Aus stillen Thälern

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Autor: Karl Liebrich
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Titel: Aus stillen Thälern
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 394–397
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus stillen Thälern.

Skizzen aus dem Kreise Biedenkopf. Von Carl Liebrich.
Mit Illustrationen nach photographischen Aufnahmen von Max Stephani in Biedenkopf.

Es ist einer der unbekanntesten und doch in mancher Beziehung interessantesten Landstriche unseres Vaterlandes, in den einen Blick zu werfen wir den Leser hiermit einladen. Bis vor kurzem lag der Kreis Biedenkopf – das „Hinterland“, wie es seit alters an der Lahn und in ganz Hessen genannt wird – abseits von allem Verkehr, und wer aus dem Strom der Welt zum erstenmal in seine Thäler kam, den beschlich ein Gefühl fernster Abgeschiedenheit; seit aber eine Eisenbahn in das Gebiet der oberen Lahn führt, ist das Herz der Landschaft, einerseits von Marburg, anderseits von dem Siegener Land aus, leicht zu erreichen, und niemand wird einen Aufenthalt in diesem uralt fränkischen Gau, darin uns die Schatten Karl Martells und Karls des Großen begegnen, zu bereuen haben. Vor allem der Freund urdeutschen Volkstums, deutschen Waldes und deutschen Wanderns wird sich hier traulich angemutet fühlen.

Im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung war die Gegend an der oberen Lahn und der oberen Eder ein Centralpunkt der kattisch-fränkischen Stämme und – bis ins 12. Jahrhundert hinein – der Sitz mächtiger Geschlechter, unter denen durch Macht und Ansehen die Grafen von Battenberg hervorragten. Sie hatten bei dem über der Eder gelegenen, heute etwa 1000 Einwohner zählenden Städtchen dieses Namens zwei Burgen, wovon eine noch in Turm und Mauerresten sichtbar ist. Der letzte der alten Grafen von Battenberg, Gerhard, starb im Jahre 1342 als Domherr zu Mainz. Der Name dieses Geschlechtes ist, wie bekannt, seit einigen Jahrzehnten wieder aufgelebt, indem Prinz Alexander von Hessen seiner unebenbürtigen Gemahlin und seinen Kindern diesen Namen durch den Großherzog von Hessen hat beilegen lassen. Von einem zweiten berühmten Geschlecht, das ununterbrochen bis heute in Blüte geblieben ist, reden die bei dem Städtchen Hatzfeld (vgl. Abbildung S. 397) an der Eder auf bewaldeter Höhe gelegenen Ueberbleibsel des alten Stammsitzes der Grafen und Fürsten von Hatzfeldt. Die Reste sind zu unbedeutend, als daß sie auf der Abbildung sichtbar würden. Für die Kriegsgerichte der kattisch-fränkischen Epoche ist die Gegend höchst bedeutungsvoll. Hier kämpfte, wie die Chroniken uns erzählen, Wolf, der Feldherr des fränkischen Königs Siegbert, hier lag Karl Martell mit seiner Heerschar, bis er den wichtigsten festen Platz der Katten, die Kesterburg, eroberte, hier fiel die Entscheidungsschlacht zwischen Franken und Sachsen die im Jahre 778 unter Karl dem Großen bei Laisa und Battenfeld an der Eder geschlagen wurde. Auch aus späterer Zeit, bis ins 17. und 18. Jahrhundert, klingt in diesen Thälern dem Geschichtsfreund der Nachhall kriegerischer Ereignisse in die lauschende Seele.

Landschaftlich zeichnet sich das obere Ederthal, insbesondere auf der Strecke von Battenberg aufwärts bis zu dem westfälischen Raumland, durch seine Schönheit aus. Die Lahn, die in ihrem [395] Unterlaufe eines der herrlichsten Flußthäler Deutschlands bildet, zeigt auch in den ihrer Quelle nahegelegenen Gebieten nicht selten eine anmutreiche Umrahmung, namentlich bei Biedenkopf selbst und dann bei dem benachbarten Laasphe, über dem das Schloß Wittgenstein liegt. Das Städtchen Biedenkopf, ganz von bewaldeten Bergen eingeschlossen, schmiegt sich an den Abhang eines Hügels, dessen Gipfel das nach seiner Zerstörung im Dreißigjährigen Kriege zum Teil wieder aufgebaute Schloß trägt. (Vergl. Abbildung S. 394) Ein lieblicher Weg führt durch den Schloßhain auf die Höhe, von wo man einen sehr schönen Blick genießt. Auch auf die Kuppen in der Runde giebt es wohlgepflegte Wege, und der südlich der Lahn gelegene Altenberg hat neuestens durch den Biedenkopfer Verschönerungsverein reizende Schmuckanlagen erhalten, deren sich der Wanderer dankbar erfreut.

Dem Fremden fallen in der Umgebung von Biedenkopf die mannigfaltigen und zum Teil sehr originellen Trachten der Landbewohner auf, das heißt, die Trachten der Frauen, denn diejenigen der Männer sind leider schon fast gänzlich verschwunden und haben der farb- und charakterlosen Allerweltskleidung weichen müssen. Nur in wenigen Dörfern, wie in Buchenau, tragen auch die Männer bisweilen noch eigenartige Gewänder (vergl. Abbildung S. 396). Keine Gegend in ganz Mittel- und Norddeutschland bietet eine solche Fülle verschiedener Frauentrachten wie das Hinterland, und wer etwa an einem Markttage oder gar zu einem großen Fest nach Biedenkopf kommt, der staunt über die Buntheit der Gestalten, die sich hier zeigen.

Das trachtenberühmteste Thal des Hinterlandes ist der sogenannte „Grund Breidenbach“, der sich von dem zwischen Biedenkopf und Laasphe gelegenen Dorfe Wallau nach Süden erstreckt, und dessen Mittelpunkt das Dorf Breidenbach bildet. Das Charakteristische der Frauengewandung dieser Gegend (vergl. Abbildung S. 396) liegt vor allem in der Kopfbedeckung, einer roten, das Hinterhaupt bedeckenden und nach hinten abstehenden, gestickten Mütze (Stülpchen), nach der man in der Umgegend auch die Trägerinnen dieser Hauben scherzweise „Kiwwelcher“ (Kübelchen) zu nennen pflegt. Der übrige Anzug besteht aus schwarzem Koller über grünem Mieder, grünrotem Halstuch, kurzem, schwarzem, gefälteltem Rock mit blauer Schürze, hohen, bis an die Knöchel reichenden Schnürschuhen und weißen Strümpfen mit bunten Strumpfbändern, deren grünrote Troddeln stets sichtbar sind. Für die Festkleidung wird statt des grünen Mieders ein blendend weißes gewählt, zum Tanze, wozu eine möglichst helle Tracht bevorzugt wird, tragen die Mädchen auch weiße Schürzen.

Merkwürdig ist die ganz feststehende Farbenordnung, die für die Zeit der Trauer und der Halbtrauer gilt. Die Farben tiefer Trauer für die Mädchen sind im Breidenbacher Grund weiß und blau: die Mütze ist weiß (statt rot), das Halstuch blau (statt grün). Die Troddeln der Strumpfbänder grünblau (statt grünrot). Halbtrauer (beim Tod entfernter Verwandten) wird durch violette Kappen und violettes Halstuch angezeigt; Farben, die übrigens auch von älteren Personen als ständige Tracht getragen werden. Der Uebergang von der Halbtrauer zur gewohnten Kleidung wird durch Beibehaltung der violetten Kopfbedeckung und Annahme der grünroten (statt grünvioletten) Strumpfbandquasten angedeutet.

Im Sommer wird dieselbe schwere Tracht wie im Winter getragen, entsprechend der alten Bauernregel: Was für die Kälte gut ist, ist auch für die Hitze gut. Die Liebe zu der altheimischen Tracht ist bei den Frauen im Breidenbacher Grunde so groß, daß sie schon ihre Wiegenkinder, wenn sie kaum ein Vierteljahr alt sind, wie die Erwachsenen kleiden, und die Kinder wiederum wollen keine anderen Puppen als solche, die genau aussehen wie sie selbst. Aehnlich ist es in anderen Ortschaften, z. B. in der Gegend von Gladenbach, wo die kleinen Mädchen meist in derselben Tracht wie die Mütter erscheinen. Einen eigentümlichen Anblick bietet es, wenn am Sonntagabend die Mädchen spazieren gehen, sie ziehen dann Arm in Arm, Schulter an Schulter durch das Dorf, so zwar, daß sie mit ihren Reihen fast die ganze Straßenbreite einnehmen.

Der südliche Teil des Breidenbacher Grundes wird noch heute – nach einer in früheren Jahrhunderten gültig gewesenen Einteilung der Landschaft in verschiedene Gerichtsbezirke – das „Obergericht“ genannt. In dieser Gegend, wozu unter anderem die Ortschaften Lixfeld, Simmersbach, Gönnern, Ober-Eisenhausen, Nieder-Eisenhausen und Steinperf gehören, herrscht eine ähnliche Tracht wie die oben beschriebene (vgl. Abbildung S. 396), nur daß die Kappen, bei fast cylinderförmiger Gestalt, nicht nach hinten abstehen, sondern schräg in die Höhe gerichtet sind, wodurch die Tracht natürlicher und kleidsamer wird. Bei der Arbeit tragen übrigens die Frauen und Mädchen aus dem Obergericht durchweg schwarze Kopfbedeckung, und nur am Sonntag wird die rote, goldgestickte Mütze angelegt. Die Festtracht wird außerdem, ebenso wie in den das „Amt Biedenkopf“ (vgl. Abbildung S. 396), bildenden Orten Eckelshausen, Kombach, Wolfgruben, Dautphe und Umgegend, durch eingelegten, buntgestickten und mit Metallplättchen besetztes Brustlatz vervollständigt.

Eine sonderbare Eigenheit zeigt die Gewandung der Mädchen von Bottenhorn (vgl. Abbildung S. 396), die von den Kostümen des benachbarten Breidenbacher Grundes vor allem durch das schmale, nach oben spitz zulaufende Käppchen (ähnlich wie im Amt Biedenkopf) abweicht. Das in unsere Zusammenstellung der Trachten aufgenommene Bild zeigt ein ausziehendes Bottenhorner Dienstmädchen, das von seinen Spinnstubengenossinnen, deren zwei den Kleiderkasten der Freundin tragen, nach dem Ort des neuen Dienstes begleitet wird. Das Sonderbare in der Gewandung besteht nun darin, daß die Mädchen sämtlich eine Anzahl von Falten in den Strümpfen haben, so daß es aussieht, als wären diese heruntergerutscht. „Wie seltsam!“ rief eine Städterin, die Bottenhorn besuchte, aus, „alle Mädchen tragen ja hier zu weite Strümpfe!“ – „Mitnichten, Verehrteste“, erhielt sie zur Antwort, „diese Ringeln in den Strümpfen sind kunstvoll hineingestrickt, und sie haben eine tiefere sinnbildliche Bedeutung.“ Auf ihre weiteren Fragen erhielt dann die Erstaunte folgende Auskunft: Je reicher ein Mädchen von Bottenhorn ist, um so mehr Falten strickt es in seine Strümpfe, und zwar steht, wie behauptet wird, diese Skala so unabänderlich fest, daß besonders Eingeweihte nach der Anzahl der Strumpfrunzeln das Vermögen der Schönen annähernd richtig zu schätzen imstande sind. Die Städterin, die von ihrem Geschlecht nicht eben die beste Meinung zu hegen schien, wagte nun zu fragen, ob nicht durch diese Einrichtung heiratslustige Mädchen von Bottenhorn sich zum „unlauteren Wettbewerb“ um einen Mann anreizen ließen, worauf sie zur Antwort erhielt, daß Lug und Trug etwas Unbekanntes im Hinterland seien und daß die Anlegung einer übertriebenen Anzahl von Strumpfringeln der Uebelthäterin für immer zu Schimpf und Schande gereichen würde. In unserer Zusammenstellung der Trachtenbilder dieser Gegend finden wir noch die Trachten verschiedener anderer Dörfer dargestellt, die sich zum Teil von den oben geschilderten nur wenig unterscheiden, zum Teil, wie die aus dem Ederthal, der städtischen Kleidung sich nähern. Bezüglich der Gladenbacher Tracht, die in zwei Darstellungen vertreten ist, sei bemerkt, daß das erste Bildchen die alte, jetzt verschwindende Kleidung, das zweite (Nr. 5) die neue von dem jüngeren Geschlechte aufgebrachte darstellt. Die alte Tracht fällt besonders durch die längliche, wulstige, holzschuhförmige, den Kopf entschieden verunstaltende Haube auf, an deren Stelle jetzt ein vielfarbiges, mit goldglänzenden Metallplättchen besetztes spitzes Käppchen getreten ist, wie überhaupt die neue Tracht entschieden gefälliger anmutet als die alte.

Selbstverständlich treten in einer Gegend von so scharf individuellem Gepräge bei gewissen feierlichen Anlässen noch besondere, meist auf uralte Volksanschauungen und Gebräuche zurückweisende Eigentümlichkeiten zu Tage. So birgt im Breidenbacher Grunde die Braut, wenn sie vor den Altar tritt, die gefalteten Hände unter einem geflickten Tuche – die beliebten Farben sind auch hier wieder rot und grün – und sie darf während der Dauer der feierlichen Handlung keine der Hände unter dem Tuche hervorziehen, bis sie die Rechte dem Verlobten reicht. Aehnlich erscheinen Frauen und Mädchen beim Abendmahl, doch so, daß Verheiratete und Unverheiratete sich durch die Haltung des Tuches unterscheiden: während nämlich die Mädchen das Tuch einfach über die Hände legen, halten die Frauen einen Zipfel des Tuches mit einer Hand fest. In den verdeckten gleichsam gebundenen Händen der Braut haben wir höchst wahrscheinlich ein altes Symbol der Unterwürfigkeit der Frauen, wie sie in Urzeiten bei den Franken bestand, zu erblicken, eine Erinnerung [396] an die völlige Abhängigkeit des Weibes vom Manne, welche in dem Gesetzbuch der salischen Franken zum Ausdruck gebracht ist. Daß die Bedeckung der Hände der Frauen später, bei Einführung des Christentums, auch für die Entgegennahme des Abendmahls Vorschrift und Gebrauch wurde, würde sich danach von selbst erklären.

1. Gladenbach. 2. Ederthal. 3. Bottenhorn 4. Grund Breidenbach. 5. Gladenbach. 6. Buchenau. 7. Amt Biedenkopf. 8. Nieder-Weidbach und Umgebung. 9. Obergericht.
Volkstrachten aus dem Kreise Biedenkopf.

Zu weiteren Eigentümlichkeiten des Biedenkopfer Hinterlandes gehört auch die Thatsache, daß in ihm die Bestellung des Feldes an manchen Orten fast ausschließlich den Frauen obliegt, während die Männer Arbeit und Verdienst auf den Eisenhütten im oberen Lahnthal und im benachbarten Westfalen suchen. So stark ist in manchen Orten, wie Steinperf, Ober- und Nieder-Eisenhausen, die männliche Wanderung, daß man an Wochentagen in diesen Dörfern den Eindruck haben kann, als komme man in einen Weiberstaat; übrigens überzeugt man sich bald, daß alles wohl bestellt ist und beispielsweise hier die Frauen die Rindergespanne mit ebenso sicherer Hand zu lenken wissen, wie es etwa Homer von des phäakischen Königs Alkinoos Tochter Nausikaa zu rühmen weiß. – Auch eine Wanderung der Frauen kommt, freilich nur im Sommer, hier vor: die Mädchen des Hinterlandes ziehen zur Erntezeit in Scharen nach der fruchtreichen Wetterau, um dort, in der Gegend von Butzbach, Nauheim, Friedberg, als Schnitterinnen ein schönes Stück Geld zu verdienen. Sind die verschiedenen Getreidearten, vom Roggen bis zum Hafer, dann niedergelegt, so kehren sie gegen den Herbst wieder in die Heimat zurück. Der Fleiß der hinterländischen Frauen ist, wie bei dieser Gelegenheit zu bemerken nicht unterlassen werden darf, beinahe sprichwörtlich in den Nachbargegenden. Niemals sieht man alltags eine Frau müßig; kann sie nicht auf andere Weise thätig sein so nestelt sie zum Beispiel bei der Fahrt auf einem Heu- oder Holzwagen mit Eifer an dem allgegenwärtigen Strickstrumpf; ja, Frauen, die Körbe auf dem Kopfe tragen, sieht man dabei mit Emsigkeit die Stricknadeln handhaben.

Man rühmt es den Biedenkopfern nach, daß sie Feste zu feiern verstehen, und dasjenige Fest, bei dem sich Geist und Humor [397] der Einwohner am freiesten entwickeln ist der „Grenzgang“. Alle sieben Jahre wird dieser alte Volksbrauch unter einmütiger Teilnahme der Bewohnerschaft und unter dem Zulauf zahlreicher Gäste glänzend erneuert. Die Grenzbegehung wird dabei in Biedenkopf noch heute, wenn auch in anderer Weise als vor Jahrhunderten in den Zeiten schwankender Rechtsverhältnisse, thatsächlich über Berg und Thal vollzogen, und zwar dauert sie, mit allerlei fröhlichen Unterbrechungen, drei Tage. Von den humoristischen Episoden des Grenzganges sei besonders das „Widerhuppchen“ erwähnt, wobei die Angehörigen des jüngeren Geschlechtes in eigenartig nachdrücklicher Weise auf die Grenzsteine aufmerksam gemacht werden.

Ansicht von Hatzfeld.

Eine ähnliche Sitte wurde erst kürzlich in dem Artikel „Altdeutsches Kinderleben“ (vergl. S. 234 des laufenden Jahrgangs der „Gartenlaube“) als uralter deutscher Brauch beschrieben. Die Lustbarkeit genießt einen solchen Ruhm im engsten Vaterlande, daß stets einige der über dem Meere weilenden Biedenkopfer – es sind deren sehr viele – in dem Festjahre in die alte Heimat eilen, um eine der teuersten Jugenderinnerungen nochmals an der vollen Wirklichkeit aufzufrischen. Das nächste Grenzgangfest soll im Jahre 1900 stattfinden, und schon jetzt sind, da man ihm an der Wende des Jahrhunderts besonderes Gepränge zu verleihen gedenkt, die Geister im Städtchen erwartungsvoll darauf gerichtet.

Wem es eine Herzenssache ist, eine tiefere Kenntnis des deutschen Volkslebens in seinen mannigfaltigen Erscheinungen zu gewinnen, wem es insbesondere Freude gewährt, die verschiedenen, doch einem Mutterboden entsprossenen Stämme in ihrem unberührtesten Element, dem bäuerlichen, liebevoll vergleichend zu betrachten, dem kann man das bis jetzt von Fremden so wenig betretene hessische Hinterland zu einer gelegentlichen Studienfahrt bestens empfehlen.