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BLKÖ:Szautern (Sauttern), Baron

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Szcitowsky, Johann
Band: 41 (1880), ab Seite: 211. (Quelle)
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Szautern, Baron (Rousseau’s Freund, geb. in Ungarn um das Jahr 1736, gest. zu Straßburg um 1770). Ueber den Namen Szautern, auch Sauttern geschrieben, brachte die jüngste Zeit Enthüllungen, die einen jungen Ungarn betreffen, dessen Rousseau in seinen „Bekenntnissen“ erwähnt und über welchen bis dahin keine bestimmten Aufschlüsse vorlagen. Der berühmte Franzose machte nämlich in dem im Schweizer Canton Neufchatel gelegenen Dorfe Motiers, in welchem er sich um 1763 aufhielt, die Bekanntschaft des in Rede Stehenden, die, gleich anfangs ihm angenehm, in der Folge für ihn eine wahre Herzensangelegenheit wurde. Man nannte den jungen Mann Baron Sauttern, welchen Titel er sich keineswegs selbst angemaßt, sondern in der Schweiz sich hatte gefallen lassen müssen, sowie es in Italien heutzutage jedem distinguirten Fremden mit dem Prädicate Eccellenza ergeht. Unser Ungar sagte nun vor aller Welt, daß er nur Rousseau’s wegen nach Neufchatel – wo derselbe damals lebte – gekommen, daß er, als der Philosoph nach Motiers übersiedelt sei, ihm dahin nachgezogen, um sich im Verkehr mit ihm „zur Tugend zu bilden“. Des Ungarn ganze äußere Erscheinung dünkte Rousseau im Einklange mit diesem Vorhaben, und so wurden Beide bald unzertrennliche Freunde. Szautern verstand wohl französisch, konnte sich jedoch in dieser Sprache nicht ausdrücken; dieser Umstand störte sie aber nicht in ihrem innigen schriftlichen und mündlichen Verkehr, denn der Ungar schrieb und sprach lateinisch, und Rousseau antwortete ihm französisch. Zwei Jahre hatten Beide so in der größten Vertraulichkeit verkehrt und der Ungar sich immer mehr in Rousseau’s Herz eingelebt, als dieser von Genf aus in einem Briefe vor seinem Freunde gewarnt wurde. Man denunciirte denselben als einen Spion der französischen Regierung, in deren Auftrage er sich in Rousseau’s Nähe niedergelassen habe. Wir verweisen auf den in den Quellen bezeichneten ungemein interessanten Artikel von Dux in Betreff der nun folgenden Details: wie Rousseau dem jungen Ungarn das denselben verdächtigende Schreiben mitgetheilt, wie er in der Folge wohl keinen Spion, aber doch einen unsittlichen Menschen in ihm entdeckt habe, der in Straßburg ein Verhältniß mit einer verheirateten Frau unterhalten, in Motiers selbst mit der schmutzigen häßlichen Magd des Wirthshauses, in welchem er speiste, in eine unsaubere Geschichte sich eingelassen, wie dies Alles Rousseau auf das empfindlichste getroffen habe, aber doch die Freundschaft zwischen Beiden nicht ganz erschüttern konnte, da Rousseau nach wie vor mit dem Ungarn in freundschaftlicher Verbindung blieb. Inzwischen hatte sich Letzterer von Motiers nach Straßburg und von da nach Paris begeben, um in der Weltstadt sein Glück zu suchen. Da er aber nur Elend fand, schrieb er an Rousseau einen reumüthigen Brief, in welchem er ihn zugleich um Hilfe anflehte. Mit Geld versehen, ging er von Paris nach Straßburg zurück, wo er bald darauf starb. Aus Rousseau’s Mittheilungen erfahren wir, wie sehr er den Ungarn geliebt. Indem er die Geschichte seiner Verbindung mit ihm und der Abenteuer desselben berichtet, schließt er: „Wie sehr [212] betrauere ich das Schicksal dieses unglücklichen jungen Mannes, und nie werde ich aufhören zu glauben, daß er von vornehmer Geburt und daß seine tadelhafte Aufführung das Ergebniß der Situation war, in welche er gerathen“. Alle diese Umstände veranlaßten die Forscher über Rousseau’s Leben, auch Näheres über diesen Ungarn zu erkunden, denn von einem Ungarn des Namens Szautern oder Sauttern war nichts bekannt. F. Brockerhoff bringt in seiner Monographie: „Jean Jacques Rousseau. Sein Leben und seine Werke“ (Leipzig 1874) die ersten Fingerzeige über den in Rede Stehenden. „Es war ein Mann“, schreibt genannter Biograph, „von etwa dreißig Jahren, groß und wohlgebaut, wenn auch für sein Alter ziemlich beleibt, mit braunen Haaren und einem einnehmenden Gesichte. Sohn eines Bürgermeisters von Ofen, hatte er seinen Angaben zufolge mehrere Jahre in den Bureaux der Wiener Hofkanzlei gearbeitet und war zu seiner weiteren Ausbildung auf Reisen gegangen“. Es galt nun, nach dem Namen Szautern oder Sauttern zu forschen, und man hatte an der Angabe, daß der Vater des Unbekannten Bürgermeister von Ofen gewesen, eine Handhabe gewonnen. Ein Name Sauttern fand sich wohl nicht, aber in der „Vollständigen Beschreibung der königlichen Hauptstadt Ofen“ von Franz Schams entdeckte man im Verzeichnisse der Bürgermeister deren zwei, welche Sautermeister von Sautersheimb hießen, und zwar 1705 Friedrich Sautermeister von Sautersheimb, der 1707 Stadtrichter von Ofen wurde, und 1741–1764 Joseph Emanuel Sautermeister von Sautersheimb, welcher 23 Jahre hindurch die Würde des Ofener Bürgermeisters bekleidete, was für einen ganz ungewöhnlichen Grad des Vertrauens seiner Mitbürger spricht, da diese ihn immer wieder zu ihrem Vorstande wählten. Weitere Nachforschungen in den Protokollen des Ofener Magistrats ergaben nun, daß in der That am 22. April 1705 Friedrich Sautermeister zum Bürgermeister gewählt wurde. Also nicht Sautersheimb, sondern Sautermeister war der Familienname, zu welchem erst mit Erlangung des Adels das Prädicat Sautersheimb hinzukam. Dieser Adel war – wie es den Anschein hat – kein ungarischer, denn in Iván Nagy’s großem ungarischen Adelswerke: „Magyarország családai czimerekkel és nemzékrendi táblákkal“ findet sich der Name weder in der Schreibweise Sautermeister, noch Sauttern oder Szautern. Uebrigens gibt es auch eine Adelsfamilie Sautter mit dem Prädicate von Degenschild, welcher der Adel mit Diplom aus dem Jahre 1716 in der Person des kaiserlichen Oberstwachtmeisters Johann Balthasar Sautter verliehen wurde. Was nun die Stellung unseres Ungarn bei der Wiener Hofkanzlei anbelangt, so liegen darüber keine Nachrichten vor; aber ein Ignaz Sauttermeister diente im Jahre 1764 als Concipist im Cameralarchiv, welches sich damals in Preßburg befand. Da meint denn Adolph Dux, daß derselbe vordem vielleicht in der ungarischen Hofkanzlei, oder wenn nicht er selbst, doch sein Bruder in diesem Amte gedient habe. Dux hielt nun den oben genannten Joseph Emanuel Sautermeister für den Vater unseres Szautern, der zwischen 1762 und 1766 ungefähr [213] 30 Jahre alt gewesen. Obige Angaben fanden nachmals in einer Stelle der „Denkwürdigkeiten aus meinem Leben“ von Frau Karoline Pichler (Wien 1844) Bd. I, S. 23 eine Ergänzung. Diese Schriftstellerin erzählt, daß ihre Mutter, welche Kammerfrau und Vorleserin Maria Theresia’s war, von zahlreichen Verehrern umschwärmt wurde. Sie blieb gleichgiltig gegen alle. „Nur Einer“, erzählt Karoline Pichler weiter, „ein geborener Ungar, dessen Portrait sie noch nach Jahren besaß und dessen in Rousseau’s „Confessions“ als eines sehr interessanten und liebenswürdigen jungen Mannes gedacht wird, machte einen tiefen Eindruck auf ihr Herz. Nicht nur der Wille der Monarchin, sondern auch ungünstige Verhältnisse in der Familie des jungen Ungarn zerrissen diesen Bund. Der junge Mann starb bald darauf (das Verhältniß mochte in der Zeit vor 1765 bestanden haben); meine Mutter erinnerte sich seiner immer mit Rührung“. Der Finder dieser Stelle in den „Denkwürdigkeiten“ der Frau Pichler fügt seiner Mittheilung noch Folgendes hinzu: „Die Zuneigung der hochgebildeten und charaktervollen Frau ist kein gering zu schätzender Beweis für den Ungarn Rousseau’s, der trotz seiner Fehltritte ein bedeutender wackerer Mensch gewesen sein mochte. Die Sympathie Rousseau’s erscheint also auch durch dieses neuere Datum gerechtfertigt“. Herausgeber dieses Lexikons läßt letztere Ansicht nur mit Einschränkung gelten, da es bekannt ist, daß die edelsten Frauen gerade oft für anerkannte Roués ein Faible haben. Schließlich stünde noch die Erklärung aus, wie der Name Sautermeister in das einfache Sauttern umgeschaffen wurde? Sollte Szautern nur eine in der Schweiz versuchte sprachliche Abkürzung von Sautermeister sein?

Pesther Lloyd vom 2. Juli 1878, im Feuilleton von Adolph Dux. – Literarische Berichte aus Ungarn. Herausgegeben von Paul Hunfalvy (Budapesth, Karl Knoll, gr. 8°.) II. Jahrg. (1878), S. 640: „Wer war Rousseau’s Ungar?“.