Bärenjagden in Rußland
[575] Bärenjagden in Rußland. Wer jemals im Winter in Petersburg war, wird gewiß von Einladungen zu Bärenjagden und diesen selber zu erzählen wissen. Die Jagdclubs der russischen Hauptstadt machen jeden Winter große, kostspielige, glänzende Touren bis tief nach Finnland hinein, um Bären zu jagen. Sie haben Bauern in ihrem Solde, welche Bären im Winterschlafe aufsuchen und dann Bericht erstatten müssen. Der Bär liegt im Winter in seiner Höhle, nicht sowohl fest schlafend und von seinem Fette lebend, wie die Sage geht, sondern singend und gemüthlich brummend, während er sich an den Pfoten saugt, wie ein „Daumenlutscher“ in der Wiege. Dieser Gesang mit Hungerpfotensaugen verräth ihn den Bauern. Sie berichten, und nachdem Braun mit Hülfe anderer Bauern durch Geschrei und allerhand Stimmen- und Instrumentallärm aufgestört ist und schlaftrunken Anstalt macht, zu sehen, was los sei, umzingeln ihn die Jäger, um ihm beim ersten Erscheinen eine gute Menge blaue Bohnen auf den Pelz zu brennen. Doch schießen die Meisten zuerst blind, da nach den ersten Schüssen Gefahr und Jagd erst beginnen. Für so dumm man auch den Bär hält, er hat Mutterwitz. Merkwürdig und seinem Scharfsinne Ehre machend ist der Umstand, daß er allemal schnurstracks auf den Jäger zustürzt, der ihn zuerst getroffen. Schon haben zwanzig Jäger auf einmal geschossen, neunzehn blind und nur einer mit Ladung, es ist niemals gelungen, den Bär in sofortiger Ausfindung seines Feindes zu täuschen. Auch behält er diesen allein im Auge, so viele ihn auch auf dem Wege seiner Verfolgung treffen. Der träge Bursche ist in seinem Sturze auf den Feind so fabelhaft schnell, daß eben so viel Geschick als Geistesgegenwart dazu gehören, ihn unterwegs zu erlegen.
Ein Engländer, den wir in London kennen lernten, wußte eine drastische Geschichte mit einem drastischen Beweise von der furchtbaren Schnelligkeit des angeschossenen Braun zu erzählen. Er war im December 1852 mit einer Gesellschaft von etwa zwanzig Russen, Engländern und Deutschen von Petersburg aufgebrochen, um in Finnland eine große Bärenjagd mitzumachen. Zwischen Wäldern und Wüsten, Bergen und gefrornen Seen erfuhren sie durch einen Muschick, daß ein Sänger und Daumenlutscher mitten in einem Fichtenwalde entdeckt worden sei. Aus seiner Höhle herausgetrieben sah er sich erst eine Zeit lang um und schenkte Jedem der rings um ihn her stehenden Jäger einige Aufmerksamkeit, doch ohne besonderes Interesse an ihnen zu verrathen. Die Jäger winkten sich zu und den Kreis etwas enger ziehend machten sie Anstalt zum Feuern. Die Schüsse fielen. Der Bär stand ein Paar Secunden, als ginge ihn dies gar nichts an. Dann war er plötzlich mit wenigen Sätzen vor den Augen des Engländers, der seinen zweiten Schuß applicirte und floh. Der Bär, obgleich von beiden Kugeln gut getroffen, verfolgte den Engländer doch mit solcher Furie und Eile, daß er ihm beinahe auf den Fersen war, als ein Nachbar von 40 Yards Entfernung ihm ein Kugel durch die Rippen sandte. Ein dumpfes Geheul war Alles, was er als Quittung für diese Zahlung von sich gab, im Uebrigen setzte er seine Verfolgung fort. Schon hörte der Engländer die Bestie hinter sich schnauben, so daß er mit den letzten Resten seiner Kraft weiter sprang, dabei aber über eine Baumwurzel in den Schnee hinstürzte. Wenn der Bär seinen Feind nicht „umarmen“ kann, (oder ehe er’s thut), schlägt er mit seiner Vordertatze nach dem Kopfe und reißt, wenn er trifft, alles Fleisch bis auf die Knochen herunter. Hat er ihn unter sich, schält er zunächst mit einer unglaublichen Geschwindigkeit das ganze Gesicht ab, das ihn mit seinem menschlichen, geistig überlegenen [576] Ausdrucke in seiner Mahlzeit zu stören scheint. Hat er so das Gesicht weggelöscht, saugt er, falls er ungestört ist, mit Muse die Knochen ab und aus. Dabei geht er so ökonomisch zu Werke, daß er oft mit dem kleinen Finger anfängt, dann jeden andern Finger einzeln vornimmt, zur Hand, dann zu den Füßen fortschreitet und so endlich alle Knochen aussaugt, ohne diese selbst zu zerbeißen.
Unser Engländer erhob sich, gerade dem Bären dicht gegenüber, von seinem Falle und hielt unwillkürlich eine Hand gegen die ausschlagende Tatze. Der Schlag fiel, so daß ihm der Arm zerbrochen und ein Theil des Gesichts zerrissen ward. In demselben Augenblicke fuhr dem Bären eine vierte Kugel durch die Ohren in’s Gehirn, so daß er todt auf den Engländer hinstürzte und ihm den gebrochenen Arm dabei noch einmal brach. So zugerichtet, ward er schnell, aber doch sehr mühselig und kostspielig über Land nach London gebracht und zwar vollkommen wieder hergestellt, aber nicht ohne den Denkzettel, den ihm Braun zwischen Ohr und Auge eingegraben, sehr deutlich zu behalten.
Die finnischen Bauern, die nicht mit Schießgewehr spielen dürfen, haben eine geniale Methode erfunden, den Bären zum Selbstmörder zu machen. Seine Passion für Honig benutzend, hängen sie vor die Baumhöhlungen, in denen wilde Bienen ihren Honig getragen, an langen Stricken große Steine oder Kanonenkugeln. Der Bär schiebt das Hinderniß auf die Seite, das ihm in den Honigkeller im Wege ist. Das Hinderniß kommt dadurch in Schwingung und giebt ihm einen leisen Schlag an den Kopf. Er schiebt den Stein unwilliger hinweg, das dritte Mal schon ärgerlicher, das vierte Mal aufgebracht, das fünfte Mal wüthend, das sechste Mal rasend und so fort, da der Stein jedesmal desto schwerer und wuchtiger zurückprallt, je leidenschaftlicher er ihn von sich schlug. So sieht man ihn Stunden lang mit Pfoten, Klauen, Kopf und Rachen gegen den Stein kämpfen und brüllen und wüthen, bis er sich durch seine eigene Wuth thatsächlich selbst den Kopf zerschlagen hat, nachdem Hals, Rücken und Tatzen mit Beulen bedeckt sind. Nur zuweilen rettet ihn der Zufall seiner Wuth, wenn er den Strick selbst faßt, zerkratzt und zerbricht. Das geschieht jedoch selten, so daß die finnischen Bauern alle Winter eine Menge Bären abziehen, die auf die angegebene Weise an sich zum Selbstmörder wurden.