Bajazid in Armenien

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Textdaten
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Autor: Paul von Franken
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Titel: Bajazid in Armenien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 325–326
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[325]
Bilder aus dem Kaukasus.
Nr. 2.
Bajazid in Armenien.

Das Fahren war mir herzlich verleidet, weshalb ich von dem freundlichen Anerbieten, die kurze Strecke bis Bajazid, welches am Fuße des Allah-Dag oder Gottesberges in der alten armenischen Provinz Bakewant liegt, auf einem persischen Renner zurückzulegen, gern Gebrauch machte. Aber mein Pferd war ein besserer Renner und Springer, als ich Reiter. Ueber die

Das Schloß in Bajazid.
Nach der Natur aufgenommen von Paul v. Franken.

Steine und Untiefen des Weges setzte er ohne Zweifel mit der graziösesten Leichtigkeit hinweg, aber man hatte ihm einen Kosakensattel aufgelegt, in dem ich anfänglich stolz wie ein Kosake paradirte, bald genug aber gar erbärmlich situirt war. Bald glaubte ich in eine Pfütze versinken, bald zwischen Felsgestein meine armen Knochen zerbrechen zu müssen. So gelangte ich endlich vor den Terrassen an, auf denen die türkisch-armenische Festung bis zu dem Schlosse auf der Höhe malerisch emporsteigt. Da meine Reisegefährten ein Bild von diesem prachtvollen Punkte wünschten, so stieg ich um so lieber von meinem Gaule und zeichnete zuerst die Jahrhunderte alte sogenannte weiße Festung, die sich weit in die Steppe vorschiebt, dann die Stadt und zuletzt das erst in neuester Zeit mit verschwenderischem Perserluxus erbaute Schloß. Dasselbe erhebt sich auf einem Felsen, überragt die Stadt und besteht aus einem hohen und viereckigen, mit zahlreichen Fenstern und reichen Verzierungen versehenen Gebäude. Noch gut erhaltene Mauern schließen es ein und legen hinlängliches Zeugniß von ihrer Festigkeit ab. Mitten darin ragt ein Minaret hervor, neben welchem sich wahrscheinlich auch eine Moschee befindet. Gleich allen Städten des Orientes täuscht auch Bajazid aus der Ferne. Man erwartet eine wunderschöne Stadt vor sich zu haben, kommt man jedoch näher, so schwindet eine Illusion nach der andern.

Von einer Promenade in den Straßen ist gar keine Rede; denn Straßen, besonders gepflasterte, sind hier ein unbekannter Luxus. Man klettert bald über schlecht angelegte Treppen, voltigirt bald über Löcher, steht bald auf einem Lehmhaufen, bald aber befindet man sich oben auf einem Dache, denn die meisten Wohnungen sind halb oder ganz in die Erde hineingebaut, und das Dach des einen Hauses vertritt deshalb sehr oft den Hofraum und Unrathplatz des Nachbarhauses.

Man sieht nur elende Hütten, die mit der schönen, obwohl wilden und romantischen Umgebung einen keineswegs angenehmen Contrast bilden. Felsen in den mannigfachsten Formen und verschiedenen Farben wechselten mit grünen Matten ab. Hinter uns breitete sich die Ebene weiter aus, begrenzt von Bergen, über denen der schneebedeckte Ararat majestätisch emporragte. Der Gesammteindruck ist großartig, sobald freundlicher Sonnenschein die Umgegend beleuchtet und mächtige, mit Lichtpunkten abwechselnde Schattenstreifen sich über die Landschaft ausbreiten. Das Schloß ist das einzige Gebäude von Bedeutung, das noch erhalten ist, alles Uebrige ist unbedeutend und zum Theil verwüstet. Die arme Stadt zählt gegenwärtig etwa noch 18,000 Menschen, meist räuberische Kurden und Armenier, und im ganzen Paschalik, welchem die Stadt den Namen gegeben, kommen durchschnittlich kaum 30 Seelen auf die Quadratmeile. – Meine Reisegefährten hatten nicht auf mich gewartet. [326] Als ich in der Stadt anlangte, waren alle schon in das Schloß voraus, wohin ich ihnen ohne Zeitverlust folgte. Durch ein prächtiges, im saracenischen Style erbautes Thor eingetreten, erinnerte Alles an die prachtvolle Bauart der Perser. Allenthalben reiche und erhabene Arabesken mit dem Löwen, den man hier wie in anderen Bauwerken der benachbarten vormaligen Prachtstädte antrifft. Schon die Gebäude im Schloßhofe waren schön, allenthalben überraschte mich die wahrhaft kühne Höhe der Bogen, sowie die Vorrichtungen, die man angewendet hatte, um den in den Gegenden einer südlicheren Sonne so nothwendigen Schatten hervorzubringen. Und doch war jede kleinste Einzelheit so schmählich zertrümmert, obwohl von einer Kunst und Pietät gearbeitet, die alle Anerkennung und Bewunderung verdiente. Weder in Moskau noch in Constantinopel habe ich etwas so Schönes wiedergefunden von Reichthum und Wechsel der phantasievollsten Ornamentik. Und was sind die Nachbildungen, die unsere geistlosen Nabobs meist für schweres Geld in ihren viereckigen Stadthäusern angeblich im Charakter dieser Alhambren aufführen lassen, gegen diese Originale! Nicht ihre Schatten! Man hatte fast Alles, was irgendwie von unersetzbarem Werthe geschienen, zerstört und teilweise weggeschleppt. Nur der herrliche Anblick, den das mit seinen grandiosen Formen wunderbare Bauwerk bot, hatte nicht vernichtet werden können. Selbst während ich in den unteren Schloßräumen umherpilgerte und Einzelheiten zeichnete, waren einige lumpige Türken und Armenier eben noch beschäftigt, die zierlich und reich gearbeiteten Eisengitter, welche bis auf wenige Cabinete in allen Räumen die Stelle von Glasfenstern vertraten, mit scharfen Instrumenten loszubrechen. Das Goldgetäfel und die kleinen Spiegel, die in drei-, vier- und achteckiger Gestalt verschiedentlich eingefügt gewesen waren, existirten nur noch in einigen Winkeln, und, was das Schmachvollste, den Orient vollständig Kennzeichnende war: das Geraubte hatte für die Räuber von kaum nennenswertem Gewinn sein können. Und wie viel Zeit, Mühe und wirkliche Kunst mußte es gekostet haben, alle diese Prachtbordüren und Ornanente der mannigfachsten Art in den zahlreichen Sälen, Cabrneten und Corridoren herzustellen!

Um in das Innere zu gelangen, mußten wir über eine wahre Barrikade von Trümmern klimmen, mit denen Zufall oder Absicht die weiteren Zugänge versperrt hatte. Dabei stürzte mir ein über vier Kubikfuß großer Stein entgegen und drohte mich zu zerschmettern, als ich ihn noch glücklich mit der Hand aufhielt. Ueberrascht, daß dies bei der Höhe, von der er herunterstürzte, möglich sein konnte, untersuchte ich das Trümmerstück genauer und fand, daß es aus den Ornamenten der oberen Gesimse stammte und aus einer Felsart leichter als Tuffstein bestand. Bei späterer näherer Prüfung ermittelte ich, daß fast das ganze Schloß aus diesem vorzüglichen, bald gelben, bald rothen Baumateriale errichtet war, das außer seiner Leichtigkeit noch die zwei sehr schätzbaren Eigenschaften hat, nicht an der Luft zu verwittern und doch so weich zu sein, daß es mit bloßen Messern zu den feinsten Bildwerken verarbeitet werden kann.

Mein Weg führte mich durch tiefe, halbverschüttete Mauergange, über elegant gewesene Treppen, in Kellerräume und dann wieder in die zierlichsten Boudoirs, in denen mich besonders die unbeschreiblich schöne Aussicht aus den Fensteröffnungen reizte. Ueberall fand ich Dinge, werthvoll genug, um wenigstens skizzirt zu werden. Um aber noch eine möglichst freie Uebersicht über das Ganze zu erhalten, stieg ich mit einiger Lebensgefahr auf eine Plattform, von der aus ich die Gegend zeichnete. Die Leser dieser Blätter müssen eben ihre Phantasie zu Hülfe nehmen, um eine Vorstellung dessen zu erhalten, was ich das Glück hatte mit leiblichen Augen zu sehen.

Es war ein herrlicher Herbsttag, die Luft war wie der klarste Aether, der Himmel tiefblau, und so konnte ich mich getrost dem rein künstlerischen Genusse des unvergleichlichen Blickes in die braune Steppenfläche hingeben. Vor mir lag Bajazid mit seinen kühngeschwungenen Berglinien, zur Linken erhob sich in meilenweiter Entfernung ein schroffes Felsengebirge, von der Rechten her grüßten mich der große und kleine Ararat, von denen aus sich leichtere Höhenzüge bis nach Bajazid hinzuziehen schienen. Aber nur die beiden Ararat reichten bis in die reine Höhe des ewigen Schnees, der mir niemals schimmernder und blendender erschienen war, als heute. Wahrscheinlich war die Beleuchtung Ursache, daß die untere Hälfte ähnlich braun nur zarter gefärbt als die Steppe erschien. Ein duftiges Blau floß in den Bergschluchten nieder und verzog sich in die tieferen Felsausbuchtungen unten in der Steppe. Die Großartigkeit der Natur dieser herrlichen Gegend, deren Genusse ich mich so ungestört hingeben konnte, die Majestät der Berge, die Tiefe und Stille der braunen Fläche, Alles, wohin ich den Blick schweifen ließ, wirkte wie ein magischer Zauber auf mein Gemüth. Welcher historische Schauplatz lag vor meinen Blicken ausgebreitet, und jetzt inmitten dieser großen Vergangenheit, dieser reichsten Staffage – der Mensch in seinem Elende! Die Stadt Bajazid wurde im Laufe der Zeit von russischen, persischen und türkischen Truppen verwüstet, und ihren Feenpalast, einst das Residenzschloß der erblichen Pascha’s den gleichnamigen Paschaliks, hat der Vandalismus zerstört. Zwanzig Jahre hatte sein Bau gewährt, die Steinmetzen waren aus Wan und die Baumeister und Maler aus Ispahan gekommen – fünfzig Jahre genügten, das Bauwerk in Trümmer zu legen.