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BLKÖ:Steinitz, Wilhelm

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 38 (1879), ab Seite: 101. (Quelle)
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Steinitz, Wilhelm (Schachspieler, geb. zu Prag 18. Mai 1837). Die unteren Schulen besuchte er in seiner Vaterstadt Prag, wo er sich schon damals in den mathematischen Fächern besonders auszeichnete. Im Jahre 1858 kam er nach Wien, um daselbst am polytechnischen Institute seine Studien fortzusetzen, worin er aber durch Brust- und Augenleiden vielfach behindert wurde. Mittellos, hatte auch er den Kampf um’s Dasein durchzufechten und wohl oder übel ihn mit allem Mannesmuth aufgenommen. Später wendete er sich für einige Zeit der Journalistik zu und schrieb als Mitarbeiter der „Constitutionellen österreichischen Zeitung“ die parlamentarischen Berichte für dieselbe. Doch sollten ihm nicht auf publicistischem Gebiete die eigentlichen Lorbeeren blühen. Schon als Knabe galt Steinitz für den besten Schachspieler in Prag, und wenn damals, als Steinitz nach Wien kam, das Schach daselbst noch kein Sportsartikel [102] war wie in London, das im Nothfalle seinen Mann ernähren konnte, so gewahrte es doch Steinitz ein nicht ganz unerhebliches Einkommen; was aber noch mehr war, Steinitz verstand es, durch sein meisterhaftes Spiel die Aufmerksamkeit der wenigen Schachspieler, deren Wien sich in jenen Tagen erfreute, zu erregen. Er spielte damals im oberen Stockwerk des Café de l’Europe auf dem Stephansplatze und sein scharf durchdachtes, dabei flottes Spiel, zog zahlreiche Verehrer des Schach in das Café hinauf. Lange war eigentlich nur, um einen Schachsieg zu erringen, gespielt worden; allmälig fanden sich aber Schachliebhaber ein, die mit Steinitz an gewissen Tagen um Geld spielten. Unter diesen befand sich auch ein höhergestellter Militär, der Steinitz die Partie um 5 fl. anbot, und welche an seinen Partner zu verlieren, S. so oft wie möglich – man sagt immer – vermied. So wuchs denn mit jedem Tage der Kreis der Bewunderer und Zuseher der mit Steinitz gespielten Partien. Mit der Zeit fand der geniale Schachspieler auch den Weg in höhere Kreise und gerieth aus den Räumen des jemänniglich offenen Café in die exclusiven der diplomatischen Welt, in welchen der Schachgenius des jungen Pragers bald so mächtig wirkte, daß man über denselben die äußere Erscheinung desselben vergaß, welche jener des Narciß-Rameau in der Brachvogel’schen Komödie nahe, wenn nicht fast gleichkam. Man erzählt sich aus dieser Zeit, in welcher S. mit den Diplomaten Schach spielte, ganz kurzweilige Geschichten, deren Ausgangpunct der war, den trefflichen Schachspieler in einer diesen bevorzugten Kreisen entsprechenderen Weise zu costumiren, wobei man mit dem Hut begann, dessen Steinitz bloßstellende Glatzen nichts weniger denn gentlemanlike aussahen. Als Steinitz eines Abends den Salon des schachliebenden Diplomaten, durch diesen im fesselnden Gespräche aufgehalten, der letzte verließ, fand sich nur mehr ein Hut vor, aber so fein und glänzend, wie Steinitz noch nie einen auf dem Kopf gehabt. Aber das war nicht sein Hut. Alles Suchen nach jenem des Schachspielers war vergebens, so daß der Diplomat endlich S. bat, den eben vorhandenen Hut zu nehmen und ihn so lange als den seinigen zu betrachten, bis ihm sein eigener, den wohl einer der anwesenden Gäste aus Versehen mitgenommen, zurückgestellt werde; S. blieb nichts übrig, als dieses Auskunftsmittel anzunehmen, blieb aber seitdem unangefochten im Besitze des neuen schönen Hutes, da sich der Herr, der den seinigen entführt hatte, nie meldete. Aus den Schachkreisen des Café und der diplomatischen Welt drang Steinitz immer weiter vor und gelangte endlich in jene des Wiener Schachclubs, dessen Wege aber damals, trotz der ausgezeichneten Spieler, welche er hatte, noch dunkel blieben. In den Turnieren dieses Schachclubs nahm S. bald eine hervorragende, wenn nicht erste Stelle ein, denn im Schachturnier 1859 gewann er den dritten, 1860 den zweiten und 1861 bereits den ersten Preis. Zur Zeit der zweiten Londoner Weltausstellung hatte auch der Londoner Schachclub ein großes Schachturnier ausgeschrieben und den Wiener Schachclub eingeladen, sich durch eines seiner Mitglieder an dem Kampfe zu betheiligen. Nun es war da keine Frage, wen der Wiener Schachclub senden sollte. Es gab nur Einen, der ihn würdig vertreten konnte, und dieser hieß Steinitz. Aber die mangelhafte Repräsentation [103] des Erwählten, d. h. einzig Berufenen, gab bei der Wahl den Ausschlag gegen Steinitz, und da dieser also nicht gehen sollte, schickte man auch keinen Anderen. Einige Mitglieder des Clubs sahen jedoch die Sache anders an, und konnten es nicht ertragen, daß der Wiener Schachclub auf dem Londoner Turnier unvertreten sein sollte. Sie schafften Mittel für eine würdige äußere Herstellung des genialen Spielers und schickten ihn nach London. Sein Spiel erregte dort Aufsehen und bald war Steinitz der Held des Londoner Schachclubs. Im genannten Turnier erhielt S. zwar nur den letzten von sechs Preisen, der Breslauer Anderssen aber als erster Preisträger erklärte: „Steinitz habe die kühnste und schönste Partie des Turniers gespielt“. Beim Festdiner nannte ihn Lord Ravensworth „the brillant Austrian champion“ und die englischen Schachblätter waren seines Lobes voll. Selbst mit Londons Schachgewaltigem, dem berühmten Schachspieler Staunton, dem Herausgeber einer Schachzeitung und dem Beherrscher der Schachrubrik in den „Illustrated London News“, hat es Steinitz aufgenommen und sich Staunton nicht gerade besonderer Erfolge zu rühmen. Auch Morphy, der anerkannte Herrscher über die Schachspieler zweier Welttheile, sprach sich über den genialen Oesterreicher, den er für den begabtesten Jünger des Nachwuchses erklärte, in hohem Grade rühmend aus. Im Jahre 1865 gewann Steinitz auf dem Congreß der Dubliner Ausstellung den ersten Preis; 1866 siegte er im Wettkämpf auf die ersten acht Partien um hundert Pfund Sterling mit acht zu sechs Spielern gegen Anderssen. Englische und österreichische Blätter hoben diesen Sieg besonders hervor, als „Rache gegen Sadowa“, unter welchem Titel damals ein photographisches Bildniß beider Kämpfer erschien. Im Pariser Congreß 1867, für welchen Kaiser Napoleon selbst einen Preis ausgesetzt hatte, erkämpfte S. den dritten Preis und in Dublin in selbem Jahre den zweiten, sowie im Vorgabeturnier den ersten Preis. Er gewann vier Vorgabeturniere (handicap) nacheinander, ohne eine einzige Partie zu verlieren, nämlich 1867, 1868, 1870 und 1872. Als S. im Jahre 1862 Wien verließ, um sich zum Schachturnier nach London zu begeben, nahm er von seinen Wiener Freunden Abschied mit den Worten: „Entweder Sie werden gar nichts mehr von mir hören, oder ich bin in etlichen Jahren der erste Schachspieler Europas.“ Nun, er hat einigermaßen Wort gehalten; wenn er eben auch nicht der erste Schachspieler Europas ist, so doch unter den ersten. Steinitz lebt zur Zeit in London, wo er die Schachspalte des in Sportkreisen stark verbreiteten Blattes „Field“ redigirt.

Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, kl. Fol.) 5. Juli 1873, Nr. 1566: „Meister des Schachspiels. 7. „Wilhelm Steinitz“. – Neue illustrirte Zeitung. Redigirt von Johannes Nordmann (Wien, Zamarski, kl. Fol.) 1873, Nr. 36. – Neue freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 523: „Ein Schachwettkampf“, Nr. 721: „Sieg auf dem Schlachtfelde“. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1867, Nr. 153.
Porträte. 1) Holzschnitt in der Nordmann’schen „Neuen illustrirten Zeitung“ 1873, Nr. 36. – 2. Holzschnitt von A. N.(eumann) in der (Leipziger) „Illustrirten Zeitung“ Nr. 1566.