BLKÖ:Volmar, Johann
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 51 (1885), ab Seite: 265. (Quelle) | |||
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[266] seines mehr abstoßenden Wesens beitrugen, das die Gesellschaft floh. Die erste Erziehung erhielt er von einem Privatlehrer, der weder die Elementarsätze der Pädagogik kannte, noch sonst sich geeignet erwies, ein tief empfindendes und zugleich empfindliches Kindesgemüth zu leiten und in das richtige Geleise zu bringen. So war er im Alter von vierzehn Jahren sich selbst überlassen, gerade zu einer Zeit, in welcher durch die politischen Wirren derselben die Bande der geselligen Ordnung und die von altersher durch Gesetz und Sitte gebildeten Einrichtungen aus Rand und Band gingen. Ordnungslos und unbeaufsichtigt dahinlebend, ward er nur durch einen glücklichen Zufall vor geistiger Verlotterung bewahrt. In der Buchdruckerei Zerletti’s, bei welchem er sich in Kost befand, gerieth er eines Tages auf das seinerzeit geschätzte Quaresimale des Padre Ignaz Venini. Er vertiefte sich in die Lesung dieses Werkes, welches in ihm das lebhafte Verlangen nach Büchern und Studien erweckte. Von da ab beginnt sein literarisches Streben und sein schriftstellerischer Drang. Als um diese Zeit der politische Umschwung in Italiens Geschicken stattfand und Venedig französisch wurde, besaß Volmar bereits ganz tüchtige sprachliche Kenntnisse und hatte sich insbesondere das Italienische und Französische eigen gemacht. Der Antrag, einen der damaligen französischen Staatsmänner, welche in Venedig die Regierungsgeschäfte leiteten, in der italienischen Sprache zu unterrichten[WS 1], kam ihm gelegen, und bald erwarb er sich den Ruf eines Sprachmeisters von nicht gewöhnlicher Bedeutung. Während er selbst lehrte, fand er reichlich Gelegenheit, selbst zu lernen, und während er damit beschäftigt war, die Wort- und Satzlehre seinen Schülern zu erläutern, machte er sich selbst mit den Meisterwerken der italienischen und französischen Literatur, deren letztere ihn immer mehr und mehr fesselte, vertraut, und er gewann eine Kraft des Ausdrucks, die es ihm ermöglichte, aus dem Stegreife die verschiedensten Gegenstände mit ungewöhnlicher Klarheit und Sicherheit zu behandeln, so wenig er sonst sich überhaupt zu einem geistigen Verkehr und persönlicher Mittheilung geneigt zeigte. Um diese Zeit entstand seine merkwürdige Schrift: „Ueber den Selbstmord“ (Suicidio), ein Thema, welches uns sofort auf die düstere Gemüthsstimmung des damals kaum 20jährigen Mannes schließen läßt. Er behandelte den nichts weniger als anmuthenden Gegenstand mit einer Gründlichkeit und Geistesschärfe ohne Gleichen, und man war allgemein geneigt, diese Schrift als eine Uebersetzung aus dem Französischen anzusehen. Als Venedig bei der neuerlichen Umgestaltung der politischen Verhältnisse in den Besitz Oesterreichs gelangte, trat Volmar in den k. k. Staatsdienst, und zwar zunächst in einem Rechnungsdepartement, aus welchem er später zum Hypothekenamte übersetzt wurde. In diesem letzteren blieb er bis an seinen im Alter von erst 56 Jahren erfolgten Tod. Bei seiner sehr schwächlichen Gesundheit konnte er sich nicht, wie er es gern gethan hätte, nach Erfüllung der Obliegenheiten seines amtlichen Berufes dem schriftstellerischen Drange, der ihn erfüllte, hingeben. So entstanden denn in jenen Jahren nur vereinzelte Arbeiten in Poesie und Prosa, welche er ab und zu erscheinen ließ. Dabei verfiel er, dem literarischen Ungeschmack seiner Zeit folgend, auch auf schriftstellerische Spielereien, wie in den „Fünf Briefen“ (Cinque lettere), in [267] deren jedem ein Vocal fehlte, dann veröffentlichte er einige Dichtungen in sögenannten Versi sciolti, einer in Italien wegen ihrer leichteren Behandlung sehr beliebten, doch nur von Wenigen in wirklicher Vollendung ausgeübten Dichtungsart. Diese Arbeiten, von denen wir: „La Cecilia, novella“ in sciolti; – „L’Adamo ed Eva alla soglia dell’Eden“ in sciolti; – „La notte del Natale“ in Sestinen; – „La Passione, omelia“ hervorheben, durchweht bald mehr, bald minder eine Wehmuth und düstere Anschauung, und sind sämmtliche – um uns eines heute stark gebräuchlichen Ausdrucks zu bedienen – vom Geiste des Pessimismus angekränkelt. Doch geht Volmar darin nicht bis zu den äußersten Consequenzen, indem er nicht alle Besserung der Zustände ausschließt, sondern vielmehr Wunsch und Hoffnung ausspricht, daß eine allmälige Besserung der sittlichen Verhältnisse der Menschheit sich vollziehe, daß die unfehlbare Vernunft zur Herrschaft gelange. Um aber diese höheren wünschenswerthen Ziele zu erreichen, sei es die Aufgabe der Schriftsteller, mitzuwirken und die Schriften, welche sie herausgeben, nicht als bloßes Lesefutter, sondern als eine geistige Seelenweide zu betrachten. Ferner übertrug Volmar das epische Gedicht „Charlemagne ou l’église délivrée en XXIV chants“ von Lucian Bonaparte ins Italienische, übergab jedoch von seiner Arbeit nur einen einzigen Gesang dem Drucke. Vieles fand sich noch handschriftlich in seinem Nachlasse, und aus einer Durchsicht und Prüfung desselben ergab sich, welche ernsten und ausgedehnten Studien er gemacht hatte. Kein Gebiet des menschlichen Wissens war ihm fremd geblieben. Wie schon bemerkt, besaß er gründliche Kenntnisse seiner Muttersprache und des Französischen und war des letzteren so mächtig, daß er es mit voller Freiheit und seltener Eleganz schrieb; außerdem sprach und verstand er das Griechische, Hebräische, Englische, Lateinische und noch andere Sprachen. In Folge eines Augenleidens, welches ihn mehrere Monate belästigte, wollte er die Grundzüge der Oculistik kennen lernen, vertiefte sich in das Studium derselben, las die bedeutendsten Schriften darüber und schrieb dann seine eigenen Ansichten über den so wichtigen Gegenstand nieder. Ueberhaupt besaß er Kenntnisse in der Medicin, welche weit über die eines Laien hinausgingen. Seine Bewandertheit in der Theologie, Hermeneutik und Homiletik war so bedeutend, daß er in denselben mit gelehrten Theologen sich messen konnte. Von dem, was sich in seinem Nachlasse noch vorfand, nennen wir zahlreiche Uebersetzungsfragmente der „Geschichte der Revolutionen Frankreichs“ von Lacretelle, dann Uebertragungen in sciolti, und zwar des Gedichtes: „De partu virginis“ von Sanazzaro, der „Galathea“ von Cervantes und einiger Tragödien von Voltaire. In gute italienische Prosa übersetzte er den „Traité des sensations“ von Etienne de Condillac, einige „Sermons“ von Massillon und noch manches Andere. Unglaublich groß aber war die Zahl der Sonette und anderer Dichtungen, welche aus den Schubfächern der Pulte, der Schreib- und Arbeitstische Volmar’s zu Tage kamen. Die meisten Sonette behandeln moralische Ansichten; die bei weitem größere Menge bezog sich auf die Erziehung eines Jünglings. Wenn er Alles, was er in Sonetten aussprach, in Prosa geschrieben hätte, er würde mit seinen oft originellen Gedanken und zutreffenden [268] Ansichten ein nicht gewöhnliches pädagogisches Lehrbuch voll eingehender tiefer Ideen und Maximen über diesen wichtigen Gegenstand geschaffen haben. Es war eine auf die traurigen Verhältnisse seiner Jugend zurückzuführende Verirrung seines Geistes, daß er Alles, was er dachte, in die engeren Formen der Poesie preßte, mochte es passen oder nicht; aber für das Weh seiner mit dem Makel der Illegitimität behafteten Geburt, für die bitteren, seinen Stolz und Ehrgeiz verletzenden Empfindungen und die daraus entspringenden Qualen mochte er in den weicheren Lauten der Poesie das gefunden haben, was ihm die strenge ernste Prosa versagte. Er fand in der himmlischen Weihe der Dichtung, was ihm das wirkliche Leben nicht bot: Erleichterung und Trost. Außer dieser schriftstellerischen und poetischen Thätigkeit übte er mit Vorliebe und nicht ohne Talent den Grabstichel. Er erlernte die Behandlung desselben bei dem Venetianer Kupferstecher Rosaspina, und er würde es darin zu einer nicht gewöhnlichen Fertigkeit gebracht haben, wenn nicht sein hartnäckiges Augenleiden ihn daran gehindert hätte. Rosaspina, der sich bei verschiedenen in seinem Verlage herausgegebenen Blättern des Grabstichels Volmar’s bediente, hielt große Stücke auf dessen Kunstfertigkeit. Von den eigenen Stichen unseres Kupferstechers ist nur ein einziger, das Bildniß Bossuet’s bekannt, ein heute schon ziemlich seltenes Blatt. Volmar war unvermält geblieben, sein bescheidenes Einkommen ließ es ihm bedenklich erscheinen, die mit jeder Ehe verbundenen Sorgen auf sich zu nehmen. In Folge eines unheilbaren Leidens, das ihn seit früher Jugend gequält, erlag er endlich einem schmerzhaften Tode. In seinem Verkehr, wenn ihn nicht Melancholie gefangen hielt, anregend, mittheilsam, eine Fülle des Wissens nach jeder Richtung bekundend, besaß er wenige, ihm aber sehr ergebene Freunde. Von seinem geringen Einkommen gab er gern dem Armen, was er entbehren konnte, und hinterließ bei den Wenigen, die ihn kannten, ein edles, ihn ehrendes Andenken.
Volmar, Johann (k. k. Staatsbeamter und Schriftsteller, geb. in Venedig am 16. August 1779, gest. daselbst 1835). Der Umstand, daß er als ein natürlicher Sohn von Eltern, deren Namen nicht bekannt sind, das Licht der Welt erblickte, übte nicht geringen Einfluß auf seine mehr düstere Gemüthsart. Dabei war er mit nicht gewöhnlichen Geistesgaben ausgestattet, welche aber bei dem Makel, der seiner Geburt anklebte, nichts weniger als zu einer Klärung und geistigen Milderung- Tipaldo (Emilio de). Biografia degli Italiani illustri nelle scienze, lettere ed arti del secolo XVIII e de’ contemporanei (Venezia 1834, tipogr. di Alvisopoli, gr. 8°.) Vol. III, p. 216: „Necrologo di Volmar“. Scritta da P. Cecchetti.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: unterrrichten.