Aus der Polen Kampf und Noth

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Aus der Polen Kampf und Noth
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 251–253
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus der Polen Kampf und Noth.

Seit dem 10. October 1794, jenem Trauertage Polens, wo sein größter und edelster Held, Kosciuszko, besiegt und mit Wunden bedeckt vom Pferde auf das Schlachtfeld von Maciejowice sank, sind die Worte, die ihm da der tiefste Seelenschmerz entpreßte, die Prophetenklage seines armen Volkes geworden. Finis Poloniae! „Das ist Polens Ende!“ – so konnte er ausrufen, der seine Nation kannte, wie kein Anderer, ihre Tugenden, ihre Schwächen und die unversiechliche Quelle ihres Elends. Näher zum Triumph seines Rechtes ist Polen nie wieder geführt worden, als durch seine reine starke Hand. Fast siebzig Jahre sind seit jenem Trauertage über Land und Volk dahingegangen, die ganze Wucht dreier mächtiger Militärstaaten schien jede Regung des alten Nationalgeistes niederdrücken und völlig ersticken zu müssen, und dennoch lebte dieser Geist selbst unter solchem Druck noch fort, jede äußere Lüftung der schweren Grabesdecke zu frischem Aufathmen benutzend, aber gleichwohl bis heute nur, um weder erleben noch ersterben zu können. Die Weltgeschichte kennt nichts Gräßlicheres, als solch einen Todeskampf einer Nation.

Gottlob ist es darum kein Wunder, sondern ein trostreiches Zeugniß für die unzerstörbare Kraft und Gesundheit des Freiheitsdranges in allen Völkern, daß jedem neuen Erwachen Polens die Volksherzen in ganz Europa entgegenschlugen, und wieder waren es die Deutschen, welche all den Haß, den ihre Regierungen für sich verdient hatten, den aber die Polen, ebenso wie Ungarn und Italiener, allzu kurzsichtig und ungerecht auf das Volk der Deutschen mit übertrugen, gegen diese wie jene mit aufopfernder Theilnahme vergalten.

Zweimal in diesem Jahrhundert stand der Polen Hoffnung wieder in voller Blüthe. Napeleon hatte Preußen und Oesterreich besiegt, zwei Thore standen ihm offen, um die Unabhängigkeit in das Land zu führen, und die Polen eilten zu Tausenden unter seine Fahnen. Seine Untreue gegen alle Nationen litt es jedoch nicht, das ganze Polen als ein selbständiges Königreich wieder aufzurichten, ein weder Oesterreich noch Rußland unbequemes „Großherzogthum Warschau“ als Nebenbesitzung des Rheinbundeskönigs von Sachsen war Alles, was „seine Politik“ ihm zu schaffen gestattete. Sein unredlicher Zweck war nur das polnische Contingent, das von 60,000 Man später sogar auf 80,000 Mann erhöht werden mußte. Darum war es auch ganz in der Ordnung, daß seine Kaiserherrlichkeit an dieser Unredlichkeit und Untreue gegen Polen zu Grunde ging; denn ein selbstständiges, mächtiges, Napoleon mit Leib und Seele ergebenes Polen hätte als Operationsbasis dem russischen Feldzuge einen andern Erfolg und der europäischen Geschichte eine andere Wendung gegeben. Wir Deutschen feiern mit Recht seinen Untergang; Polen aber war abermals verloren.

Die zweite Hoffnungsblüthe Polens ging unter dem Strahle der Pariser Julisonne auf. Der Lauf dieser Erhebung ist an unser Aller Augen vorübergegangen, von jener Novembernacht in Warschau 1830, wo Wysocki den Fähnrichen der Kriegsschule zurief: „Polen, die Stunde der Rache hat geschlagen! Wir müssen siegen oder sterben!“ – bis zu dem trüben Octobertage 1831, wo die Trümmer des Polenheeres aus dem Vaterlande flohen und „die letzten Zehn vom vierten Regiment“ als Heimathlose den Boden Preußens betraten. Auch das Strafgericht des russischen Kaisers über das Polenvolk ist noch in Jedermanns Gedächtniß, denn Thaten der unversöhnlichen Gewalt prägen sich ihm unauslöschlich tief ein.

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Marian Langiewicz.

Damals war Chlopicki der Polen Dictator gewesen; erst nach zweiunddreißig Jahren erhielt er einen Nachfolger in Marian Langiewicz, und wenn die Parallele, welche das Schicksal beider Männer darstellt, sich auch über den neuesten Aufstand erstreckt, so ist Polen abermals verloren. – Allerdings nicht mit ganzer Entschiedenheit dem Aufstand zugewandt, aber vom Volke mit ungetheiltem Vertrauen begrüßt, übernahm Chlopicki am 5. Decbr. 1830 die Dictatur, legte sie jedoch nach der Eröffnung des Reichstags (18. Decbr.) wieder nieder, mußte sie aber nach dem allgemeinen Volkswillen schon am 20. December wieder übernehmen und behielt sie nun, bis der patriotische Verein ihn wegen seiner Strenge und zugleich seiner auf Versöhnung mit Rußland hinzielenden Schritte zur Rechenschaft zog. Da trat Chlopicki am 23. Januar 1831 für immer als Dictator ab, blieb aber bei der Armee und bewies den Polen seine Vaterlandsliebe und seine Tapferkeit im Kampfe, bis er, schwer verwundet, Anfangs März nach Krakau geschafft wurde und damit vom Schauplatz der Revolution verschwand.

Die Ursachen und den Verlauf der jüngsten polnischen Revolution unseren Lesern auszuführen, wäre überflüssig und ist, hinsichtlich des letztern, jetzt noch nicht möglich, so sehr läuft das Gewirre der Zeitungsberichte von den verschiedenen Parteistandpunkten aus durcheinander. Die polnische Emigration, der nationale Geist unserer Zeit, der Sieg desselben durch Garibaldi in Italien, die nationalen Bestrebungen in Deutschland und Ungarn, dies Alles hat zusammengewirkt, um auch die Hoffnungen der Polen neu zu beleben, und der Aufstand soll noch in der Vorbereitung begriffen gewesen sein, als die russischen Rekrutenaushebungen ihn vorzeitig zum Ausbruch brachten. Eine polnische Armee existirte nicht, sie sollte durch den Kleinkrieg von Banden erst gebildet werden. Um so wichtiger mußten für einen solchen Kampf Führer sein, die für solch eine schwere Aufgabe Talent, Geschick, Kriegsübung und Energie genug besaßen.

Als ein solcher Führer wird Marian Langiewicz geschildert. Am 5. August 1827 im Großherzogthum Posen geboren, ward ihm deutsche wissenschaftliche und preußische Militär-Bildung zu Theil, während er im Herzen ein Pole blieb. Er hatte, nach dem Gymnasium zu Posen, die Hochschulen von Breslau und Prag bezogen, war längere Zeit Hauslehrer, trat dann zur Garde-Artillerie [253] in Berlin, verrichtete 1859 bei der Mobilmachung Officiersdienste, nahm aber seinen Abschied, als ihm die Zeit für Polens Erlösung nahe zu kommen schien. Nachdem er eine Lehrerstelle an Mieroslawski’s neuer Militärschule zu Paris kaum angetreten, zog ihn Garibaldi’s Ruf nach Italien, wo er als Adjutant des Generals v. Milbitz den ganzen Feldzug mitmachte und, nach dem vollendeten Sieg über die neapolitanischen Bourbonen, Lehrer der Artilleriewissenschaften an der polnischen Militärschule zu Cuneo ward. Später finden wir ihn in London und endlich in Warschau. Als einer der Hauptleiter in die revolutionären Pläne eingeweiht, ward er auch wegen seines militärischen Rufs sofort der Mann der Situation, dem die Dictatur von selbst zufiel. Niemand kann leugnen, daß Langiewicz sein Feldherrn- wie sein militärisches Organisationstalent, seine Rastlosigkeit und Aufopferungsfähigkeit bereits genugsam erwiesen, um das Vertrauen der Polen in ihn zu rechtfertigen. Trotz alledem ist er Chlopicki’s Nachfolger auch als Ex-Dictator geworden. Warum? Man hat einen französischen Kaiserfinger, man hat die Drohfäuste der sogenannten provisorischen Regierung, man hat die Unglückshand Mieroslawski’s in dieser neuesten „polnischen Wirtschaft“ geschäftig sehen wollen. Die Zeit wird auch den Schleier von diesen „geheimen Beweggründen“ heben; wann aber der Trauerschleier vom Haupte der unglücklichen Polonia gehoben wird, das weiß der liebe Gott!

Fr. Hfm.