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BLKÖ:Strohlendorf, Joseph von

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Strohbach
Band: 40 (1880), ab Seite: 76. (Quelle)
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Strohlendorf, Joseph von (eine Wiener Original-Figur, geb. im Jahre 1765, gest. zu Wien am 1. September 1855). Man will wissen, sein richtiger Name sei Strahlendorf. Wir müssen diese Behauptung dahin gestellt sein lassen, da es sowohl Träger des Namens Strahlendorf, als auch solche des Namens Strohlendorf gibt. Die Ersteren waren ein altes böhmisches Geschlecht, über welches die Quellen Seite 79 nähere Nachricht geben, die Letzteren aber hießen eigentlich Strohl von Strohlendorf, und wurde mit diesem Prädicate Johann Martin Melchior im Jahre 1750 geadelt. Welchem dieser beiden Geschlechter nun unser „Wiener [77] Original“ angehört, ist nicht zu ermitteln, wie denn überhaupt über seine Vergangenheit alle Nachrichten fehlen. Er ist nur bemerkenswerth geworden als eine Type des alten Wiener Lebens, als die zur höchsten Potenz gesteigerte Verkörperung Alt-Wiens. Ein seltsamer Kauz, konnte er keineswegs ein Sonderling genannt werden, wenn auch sein ganzes Gebaren ein eigenartiges und originales war. Er hatte noch die Kaiserin Maria Theresia mit ihren unverheirateten Töchtern gekannt. Sein ganzes langes Leben – er wurde neunzig Jahre all – drehte sich um den Ballsaal, das Theater und das Kaffeehaus. Er war seinerzeit der berühmteste Tänzer gewesen, hatte mit der unglücklichen Maria Antoinette in Versailles auf einem Balle der österreichischen Gesandtschaft getanzt, als diese Prinzessin noch nicht die verhängnißvolle Krone Frankreichs trug, sondern an der Seite des Dauphin Louis, als Dauphine dahinschwebte. In den späteren Jahren, als er, ein Greis, nicht mehr tanzen konnte – aber das Tänzeln gab er nicht auf, denn er ging nicht, er tänzelte immer – lebte er nur dem Theater und dem Kaffeehause, diese öffneten ihm bis in die letzten Tage seines Lebens gastlich ihre Hallen. Noch wenige Monate vor seinem Ableben konnte man, gegen Mitternacht in das Café Daum, dieses nun auch dahingegangene Stück Alt-Wiens, eintretend, beinahe regelmäßig ein kleines Männchen sehen, das, in eine Ecke gedrückt, behaglich schlummerte, bis um halb ein Uhr ein Marqueur ihm leise auf die Schulter tippte und auf die Uhr deutete. Dann erhob sich der kleine Herr, hüllte sich in sein ebenso kleines Mäntelchen und trippelte die Häuser entlang seiner Wohnung zu. Wo er wohnte, wovon er lebte, ich weiß es nicht, und Keiner weiß es zu sagen. Er war da, man war seine Gegenwart so gewohnt, daß man ihn vermißte, wenn er einmal nicht da war, aber auch weiter nicht um ihn fragte, da man Alles an ihm als bekannt voraussetzte. Im Volke hieß er „der alte Junge“, in den Salons aber „der Damenritter“, und ein solcher war er in des Wortes edelster Bedeutung, mit ihm starb diese Species aus. Man ist heute nicht mehr galant gegen die Damen, weil diese vor lauter Ansprüchen gegen den Mann sich gar nicht zu haben wissen. Wenn eine Dame Strohlendorf um etwas ansprach, er that es gewiß, für ihn gab es kein non possumus, und dabei entwickelte er eine rührende Galanterie, denn es galt ihm gleich, ob die Dame schön oder häßlich, ihm genügte es, daß sie ein Weib war. 25 Jahre besuchte er beinahe täglich das Kärnthnerthor-Theater, wo dem alten Manne stets ein Sperrsitz zu Gebote stand. Musik liebte er über Alles, und wenn man ihn zu fragen verstand und ihn gewähren ließ, erzählte er auch von Mozart und Haydn, welche er beide noch gesehen. Im Theater blieb er selten ruhig auf seinem Platze, klein und dünn, wie er war, schlüpfte er wie ein Aal durch, zumal in den Sperrsitzen hielt er sich nicht viel auf, sondern stieg in die höheren Regionen und trippelte von Loge zu Loge, und jede Logenthür öffnete sich bereitwillig vor dieser lebendigen Chronik aller Gastspiele, aller Fiascos, aller Theaterscandale und Stadtgeschichten, aller berühmten Sänger und Sängerinen. Daß die Damen des Theaters sich seiner besonderen Gunst erfreuten, ist bei [78] seiner Vorliebe für die Bühne selbstverständlich. Er leistete darin Großes, das ihm aber auch wieder schlimm genug vergolten wurde. Ganz besonderen Cultus widmete er der Fanni Elßler. Es war im Jahre 1844, als diese wieder das Wiener Publicum enthusiasmirte. Er zählte damals neunundsiebzig Jahre und genoß in Folge dessen das Vorrecht, vor dem Auftritt der Tänzerin in ihrer Ankleideloge erscheinen zu dürfen. Als er eines Abends sich eben wieder in derselben befand, vermißte die Tänzerin die Kreide, die sonst überall, auf dem Boden und den Tischen lag, ja liegen mußte, da sie sich derselben zum Ankreiden der Tanzschuhe bediente. Sie suchte, aber vergeblich; ein abgeschickter Lakai erschien in kurzer Frist – ohne Kreide – und meldete, daß, da es Sonntag, alle Verkaufsladen geschlossen seien. Der anwesende Strohlendorf bat die ziemlich aufgeregte Tänzerin, sich zu beruhigen und versprach ihr bestimmt die Kreide zu beschaffen. Er trippelte in größter Eile fort, und nach einer starken Viertelstunde erschien er athemlos vor der Tänzerin und legte ihr ein Dutzend Kreidestücke vor die Füße. „Sie sind ein Engel, lieber Strohlendorf!“ rief die Elßler, „aber wie haben Sie das angefangen? Und was bin ich Ihnen schuldig?“ – „Zehn Gläser Zuckerwasser“, entgegnete er lakonisch, „denn ich mußte in zehn Kaffeehäuser gehen, um diese Kreidestücke von den Billardtischen zu stehlen“. Nun, war ihm die Geschichte mit der Kreide zu seiner und der Tänzerin vollster Befriedigung gelungen, so sollte ihm eine andere Galanterie übel ausgehen. Einestages nahm er sich vor, der Gefeierten unmittelbar nach beendetem Tanze ein prachtvolles Rosenbouquet, der Erste, zu überreichen. Zu diesem Zwecke stellte er sich in seinem Salon-Anzuge, die Hände in tadellosen Glacés, und das Bouquet vorsichtig hinter sich haltend, zwischen den Coulissen auf. Als nun die Tänzerin nach beendeten Pas erschien, trat er ihr entgegen, mit triumphirender Miene das Bouquet hinter seinem Rücken hervorziehend. Aber Beide starrten sie entsetzt auf den Strauß, an dem alle Knospen und Blüthen fehlten und nur die grünen Blätter und dornigen Zweige übrig geblieben waren. Ein Schalk, welcher den alten ganz in den Tanz der Elßler vertieften Strohlendorf mit dem rückwärts gehaltenen Strauße hinter den Coulissen hatte stehen sehen, benützte die Verzückung des Greises, um, von diesem unbemerkt, mit einer aus der Garderobe der Elßler geholten Scheere die Rosen vom Strauße abzuzwicken. – Ein andermal befand sich Strohlendorf im Burgtheater, als eben Sophie Schröder auftrat. Da glaubte er zu bemerken, wie sein Nachbar mit etwas – es konnte nur eine Pistole sein – auf die Tragödin hinzielte, dann aber sich besann und die Waffe auf seinen eigenen Mund richtete. Obwohl starr vor Entsetzen, faßte er sich doch sofort und packle den Arm des Nachbars. „Was wollen Sie von mir?“ fragte dieser entrüstet seinen Lebensretter. „Sie am Selbstmorde hindern“, entgegnete Strohlendorf. – „Ach, lassen Sie sich nicht auslachen und mich in Ruhe meine Chocolade essen“, denn eine Stange Chocolade hatte S. für eine Pistole gehalten. Und auch noch anderer Schabernack wurde dem alten Manne mitunter angethan. So hatte ihm ein Spottvogel [79] im adeligen Casino weiß gemacht, daß Donizetti eigentlich ein Wiener Kind sei und Toni Zetti heiße. Und wieder ein anderes Mal gab er eine Probe, wie geringe Kenntnisse nur man früher zu besitzen brauchte, um nichtsdestoweniger salonfähig zu sein. So trat er eines Tages in die Loge des Barons Eskeles, der eben mit einem anderen Banquier eine hochwichtige Geschäftsangelegenheit besprach. Der alte Mann kam dem Crösuspaare ziemlich ungelegen, und man wußte nicht, wie ihn loswerden, ohne ihn zu kränken. Da begann Eskeles – es war eben die Zeit des Sonderbundskrieges in der Schweiz – „Haben Sie schon gehört, lieber Strohlendorf, daß die Schweizer ihren König fortgejagt haben?“ – „Ihren König, ruft Strohlendorf, Ihren König fortgejagt!“ und schon ist er aus der Loge, um die große Nachricht von dem „fortgejagten Könige der Schweizer“ ins Parterre zu tragen. So wurde die Leichtgläubigkeit und Unwissenheit des alten Mannes nicht selten benützt, ihm einen Schabernack zu spielen. Seine Erlebnisse möchten, zusammengestellt, ein ganz drolliges Geschichtenbuch geben, in welchem der berühmte „Damenritter“, das letzte Wiener Original, das noch die Zeiten der großen Kaiserin und ihres unvergeßlichen Sohnes gesehen, die Hauptrolle spielen, zugleich aber ein Licht geworfen würde auf die geringen Mittel, deren der damalige hohe und niedere verehrliche Adel bedurfte, um in den Salons und in der Gesellschaft immer noch eine anständige Rolle zu spielen.

Constitutionelle Oesterreichische Zeitung (Wien) 1862, Nr. 41, im Feuilleton: „Die schöne Frau Gräfin“.