BLKÖ:Sichrowsky, Heinrich Ritter von

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Sichrowsky, Benignus
Band: 34 (1877), ab Seite: 213. (Quelle)
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Sichrowsky, Heinrich Ritter von (Humanist, geb. in Wien im Jahre 1794, gest. zu Baden nächst Wien 10. Juli 1866). Lebhaften Geistes, mit trefflichem Talent ausgestattet, lernte er rasch und leicht. Die Eltern, die den Knaben die praktische Richtung einschlagen ließen, schickten denselben nach beendeten unteren Schulen in die Realakademie bei St. Anna, welche zu jener Zeit das erst später in’s Leben gerufene polytechnische Institut vertrat. Nachdem er den Curs beendet, trat er sofort in’s praktische Leben und wurde zuletzt, nachdem er in verschiedenen Häusern thätig gewesen, Procuraführer im Großhandlungshause H. Biedermann’s Söhne. Mit S. Biedermann bereiste S. ganz Europa, mit Ausnahme Spaniens und der Türkei. Ueber diese Reise führte er ein regelmäßiges Tagebuch. Als er die eben eröffnete erste Eisenbahn von Liverpool nach Manchester befuhr, erwachte in ihm der Gedanke, diese großartige Erfindung auch seinem Vaterlande zugänglich zu machen, welchen Gedanken er, als er später mit Professor Riepl [Bd. XXVI, S. 138] bekannt wurde, festhielt. Indem Beide, Riepl und Sichrowsky, noch Leopold von Wertheimstein für die Sache zu gewinnen [214] verstanden, gelang es ihnen vereint, den Baron Salomon Rothschild dafür zu interessiren und so wurde das damals für ganz abenteuerlich gehaltene Unternehmen in’s Werk gesetzt. Nun befand sich S. im eigentlichen Fahrwasser. Tag und Nacht widmete er den darauf bezüglichen sorgfältigsten Studien; um sich mit dem Detail des Betriebes vollends vertraut zu machen, unternahm er wiederholte Reisen nach England und machte an Ort und Stelle seine Beobachtungen. Dann wurde zur Sicherstellung der Schienen und des Brennstoffes das Witkowitzer Eisenwerk und der Steinkohlenbau in’s Leben gerufen, nach Beseitigung mancher Hindernisse die Baubewilligung der Regierung erworben. Es war das keine geringe Aufgabe, denn wie einer seiner Biographen berichtet, stieß S.’s Gedanke, in Oesterreich eine Eisenbahn zu gründen, auf gewaltige Hindernisse bei den obersten Leitern der Regierung und es ließen sich aus gewissen Sphären die possierlichsten Thatsachen mittheilen, welche bei den einschlägigen Bestrebungen S.’s zum Vorschein kamen. Bei allen diesen vorbereitenden Schritten war S. wenn nicht die Seele, doch einer der wichtigsten Motoren derselben. Auch gehörte er seit Gründung der Nordbahn derselben, zuletzt in der Stellung als General-Secretär, an und seine Energie, sein Einblick in den vielverzweigten Geschäftsgang und sein eigenes Fortschreiten mit dem Fortschritte der Zeit auf dem großen Gebiete der Erfindungen trugen wesentlich zur Solidität bei, welche diese Erste Bahn der Monarchie bis auf den heutigen Tag zu bewahren gewußt. „Die Nordbahn“, schreibt einer seiner Biographen, „war ihm das Alpha und Omega seines Lebens“. Dabei hatte sein geschäftlicher Eifer niemals die humanen Regungen seiner Seele übertäubt: er war gütig gegen seine Untergebenen, ja er konnte weichherzig sein, wenn er irgendwie Noth und Jammer in der Beamten-Republik entdeckte, deren Präsidenten er darstellte. Wie beliebt er bei seinen Beamten war, dafür spricht die Thatsache, daß ihm dieselben im Jahre 1845 anläßlich seines 50. Geburtstages als Zeichen ihrer Verehrung eine prächtig gearbeitete silberne Locomotive, mit einem goldenen Kranze und einer Widmungsschrift geschmückt, überreichten. Parallel mit diesem gemeinnützigen Wirken S.’s für die Allgemeinheit ging seine Thätigkeit in seinen verschiedenen Eigenschaften bei der israelitischen Gemeinde Wien’s. Seit 1819 war S. Vorsteher der Chebra-Kadischa, im Jahre 1825 betheiligte er sich lebhaft bei den Berathungen über den Tempel und über die neuen Einrichtungen in demselben; im Jahre 1830 wurde er Bethausvorsteher, nachdem Tode Biedermann’s, 1843, Vertreter, welches Amt er bis 1860, trotz anderweitiger Geschäfte, die seine Thätigkeit außerordentlich in Anspruch nahmen, bekleidete. Sein Wirken auf diesem Gebiete in’s Einzelne zu schildern, verbieten Raum und Zweck dieses Werkes, aber allgemeine Andeutungen seien gestattet: er erwies sich besonders thätig bei der Ausarbeitung der neuen Statuten für die „Fromme Bruderschaft“; bei der Organisirung des Leichenhofamtes; bei jener des Cassawesens der Gemeinde und dann bei dem Bau des neuen Tempels, denn in sein Ressort als Vertreter fiel eben das Bauwesen. Nach Kräftigung, Hebung, Verbesserung allseitig wirkte er in diesem, und ein schönes Wort enthält sein Nachruf, der von ihm sagt: „Die Armen, die Witwen und Waisen erblickten in ihm einen Anwalt seltener Art“. Dabei bekleidete [215] S. viele Ehrenämter der Stadt Wien, stand in hohem Ansehen selbst bei seinen Gegnern und hatte im Laufe der Jahre vielfach Zeichen bürgerlicher und fürstlicher Anerkennung erhalten, so noch im Juni 1866, als er auf dem Sterbebette lag, den Orden der eisernen Krone 3. Classe, worauf nach seinem Ableben die Erhebung in den erblichen Ritterstand erfolgte. Als ihm im Jahre 1862 als Anerkennung für seine 25jährige Wirksamkeit eine Remuneration von 6000 Gulden von der Nordbahn-Direction zuerkannt wurde, bestimmte er den ganzen Betrag zu einer Stiftung für solche fünf Nordbahnwächter, welche sich nach einer zwölfjährigen tadellosen Dienstzeit durch besonders sorgsame Pflichterfüllung ausgezeichnet haben. Aber auch im geselligen Leben war S. seiner Zeit eine der beliebtesten Persönlichkeiten in der Residenz. In seinen Mußestunden verkehrte er am liebsten mit Poeten, Künstlern und Schauspielern. Der zu ihrer Zeit vielgenannten „Ludlamshöhle“, einem geselligen Vereine potenzirter Kunstgenüsse, die viel nachgeahmt, aber nie wieder erreicht worden, gehörte auch Sichrowski an und hieß in demselben „Potz hunderttausend Plumper“. Den Namen „Plumper“ führte S. “ weil er sich in Alles mengte, und die Hauptperson in dem Lustspiele „Er mengt sich in Alles“ Plumper heißt. „Potz hunderttausend“ hieß er, weil er der Ludlamshöhle ein Los geschenkt, womit man 100.000 Gulden gewinnen „konnte“. Auch erhielt er das Prädicat „Ludlams’ Improvisator“, weil er sehr viel Talent besaß, Lieder aus dem Stegreif zu singen. S., der, 72 Jahre alt, in Baden nächst Wien starb, ruht auf dem israelitischen Friedhofe nächst Währing in seiner Familiengruft.

Wiener Mittheilungen, Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst, orientalische Studien und israelitische Culturzustände. Von Dr. M. Letteris (Wien, 4°.) 1860, Nr. 39: „Heinrich Sichrowsky“. Biographische Skizze. – Neue freie Presse 1866, Nr. 670. – Presse 1866, Nr. 195, Local-Anzeiger: „Heinrich Sichrowsky“. – Dieselbe 1862, Nr. 287: „Sichrowsky’s Stiftung“. – Frankl (L. A.), Sonntagsblatt (Wien, 8°.) Jahrg. 1845, S. 759 u. 877. – Castelli (I. F. Dr.), Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Empfundenes (Wien 1861, Kober, 8°.) Bd. II, S. 207, in der „Geschichte der Ludlamshöhle“, dieser besten Parthie der Castelli’schen Memoiren.