BLKÖ:Murray de Melgum, Joseph Jacob Graf

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Murmann, Alexander
Band: 19 (1868), ab Seite: 467. (Quelle)
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Murray de Melgum, Joseph Jacob Graf (k. k. Feldzeugmeister und Ritter des Maria Theresien-Ordens, geb. zu Tournay im Jahre 1718, gest. zu Wien 5. Juni 1802). Entstammt einer alten ursprünglich schottischen Adelsfamilie, welche noch in England in mehreren Linien blüht und wovon eine Linie nach Oesterreich eingewandert, daselbst zu hohen Würden gelangt, aber im Mannsstamme bereits erloschen ist. [Näheres über die Familie in den Quellen S. 469.] Graf Joseph Jacob trat, 15 Jahre alt, in das 38. Infanterie-Regiment, damals Claudius Fürst de Ligne – gewöhnlich Alt-Ligne genannt – als Fähnrich ein, und hatte sich bereits im Erbfolgekriege durch seine Tapferkeit bemerkbar gemacht. Im Jahre 1752 war Graf Murray Major bei Arberg-Infanterie, wurde im zweiten Feldzuge des siebenjährigen Krieges, im Jahre 1757, Oberst des 9. Infanterie-Regiments Los Rios, [468] in welcher Eigenschaft er sich bei Breslau (22. November 1757) und bei Hochkirch (13. u. 14. October 1758) so hervorthat, daß er mit dem Ritterkreuze des Maria Theresien-Ordens ausgezeichnet wurde. Bei Breslau hielt Murray das Dorf Effingen besetzt und schlug mit seinem Regimente, unterstützt von dem Feuer von sechs Feldstücken, alle Angriffe des überlegenen Feindes auf das Muthigste zurück. Bei Hochkirch aber kam er mit seinem Regiment unseren Grenadieren, die von der feindlichen Uebermacht schon sehr in die Enge getrieben waren, durch einige geschickte Bewegungen, rasch und rechtzeitig zu Hilfe; brachte die bereits in Unordnung gerathenen Abtheilungen wieder in Ordnung, führte sie geschlossen dem Feinde entgegen und warf denselben in wiederholten Angriffen auf das Entschiedenste zurück, so daß er durch dieses rechtzeitige und entschiedene Eingreifen wesentlich zum siegreichen Erfolge der Unseren an diesem Tage beigetragen hatte. Murray wurde im März 1761 General-Major und im Jahre 1766 Unter-Inspector der gesammten, in den Niederlanden befindlichen Infanterie, bald darauf Feldmarschall-Lieutenant, Im Jahre 1780 wurde er zum commandirenden General in den Niederlanden ernannt und ihm unter Einem die geheime Rathswürde verliehen. Im Jahre 1784 zum Feldzeugmeister befördert, wurde er im Juli des folgenden Jahres ad interim Gouverneur und General-Capitain-Lieutenant in den Niederlanden. Im Jahre 1787, nach Beilegung der daselbst ausgebrochenen Unruhen, wurde M. abberufen, in den Ruhestand versetzt und starb in Wien im hohen Alter von achtzig Jahren. Murray’s Verhalten in seiner letzten Stellung als Gouverneur in den Niederlanden und während der daselbst ausgebrochenen Unruhen wurde erst in neuester Zeit Gegenstand historischer Untersuchung und einer geharnischten Polemik zwischen einem correspondirenden Mitgliede der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Herrn Ottocar Lorenz, und einem Nichtmitgliede derselben, Herrn Alexander Gigl. Herr Ottocar Lorenz hatte nämlich im Jahre 1863 in Wien eine Schrift erscheinen lassen, betitelt: „Kaiser Joseph II. und die belgische Revolution. Nach den Papieren des General-Gouverneurs Grafen Murray. 1787“. Das Materiale zu dieser Schrift bildet eine Sammlung von Briefen des Kaisers an den Grafen Jos. von Murray, aus der Zeit vom Juli bis zum October 1787, und der Zweck derselben war kein geringerer: als das in keiner Hinsicht zu rechtfertigende Verhalten des Generals zu beschönigen, und alle Mißgriffe und daraus entstandenen üblen Folgen dem Kaiser Joseph II. zur Last zu legen. Nicht nur, daß in diesem Briefwechsel nichts enthalten ist, was zu solchen befremdlichen Folgerungen berechtigte, sondern die ganze Haltung der Lorenz’schen Schrift war darnach angethan, daß dabei eher die Förderung eines Privatinteresses, als die Herstellung der historischen Wahrheit vermuthet werden mußte. Nicht bloß die öffentliche Meinung, die nun einmal den Nimbus von dem durch die Volksliebe und Geschichte und mit Recht verklärten Kaiser Joseph nicht verdunkeln läßt, sondern auch das competente Urtheil der Wissenschaft hatte schon diese Schrift entschieden verurtheilt, als mit einem Male, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die anonyme Schrift: „Kaiser Joseph II. und Herr Ottocar Lorenz“ (Wien 1863, Rudolph Lechner, gr. 8°.) im Buchhandel erschien. Der Autor dieser Schrift zergliederte Punct [469] für Punct die Abhandlung des Herrn Professors Ottocar Lorenz, der in dieser interessanten historischen Untersuchung sozusagen vernichtet wurde. Der anonyme Verfasser dieser Schrift blieb längere Zeit Geheimniß. Als aber der Verleger derselben, Herr Rudolph Lechner, mit gerichtlicher Verfolgung, was sich übrigens sehr komisch ausnahm, bedroht wurde, glaubte der Verfasser sich nicht länger verstecken zu müssen und bekannte sich einfach zur Autorschaft, bis zur Stunde auf die gerichtliche Verfolgung wartend, die sich denn nun als nichts weiter als eine etwas sonderbare Finte herausstellt, den Schleier eines unwillkommenen Geheimnisses zu lüften. Beide Schriften liefern aber einen interessanten Beitrag zur Art und Weise neuerer Geschichtschreibung; man sollte es doch den Herren Sybel und Consorten überlassen, im preußischen Interesse österreichische Geschichte zu fälschen; österreichischer Patriotismus verlangt aber: nicht Geschichte zu Gunsten des Hause Habsburg zu fälschen, aber die Fürsten dieses Hauses, wo sie groß und unantastbar dastehen, kleinlicher Privatinteressen willen nicht klein zu machen und ihr Verfahren zu entstellen. Die Lorenz’sche Schrift hat in jeder Hinsicht die entgegengesetzte Wirkung erzielt, denn eine Rechtfertigung der Murray’schen Mißgriffe hat durch dieselbe nicht stattgefunden, und der alte Graf und General, von dem das im Jahre 1806 erschienene Schwaldopler’sche „Historische Taschenbuch“ des Jahres 1802, S. 229, mit zarter Umschreibung berichtet, „daß der Graf den Posten eines Gouverneurs in den Niederlanden in Zeiten bekleidet habe, wo Verblendung und Bosheit jene schönen Provinzen empört hatten, und daß er nach hergestellter Ruhe mit seinem ganzen Gehalte in Ruhestand gesetzt wurde“, würde im Grabe ungestört und seine Mißgriffe im Dunkel jenes Archives geblieben sein, aus welchem nie ein Zweifel an seine Treue, wohl aber um so gerechtfertigtere an sein staatsmännisches Talent an den Tag gezogen worden sind.

(Gigl, Alex) Kaiser Joseph II. und Herr Ottocar Lorenz (Wien 1863, 8°.). [siehe Näheres über diese Schrift oben im Texte der Biographie.]. – Hirtenfeld (J. Dr.). Der Militär-Maria Theresien-Orden und seine Mitglieder (Wien 1857, Staatsdruckerei, kl. 4°.) Bd. I, S. 92 u. 1729. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. III, S. 738. – (Schwaldopler) Historisches Taschenbuch, mit besonderer Hinsicht auf die österreichischen Staaten [auch unter dem Titel: Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts u. s. w. Zweiter Jahrg. (1802)] (Wien 1806, Doll, 8°.) S. 229.