein Förderer der großen Maßregeln der Katholiken-Emancipation, der Reformbill und der Freihandelsgesetze, durch die England jenen neuen Geist in seine Verhältnisse verpflanzte. Während derselben Zeit aber gelangte Frankreich fast wieder am Ausgangspunkte seiner großen Bewegung an. Es befand sich ja in den letzten Lebensjahren Palmerston’s in der Aera der Cäsaren, die mit dem, was die Franzosen ihr altes Regime nennen, eine mehr als oberflächliche Aehnlichkeit hat. An die Stelle der Bastille sind Lambessa und Chayenne getreten, aber drüben in England hat sich der Tower vor fünfundvierzig Jahren geschlossen und wird weder irischen Feniern noch andern Verschworenen und Rebellen seine Thore wieder öffnen.
Die Bastille und der Tower sind Wahrzeichen der geschichtlichen Entwickelung Frankreichs und Englands. In Frankreich hat sich der Despotismus gesteigert und gesteigert, bis das Volk endlich aufgestanden ist und mit den Bourbons wie mit ihrer Zwingburg abgerechnet hat. So ist die Bastille von der Erde verschwunden und blos ein Platz erinnert durch seinen Namen „Bastillen-Platz“ an die schauerlichen Gefängnisse, in denen freie Denker und Freunde des Volks, leichtsinnige Höflinge und witzige Spötter, ungehorsame Söhne und unbequeme Ehemänner gelitten und geseufzt haben. In England hat sich der Despotismus in allmählichen Uebergängen, die freilich bisweilen blutig genug gewesen sind, zu einem verfassungsmäßigen Staatsleben umgestaltet, und ungebrochen erheben sich noch heute die Mauern und Thürme seiner Zwingburg, des Towers. Damit der finstere Bau auch an die Schattenseite eines langsamern Umbildungsprocesses, Veraltetes über seine Zeit hinaus zu conserviren, erinnere, existirt an einem seiner Thore das einzige Fallgatter des britischen Reichs, das in einem noch brauchbaren Zustande alle Wandlungen des Belagerungskrieges überlebt hat.
Der Tower liegt an der Grenze der Altstadt gen Osten und bildet den Kern, an den sich das neue London angesetzt hat. In alten Zeiten trat die Themse dicht an ihn heran, jetzt trennt ihn ein Damm vom Flusse. In jener frühern Zeit muß das Wasserthor des Towers, als seine architektonischen Züge nicht verstümmelt waren, den Charakter finsterer Größe entfaltet haben. Jetzt verdeckt ein Quai diese ganze Seite des Towers und die „Treppe der Hochverräther,“ über der sich ein Bogen von wunderbarer Kühnheit erhebt, ist fast ganz verbaut. Den obern Theil des Thores nehmen jetzt Amtsstuben ein und entstellen ihn auf jede erdenkliche Weise, und die düstere Stille dieses Eingangs hat dem Geräusch einer Dampfmaschine weichen müssen, mit deren Hülfe man Waffen aufwindet und hinunterläßt. Das Schüttern der Maschine hat einen der beiden Thürme des Wasserthores bereits so beschädigt, daß man ihn hat untermauern müssen. Als noch wichtige Gefangene durch das Wasserthor eingebracht wurden, konnte man mit zwei Booten zugleich unter dem Fallgatter hindurch und bis zur Treppe der Hochverräther fahren. In einer stürmischen Regennacht legte hier ein Boot an, in dem ein junges, blühendes Mädchen, die spätere Königin Elisabeth, saß. Immer finster und argwöhnisch, hatte ihre Schwester sie ihrem Asyl zu Ashridge in der Grafschaft Herford entrissen und nach manchem Umherfahren zu Plätzen, die immer noch nicht genug Sicherheit zu bieten schienen, in den Tower führen lassen. Ein Windstoß schleuderte den Regen eben klatschend gegen die Treppe, als die Prinzessin ausstieg. Ein Herr überreichte ihr seinen Mantel, aber sie stieß ihn mit der Hand kräftig zurück. Als sie die gefürchteten Stufen hinauf ging, rief sie laut: „Hier landet eine Gefangene, aber eine so gute Unterthanin, als je eine diese Stufen betreten hat. Das schwöre ich bei Dir, mein Gott, dem einzigen Freunde, den ich habe.“
Nach Elisabeth haben noch manche Gefangene die Treppe der Hochverräther betreten, die letzten im Jahre 1820. Die „Verschwörung der Cato-Straße“ führte die Unglücklichen dorthin. Der Leiter derselben war Arthur Thistlewood, ein ehemaliger Officier, der früher in einen Proceß wegen Aufruhrs verwickelt gewesen und später, weil er den Minister Lord Sidmouth gefordert hatte, zu einjähriger Haft verurtheilt worden war. An Thistlewood schlossen sich mehrere Radicale an, aber auch zwei Spione der Regierung, Oliver und Edwards, wohnten den Versammlungen der Verschworenen bei. Diese wollten die Minister ermorden und ihr Plan war anfänglich der, jeden einzeln in seinem Hause zu überfallen. Als sie aber hörten, daß Lord Harrowby am 23. Februar ein Ministeressen geben werde, machte Thistlewood den Vorschlag, „einen Fischfang seltener Art zu thun und alle zusammen zu ermorden“. Einige der Verschworenen sollten vor dem Hause Wache halten, bis alle versammelt seien. Dann sollte einer an der Thür klopfen, um eine angebliche Depesche zu übergeben. War geöffnet, so drang der ganze Schwarm ein und stürzte nach dem Zimmer, wo die Minister speisten. Nach vollbrachter That wollte man die Casernen anzünden und das Volk aufrufen, die Bank und den Tower zu plündern.
Die Minister erfuhren durch Edwards Alles, nahmen aber scheinbar keine Noliz davon. Die Vorbereitungen für das Essen wurden in Lord Harrowby’s Hause bis acht Uhr fortgesetzt, aber die Gäste kamen nicht. Zufällig gab der Erzbischof von York, der eine Thür weiter wohnte, an demselben Abend eine Gesellschaft, und das Vorfahren der Wagen täuschte die wachehaltenden Verschworenen so lange, bis es zu spät war, ihre Genossen zu warnen. Diese hatten sich über einem Stall auf einem Boden versammelt, zu dem man auf einer Leiter hinaufsteigen mußte. Während sie hier beim Lichte von einigen Kerzen ihre Waffen in Stand setzten, drangen Polizeibeamte in den Stall. Der erste, der die Leiter hinaufstieg, wurde von Thistlewood durchbohrt. Es fielen Schüsse, die Lichter wurden ausgelöscht und in der Dunkelheit und Verwirrung entkamen Thistlewood und mehrere Andere durch ein Bodenfenster. Neun wurden denselben Abend noch mit ihren Waffen fest genommen. Auf die Nachricht davon begaben sich die Minister, von denen jeder einzeln in seinem Hause gespeist hatte, zu Lord Liverpool und verabredeten weitere Maßregeln. Auf Thistlewood’s Verhaftung wurde ein Preis von tausend Pfund gesetzt, und schon am nächsten Morgen um acht Uhr nahm man ihn bei einem Freunde im Bett gefangen. Er, Ings, Brunt, Tidd und Davidson wurden zum Tode verurtheilt und in Old Bailey geköpft. „Wo ist Edwards?“ rief das Volk bei der Hinrichtung. Von den Uebrigen wurde einer begnadigt und die übrigen fünf auf Lebenszeit transportirt.
Als Therry 1830 Bathurst in Neusüdwales besuchte, las er auf einem Ladenschilde: „Wilson, Schneider aus London“. Wilson war einer der fünf transportirten Verschworenen. Wegen Wohlverhaltens war er auf Widerruf entlassen worden, hatte eine Frau genommen und war jetzt der vielbeschäftigte Modeschneider des ganzen Bezirks. In Bathurst lebte noch ein zweiter Verschworener, Strange. Er war viele Jahre Polizeiinspector des Bezirks und der Schrecken aller Strauchdiebe gewesen. Dieselbe tollkühne Verachtung der Gefahr, die ihn dem wilden Thistlewood empfahl, machte ihn zu einem unschätzbaren Sicherheitsbeamten. Bald nach seiner Ankunft war er begnadigt worden, weil er den berüchtigsten Straßenräuber der Gegend in einem furchtbaren Einzelkampfe auf offener Haide besiegt und gefangen eingebracht hatte. Wenn es bekannt wurde, daß „der Mann der Catostraße“ die Straßen, die durch Wegelagerer unsicher gemacht werden, bereiten wolle, so ergriff alles Gesindel schleunigst die Flucht. Der bloße Name Strange war für die friedlichen Einwohner ein Schutz. Gegenwärtig lebt er gleich einem Patriarchen am Fischflusse in der Nähe von Bathurst, umgeben von Kindern und Enkeln, die alle tüchtige Menschen sind und dem alten Manne den behaglichsten Wohlstand verschafft haben.
Nach den Verschworenen der Catostraße hat, wie gesagt, kein Gefangener den Tower mehr betreten. Wer ihn jetzt besucht, kommt, wenn er nicht in dem großen Arsenal beschäftigt ist, um die Kronjuwelen [729] zu sehen. Will man außerdem noch die Rüstkammer besuchen, so hat man am Eingang, an den der Tower-Hügel angrenzt, zwei Billets zu lösen und jedes mit sechs Pence (etwa fünf Neugroschen) zu bezahlen. Beim Eintritt fühlt man sich sogleich in die Vergangenheit versetzt, denn alle Aufseher und Diener sind wie die Yeomen der Leibwache Heinrich’s des Achten gekleidet. Der Weg zu den Sehenswürdigkeiten führt an einem Platze vorbei, an dem die furchtbarsten Erinnerungen haften. Man sieht neben der St. Petrus geweihten Capelle ein großes Oval schwarzer Steine und hört, daß es die Stelle bezeichne, wo vordem das Blutgerüst aufgeschlagen wurde.
Wir wollen keine lange Namenliste der „Hochverräther“ aufstellen, die an diesem Platze geendet haben. Die meisten waren unschuldig, Opfer des Argwohns eines tyrannischen Königs, oder der Heimtücke von Feinden. Aber eine Erinnerung wollen wir nicht zurückweisen. Bei dem Anblick dieses Ovals schwarzer Steine steigt die poetische Gestalt Sir Walter Raleigh’s, des Gelehrten, Seefahrers und Entdeckers, des Freundes und Genossen von William Shakespeare, vor uns auf. Dreimal führte man ihn in den Tower, das erste Mal wegen einer heimlichen Liebschaft mit einem Hoffräulein, die freilich am Altar den legitimsten Ausgang fand, von der Königin Elisabeth aber nichts desto weniger für unsittlich und verbrecherisch gehalten wurde. Die dritte Gefangenschaft Raleigh’s entstand durch eine falsche Anklage, welche ihn der Theilnahme an einer Verschwörung gegen Jacob den Ersten verdächtigte. Der Ankläger nahm seine Beschuldigung vollständig zurück, aber Raleigh wurde dennoch verurtheilt und hingerichtet. Fröhlicheren Herzens ist nie ein Mann in den Tod gegangen. Als er das Gerüst bestieg, sah er, daß ein Bekannter von den Wachen zurückgedrängt wurde. „Ich habe es besser, Cheston,“ rief er ihm zu, „mir nimmt Niemand meinen Platz.“ Ein Mann mit einem ganz kahlen Kopf drängte sich herzu. „Hier, Freund,“ sagte Raleigh, nahm seine reichgestickte Mütze ab und setzte sie dem Fremden auf, „nimm sie und trag’ sie mir zum Andenken; Du hast sie nöthiger als ich.“ „Ich gehe zu Gott,“ sagte er, als er zum Block trat, und berührte das Beil. „Das ist eine scharfe Arznei, aber sie befreit von allen Leiden.“ Selbst der Henker schrak davor zurück, einem so wackern und berühmten Manne den Tod zu geben. „Was fürchtest Du Dich,“ sagte Raleigh, „schlage zu, Mann!“
Im Tower schrieb Raleigh seine Weltgeschichte. Auf ihn ist eine Anekdote zurückzuführen, die man mit einigen Abweichungen von mehreren andern Historikern erzählt. Er saß eines Tages am Fenster, tief in Gedanken versunken, wie er seiner Pflicht, die reine geschichtliche Wahrheit zu geben, am besten genügen könne. Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit durch einen großen Lärm unten im Hofe erregt. Ein Mann schlug einen andern, der ein Officier zu sein schien, sein Schwert zog und seinen Feind durchbohrte. Dieser stürzte zu Boden, hieb aber den Officier vorher noch so über den Kopf, daß auch dieser niedersank. Die Wache kam und führte den Mörder fort, während andere Leute die Leiche forttrugen. Am andern Tage erhielt Raleigh den Besuch eines Freundes und erzählte ihm die Scene.
„An dem Allen ist kaum ein wahres Wort,“ sagte sein Gast. „Der angebliche Officier war kein Officier, sondern der Kammerdiener eines fremden Gesandten. Er war es, der schlug, und der sein Schwert zog und seinen Gegner damit durchbohrte, das war eben der Andere. Niedergeschlagen wurde der Mann, aber nicht von Deinem sogenannten Officier, sondern von einem der Umstehenden.“
„Aber, lieber Freund,“ sagte Raleigh, „ich habe ja Alles mit meinen Augen gesehen, dicht vor mir. Dort ist die Stelle, wo der hohe Stein steht.“
„Mein theurer Raleigh,“ antwortete der Freund, „gerade auf jenem Steine saß ich, als das Ganze vorfiel, und diese kleine Schramme auf der Backe erhielt ich, als ich dem Mörder das Schwert entriß. Auf meine Ehre, Du irrst Dich in allen Punkten.“
Als Raleigh allein war, warf er den zweiten Band seiner Geschichte in’s Feuer. „Wie viele Unrichtigkeiten werden darin stehen!“ seufzte er. „Wenn ich ein Ereigniß nicht feststellen kann, das unter meinen Augen vorgegangen ist, wie darf ich da wagen, Dinge zu beschreiben, die vor tausend Jahren gespielt haben! Wahrheit, Wahrheit, dieses Opfer bin ich Dir schuldig.“
Raleigh saß im Beauchamp-Thurm, der eine interessante Reliquie der Kriegsbaukunst im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ist. Dieser Thurm, der nach seinem ersten Gefangenen Beauchamp Grafen von Warwick benannt wird, hat drei große Zimmer übereinander. Das unterste liegt zum Theil unter der Erde und muß ein furchtbarer Aufenthalt gewesen sein. In den Mauern der beiden oberen Zimmer laufen Gänge mit verborgenen Oeffnungen gegen die Gefängnisse hin, in denen Spione die Unterhaltungen und Selbstgespräche der Gefangenen belauschten. Eine ähnliche Einrichtung hat man im „blutigen Thurm“ aufgefunden. Bei der Restauration des Beauchamp-Thurms im Jahre 1853 hat man die Inschriften an den Wänden durch chemische Mittel wiederhergestellt. Die rührendste unter allen ist die Wiederholung eines Vornamens: „Jane, Jane“. Lord Guilford Dudley kritzelte sie in die Wand, ehe er mit seiner schönen siebzehnjährigen Gemahlin Lady Jane Grey, zum Blutgerüst ging, um mit ihr das Verbrechen zu büßen, daß sich die arme Lady Jane gegen ihren eigenen Willen von einem Ehrgeizigen einige kurze Augenblicke auf einen Thron hatte setzen lassen, der allerdings nicht ihr, sondern der „blutigen Marie“, Elisabeth’s Vorgängerin, gebührte. Daß eine Haft im Tower auch gute Folgen haben konnte, deutet die Inschrift an:
Wen dieses Haus nicht bessern kann,
Der ist fürwahr ein schlechter Mann.
Auch Anna Boleyn, die zweite Gemahlin des grausamen Heinrich’s des Achten, ging im Tower ihren letzten Gang (1536). Der König war ihrer überdrüssig, beschuldigte sie der Untreue und ließ sie im Tower hinrichten. „Ihre Damen,“ schrieb Crispin vierzehn Tage nach der Hinrichtung, „hoben sofort den Kopf und die Leiche auf. Die armen Frauen schienen ohne Seelen zu sein, so schwach und hinfällig waren sie, aber da sie fürchteten, daß ihre Herrin von Männerhänden roh angefaßt werden würde, so zwangen sie sich, ihre Pflicht zu thun, und obgleich sie halb todt waren, schafften sie die Leiche doch in weiße Tücher gehüllt fort.“ Wohin? Man weiß es nicht. Nach einer Ueberlieferung ist der Kopf in Salle, nach einer anderen in Thornden on the Hill begraben worden. In beiden Kirchen zeigt man einen schwarzen Stein, der die Stelle bezeichnen soll. Was den übrigen Körper betrifft, so hat man vor einiger Zeit bei Arbeiten in einem Keller des Towers ein weibliches Gerippe ohne Kopf gefunden und sogleich der Erde zurückgegeben. Anna Boleyn war klein und zu einem Körper dieser Art hatte die Reliquie gehört.
Im Beauchampthurm hat die teuflische Ermordung Sir Thomas Overbury’s gespielt. Overbury, ein Staatsmann aus Jacob’s des Ersten Zeit, hatte nach Kräften gegen die Verheirathung der Lady Essex mit dem Grafen Somerset gewirkt und die Dame dadurch zu seiner Todfeindin gemacht. Tag und Nacht sann sie auf seine Vernichtung. Zuerst bot sie Sir John Wood tausend Pfund, wenn er den Gegenstand ihres Hasses im Duell tödte. Darauf denuncirte sie Overbury wegen Verachtung der königlichen Autorität. Sie wollte ihn blos in ihre Gewalt bekommen und erreichte ihren Zweck durch seine Abführung in den Tower, dessen neuer Lieutenant völlig in ihrem Interesse war. Am 15. December 1613 wurde Overbury in seinem Gefängnisse todt gefunden und schleunigst begraben, weil er an einer ansteckenden Krankheit gestorben sei. Erst zwei Jahre später wurde die Sache untersucht und das an Overbury begangene Verbrechen entdeckt. Die Schuldigen waren Lady Essex und ihr Mann, Graf Somerset, Elwas, der Lieutenant des Towers, der Gefangenwärter Weston, der Apotheker Franklin und Mistreß Turner, Gesellschafterin der Gräfin Somerset. Die Turner war nächst der Gräfin die Strafbarste, denn sie hatte die Ausführung des Planes geleitet und für die Mittel gesorgt. Man mischte in Overbury’s Speisen und Getränke Alles, was schädlich war, oder dem Vorurtheil der Zeit dafür galt, Scheidewasser, weißen Arsenik, Quecksilber, Diamantenstaub, Lapiscortilus, große Spinnen und Kanthariden. In sein Salz mischte man Arsenik, statt Pfeffers gab man ihm Kanthariden, kurz, Alles war vergiftet, was er genoß. Gegen alle Betheiligten erging ein Todesurtheil, aber Graf Somerset und seine Frau erlangten eine Strafmilderung. Man zog ihr Vermögen ein und hielt sie einige Jahre im Tower in Haft. Mistreß Turner war eine sehr schöne Frau und hatte auf die Mode großen Einfluß gehabt. Ihr Todesurtheil hatte den Zusatz, daß sie „mit ihren gelbgestärkten Manschetten und Halskrausen von Gaze gehängt werden solle, da sie die erste Erfinderin und Trägerin dieser scheußlichen Tracht sei“. Genau in diesem Anzuge bestieg die Turner, die sich außerdem auf eigne Hand geschminkt hatte, die Leiter und wurde [730] von einem Henker mit gelben Handschuhen und Manschetten gehängt. Die ernsteren Leute entsagten von diesem Augenblicke an der gelben Stärke und auch bei der leichtsinnigen jungen Welt kam die Mode mit der Zeit außer Gebrauch.
Den blutigen Thurm bezeichnet sein Name als den Schauplatz der Thaten, die von allen im Tower vorgekommenen den tiefsten Eindruck auf das Volk gemacht haben. Hier soll der Herzog von Clarence in einem Faß Malvasier ertränkt und hier sollen die beiden Söhne Eduard’s des Vierten auf Richard’s des Dritten Befehl mit Kissen erstickt sein. Die Zimmer, die man als die Stätten beider Verbrechen bezeichnet, liegen nebeneinander. Das Sterbezimmer des Herzogs von Clarence ist ein dunkler Raum ohne Fenster, in dem eines der Fallgatter des Towers aufgezogen und niedergelassen wurde. Der letzte Bewohner des blutigen Thurmes war ein berühmter Politiker unserer Tage, Sir Francis Burdett. Wegen eines Preßvergehens, das er in Cobbett’s „Wochenregister“ begangen hatte, wurde er ein Bewohner des Thurmes, der den Plantagenets, Yorks, Lancasters und Tudors zur Sättigung ihrer Rache an Feinden und zur Beseitigung von Thronprätendenten gedient hatte.
Dem Publicum sind alle diese Räume nicht zugänglich. Man setzt bei ihm blos ein Interesse an der Rüstkammer und an dem Zimmer mit den Kronjuwelen voraus. Auch in diesem letztern ist übrigens ein Verbrechen begangen worden. Unter Karl dem Zweiten lebte in Irland ein Oberst Thomas Blood, der in seinen Interessen durch Maßregeln der Regierung schwer benachtheiligt worden zu sein glaubte. Aus Rache verband er sich mit andern Unzufriedenen, einen Aufstand zu erregen, das Schloß von Dublin zu erstürmen und den Herzog von Ormond, Statthalter von Irland, zu ermorden. Der Anschlag wurde zwölf Stunden vor dem Zeitpunkte, an dem die Verschworenen losbrechen wollten, entdeckt. Die meisten Theilnehmer wurden verhaftet und hingerichtet, Blood entkam nach London, wohin auch der Herzog von Ormond sich bald darauf begab. Sich an diesem Feinde zu rächen, wurde Blood’s einziger Gedanke, und es fehlte nicht viel, so hätte er seinen Zweck durch einen Anschlag von wahrhaft unerhörter Frechheit erreicht. Im Jahre 1670 kam der Prinz von Oranien, der spätere Wilhelm der Dritte, nach London und die Altstadt gab ihm zu Ehren ein Fest. Der Herzog von Ormond war unter den Gästen gewesen und hatte auf der Rückkehr am späten Abend sein Haus am Ende der St. Jamesstreet fast erreicht, als er plötzlich einen Haufen Menschen am Kutschenschlage erscheinen sah und im nächsten Augenblicke aus dem Wagen gerissen, geknebelt, gebunden und auf ein Pferd geworfen wurde. Es entstand Lärm und man setzte den Verbrechern nach, aber Blood hätte seine Rache kühlen können, da sein Feind, den einer seiner Gefährten hinter sich auf dem Pferde hatte, völlig in seiner Gewalt war, wenn er sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, daß der Herzog von Ormond am Galgen von Tyburn sterben müsse. Dahin war er vorausgeeilt, hatte einen Nagel eingeschlagen, einen Strick daran befestigt und ritt nun zurück, um nach seinem Gefangenen zu sehen. Sein Gefährte sprengte ihm allein entgegen und mahnte ihn zur Flucht. Der Herzog hatte plötzlich einen Fuß unter einen der Steigbügel geschoben und seinen Hüter mit einem Ruck vom Pferde geworfen. Er war mitgefallen, aber während der Andere ihn wieder aufs Pferd heben wollte, hörte dieser die Hufschläge von Verfolgenden und rettete sich.
Die Aufregung über diesen Anfall mitten in London war kaum vorüber, als Blood den Plan entwarf, die Kronjuwelen zu stehlen. Ihr Hüter war ein bejahrter Mann, Talbot Edwards. Als Blood sich die Sachen zeigen ließ, war er als Pfarrer verkleidet und hatte „seine Frau“ bei sich. Der Dame wurde unwohl, und Edwards nahm sich ihrer so herzlich an, daß Blood keinen Verdacht erregte, als er ihn nach ein paar Tagen besuchte und ihm im Namen seiner dankbaren Frau, die seine Frau nicht war und sich blos unwohl gestellt hatte, für Mistreß Edwards ein Paar Handschuhe überreichte. So entspann sich eine nähere Bekanntschaft, welche für die Frau Edwards den höchsten Werth bekam, als Blood zwischen ihrer Tochter und seinem Neffen, der ein reicher Gutsbesitzer sei, eine Heirath vorschlug. Am 9. Mai 1671 wollte er den jungen Mann um sieben Uhr vorstellen und noch zwei Freunde mitbringen, welche die Kronjuwelen zu sehen wünschten und früh abreisen müßten.
Zur bestimmten Stunde war die Gesellschaft da, außer Blood noch drei Männer, jeder mit einem Dolch und einem Paar Pistolen unter dem Rock. Seine Frau habe noch eine Abhaltung, sagte Blood, inzwischen könne man ja die Schatzkammer besuchen. Blood und zwei seiner Mitschuldigen traten in das Zimmer, der vierte blieb als Wache draußen. Plötzlich wurde Edwards ein Mantel über den Kopf geworfen und ein Knebel in seinen Mund gesteckt. Einer der Diebe nahm die Krone, ein zweiter den Reichsapfel zu sich, der dritte suchte das Scepter in der Mitte zu durchfeilen, damit es sich verstecken lasse. Zum Glück kam ein neuer Besuch und verscheuchte die Verbrecher. „Es war eine verunglückte, aber eine große That, es galt ja einer Krone!“ rief Blood, als er festgenommen wurde. Der König wohnte seinem Verhör bei und dies rettete ihn. Er gestand, daß er Karl dem Zweiten einmal aufgelauert habe, aber die Ehrfurcht vor der Majestät habe ihn überwältigt, und auch seine Freunde, die er zu Hunderten zähle, seien von ihm stets abgehalten worden, die Hand gegen die geheiligte Person des Monarchen zu erheben. Ob sie seinen Tod nicht würden rächen wollen, könne er freilich nicht wissen. Halb durch jene Schmeichelei gewonnen, halb durch diese Drohung eingeschüchtert, begnadigte der König Blood nicht blos, sondern wies ihm auch ein Jahrgeld von fünfhundert Pfund an.
Gegen eine Wiederholung solcher Versuche sind die Kronjuwelen jetzt geschützt. Der Beschauer verliert durch die getroffenen Maßregeln nichts; auf einer Drehscheibe liegend, bewegen sich die Kleinodien langsam an seinem Auge vorüber. Was man sieht, stammt aus verschiedenen Zeiten, doch ist das Werthvollste nicht älter als Karl der Zweite. Das Neueste ist die Krone der Königin Victoria, eine Kappe von purpurrothem Sammt, von silbernen Reifen eingeschlossen und über und über mit Diamanten besäet. Sie wiegt nicht zwei Pfund, ist aber 112,000 Pfund Sterling werth und bildet einen ebenso schlagenden Gegensatz zu den alten schweren Kronen des Mittelalters, wie der heutige freundliche, von einem Garten umgebene Tower zu der finsteren Zwingburg der Tudors.