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Aus den Zeiten der schweren Noth/Der letzte Rest vom zweiten Regiment

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Textdaten
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Autor: A. Trabert
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Titel: Aus der Zeit der schweren Noth/Der letzte Rest vom zweiten Regiment
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 311–315, 317
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[317]

Das Gericht der Haberer.
Originalzeichnung von Ph. Sporrer.

[311]

Aus der Zeit der schweren Noth.

Der letzte Rest vom zweiten Regiment.
Von A. Trabert.

Im Hafen von Plymouth war es an einem der ersten Februartage des Jahres 1814 ungewöhnlich lebendig. Officiere der königlichen Seeschule, von angesehenen Kaufherren begleitet, eilten nach dem Ausgange des Hafens. Die Straßenjugend folgte ihnen mit dem lustigen Rufe: „Hurrah, die Nassauer!“ und von den Arbeitern der großen Schiffswerfte warfen nicht wenige den Hammer, die Axt, ja selbst das Schurzfell von sich, um sich neugierig anzuschließen. Auch wir folgen dem bunten Menschenschwarm und sehen auf der Rhede ein Häuflein Soldaten aufgestellt, das sich eben bereit macht zur Einschiffung.

Deutsche Landsleute waren es, das „zweite nassauische Infanterieregiment“, dessen bevorstehender Abzug das Interesse der schaulustigen Menge in so hohem Grade geweckt hatte. Wie aber kamen diese Tapferen hierher nach England? Welches Schicksal hatte sie dahin verschlagen? Und welcher neuen Bestimmung gedachten sie eben jetzt fröhlich entgegen zu gehen?

Am 20. August 1808, vor ungefähr fünf und einem halben Jahre also, hatten sie, dem Befehle ihres Kriegsherrn gehorchend, die schöne deutsche Heimath, die gesegneten Ufer des Rheins und der Lahn, verlassen müssen, um unter dem Commando des ebenso tapfern wie umsichtigen Obersten von Kruse -– als Hülfsvölker Frankreichs den schweren Krieg in Spanien mitzumachen. Sie waren es, die sich dort aus dem Munde des französischen Generals Desolles im Kampfe mit den Spaniern und Engländern den Ehrennamen verdient hatten: „La citadelle mobile!“

Doch nein! Nur noch die Reste der citadelle mobile! standen eben jetzt auf der Rhede von Plymouth; denn als das zweite nassauische Infanterieregiment den Marsch nach Spanien antrat, war es sechszehnhundertneunundachtzig Mann stark; es hatte wiederholt Nachschub aus der Heimath erhalten und zählte jetzt trotz alledem kaum noch mehr als sechshundertundfünfzig. Dreiundvierzig Officiere hatte das Regiment beim Ausmarsche gehabt; hier in dem gastlichen Hafen Englands standen jetzt nur noch zweiundzwanzig, und unter diesen mehrere, die ihre Epauletten sich erst in Spanien verdient hatten. Der Spielleute waren es beim Aufbruche aus den sonnigen Thälern von Wiesbaden und Biebrich [312] neunundzwanzig gewesen; auf der Rhede von Plymouth zählte man ihrer jetzt nur noch neun! Wo waren die Anderen? Gefallen in hundert und aber hundert Gefechten und Schlachten; gestorben in den Lazarethen; ermordet von den empörten spanischen Bauern. Und wir, die deutschen Landsleute der Gemordeten, können den Mördern nicht einmal recht zürnen darum. Vertheidigte das empörte Volk doch nur seine Nationalität, seine Freiheit, sein Vaterland. Wir können höchstens dem Schicksale grollen, das unsere Söhne in den blutigen Dienst des corsischen Eroberers dahingab und unsere verblendeten, des eigenen Vaterlandes vergessenen Fürsten eine Ehre darin erkennen ließ, das Blut der Völker zu verspritzen für ihn, zur Unterjochung Europas.

Fünf Jahre und zwei Monate hatte der Dienst in Spanien gedauert; die pyrenäische Halbinsel war wiederholt erobert und verloren worden, da war endlich die Nachricht von der großen Völkerschlacht bei Leipzig bis hin an das biscayische Meer gedrungen. Auch der Oberst von Kruse hatte heimliche Kunde davon, aber er hatte von seinem Herzog auch gleich den bedenklichen Befehl erhalten, sobald ihm in einem gleichgültigen Geschäftsbriefe ein gewisses ganz unschuldig klingendes Stichwort werde gegeben werden, ohne Verzug überzugehen zu den Engländern. Das Stichwort kam und trotz aller Aufmerksamkeit der Franzosen, welche nun schon Verdacht geschöpft hatten, war es dem Obersten am Abende des 10. December 1813 denn auch gelungen, dem Befehle zu entsprechen. Der Uebergang erfolgte in der Nähe von Bayonne, unmittelbar nach einem allgemeinen Angriff auf die Armee der Engländer und ihrer Verbündeten. Alles Gepäck freilich, die Kriegscasse und einhundertfünfundfünfzig von seinen Leuten, darunter sechs Officiere, hatte der Oberst im französischen Lager zurücklassen müssen. Auf englischen Schiffen war er dann mit seinem Regimente – mit den tapferen Resten dieses Regiments – nach Plymonth gekommen und dort durch das Gouvernement und den Prinzen von Oranien bestimmt worden, sich und die Seinen bis auf Weiteres in Holland verwenden zu lassen, anderweiter Befehle seines Kriegsherrn gewärtig.

Kein Wunder, wenn nach einer solchen Vergangenheit unsere Sechshundertundfünfzig in dem Augenblicke, in welchem sie sich anschickten, aufs’s Neue die Schiffe zu besteigen, nicht sehr parademäßig aussahen. Die Farbe ihrer Uniformen war in den ununterbrochenen Bivouacs schon in Spanien sehr zweifelhaft geworden. Englische Säbelhiebe hatten die rothen Fangschnüre der stämmigen Carabiniers arg zerfetzt. Von den grünen Federbüschen der Voltigeurs waren – Dank den spanischen Kugeln, die allmählich bestens zu treffen gelernt hatten – nur noch dürftige Spuren zu entdecken, und die schwarzen Büsche der Centrecompagnien sahen nicht besser aus. Aber alles das verunstaltete nicht, denn die ganze Erscheinung der kleinen Truppe zeigte bei alledem noch das unverkennbare Gepräge jenes kriegerischen Muthes, der als eine der höchsten Tugenden des Mannes gilt. Aus den hageren, wettergebräunten Gesichtern sprachen eiserne Festigkeit und unverdrossene Todesverachtung, und mehr als bunter Uniformsflitter zierten die Narben, diese beredten Offenbarungen der zahllosen Kämpfe, in welchen diese Männer ihr Leben eingesetzt hatten – leider nur zum Ruhme des neuen Cäsar Augustus, nur im Interesse des großen Zwingherrn, der so lange für unbesiegbar galt.

Die Flotte, welche unsere Nassauer, die ungünstige Winde vier Wochen lang im Hafen von Plymouth zurückgehalten hatten, durch den Canal und die Straße von Dover nach der Küste von Holland bringen sollte, bestand aus sechs oder sieben kleinen Transportschiffen. Am 4. Februar 1814 ankerte dieselbe „in den Dünen bei Deal“. Am folgenden Tage, als der günstige Wind ständig zu werden versprach, ging sie nach Holland in Segel. Aber trotz aller guten Vorbedeutungen, – schon dieser erste Tag brachte schweres Ungemach. Ganz unerwartet erhob sich ein Sturm mit starkem Schneegestöber. Der helle Februartag wurde plötzlich in dunkle Nacht verwandelt. Es wurde den einzelnen Schiffen unter diesen Umständen sehr bald unmöglich, gleichen Cours zu halten; auch waren sie gar bald nicht mehr im Stande, einander zu sehen. Die Folge davon war, daß sie sich sehr schnell nach verschiedenen Richtungen hin verloren. Vier von ihnen kehrten deshalb am späten Abende zurück auf den Ankerplatz, den sie früh Morgens verlassen hatten. Das eine dieser in die Dünen zurückgekehrten Schiffe war das Schiff des Hauptmanns Müller. Die Truppencommandanten der drei anderen Schiffe waren der Oberstlieutenant Gödecke und die Hauptleute Berninger und Büsgen.

Am Morgen des 7. Februar tobte noch immer der Sturm. Aengstlicher noch als zuvor fragten sich jetzt die in die Dünen Zurückgekehrten: Was wird aus unseren Cameraden geworden sein? Die hochgehenden Wogen des Meeres aber gaben keine Antwort. Gegen zehn Uhr Morgens hatte sich der Sturm gelegt. Man wartete trotzdem noch einige Stunden auf die Verschlagenen. Keine Spur von ihnen war zu entdecken. Endlich im Laufe des Nachmittags beschloß der Bevollmächtigte der englischen Staatsregierung, welcher sich auf dem Schiffe des Hauptmanns Büsgen befand, mit dem Reste seiner Flotte auf’s Neue unter Segel zu gehen. Es wurde das Signal gegeben zum Lichten der Anker. Die Fahrt ging indeß nur bis um die Mittagszeit des folgenden Tags gut von Statten. Der Sturm hatte sich um diese Zeit von Neuem erhoben, Land aber war noch nicht zu entdecken. Der englische Bevollmächtigte vermuthete trotzdem dessen Nähe. Er fürchtete, an die Küste getrieben zu werden, und ließ darum mittels eines Kanonenschusses die übrigen Schiffe zunächst avertiren, dann gab er das Signal zum Umwenden in die hohe See. Das Signal wurde aber nur auf dem Schiffe des Oberstlieutenants Gödecke bemerkt und darum auch nur von diesem einen Fahrzeuge befolgt. So zerstreute sich nun auch der Rest der Flotte, der bis dahin zusammengehalten hatte: Gödecke und Büsgen gingen mit ihren Leuten wieder seewärts; die Schiffe aber, auf denen sich Berninger und Müller befanden, setzten, vom Sturme getrieben, den Cours nach der holländischen Küste fort. Wir verlassen sie einstweilen, um zunächst den beiden anderen zu folgen.

Auch diese beiden Schiffe, dieselben also, auf welchen sich der Bevollmächtigte Englands und die Truppencommandanten Gödecke und Büsgen befanden, nahmen am Morgen des folgenden Tags – am 9. Februar – wieder die Richtung nach Holland. Sie segelten auf der hohen See abermals landwärts und entdeckten jetzt auch gar bald die ersehnte Küste. Eine holländische Fischerbarke gewahrend, die nach England bestimmt war, zwangen sie den Patron derselben, sich trotz all’ seinen Protesten auf das Schiff des Hauptmanns Büsgen zu begeben, um da als Lootse zu dienen. Gezwungener Dienst ist aber in der Regel nur schlechter Dienst, und unsere beiden Schiffe sollten das nur zu bald zu ihrem Schaden gewahr werden. Auf der Höhe der Insel Goree gerieth das Fahrzeug Büsgen’s plötzlich auf Grund. Dabei wurde die Brandung, die ringsumher tobte, immer heftiger und schleuderte das Schiff wiederholt mit gewaltiger Wucht immer weiter hinein in die Sandbank. Das Gebälke des Schiffes krachte. Das Steuerruder wurde aus den Angeln gerissen; durch ein großes Leck brauste alsbald die salzige Fluth herein. Man verlor indeß auf dem Schiffe glücklicher Weise den Kopf nicht. Der Capitän gab die geeigneten Befehle und alle Hände gingen rasch an die Ausführung. So gelang es denn auch, das Schiff wieder flott zu machen.

Dem Fahrzeuge des Oberstlieutenants Gödecke, welches sich ganz in der Nähe gehalten hatte, war es leider nicht viel besser ergangen. Auch dies Schifflein wurde wie eine leichte Nußschale von der Brandung erfaßt und wiederholt auf die Sandbank gestoßen. Natürlich wurde es hierdurch ebenfalls leck, doch gelang es auch ihm, sich wieder flott zu machen. Während dann die Mannschaften beider Schiffe ununterbrochen an den Pumpen arbeiteten, ging man abermals zurück in die hohe See, um kreuzend den nächsten Tag zu erwarten. Der Morgen kam, aber er brachte so undurchdringlichen Nebel, daß es unmöglich war, einen neuen Versuch zum Landen zu machen. Auch die hohe See halten zu wollen, wäre bei der schweren Haverei der Schiffe und bei der ununterbrochenen Fortdauer des Sturmes nicht minder bedenklich gewesen, und so erfolgte denn jetzt ein neuer Befehl des englischen Bevollmächtigten, der den Schiffen abermals den Cours nach rückwärts gab. Sie segelten jetzt nach der Küste Englands und waren auch bald so glücklich, Harwich zu erreichen, wo die Schäden ausgebessert werden konnten. Erst gegen Ende des Monats März war das Schiff des Hauptmanns Büsgen im Stande, auf’s Neue in See zu gehen. Auch war es dann so glücklich, seine Mannschaft nach kurzer Fahrt auf der Rhede von Helvoetfluys wieder an’s Land zu setzen. Schon einige Wochen früher war ebendaselbst Oberstlieutenant Gödecke gelandet, dessen Schiff weniger schwer beschädigt gewesen war und darum auch schneller wieder seetüchtig hatte gemacht werden können.

[313] War nach alledem die Fahrt dieser beiden Schiffe keine sehr erfreuliche gewesen, so war sie doch im Vergleich mit den Schicksalen der beiden anderen, die wir seit dem späten Nachmittage des 8. Februar aus den Augen gelassen haben, eine beneidenswerth glückliche.

Wir berichteten schon[1]: jene beiden anderen Schiffe – die der Hauptleute Berninger und Müller – hatten an jenem stürmischen Abende, theils wegen zu großer Entfernung, theils wegen des allzu lauten Getöses der wild erregten Wogen, die ihnen schon viel zu schaffen machten, den Kanonenschuß, den der englische Regierungsbevollmächtigte hatte abfeuern lassen, völlig überhört und dann auch das Signal nicht bemerken können, welches auch für sie eine Aufforderung sein sollte zur Rückkehr in die hohe See. Sie ließen sich vom Sturme weiter treiben, und dabei wurde es dunkler und immer dunkler. Doch allmählich schien sich die Wuth der empörten Elemente besänftigen zu wollen. Der Wind zerrte zwar noch immer ziemlich heftig an den Segeln und die Wellen gingen noch drohend hoch, der Capitän aber, dem das Schiff des Hauptmanns Müller anvertraut war, hielt trotzdem alles Ungemach für überstanden. Er überließ die Leitung des Schiffs dem Steuermann, und als die Nacht nur noch tiefer und der Wind, der in die Segel blies, noch ein wenig ruhiger geworden war, hielt es auch der Steuermann für gerathen, dem Beispiele seines Vorgesetzten unbekümmert zu folgen. Die Leitung des Schiffes lag jetzt nur noch in den Händen der Matrosen und in der tückischen Laune des Sturms, der sich gar bald auf’s Neue erheben sollte.

Noch bis zwei Uhr Morgens tanzte das Schifflein lustig auf der schäumenden Fluth. Die gewaltigen Wogen des ewigen Meeres schienen nur noch ihr leichtes Spiel mit ihm zu treiben. Es lag so still und sorglos auf den Wogen, wie ein träumendes Kind in der Wiege, ohne zu fühlen, wie es schaukelnd gehoben und gesenkt wurde. Da mit einem Male krachte das Schiff in allen seinen Fugen. Die Schläfer springen aus ihren Lagerstätten, aber ehe sie noch recht zur Besinnung kommen, folgt schon wieder Stoß auf Stoß, einer immer heftiger als der andere. Das Schiff ist, ohne daß irgend wer weiß, wo es sich befindet, aufgefahren auf der Haaksbank, und schon hört man auch jetzt das Wasser rauschen, das durch ein gewaltiges Leck hereinzuströmen begonnen hatte.

Die Matrosen, die Officiere und Soldaten eilen bestürzt auf Deck. Wer beim Schlafengehen die Kleider abgelegt hatte, nimmt sich nicht einmal Zeit, sich erst wieder anzukleiden. Niemand hatte noch eine rechte Vorstellung von der Gefahr, in welcher jetzt das Schifflein schwebte, Aller aber hatte sich doch urplötzlich ein Gefühl bemächtigt, als sei das letzte Stündlein bereits sehr nahe gekommen.

Der Mond ging auf und beleuchtete rings umher die wild brandende Fluth. Das Meer bot nur noch einen grausigen Anblick des Verderbens dar. In einiger Entfernung sah man jetzt auch wieder das andere Schiff, das des Hauptmanns Berninger. Das Takelwerk war nur noch eine verwirrte Masse. Die Segel flatterten wie zerrissen um die Mastbäume. Dennoch verlangten die Truppen des Hauptmanns Müller ohne Verzug hinübergebracht zu werden auf das andere Schiff. Ein zweiter Blick aber auf dieses genügte schon, um Allen die Gewißheit zu geben, daß auch dort Tod und Verderben kaum noch vermeidlich seien.

Man ließ jetzt auf dem Schiffe des Hauptmann Müller die Pumpen arbeiten, man warf alles entbehrliche Geräthe über Bord, doch die Lage wurde trotzdem nicht besser. Man berathschlagte, aber leider ziemlich chaotisch, was zur Rettung der Mannschaft vielleicht noch zu thun sei; man machte Plan auf Plan, schließlich wurde indessen wieder Alles verworfen. Jeder Windstoß brachte ohnehin immer neue Arbeit, und über diesen kleineren Aufgaben, die sich in immer veränderter Gestalt herandrängten, vergaß man die Lösung der großen: zu retten, was noch zu retten sei.

Die Stunden dieser schauerlichen Nacht verstrichen qualvoll, peinlich. Sie schienen nur noch dem Tode langsam näher zu rücken. Endlich wurde es Tag, der erste nach dem schweren Aufstoßen des Schiffes auf die Sandbank, und man lugte wieder hinüber nach dem Schiffe des Hauptmanns Berninger. Aber man sah dort nur noch zerbrochene Balken als eine wirre Trümmermasse auf den Wogen treiben. Hie und da zeigte die tückische Welle wohl auch dem suchenden Auge die Leiche eines Cameraden, mit der sie Fangeball spielte, um sie dann hohnlachend mit hinabzunehmen in die endlose Tiefe, den „Hyänen des Meeres[WS 1]“ zur leckeren Beute.

Als es noch heller geworden war, zeigte sich jetzt aber doch auch ein freundlicher Hoffnungsblick. Man sah in nicht allzu weiter Ferne die Mastspitzen einer zahlreichen Flotte und konnte wieder an die Möglichkeit der Rettung glauben.

Der Capitän, hierdurch ermuthigt, entschloß sich zu einem letzten Versuch, das Schiff wieder flott zu machen. Er befahl, den Hintermast zu kappen, der bald krachend über Bord stürzte. Allein bei dieser und anderen Vorkehrungen war es leider nicht einem von den Seeleuten in den Sinn gekommen, die Segel einreffen zu lassen, wie es der fortdauernde Sturm unerläßlich gemacht hätte. Der Wind, der sich jetzt wieder stärker erhob, erfaßte das Schifflein, um es wie einen Keil stoßweise immer tiefer in die Sandbank zu treiben. Wieder krachte das Fahrzeug in allen seinen Fugen, aber trotzdem hielt es zusammen.

Das Leck war dabei immer weiter geworden. Alle inneren Räume des Schiffes füllten sich über und über mit Wasser, und trotz der tröstenden Nähe der Flotte, die man gesehen hatte, wuchs jetzt wieder die Todesgefahr mit jeder Minute.

Der Capitän ließ ein Fäßchen Rum herbeischaffen. Die Matrosen und wer sonst noch Lust hatte, sollten sich wohl Muth zum Sterben trinken. Hauptmann Müller und seine Officiere aber befürchteten hiervon nur größere Unordnungen, und obgleich sie jetzt kaum noch recht an die Möglichkeit der Rettung zu glauben wagten, so ließen sie das Fäßchen doch zum großen Verdruß des Capitäns durch ihre Soldaten zerschlagen. Einer der Matrosen war dabei so glücklich, sich ein gutes Theilchen des zischend emporsprudelnden Rums in der Mütze aufzufangen. „Meerweibchen, Prost!“ rief er mit lautem Lachen und schlürfte den Trank bis zum letzten Tropfen. Singend und tanzend lief er dann auf der schmalen Galerie hin, die das Verdeck umgab. Als er ungefähr zehn Schritte weit gekommen war, glitt er aus, taumelte und stürzte. Er verschwand im Meere, aber Niemand dachte daran, den unglücklichen Frevler zu retten, denn schon wieder hatte ein gewaltiger Windstoß das Schifflein erfaßt, um es wo möglich noch tiefer in die Sandbank hinein zu keilen.

„Der Matrose wird der Quartiermacher sein sollen, der uns anmeldet bei den vorausgegangenen Cameraden,“ sagte der Hauptmann Müller zu dem graubärtigen Feldwebel, der in seiner Nähe stand. Der Alte nickte. Beide blickten dann schweigend nach der Gegend hin, wo man am Morgen die Spitzen der Mastbäume gesehen hatte.

Der Capitän hatte, als sich der Himmel wieder dichter mit Wolken verhüllte, auf die Fluth vertröstet, die das schon sehr arg zugerichtete Schifflein doch wohl wieder heben werde. Die Fluth kam, und es wurde jetzt noch einmal mir allen Pumpen riesig gearbeitet. Bald aber überzeugte man sich, daß das eindringende Wasser nicht mehr zu bewältigen sei. Hätte das Schiff nicht wie mit Felsen eingemauert fest in der Sandbank gesessen, so wäre es ohne Zweifel schon jetzt gesunken. Unter diesen Umständen konnte es natürlicher Weise auch durch die Fluth nicht mehr gehoben werden. Mit dem stärkeren Anschwellen der Wogen aber wurde die Lage der Gestrandeten nur immer entsetzlicher. Haushoch kamen die aufgewühlten Wassermassen heran, um über das Verdeck hinzustürzen und um das Verderben der Unglücklichen zu beschleunigen.

Auch über den graubärtigen Feldwebel, dessen zu gedenken wir schon Gelegenheit hatten, war eben die Fluth hingegangen.

Mühsam hatte er ihr Stand gehalten, indem er sich fest an der Galerie hielt. Er schüttelte sich dann wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt, und sagte mürrisch zu dem Sergeanten, der an seiner Seite stand: „Hole der Teufel die Wetter! Lieber doch gleich noch einmal mutterseelenallein unter allen Kartätschen, Granaten und Gewehrkugeln der verdammten Spanier bis zur Brücke von Almaraz reeognosciren gehen, als sich hier so wegfegen lassen zu müssen, ohne sich auch nur wehren zu können.“

„Oder mit dem Regimente Holland noch einmal Mesa de Ibor stürmen,“ entgegnete ihm Andreas Kranz aus Geisenheim, „auch wenn uns jetzt gleich zwanzigtausend Spanier gegenüber ständen, anstatt der nur siebentausend von anno Neun.“

Und wieder brauste jetzt eine gewaltige Woge daher, den Einen mit sich fort in’s Meer reißend, den Andern wider die [314] Küche schleudernd, so daß auch diese schon drohte, krachend zusammenzubrechen.

Oberlieutenant Keim machte in diesem Augenblick den Vorschlag, auf den Vordermast zu klettern, um vom Verdeck nicht fortgespült zu werden. Hauptmann Müller aber schüttelte mit dem Kopfe. „Wozu sich da droben noch lange abquälen?“ meinte er; „unser Stündlein hat geschlagen, und ich verspüre schlechte Lust, jetzt noch mit Minuten zu geizen.“

Lieutenant Meder, der das schweigend mit angehört, drehte sich noch einmal um, mit finsteren Blicken über das Meer hin schweifend. Seine Gesichtszüge waren in diesem Augenblicke fest wie Stahl. Rasch wendete er sich dann wieder zu seinem Vorgesetzten. „Sie haben Recht, Hauptmann,“ sagte er dann, indem er militärisch grüßte. „Adieu, Cameraden, ich gehe in den ewigen Schlaf.“ Und festen Schrittes ging er hinab in die Cajüte, in die das Wasser schon eingedrungen war.

Ein stämmiger Carabinier hatte ihn mit den Blicken verfolgt, bis er verschwunden war. Die starren Gesichtszüge des Carabiniers wurden dann plötzlich lebendig, als ringe sich aus der Seele ein großer Entschluß los. Dort, einige Schritte von dem Carabinier, hielt sich ein Voltigeur krampfhaft an der Galerie fest, das Gesicht unverwandt dem Meere zugekehrt. Mühsam ging der Carabinier hinüber zu dem Cameraden. Sie waren die Söhne zweier Schwestern, aus einem und demselben Dorfe gebürtig. Kein Wunder, wenn sie das ganz besonders aneinander fesselte. Aber sie hatten auch eine gemeinsame Erinnerung, welche sich in diesem Augenblicke noch mehr geltend machte, als die Bande des Blutes. Der Carabinier klopfte dem Voltigeur leise auf die Schulter. „Weißt Du, Franz,“ sagte er dann, „was ich möchte?“

Der Voltigeur nickte.

„Ja,“ fuhr der Carabinier fort, und in seiner Aufregung achtete er nicht darauf, daß die Umstehenden es hörten, „es geht mir heute wieder wie in der unglücklichen Schlacht von Vitoria. Ich kann den Blick des Alten von Arenas auch heute nicht los werden. Mir ist, als wenn wir eben jetzt in den Keller drängen, als wenn wir eben jetzt im hellen Schein der Lampe anstatt des Weines, den wir suchten, das verdammte Gold blinken sähen, das der Alte vergraben wollte. Siehst Du? Da steht er jetzt wieder leibhaftig vor mir. Er hebt drohend seine Hacke, aber seine Kniee, seine Arme, seine knochigen Hände zittern. Wir stoßen ihm doch, Du und ich, in einem und demselben Augenblick, als wenn wir commandir würden, die Bajonnete in die nackte Brust. O, ich seh’ ihn noch zuckend zusammenstürzen und sterben.“

Der Voltigeur schwieg eine Weile. „Bah,“ sagte er dann, „auf das Geld hatten wir ein Recht, denn General Leval hatte wegen des grausamen Hinschlachtens der westphälischen Chevauxlegers das Plündern und Verbrennen der mörderischen Stadt befohlen. Und was den Alten betrifft, weshalb drohte er uns? Auch war’s immerhin noch besser für ihn, er starb durch unsere Bajonnete, als wenn er sich in der brennenden Stadt elend zu Tode hätte rösten lassen, wie so mancher von unseren betrunkenen Cameraden.“ „Ob wir nun recht oder unrecht gethan,“ entgegnete der Carabinier, „ich will jedenfalls nicht mit dem Golde hier in der Fluth begraben werden.“ Und damit schleuderte der Carabinier die Beute von Arenas, die er noch immer bei sich trug, weithin in’s brausende Meer. Der Voltigeur lachte. Aber das Gold seines Cameraden war kaum in der Tiefe verschwunden, da wühlte auch er in den Taschen und ließ darauf gleichfalls eine Handvoll Goldes langsam in’s Meer rollen. In demselben Augenblicke ging eine Woge hoch über die Küche hin. Sie riß einen Theil des Daches ab und schleuderte ihn gegen den Voltigeur und den Carabinier. Beide taumelten, stürzten und verschwanden wie ihr Gold in der Tiefe.

Lieutenant Keim wiederholte jetzt seinen Rath, auf den Vordermast zu klettern, und führte den Vorschlag seinerseits auch sogleich aus. Lieutenant Wernecke, Dümmler und Andere folgten ihm. Die Einen kauerten dicht aufeinander im Mastkorbe, die Anderen, die noch ein Plätzchen fanden, klammerten sich an der Leiter fest. Und wieder brauste jetzt eine Woge, stärker als je zuvor, über das Schiff hin. Sie zertrümmert, was noch von der Küche steht, und zerdrückt einen großen Theil der Galerie. Aber was das Entsetzlichste war: sie reißt auf einmal fünfzig Menschen mit fort, die sich an der Galerie festgehalten hatten. Fünfzig auf einmal verschwunden in der Tiefe!

Hauptmann Müller und Lieutenant Groß blieben trotzdem noch immer auf dem Verdeck. Sich gegenseitig umschlingend, hielten auch sie sich an einem Theil der Galerie fest, den die Wogen noch nicht zertrümmert hatten und der stark genug zu sein schien, ihnen noch länger zu trotzen. Von Nässe und Kälte erstarrt, wurden sie wiederholt rücklings auf das Verdeck geschlendert. Nur mühsam rafften sie sich wieder auf. Jetzt kommt in der That auch ihre Stunde. Abermals naht ein gewaltiger Wogenschwall und reißt den Hauptmann hinab in’s Meer. Die am Maste sehen es mit an, und trotz all’ der Schrecken, die sie nun schon erlebt hatten, erfaßt sie ein neues Grausen. „Ich muß meinen Hauptmann retten,“ schreit der Sergeant Philipp Dietz und eilt die Mastleiter hinab auf’s Verdeck. Auf dem Hintertheile des Schiffes befindet sich noch ein kleines Boot. Dietz versucht, es zu lösen, um es dann in’s Meer hinabzulassen. Da wird auch er hinabgespült von der Fluth. Mit demselben Ruf: „Ich muß ihn retten!“ war aber noch ein Zweiter, der Bediente des Hauptmanns, Wilhelm Schwarz aus Hasselbach, von der Mastleiter hinabgesprungen, um sich sofort in’s Meer zu stürzen. Rettung zu bringen, vermochte aber der Eine so wenig wie der Andere. Die Fluth begrub sie gleichzeitig alle Drei.

In anderer Weise als Hauptmann Müller sollte Lieutenant Groß sein Ende finden. Dieselbe Woge, welche den Anderen mit fort in’s Meer gerissen, halte ihn seitwärts zwischen Trümmer und Balken geschlendert, die ihn, vom Wasser heftig hin und her gestoßen, langsam zermalmten. Die Leute in dem Mastkorbe sahen ihn zucken und sterben.

So war denn das allgemeine Elend immer größer und größer geworden. Auch die auf dem Mäste litten entsetzlich. Zitternd und bebend vor Frost, auch dort oben immer auf’s Neue von der Fluth durchnäßt und vom eisigen Winde unablässig durchweht, fingen sie gar bald an, die Todten sogar zu beneiden. Lieutenant Krift, der sich seither schwebend in den Tauen festgehalten und nun fühlte, daß seine Kraft erlahme, sprang hinab auf’s Verdeck und dann mit dem Rufe: „Lebt wohl, Cameraden!“ in’s Meer. Andere folgten unwillkürlich, indem sie langsam erstarrten und dann bewußtlos hinabkollerten. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch den Lieutenant Gödecke. Er hatte sich auf eine Walze gelegt, die am Maste befestigt war und zum Auf- und Abwinden der Anker diente. Auch er war dort erstarrt und so von den Wogen widerstandslos fortgespült worden. Andere verwickelten sich, indem sie von den Wellen mit fortgerissen wurden, mit den Füßen in den Tauen und wurden so vom Sturme hin und her geschleudert, bis ihre Glieder an den Balken des Schiffes zerschellten. Auch der Capitän und der Steuermann starben, aber Niemand weiß, wie sie zu Grunde gegangen.

Als der Tag endlich zu sinken begann und das Meer wieder einmal etwas ruhiger geworden war, erscholl plötzlich der Ruf: „Ein Boot! Ein Boot!“ In der That, ein Boot kam heran und zwar mit vollen Segeln. Es kam von der Flotte her, deren Maste unsere Schiffbrüchigen schon am Morgen in der Ferne gesehen hatten. Das Boot kam bis auf Sprechweite heran. Es erfolgte dann in französischer Sprache die Anfrage, woher das gestrandete Schiff komme und was es an Bord führe. „Es kommt aus England,“ war die Antwort, „und führt deutsche Truppen an Bord.“ Und wieder rief man jetzt aus dem Boot: A revoir jusqu'à demain.“ (Auf Wiedersehen bis morgen.) Dann wandte es sich und segelte zurück zur Flotte. Wie sich nachher herausstellte, war diese Flotte, von der das Boot als ein trügerischer Bringer der Rettung hergesandt worden war, die französische, die nicht sehr fern von der Unglücksstätte, unter dem Oberbefehl des Viceadmirals Grafen Verhuel im Helder lag.

Als das Boot verschwunden war, kam allmählich d!e Nacht, auch diese über alle Beschreibung schrecklich. Sie schien an Dauer der Ewigkeit zu gleichen, einer Ewigkeit, deren furchtbares Einerlei mitunter nur dadurch unterbrochen wurde, daß ein langsam Erstarrter schweigend von der Mastleiter hinab auf’s Verdeck und dann in’s Meer stürzte. Doch endlich ward es auch wieder Morgen, zum zweiten Male nach dem Schiffbruch. Die Wogen des Meeres gingen nicht mehr über das Schiff hin. Man verließ den Mast und ging wieder hinunter auf das Verdeck. Zu den alten Qualen aber gesellten sich hier die Schmerzen des Hungers. Es wurde deshalb mit eisernen Haken in dem inneren Schiffsraum nach Lebensmitteln gesucht. Zum Glück gelang es, ein Fäßchen mit Mehl heraufzufischen und gleich nachher noch ein zweites mit süßem [315] Wasser. Das Mehl wurde nun in einem Trinkblech mit Wasser angerührt und so genossen. Nachher wurden abwechselnd auf der Spitze des Mastes Signale gegeben, um zu zeigen, daß noch Leben an Bord sei. Als aber die ersehnte Hülfe trotzdem ausblieb, kamen die Matrosen und Soldaten, die noch übrig geblieben waren, auf den Gedanken, die ringsumher zerstreuten Trümmer und Balken zu einem Flosse zusammen zu fügen, um auf diesem mit der nächsten Fluth Rettung zu suchen.

Aber die Fluth kam rascher, als man gedacht, und das Verdeck mußte wieder, ehe das Floß auch nur zu Hälfte fertig war, geräumt werden. Um die Noth der Schiffbrüchigen noch zu vermehren, schwammen jetzt auch starke Eismassen heran und drohten das Schiff völlig zu zertrümmern. Es wurde dabei wiederum Nacht und noch immer keine Hülfe. Die Schiffswände krachten unter den Stößen der Eisblöcke wieder ganz entsetzlich, aber sie hielten trotz alledem auch jetzt noch zusammen. Endlich begann es wieder zu tagen der dritte Morgen seit dem Schiffbruch. Dort in der Ferne zeigte sich auf’s Neue der wohlbekannte Mastenwald, allein kein rettendes Boot kam erlösend näher.

Mit eintretender Ebbe wurde dann wieder am Floßbau gearbeitet, rastlos, aber erfolglos. Den Hungerigen und Ermatteten versagte die Kraft und die Arbeit mußte eingestellt werden. Kaum daß man noch im Stande war, von der Spitze des Mastes herab nach wie vor Signale zu geben – Signale, an deren Erfolg schon Niemand mehr zu glauben wagte. Zum Sterben bereit, setzten sich die Einen wieder in den Mastkorb, die Anderen suchten sich sonstwo ein Plätzchen, ohne jetzt noch lange zu wählen. Was that’s auch, ob man von hier oder von dort aus in den ewigen Schlaf ging? Jetzt endlich, als schon Alle verzweifelten, am Nachmittage des dritten Tages nach dem Schiffbruch, erscholl plötzlich auf’s Neue der Ruf: „Ein Boot! Ein Boot! Alles wurde wieder lebendig, hinstarrend und die Arme ausstreckend nach diesem neuen Zeichen der nahenden Rettung. Und hinter dem einen Boote sah man bald noch andere. Sie steuerten alle heran auf das Schiff. Auch sollten diese neuen Zeichen der endlichen Hülfe nicht mehr trügen. Wackere Bewohner der Insel Texel waren es, die heran kamen, um den Gestrandeten ihren Beistand zu bringen. Den Rettern wurden Seile zugeworfen und ihre Boote legten an. Zwei dieser Fahrzeuge genügten, um die ganze noch übrige Mannschaft aufzunehmen. Es waren ihrer noch neunundzwanzig Soldaten, darunter die Officiere Wernecke, Keim und Dümmler, und außer diesen noch elf Matrosen. Aber sie sahen Alle mehr dem Tode als dem Leben ähnlich.

Die Boote segelten mit ihren Geretteten an der französischen Flotte vorbei und landeten in einer Bucht, nahe dem Dorfe Horn. Mühsam, aber mitleidig unterstützt von kräftigen Armen, schleppten sie sich in die Wohnungen ihrer menschenfreundlichen Retter. Einen derselben, den wackeren Lootsen Clas Dalen, nennt die Quelle, der wir zum Theil unsern Bericht entlehnen, mit Namen. Drei Tage blieben die Geretteten unter sorgsamer Pflege in Horn. Sie hatten hier bereits Zeit, ihre Todten zu zählen. Von den Nassauern allein hatten nicht weniger als zweihundertunddreißig auf der Haaksbank ihr feuchtes Grab gefunden, unter diesen auch zwölf Officiere. Von Horn wurden die Geretteten nach Bergen gebracht, um hier unter ärztlicher Obsorge ihre volle Genesung zu erwarten. Nur noch Einem war es beschieden, sie nicht zu finden. Einem Corporale waren die erfrorenen Glieder brandig geworden; unter der ärztlichen Pflege zu Bergen ging er in Folge dessen heim zu seinen todten Cameraden. Der Rest unserer Helden aber, der die Katastrophe glücklich überstand, trat am 26. März 1814 zu Herzogenbusch wieder in’s Regiment ein. Ihre Stunde zu froher Heimkehr in den sonnigen Rheingau war leider noch immer nicht gekommen. Die Nachricht von dem großen Unglück auf der Haaksbank aber eilte ihnen um Jahre voraus, von Hütte zu Hütte, von Thal zu Thal, von Berg zu Berg. Noch jetzt geht die Sage davon düster und schwer durch das Land, und manch’ stilles Taunusbäuerlein wird gesprächig, wenn es aufgefordert wird, zu erzählen, was es davon erfahren hat. Ist doch vielleicht gar seiner eigenen Mutter Bruder dabei gewesen, als die Fünfzig auf einmal hinabgespült wurden in die See!




  1. Wir entnehmen im Wesentlichen alle Thatsachen dem, vor siebenundzwanzig Jahren erschienenen Werke von Hergenhahn, „Antheil der herzogl. nassauischen Truppen im spanischen Kriege von 1808–1814“, dessen sehr in’s Einzelne eingehende Berichte unserer Schilderung zu Grunde liegen.
    Der Verfasser.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Meerres