Aus der guten alten Zeit. Nr. 2. Fürstliche Sonderlinge

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: v. Stg.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus der guten alten Zeit. Nr. 2. Fürstliche Sonderlinge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 93–95
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: August (Sachsen-Gotha-Altenburg)
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[93]
Aus der guten alten Zeit.
Nr. 2.
Fürstliche Sonderlinge.

Herzog August von Gotha als Griechin.

Ein Mann von Geist, Witz, aber auch von vielen Seltsamkeiten war der Herzog August von Sachsen-Gotha, der vorletzte seines jetzt ausgestorbenen Stammes. Er lebte zu Anfang dieses Jahrhunderts. Er war ein braver, rechtschaffener Mensch, ein guter Regent, der besonders in der Wahl seiner Staatsdiener sehr vorsichtig und glücklich war, aber voller Wunderlichkeiten, und man erzählt sich viele Züge von Bizarrerie und Sonderbarkeit. Der Dichter Jean Paul befand sich öfters in seiner Nähe, wohnte sogar einige Zeit in Gotha, allein er fühlte sich dort nicht behaglich, sowie sich denn Niemand bei diesem Fürsten behaglich fühlte, dessen Geist eine scharfe und verletzende Bitterkeit hatte. Ein fürstlicher Satiriker und Persifleur ist doppelt gefährlich, weil er die Waffen allein in Händen hat, und der Gegner ihm keine entgegensetzen kann. Es gibt einen Geist, der, wie der Spieß des Telephos zugleich verwundet und heilt, es gibt aber auch einen, der nur verwundet und die Heilung Andern überläßt. Der erstere bessert und erhebt, der zweite beleidigt und macht verhaßt. Dies sollten sich die Spötter merken.

Der Herzog war groß, lang, ohne dabei schön gewachsen zu sein; seine Gestalt entbehrte des Ebenmaßes, so wie sein Gesicht der natürlichen frischen Farbe. Er zeigte jenes krankhafte Weiß, das mit röthlichem Haar verbunden zu sein pflegt; dabei waren seine Augen ausdruckslos, mit hellblonden Wimpern und Brauen umgeben. Da er Roth auflegte, sowohl auf Lippen als auf Wangen, ja sogar Schönpflästerchen nicht verschmähte, bekam er das Ansehen eines Weibes. Dazu trug die bald blonde, bald braune Lockenperrücke das ihrige bei, denn er wechselte mit seinen Haaren wie mit seinen Launen. Oft sah der Hof zum größten Erstaunen ihn in einem Lockenkopf erscheinen, der zur Hälfte blond, zur andern schwarz war. Welch’ einen Eindruck dies machte, läßt sich kaum beschreiben. Ueberhaupt schien ihn das gewöhnliche Leben anzuwidern, und die Kleidertrachten, die die Mode mit sich brachten, waren ihm lange nicht abwechselnd und originell genug, daß er sich nicht hätte bemühen sollen, Variationen hineinzubringen. Wenn lange genug seine Lockenperrücke gerade auf dem Kopfe gesessen, zog er sie über das Gesicht herab und blickte so durch eine der in der Perrücke angebrachten Oeffnungen sich die Gesellschaft an, die ihrerseits diesen gnädigen Spaß belachte. Wenn er dazu genöthigt war, trug er die Uniform, wie sie damals getragen wurde; wenn aber keine äußern Verhältnisse ihm Zwang anlegten, wählte er sich irgend ein Gewand, von denen er in seiner phantastischen Garderobe eine große Auswahl hatte. Manchmal ging er als indischer Priester herum, dann als jüdischer Rabbi, dann als Grieche, öfters aber auch warf er sich in das Gewand einer Frau, bekleidete seine Arme mit Schmuck [94] legte einen Schleier über’s Haupt und lag so wie eine Schöne, die sich von ihren Anbetern umringt sieht, auf dem Sopha.[1] So sah ihn einmal Jean Paul, der, erstaunt über die fremde Fürstin, die angelangt war, ohne daß er etwas davon wußte, sich nicht dem Ruhebette zu nähern wagte, auf dem der Fürst lag. Dieser, ohne sich zu erkennen zu geben, winkte den Dichter huldvoll heran und reichte ihm die Hand zum Kusse. Dieser Scherz gefiel dem guten, ehrlichen Bayreuther Poeten so wenig, daß er mit ein Grund war, weshalb er sich rascher vom Hofe beurlaubte, als es sonst stattgefunden hätte.

Goethe mochte diesen Fürsten durchaus nicht, und wenn er wußte, daß er am Hofe zu Weimar zum Besuche war, erschien er nicht bei der Tafel. Der Herzog August, dem es Vergnügen machte, wenn er sah, daß man ihn nicht mochte, versäumte keine Gelegenheit, sich mit Goethe zusammenzufinden, und ihm gerade die Art von Späßen und Neckereien vorzumachen, von denen er wußte, daß Jener sie nicht ertragen konnte. Schon seine französischen Wortspiele und Bonmonts, die er rasch hintereinander vorbrachte, und selbst mit einem kurzen kleinen Gelächter begleitete, waren Goethe’s ruhiger und besonnener Weise, die Unterhaltung zu führen, äußerst zuwider. Auch Karl August, der Herzog von Weimar, machte sich aus diesem Vetter wenig.

August konnte auch sehr traurig sein, ja es gab besonders in seinem letzten Lebensjahre bei ihm Stunden, in denen eine wahrhaft dämonische, mit den schwärzesten Gebilden gefüllte Hypochondrie bei ihm die Oberhand gewann. Alsdann war der französische Stutzer und Spötter gar nicht mehr wieder zu erkennen. Er trieb sich dann Nachts herum, durchirrte mit fliegendem Nachtgewande, eine Kerze in der Hand, die Säle seines Palastes, und schien irgend etwas Geheimnißvolles zu suchen, das er nicht fand. Er stieß namenlos rührende und erschütternde Klagen aus, die in der Stille und Einsamkeit der Nacht die Seele jedes lebenden Wesens, das sich in seiner Nähe befand, tief bewegten. Hatte er seinen nächtlichen Lauf vollendet, so warf er sich auf die Teppiche seines Schlafgemaches und wimmerte, indem er sich unter Schmerzen wand. In der Seele dieses Mannes mußte in diesen Augenblicken etwas vorgehen, was nicht Schein und nicht Lüge war. Diese Stunden söhnten mit seinen Bizarrerien und Lächerlichkeiten aus, denn unwillkürlich empfand der Beobachter der menschlichen Natur, daß ein Wesen, das so zu leiden im Stande war, die Tiefen und Geheimnisse der Sterblichen zu ahnen verstand, und daß sein irregehender Geist nach einer Größe suchte, die er nicht zu erfassen und festzuhalten verstand. Seine Widersacher erfuhren von diesen Stunden nichts, sonst hätten sie ihn milder beurtheilt.

Eben so wie in der Kleidung, liebte der wunderliche Mann auch in seiner Umgebung, in Möbeln und Geräth, ja besonders in Bildern das Absonderliche. Eine Uhr, die auf gewöhnliche Weise ihm die Stunden anzeigte, wäre für ihn eine lästige Maschine gewesen. Er erfand sich selbst eine Uhr, und zwar zeigte das Uhrgehäuse die Form eines Todtenschädels auf das Täuschendste, selbst in den Farben nachgeahmt, und das Zifferblatt war an der rechten Augenhöhle angebracht und der Zeiger, ein grünlicher, gekrümmter Wurm, der aus der Augenhöhle hervorkommend, die Stunden zeigte. Kann man wohl ein sprechenderes Memento mori haben? Ein Klavier erfand er, das, so wie man die Tasten berührte, Wasserstrahlen dem Spielenden ins Gesicht schoß. In der That eine artige Erfindung, um die Modethorheit des ewigen Tastengeklimpers heut zu Tage zu züchtigen. Aber der berühmte Abt Vogler kam einmal unwissend an dieses Klavier, erhielt seine Portion Wasser in’s Gesicht, und kam nie wieder zum Herzog und nie wieder nach Gotha. Das größte Wunder der Erfindungsgabe des Herzogs, der das Unglück hatte, daß alle seine Erfindungen mißfielen, war jedoch eine Reisekutsche, die er hatte nach eigner Angabe bauen lassen und die ebenfalls wieder einen kolossalen Todtenschädel darstellte, wo die Augenhöhlen die Fenster bildeten. Diese Kutsche hatte er die Kühnheit, Napoleon, der nach seinen siegreichen Schlachten sich der kleinen Stadt Gotha näherte, entgegenzuschicken. Auch Napoleon war auf diesen Spaß nicht eingerichtet, und wies den Wagen zurück.

Der Herzog liebte die Sterne sehr, und hatte sich ein Gemach im Schlosse ausmalen lassen mit goldenem Sternengefunkel an der Decke. Der wirkliche Himmel interessirte ihn weniger; er ging nicht aus, fürchtend, sich zu erkälten; aber im geschlossenen Raum schwelgte er im Anblick der gemalten Sterne. In einem solchen Zimmer starb er. Man mußte ihm ein Bette eilig hinüberrollen, als er den Tod nahen fühlte. Außer den Sternen hatte er eine Schwachheit für Alles, was antike Poesie heißt. Alles mußte bei ihm einen griechischen Zuschnitt haben. Mit großen Kosten ließ er sich Möbel und Draperieen aus Paris kommen, die nach dieser Mode geformt waren. Er selbst schrieb griechische Romane, und der Schreiber dieses besitzt einen, der völlig geschmacklos und unlesbar ist, weil jedes Ding, das im gewöhnlichen Leben vorkommt, hier mit einem griechischen Namen genannt wird. Auch der Liebeshandel, der den Kern des Romans bildet, ist vor lauter Ziererei und Schwulst bitter langweilig. Jean Paul sollte diese Romane korrigiren, ähnlich wie Voltaire Friedrich’s Verse; aber er machte sich wie dieser aus dem Staube, und ließ sich nicht wieder sehen. Brieflich gab er dem Herzog gute Lehren, die aber nichts fruchteten.

Auf seine Umgebung stichelte der Herzog beständig, es gab kein Mitglied derselben, auf das er nicht ein boshaftes Epigramm zu Tage förderte. Einst rief er einem verdienten, alten Militair, einem Ehrenmanne, der aber nicht gerade der belustigendste Gesellschafter war, die Räthselfrage zu:

„Lieber General, sagen Sie mir, was ist das für ein Ding, die erste Silbe zeigt eine Flüssigkeit an, die zweite ebenfalls, und dennoch ist das Ganze der Inbegriff alles Trocknen ?“

„Hoheit meinen mich,“ sagte der Trockne, der Seebach hieß, und verließ entrüstet die Tafel.

Empfindlich oder gar böse durfte man jedoch nicht sein, dann war der Spötter unerbittlich und unerschöpflich. Wenn man lachte, kam man noch am besten weg. Mit den Damen seines Hofes trieb er einen muthwilligen und nicht zu rechtfertigenden Spaß, der stets auf eine arge Frivolität hinauslief.

Da er in seiner Jugend nicht viel gelernt hatte, war ihm alles Erlernte zuwider, und er glaubte in Allem Pedanterie zu sehen. Goethe war ihm ein Pedant. Unter den Künsten war die Skulptur ihm am zugänglichsten, da er Formensinn hatte und die Schönheit herauszufinden wußte. Bei den Gemälden machte nur das Seltsame bei ihm Wirkung, und er stellte den Maler Grassi förmlich auf einige Zeit an seinem Hofe an, um „wunderliche“ Bilder für ihn zu malen.

So entstanden denn Figuren mit grünem Haar und manches andere Absonderliche, was man noch in einer Gallerie des Schlosses zu Gotha sehen kann; wenigstens sah sie noch vor einigen zwanzig Jahren der Schreiber dieser Zeilen. Es plagte ihn, eine gewisse mystische noch nie dagewesene menschliche Gestalt zu erfinden, die, wie er behauptete, im Paradiese herumgezogen sei, dann aber von der Erde sich auf immer verloren habe. Er beschrieb dem Hofmaler die Züge dieser Gestalt, ihre Bewegungen, ihren phantastischen Anputz – aber es entstand kein Bild. Man konnte nicht malen, was nicht zu malen war. So viel stand fest, daß diese mysteriöse Figur einen Stern auf der Brust und einen Stern auf dem Haupte hatte, und daß der aufgehobene Johanniterorden in seiner Kapelle zu Jerusalem eine Abbildung dieses Wesens besessen. Der arme Grassi hatte seine Noth mit dem Herzog, und aus lauter Furcht noch mehr grüne Haare malen zu müssen, als er bereits zu Stande gebracht, verließ er eines Tages Gotha mit der Extrapost, indem er dem Herzog sechs Blasen mit grüner Farbe zu beliebigem Gebrauche zurückließ.

Was die Küche betraf, war der Herzog gar nicht zu befriedigen, durch keine Leckerei der Welt, denn sein Gaumen hatte Alles schon durchgekostet und fand Alles schaal. Zu wahrhaft ekelhaften Dingen, wie man erzählt, griff er, um an dieser unnatürlichen Kost sich zu ergötzen. Auch liebte er, kölnisches Wasser zu jeder Speise zuzugießen, ebenfalls eine sehr wenig zu empfehlende gastronomische Zuthat. Sein stets verdorbener Magen zwang ihn übrigens zu großer Mäßigkeit – er liebte weder die Flasche, noch la bonne mère.

Wir bleiben dabei, seine Natur konnte einen mächtigen Schwung nehmen, aber es war etwas, das sie niederhielt. Sein Leben war ein verfehltes, wie schon seine Erziehung eine verfehlte war. Ohne Glauben und Zuversicht an sich selbst, empfand er auch keine nach außen hin. Den Muth, völlig mit der Welt zu brechen, hatte er nicht, er empfand aber wohl, daß es eine Größe gäbe und daß er dazu bestimmt war, diese nie zu erreichen. Darum spottete er [95] und darum – in seinen einsamen Nächten – klagte er. Und bei allen diesen Sonderbarkeiten fand er doch Zeit, für Kunst und Wissenschaft Mancherlei zu thun, und sein kleines Ländchen befand sich unter seiner Regierung materiell wohl.

Auch seine Art, sich bestatten zu lassen, war eigenthümlich. Ohne Sarg, befahl er, solle man ihn, in seinen Mantel gehüllt, auf eine Ruhebank in einem eigens dazu bestimmten Gewölbe niederlegen, das er auf einer Insel nahe beim Schlosse hatte erbauen lassen. Es geschah indeß nicht, doch ist er, so viel ich weiß, ohne Sarg auf der Insel seines Parks eingesenkt. Friedrich der Große hatte auch auf ähnliche Weise bestattet sein wollen, allein man erfüllte seinen Willen nicht.
v. Stg. 
  1. In Gotha befindet sich noch ein Gemälde, worauf er in dieser Situation abgebildet ist.