BLKÖ:Visconti-Venosta, Emil

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 51 (1885), ab Seite: 56. (Quelle)
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Visconti-Venosta, Emil (lombardischer Agitator, geb. zu Mailand am 22. Jänner 1829). Der Sproß einer alten und adeligen Veltliner Familie, welche sich zu Beginn des laufenden Jahrhunderts in Mailand seßhaft machte, aber mit dem berühmten lombardischen Geschlechts der Visconti in keinen verwandtschaftlichen Beziehungen steht. Sein Vater Francesco Visconti-Venosta und Achilles Mauri waren seine Lehrer, insbesondere Ersterer, der sich gern mit naturgeschichtlichen Studien beschäftigte, und dessen Werk „Cenni sulla storia naturale della Valtellina“ (Milano 1844) die Würdigung des italienischen Gelehrten-Congresses, welcher 1844 in Mailand tagte, gefunden hat. Francesco starb bereits 1846 im besten Mannesalter, und nun blieb die Sorge der Erziehung seiner drei Söhne Emil, Johann und Heinrich der Mutter überlassen, einer Frau von nicht gewöhnlichen Geistesgaben. Emil, welcher sich durch eine besondere Lebhaftigkeit des Geistes auszeichnete, betrat frühzeitig die literarische Laufbahn und wurde, kaum 18 Jahre alt, Mitarbeiter der in Mailand erscheinenden „Rivista Europea“ und des Almanachs „Vesta Verde“, dieses berühmten Jahrbuchs, das, von Correnti 1848 bis 1859 redigirt, in der Lombardie ein Haupthebel der nationalen Bewegung war und die endlich erfolgte Erhebung vorbereiten half. Im Jahre 1848 nahm Emil wesentlich Theil an dieser letzteren und an dem fünftägigen Kampfe in den Straßen Mailands, welche Radetzky mit seinen Braven bändigte. Als darauf Garibaldi aus America herbeieilte, trat Visconti in dessen Freischaaren, und zwar in die von Capitän Giacomo Medici befehligte Abtheilung, in welcher er den kurzen garibaldischen Feldzug mitmachte, der mit den Kämpfen bei Lucino und Murazzino ein Ende nahm. Da seine Anwesenheit in dem von Radetzky wiedergewonnenen Lande nicht eben räthlich war, ging er zunächst in die Schweiz und als in Toscana 1849 die Revolution mit der Vertreibung des Großherzogs begann, in letzteres Land. Dort finden wir ihn als Besucher der Universität Pisch aber mehr mit Politik, denn mit Studien beschäftigt. Als ihm dann 1849 die Rückkehr nach Mailand ermöglicht wurde, war er einer der Eifrigsten, welche unter dem Deckmantel der Studien conspirirten. Noch im nämlichen Jahre rief Carlo Tenca in Mailand das Journal „Creposcolo“ ins Leben, ein Blatt, von welchem ich in meinem amtlichen Literaturberichte für 1854 mich veranlaßt sah auszusprechen: „daß ihm in der Art, wie es seine Aufgabe löst, kein zweites in der Monarchie an die Seite gestellt werden könne“. Für dieses Unternehmen, an welchem sich die ersten Geister der damaligen Lombardie betheiligten, schrieb Visconti ausschließlich literarische Artikel. Einer derselben, über den „Kain“ von Byron, war so gehaltvoll, daß der berühmte Literarhistoriker Maffei nicht Anstand nahm, ihn als Vorrede seiner Uebersetzung des englischen Gedichtes voranzustellen. Während Visconti für die Oeffentlichkeit Literatur trieb, betheiligte er sich heimlich an der Mazzini’schen Conspiration, welche mit dem Processe zu Mantua 1853 ihren traurigen Abschluß fand. Seine Mitverschworenen, welche sämmtlich zu Kerkerstrafen verurtheilt wurden, bewahrten [57] ihn durch ihr hochherziges Verhalten, indem sie seine Theilnahme verschwiegen, vor dem Kerker und ermöglichten ihm die Rettung durch die Flucht. Indessen hielt er nach wie vor zu Mazzini. Aber diese Verbindung blieb nicht von langer Dauer. Mazzini’s System, um die Freiheit Italiens zu erkämpfen, bestand in der Anzettelung immer neuer Aufstände in den einzelnen Volksstämmen und Provinzen dieses Landes. Ihm gegenüber stand Graf Camillo Cavour, welcher das Banner des einheitlichen Italien hoch hielt in den Händen des Hauses Savoyen, das sich seit Jahren durch Länderraub zu vergrößern verstanden hat. Als dann Mazzini 1853 in Mailand eine neue Erhebung versuchte, ein Versuch, welcher am 6. Februar sich ein klägliches Andenken bewahrte, begab sich Visconti, sobald die ersten Zeichen der Bewegung bemerkbar wurden, mit seinem Freunde und Patrioten Heinrich Besana heimlich an die Schweizer Grenze, um dem Agitator diesen unglückseligen Gedanken, der unter den damaligen Verhältnissen zu keinem Resultate führen konnte, auszureden. Aber Mazzini blieb bei seinem Vorhaben, und nun sagten sich Visconti-Venosta und noch andere Patrioten von dem mit Blindheit geschlagenen Revolutionär los, und Graf Cavour erhielt an den von demselben Abgefallenen einen namhaften Zuwachs. Aus diesem Anlässe lernten Visconti-Venosta und Graf Cavour sich kennen. Schon Anfang 1859 hatte die österreichische Polizei die Verhaftung Visconti-Venosta’s, dessen politische Umtriebe ihr kein Geheimniß geblieben waren, angeordnet, aber derselbe entzog sich der ihm drohenden Gefahr durch die Flucht nach Turin, wo er mit Farini, dem Arzt und Helfershelfer Cavour’s, innige Freundschaft schloß. Letzterer indeß, welcher die Energie und Unerschrockenheit des jungen Rebellen kennen und schätzen gelernt hatte, glaubte in ihm das geeignete Werkzeug für seine weiteren Pläne zur Unificirung Italiens zu finden, und so übertrug er ihm denn die wichtige, aber auch gefährliche Stelle eines königlichen Commissärs bei General Garibaldi, als dieser dem franco-sardischen Heere voran in die Lombardie einbrach. Visconti ging mit den garibaldinischen Freischaaren über den Ticino, rückte mit ihnen in Varese, Como, Bergamo und Brescia ein und nahm im Namen Victor Emanuels Besitz von den eroberten Provinzen, sofort ihre neue Civilregierung einrichtend. Die Sache war immerhin eine gewagte, denn wenn der Einfall der Garibaldianer eben nicht gelungen wäre, so würde Visconti, als Flüchtling und österreichischer Unterthan den Gesetzen des Kriegsrechtes verfallen, kraft derselben auch sein Ende gefunden haben. Als dann nach dem Waffenstillstände von Villafranca Farini sich anschickte, seine Mission in Central-Italien auszuführen, nahm er Visconti-Venosta mit sich, und nun führten die beiden Abenteuerer, dem Vertrage von Villafranca und den Absichten Europas entgegen, mit einer Verwegenheit ohne Gleichen die Annexion Central-Italiens durch. Es war dies ein organisirter Länderraub, wie er dann später auch wieder einmal im Norden vor sich ging, aber ein schlimmes Beispiel war für kriegführende Mächte späterer Zeit, die sich durch Verträge und Pacte nicht mehr für gebunden halten, sondern eben annectiren und depossediren werden, was und so lange es ihnen gerade paßt. Nun übertrug Farini an seinen Genossen die [58] Vertretung der auswärtigen Geschäfte, oder besser gesagt, die Verhandlungen über die mit Piemont annectirten Gebietstheile. Dies waren die ersten Schritte, welche Visconti auf dem Felde der Diplomatie machte, und Graf Cavour fand sich in seinen Erwartungen und Plänen so zufriedengestellt, daß er denselben in außerordentlicher Sendung an Napoleon III. und Gladstone schickte zum Abschluß der Verträge über diese eigenthümlichen Erwerbungen. Als dann die Einberufung des neuen sardo-lombardischen Parlaments erfolgte, wurde der mittlerweile von seiner Mission zurückgekehrte Visconti im Collegium von Tirano im Veltlin als Deputirter gewählt. Die Absicht des Grafen Cavour, Visconti als seinen Staatssecretär für die äußeren Angelegenheiten in seine unmittelbare Nähe zu berufen, vereitelte der plötzliche Tod des Premiers, und kam es zu dieser Ernennung erst später, als nämlich Conte Pasolini im Cabinet Farini das Ministerium des Aeußern übernahm. Eine neue Sendung harrte Visconti’s, als er mit Giuseppe Finzi und noch einigen Abenteuerern, oder wie sie, nachdem das Wagstück gelungen, heißen: Patrioten, im Jahre 1860 nach Neapel ging, um dort die Dinge vorzubereiten, welche dann Garibaldi, wie bekannt, in seiner Weise zum Austrage brachte. Hierauf wirkte er als außerordentlicher Secretär an der Seite Farini’s, als dieser die Statthalterschaft des Exkönigreiches antrat. Als dann einige Monate später, am 24. Mai 1863, Graf Pasolini das Portefeuille des Aeußern niederlegte, ging dasselbe an Visconti über, welcher zu dieser Zeit 34 Jahre zählte. Nach dem Sturze dieses Ministeriums wurde derselbe 1866 von La Marmora als Gesandter Italiens nach Constantinopel geschickt, von wo er aber schon wenige Monate danach auf Baron Ricasoli’s Antrag zurückkehrte, um wieder das Ministerium des Aeußern zu übernehmen, da nach dem für Italien unglücklichen Tage bei Custozza die diplomatischen Verhandlungen nicht geringe Schwierigkeiten boten. Nach Ausbruch der Unruhen in Turin trat er mit dem ganzem Ministerium am 24. September 1864 zurück. Von dieser Zeit zählte er zur gemäßigten Opposition unter Lanza’s Führung. Als dann dieser nach dem Rücktritte des Ministeriums Menabrea Auftrag erhielt, ein neues Cabinet zu bilden, trat Visconti am 12. December 1869 neuerdings als Minister des Aeußern in dasselbe. Er neigte sich damals zu Frankreich hin und namentlich von der Zeit an, als eine Annäherung Deutschlands und Italiens sich bemerkbar machte. Schließlich legte er sein Portefeuille nieder, nachdem er im Ganzen an zehn Jahre das Ministeramt verwaltet und bei der Abtretung Venedigs 1866, wie später bei dem Einmärsche in Rom 1873 mitgewirkt hatte. Der ehemalige Rebell und Verschwörer gegen Oesterreich hat es aber nicht verschmäht, zweimal österreichische Orden anzunehmen, zuerst 1871 das Großkreuz des Leopoldordens und 1874 jenes des St. Stephansordens.

De Gubernatis (Angelo). Dizionario biografico degli scrittori contemporanei ornato di oltre 300 ritratti (Firenze 1879, Successori Le Monnier, Lex.-8°.) p. 1047.
Porträt. Unterschrift: „M. Visconti-Venosta, Ex-Ministre des affaires étrangères. Holzschnitt ohne Angabe des Xylographen nach Photographien von Duroni und Murer, in der Pariser „L’Illustration“, 1864, Nr. 1133, S. 313.