BLKÖ:Linde, Samuel Gottlieb

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Lindemayer, Maurus
Band: 15 (1866), ab Seite: 198. (Quelle)
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Linde, Samuel Gottlieb [Bogumil] (polnischer Lexikograph, geb. zu Thorn an der Weichsel 24. April 1771, gest. zu Warschau 8. August 1847). Im Hause seines Vaters, der ein geachteter Thorner Bürger war, und in der Schule erhielt er bis zu seinem 18. Jahre Unterricht und Erziehung; im Jahre 1789 bezog er die Universität in Leipzig, wo er die philosophische Doctorwürde und 1792 eine Lehrerstelle aus der polnischen Sprache an der Universität erlangte. Schon damals begann er mit literarischen Arbeiten, und zwar mit Verdeutschungen bedeutenderer polnischer Werke, wie z. B. der Reise eines Polen durch das türkische Reich, des zu jener Zeit so beliebten Lustspiels „Die Rückkehr des Gesandten“ (powrót posla) von Julian Niemciewicz. Damals war Leipzig der Sammelplatz vieler berühmter Polen, welche nach der unglücklichen Wendung der Dinge in ihrer Heimat daselbst als Flüchtlinge lebten. Mit diesen verkehrte L. viel und übersetzte auch auf deren Anregung aus dem Polnischen die Schrift: „Ueber Erhebung und Fall der Verfassung vom 3. Mai 1791“, deren polnische und deutsche Ausgabe er selbst besorgte. In diesem Verkehr mit Männern, wie z. B. Kosciuszko, Kollontay, Dmochowski, Ignaz und Stanislaus Graf Potocki, wurde er bald wieder für die Sache seines Vaterlandes gewonnen, gab seine sichere Stellung in Leipzig auf und ging auf Umwegen – da die preußische Grenze schon besetzt war – über Krakau und nicht ohne Gefahr nach Warschau. So wenig die damals bewegte Zeit für geistige Beschäftigung geeignet war, so blieb er doch nicht unthätig und sammelte in der kargen Muße, die ihm seine Betheiligung an der Bewegung übrig ließ, Materialien für spätere Arbeiten. Die Schilderhebung Polens war mit der Dauer eines Sommers vorüber, Warschau wurde am 4. November 1794 übergeben und Polen zum dritten Male getheilt. Alles, was an der Erhebung theilgenommen, wanderte aus. L., der nach Leipzig nicht mehr zurückkehren mochte, wandte sich nach Wien, und diese Zeit seines Aufenthaltes in Wien, seiner geistigen Wirksamkeit daselbst, die nahezu ein Jahrzehend umschließt und eine für die Sprachwissenschaft so herrliche Frucht zur Reife bringen sollte, diese ist es, die ihm eine Stelle in diesem Werke einräumt. Indem dieser Periode etwas ausführlicher gedacht werden soll, wird für das Weitere auf die zahlreichen und umfassenden Quellen hingewiesen, in denen jene, die sich über Linde, sein Leben und Schaffen des Näheren unterrichten wollen, hinreichendes Material finden. In Wien lebte damals Joseph Graf Ossoliński, ein gelehrter Mäcen, der später, 1809–1826, die Stelle eines Präfecten der kaiserlichen Hofbibliothek bekleidete. Graf Ossoliński war ein reicher Edelmann und gewährte dem in [199] Wien schutz- und hilflosen Linde alle Unterstützung, um seinen gelehrten Arbeiten obliegen zu können. Der Graf stellte L. an seiner reichen, mit wissenschaftlichen Schätzen aller Art ausgestatteten Bibliothek an. Von dem Grafen erhielt er die Anregung zu dem großartigen, als Werk eines einzelnen Menschen unübertroffenen und noch heute, in einer Zeit, in welcher die Sprachwissenschaft bei allen Nationen Großes geleistet, als classisch bezeichneten Lexikon. Doch lassen wir Linde selbst sprechen. In einem Dankschreiben, datirt Wien 1. December 1803, bedient sich L., der in Folge seiner Berufung nach Warschau, nach einem fast zehnjährigen – nur durch wissenschaftliche Reisen unterbrochenen – Aufenthalte Wien verläßt, folgende Worte: „Ich bezeuge demnach vor dem ganzen gelehrten Publico, daß ich das Polnisch-Slavische Wörterbuch oder die Sammlung aller Epochen der polnischen Sprache mit Vergleichung der übrigen slavischen Dialecte und Zurückführung auf die Grundsätze der Wortforschung nach dem besonderen Auftrage des Herrn Grafen Ossoliński vorgenommen habe, und daß den Zeitraum von zehn Jahren hindurch der Herr Graf nicht nur mich unterhalten, sondern mich auch mit seiner Leitung, Mittheilung seiner Kenntnisse, kurz auf alle Art dabei unterstützt habe, so daß ich dieses unter seinen Augen angefangene Werk auch in seinem Hause in Wien beendet habe, als an mich der Ruf zur Uebernahme des Warschauer Rectorats ergangen u. s. w.“ Dieses Schreiben, im lateinischen Original und in deutscher Uebersetzung, theilen die „Annalen der Literatur und Kunst in den österreichischen Staaten“ 1804, in der Februarnummer 6 des Intelligenzblattes, Sp. 41 u. f., ausführlich mit. Obwohl die Bibliothek des Grafen – die freilich damals noch nicht das war, was sie heute ist – Linde selbst die besten Hilfsmittel zu seiner Arbeit darbot, so reichte sie doch nicht aus, um ein Werk, wie es dieses Lexikon ist, zu vollenden. Auf Kosten des Grafen bereiste Linde sechsmal ganz Galizien, bis in die Moldau hinein, durchforschte jede Kloster- und Privatbibliothek, deren es bei polnischen Edelleuten oft mit seltenen Bücherschätzen ausgestattete[1] gibt, jede Urkundensammlung, und brachte von jeder Reise immer neue Schätze nach Wien zu seinem Mäcen. In Wien lernte Linde damals auch den Fürsten Adam Czatoryski kennen, der nun die Rolle des unterstützenden Mäcens für Linde mit dem Grafen Ossoliński theilte. Im Jahre 1801 war L. mit seiner Arbeit bereits so weit gediehen, daß er den Plan derselben in verschiedenen wissenschaftlichen Blättern bekannt machen konnte. Diese Ankündigung lenkte die Aufmerksamkeit auf den jungen Gelehrten und veranlaßte vor allem seine Berufung zur Oberleitung der lateinischen Schule in Warschau, welche gegen das Ende des Jahres 1803 stattfand und welcher L. auch Folge leistete. Bald darauf verließ er auch das ihm während seines zehnjährigen Aufenthaltes durch den Kreis von Freunden, den er gewonnen, und das Andenken an eine dort begonnene und auch vollendete großartige Schöpfung so theuer gewordene Wien. [200] Ueber die weiteren Schicksale Linde’s können wir uns kurz fassen, L. trat seinen Posten als Rector der lateinischen Schule in Warschau an und setzte seine gelehrten Arbeiten neben seinem Berufsgeschäfte fort. Auch jetzt noch – denn erst nach seinem Abgange von Wien begann der Druck seines Lexikons – wurde ihm von Oesterreich aus namhafte Unterstützung, denn die Regierung ordnete die Beischaffung des Lexikons für alle öffentlichen Bibliotheken an. Im Jahre 1807 wurde L. zum Oberschulrath in Warschau ernannt. Indessen schritt der Druck des Lexikons sehr langsam vor und hatte bis zu seiner im Jahre 1814 erfolgten Vollendung mannigfaltige Schicksale erfahren, hinsichtlich welcher auf die ausführlichere Darstellung in Linde’s Nekrolog von Waldbrühl [Neuer Nekrolog der Deutschen, XXV. Jahrg. (1847), Nr. 180, S. 547–551] hingewiesen wird. Als nach dem europäischen Frieden 1815 Polen von Kaiser Alexander I. eine Verfassung erhielt, wurde der bisherige Schulrath, in welchem L. saß, Ministerium des Cultus und Unterrichts, und L. entwickelte nun bei den Reformen im Cultus- und Unterrichtswesen eine umfassende Thätigkeit, saß als Abgeordneter in zwei Reichstagen und besorgte die Ausgabe seines Werkes über das lithauische Statut, ein in vielen polnischen und russischen Landestheilen geltendes Gesetzbuch. Als endlich in Warschau eine Hochschule gegründet wurde, erfolgte Linde’s Ernennung zum Oberaufseher und Vorsteher der Bibliothek, der Cabinete und Sammlungen, an deren späterem Aufschwunge L. so wesentlichen Antheil hat. In diesen Arbeiten störte ihn nun der Aufstand des Jahres 1830, an welchem er sich aber nicht betheiligte, sondern, seinen gelehrten Beschäftigungen huldigend, dessen Ende und traurige Folgen überlebte. Von letzteren blieb er nicht ganz ausgeschlossen, die Bibliothek, deren Glanz und Reichthum vornehmlich das Werk seiner Thätigkeit war, wanderte zum größten Theile nach St. Petersburg. L. selbst wurde an die Spitze des evangelischen Kirchenwesens und der Unterrichtsanstalten gestellt. Der Oberleitung der letzteren wurde er über sein Ansuchen im Jahre 1838 enthoben und blieb nur noch als Kirchenbeamter, und dieß bis zu seinem im hohen Alter von 77 Jahren erfolgten Tode thätig. Seine literarische Thätigkeit, die in seinem Wörterbuche gipfelt, blieb bis zu seinem Tode ungeschwächt, jedoch durch den Druck veröffentlichte er nach dem Jahre 1823, in welchem er eine polnische Uebersetzung der Geschichte der russischen Literatur von Nikolaus Grecz herausgab, nichts mehr. In Handschrift fand sich vor eine von seiner eigenen Hand geschriebene polnische Bibliographie in 22 Bänden in 8°. und ein vergleichendes Wörterbuch der slavischen Dialekte. Sein berühmtes Wörterbuch, welches in erster Auflage unter dem Titel: „Słownik języka polskiego“ (Warszawa 1807–1814, 4°.) in 6 Bänden erschien, wurde vermehrt und verbessert, über Anregung des tüchtigen August Bielowski [Bd. I, S. 390] und im Verlage des gräflich Ossoliński’schen Institutes in Lemberg unter gleichem Titel gleichfalls in 6 Bänden (Lemberg 1854, gr. 4°.) herausgegeben. Viele Bücherkenner geben noch immer der ersten Auflage – die aber im Handel längst nicht mehr zu haben ist und mit Gold aufgewogen wird – den Vorzug. Daß es einem solchen Gelehrten nicht an reichen Ehren fehlte, versteht sich wohl von selbst. Als das Lexikon im Jahre 1815 vollendet war. schickten ihm die [201] Hochschulen von Krakau und Kasan ihre Ehrendiplome, die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften ernannte den Sprachforscher zu ihrem Mitgliede. Aehnliches geschah von Berlin, Königsberg, Prag und Paris u. a. Der Czar, als König von Polen, zeichnete ihn mit dem Stanislaus-Orden aus, und bei einer feierlichen Schulprüfung überreichte der kön. Statthalter Fürst Zajonczek dem Gelehrten eine auf ihn im Namen des polnischen Volkes geprägte große goldene Denkmünze, welche auf der Kopfseite sein Brustbild und seinen Namen, auf der Kehrseite aber die Inschrift: Za slownik polskiego języka 1816 mit einem Eichenkranze zeigt. Eine zweite Medaille wurde im Jahre 1842 zu Ehren seines fünfzigjährigen Doctorjubiläums geprägt und ihm in feierlicher Weise in einem goldenen Exemplare überreicht. Auch diese zeigt auf einer Seite Linde’s Brustbild, auf der anderen aber die Aufschrift: VIRO CLARISSIMO | DE RE LITERARIA SLAVORUM | OPTIME MERITO | SOCIO SUO HONORATISSIMO | PHILOSOPHIAE DOCTORIS | SOLEMNIA SEMISECULARIA | CELEBRANTI | COLLEGIUM PRAEFECTORUM | EDUCATIONIS PUBLICAE | IN PROVIN. SCHOLAR. VARSAVIEN. | GRATULATUR | D. X. FEBRUARII A. 1842. Aus seinen zwei Ehen stammen fünf Töchter, von denen die älteste der zweiten Ehe vor dem Vater, 1844, im jungfräulichen Alter starb, die anderen vier aber, und zwar zwei verheirathet, zwei ledig, in einem eigenen Schreiben, datirt Warschau 15. April 1853, die neue Ausgabe des Lexikons in uneigennützigster Weise genehmigten.

Die Angaben seines Geburts- und Todesdatums: 28. April 1771 und 15. August 1847, die sich hie und da finden, wie z. B. in Oettinger’s „Bibliographie biographique universelle.“ (Bruxelles 1854), p. 283, möchten wohl falsch und unsere, der Biographie Bielowski’s in der 2. Auflage des „Słownik“ entnommenen die richtigen sein. – (Koeppen, Peter von) S. G. Linde, biographische Skizze (Wien 1823, 8°.) [diese Lebensskizze scheint dieselbe zu sein, welche in den Wiener „Jahrbüchern der Literatur“ abgedruckt stand]. – (Wiener) Jahrbücher der Literatur, Jahrgang 1823, Anzeigeblatt III, S. 45. – Neuer Nekrolog der Deutschen (Weimar, Bernhard Friedr. Voigt, 8°.) XXV. Jahrgang (1847), S. 544–562, von Wilh. v. Waldbrühl. – Linde’s Autobiographie, abgedruckt im 6. Bande der von ihm selbst besorgten ersten Ausgabe des „Słownik języka polskiego“ [Die Daten reichen bis zum Jahre 1815]. – Żywot Samuela Bogumiła Lindego, d. i. Leben des Sam. Gottl. Linde, geschrieben von August Bielowski und abgedruckt nach der Vorrede im 1. Bande, S. 15–39, der neuen, vom Ossoliński’schen Institute in Lemberg veranstalteten Ausgabe des „Słovnik“ (1854 u. f., 4°.) [daselbst auf S. 36 u. 37 das vollständige Verzeichniß von Linde’s gedruckten und handschriftlich hinterlassenen Werken]. – Woycicki (K. Wl.), Historyja literatury polskiej w zarysach, d. i. Geschichte der polnischen Literatur in Umrissen (Warschau 1845, Sennewald, gr. 8°.) Bd. III, S. 389. – Saint-Maurice Cabany (Charles Edouard), S. T. de Linde celèbre lexicographe polonais, docteur en philosophie, gentilhomme polonais etc. etc. (Paris 1853, 8°., mit Porträt in 8°.) [steht auch im „Necrologe universel du XIX. siècle“]. – Nouvelle Biographie générale ... publiée par MM. Firmin Didot frères sous la direction de M. le Dr. Hoefer (Paris 1850 et s., 8°.) Tome XXXI, p. 252.

  1. Erst vor wenigen Wochen wurden mir (dem Herausgeber dieses Lexikons) aus der Privatbibliothek eines verstorbenen polnischen Edelmannes zwei Foliobände mit Kupfern zur Schätzung vorgezeigt, und zu meiner höchsten Verwunderung fand ich in dem einen Foliobande eine fast vollständige Sammlung Rembrandt’scher Radirungen in den schönsten Abdrücken von unschätzbarem Werthe. Ich habe den Besitzer erst über den Werth seines Schatzes aufgeklärt.