Barnaby
[255] Barnaby. Planlos schlenderte ich eines schönen Tages durch die Straßen der Stadt, als ich, um eine Ecke biegend, durch ein langes Leinwandgebäude, dessen Außenseite mit weithin strahlenden Zinnoberschildereien geschmückt war, angezogen wurde. – Da trafen alle die wohlbekannten, nichtsdestoweniger aber höchst merkwürdigen Scenen das Auge des staunenden Zuschauers: – auf dem einen Bilde kämpfte ein Neger erbittert und erfolgreich gegen ein halbes Dutzend Panther und Leoparden, die sich sogar theilweise aus der freien Luft herniedersenkten, um ihr schwarzes Opfer dem Tartarus einzuverleiben; – auf dem andern Gemälde bemerkte man einen harmlosen Nilfahrer, der sich plötzlich von einigen wohlgenährten Krokodilen umringt sah, die den Rachen in einer Höhe aufsperrten, gegen welche sich selbst der Stephansthurm beschämt zurückziehen mußte; – kurz, ich stand vor einer Menagerie, die durch die draußen befestigten interessanten Tableaux der Schaulust des verehrten Publicums nachzuhelfen bemüht war. Nachdem ich den dicken Händen der dicken Frau, welche hinter der Blech-Cassette thronte, meinen Obolus überliefert hatte, trat ich ein, früh genug, um noch einige Productionen des Thierbändigers, der sich durch eine gewaltige Uhrkette, ein nichts weniger als courfähiges Hemde und ein höchst heiseres Organ auszeichnete, bewundern zu können. – Ich hörte, wie er den Königstiger witzreich mit Monsieur, den Bären schlechtweg mit Vetter anredete, opferte abermals meinen Obolus „zum Besten der Dienerschaft“ und überließ mich alsdann einem beschaulichen Umherflaniren in den ziemlich umfangreichen Räumen der Menagerie. – Die Papageien krächzten, die Löwen knurrten, die Affen schrieen – die Höllensymphonie, die in derartigen Tempeln zu ertönen pflegt, war im besten Gange. – Als ich aber in allerhand Reflexionen vertieft vor einem Käfig stand, der irgend ein räthselhaftes Thier barg, bemerkte ich eine behaarte Hand, die aus einem der benachbarten Gitterkasten hervorkam und mir emsig zu winken schien. – Pflichtschuldigst gehorchte ich dieser Aufforderung und befand mich gleich darauf vor einem Käfig, in welchem ein alter Mandrillaffe sein Domicil aufgeschlagen hatte, und eben diesem Mandrillaffen gehörte die Hand, die mir so einladend gewinkt hatte. – Als der alte Bursche sah, daß ich seiner gastfreundlichen Invite Folge leistete, nickte er befriedigt mit dem Haupte, die eine Hand wie zum Gruße an die Stirn legend, während er mir seine rauhe Rechte herablassend entgegenstreckte. Eine Höflichkeit ist der andern werth, dachte ich, und wechselte mit meinem neuen Freunde einen biedern Händedruck aus; augenscheinlich zufrieden mit mir, zog er die Pfote zurück, grinste mich huldvoll an und nickte mir mehrere Male mit seinem blauen Antlitz zu. – Mein neuer Bekannter war nicht schön, aber er besaß ein gewisses Etwas, das seine Häßlichkeit vergessen und mich begierig machte, Näheres über seine persönlichen Verhältnisse zu erfahren; eine logische Ideenfolgerung sagte mir, daß zu diesem Zwecke die Anknüpfung einer Conversation mit dem Wärter vermöge gangbarer Münze von Nöthen sei. – Ein anderweitiger Obolus setzte das erwünschte Zwiegespräch in Scene, und ich erfuhr nun Folgendes.
Der Mandrill hieß Barnaby und hatte der wechselvollen Schicksale genug erfahren. In zarter Jugend seiner tropischen Heimath entrissen, war er in den Besitz eines umherziehenden Savoyardenjungen gekommen, der ihm die ersten Elemente künstlerischer Ausbilbung hatte angedeihen lassen. Aus den Händen des Savoyarden war er in die eines renommirten Affentheater-Directors gewandert und unter der Anleitung dieses erfahrenen Mannes zu einem geachteten Künstler herangezogen worden. Barnaby hatte seiner Zeit auf dem Schwungseile und als dummer Rekrut aufrichtige Triumphe gefeiert, er war als betrunkener Matrose mit Enthusiasmus begrüßt worden und hatte als Diener der Madame Pompadour durch ungezwungene und decente Komik die Bewunderung der Kenner in allen nur denkbaren europäischen Haupt- und Nebenstädten erregt. Da hatte eines Tages der Affentheater-Director sein Geschäft aufgegeben, die einzelnen Mitglieder seiner Truppe an den Meistbietenden verkauft und Barnaby für eine ziemlich bedeutende Summe einem befreundeten Menageriebesitzer überlassen. Anfangs hatte sich der aus seiner glänzenden Künstlercarriere gerissene Mandrill hinter den rostigen Gitterstäben der Menagerie äußerst unglücklich gefühlt; er war an elegantere Umgebung und an feineren Umgang gewöhnt, als ihm die brüllende und grunzende Nachbarschaft gewähren konnte; später war er in eine Art von stummer Resignation verfallen, die ihn sich in das Unvermeidliche schicken hieß. Aber nie hatte er sich zu einem näheren Verkehr mit der übrigen Menagerie-Gesellschaft verstehen wollen, sondern in selbstbewußter Zurückhaltung seinen Rang und seine Bildung zu wahren gesucht. Nur mit Besuchern der Menagerie, aber auch nur mit solchen, die ihm in irgend einer Beziehung zu Kunst oder Literatur zu stehen schienen, liebte Barnaby umzugehen, eine Neigung, von welcher er mir kurz vorher den für mich schmeichelhaften Beweis abgelegt hatte.
Also ehemaliger Künstler, dachte ich, indem ich Barnabys gefurchte Stirn betrachtete, dereinst an die Acclamationen der Menge gewöhnt, in Zeitungen und Localblättern vergöttert und jetzt hinter die schmutzigen Stäbe gebannt, verdammt zur Gemeinschaft mit allerlei rohem und uncultivirtem Gesindel. Armer Barnaby! Barnaby kratzte sich kopfschüttelnd das Haupt, als ob mein Ideengang auch der seinige gewesen wäre, schüttelte mir melancholisch lächelnd nochmals die Hand, und so schieden wir vorläufig, offenbar als gute Freunde, und mit einander sympathisirend.
Ungefähr eine Woche später schritt ich wieder durch die Straße, in welcher die Menagerie aufgeschlagen war; schon aus der Entfernung bemerkte ich, daß sich zu der einen Bude noch eine andere gesellt hatte. Ich kam näher und las über der Thür des zweiten Zeltes mit mächtig langen Buchstaben die Worte: Niederländisches Affentheater. Armer Barnaby, dachte ich unwillkürlich wieder, ein Institut, ähnlich dem, in welchem du vormals wirktest, und noch dazu dicht bei deinem gegenwärtigen Kerker, der dir so recht aus Herzensgrund verhaßt sein muß! Armer, armer Barnaby! Unter diesen Reflexionen hatte ich, ohne es zu wissen, die Schwelle der Menagerie überschritten und befand mich plötzlich wieder der dicken Dame gegenüber, die mir mit ihren dicken Fingern bereits ein Billet entgegenstreckte. Ein Rückzug war unter diesen Umständen unmöglich; ich griff in die Tasche, bezahlte das Billet und trat ein. Mein erster Gang war natürlich zu Barnaby, aber wie hatte sich mein Freund in der kurzen Zeit verändert! Abgemagert und mit halb geschlossenen Augen lag Barnaby auf seinem Stroh, einen buntbeklebten Reifen an sein Herz pressend. Als er mich sah, richtete er sich ein wenig auf und bot mir, wie neulich, seine Rechte zum Gruß. Darauf legte er sich wieder nieder und schaute mich recht kläglich und wehmüthig an. Selbstverständlich trieb es mich, über den Zustand meines Freundes Aufklärung zu erlangen, und wieder mußte der bewußte Obolus den bewußten Wärter zu fließendem Redefluß bewegen. – „Ja,“ sagte der wackere Hauswart, dem eine ungewöhnlich rothe Nase ein etwas zweideutiges Aussehen verlieh, „ja, mit dem Vieh, dem Barnaby, ist das ’ne eigne Sache. Vor circa acht Tagen hat der Niederländer nebenan sein Affentheater aufgeschlagen, und man kann jeden Ton, den die Musikanten drüben spielen, bei uns hier deutlich hören. Nun blasen sie auch so ein Musikstück da drin, nach welchem die Affen immer tanzen, und als Barnaby das Getute zuerst gehört hat, da ist er rein toll geworden. Er sprang im Käfig hin und her, aber immer im Takt, uberschlug sich und tanzte, daß es zum Todtlachen war. Nachher aber legte er sich ruhig nieder, und seit der Zeit will das Vieh nicht mehr fressen. Blos, wenn sie nebenan [256] wieder das dumme Stück blasen, kiegt er Leben und fängt die alten Geschichten an. Ich habe ihm da schon den Reifen in den Käfig gethan, damit er’s bequem hat und sich tüchtig ausarbeiten kann. Ueberhaupt kann ich mir den ganzen Kram nicht anders, erklären, als daß das Musikstück dasselbe ist, nach welchem Barnaby früher seine Kunststücke gemacht hat. Wenn das Thier nur fressen wollte; so kann’s nicht mehr lange mit ihm weiter gehen.“
In dieser Weise sprach der Wärter mit der rothen Nase; ich aber stand sinnend vor dem Käfig und schaute das arme Thier an. Ja, so mußte es sein, der Wärter mußte Recht haben; das Musikstück von nebenan mußte Barnaby in irgend einer lebhaften Weise an seine glückliche Vergangenheit, an seine verflossene Künstlerperiode erinnern. Ruhig und unbeweglich lag der Mandrill da, mich schmerzlich mit den halbgeschlossenen Augen anblickend. Da plötzlich ertönte aus der Bude nebenan Musik; es war eine alte Quadrille, die sie im Affentheater spielten. Kaum hatte Barnaby die ersten Takte vernommen, als er sich lauschend aufrichtete. Wie um genauer zu hören, legte er die Hand an’s Ohr, sprang dann mit Zusammenraffung seiner erschöpften Kräfte auf und begann in wilder Hast nach dem Takte der Musik Bewegungen zu machen. Er tanzte wie Jemand, der auf dem Seil geht, sprang durch den Reifen, überschlug sich, stand auf einem Bein, das andere mit der Hand erfassend und hoch empor haltend – kurz, er machte alle nur möglichen Kunststücke und Verrenkungen, aber alles mit nur halbgeöffneten, todtmatten Augen und in fieberhafter Unruhe. Immer schneller wurden seine Bewegungen, immer wilder seine Sprünge, als mit einem Mal das Musikstück drüben aufhörte. Zugleich hörte aber auch der Affe auf; augenscheinlich total ermüdet kroch er zusammen; ein Drehen, ein Zucken – und mein Freund Barnaby war todt!