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Baumzucht

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Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Baumzucht
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 288-291
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[288]
Baumzucht.

Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne daß ers weiß, mit blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern, zu dem Hausfreund. „Die Kirschen,“ sagt er, „schmecken mir doch nie besser, als wenn ich selber frei und kek wie ein Vöglein auf den luftigen Baum kann sitzen, und essen frisch weg von den Zweigen die schönsten, – auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.“

„Wir nähren uns doch alle“, sagt er, „an dem [289] nemlichen großen Hausvaters Tisch und aus der nemlichen milden Hand die Biene, die Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rößlein und der Herr Vogt, der darauf reitet.“

„Hausfreund,“ sagt der Adjunkt, „singt mir einmal in eurer Weise das Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt.“

     Der lieb Gott het zum Frühlig gseit:
Gang, deck im Würmli au si Tisch!
Druf het der Chries-Baum Blätter treit,
viel tausig Blätter grün und frisch.

     Und ’s Würmli usem Ey verwachts,
’s het gschlofen in si’m Winterhuus,
es streckt si, und spert ’s Müüli uf,
und ribt die blöden Augen us.

     Und druf se hets mit stillem Zahn
am Blättli g’nagt enander no
und gseit: „Wie ist das Gemües so gut!
Me chunnt schier nimme weg dervo.“

     Und wieder het der lieb Gott gseit:
deck jez im Imli au si Tisch.“
Druf het der Chriesbaum Blüethe treit,
viel tausig Blüethe wiiß und frisch.

     Und ’s Immli siehts und fliegt druf los,
früeih in der Sunne Morge-Schin.
Es denkt: „das wird mi Caffe sy,
sie hen doch chosper Porzelin.

     Wie sufer sin die Chächeli gschwenkt!“
Es streckt si trochche Züngli dri.
Es trinkt und seit: „Wie schmeckts so süeß,
do mueß der Zucker wohlfel sy.“

     Der lieb Gott het zum Summer gseit:
„Gang, deck im Spätzli au si Tisch!“
Druf het der Chrießbaum Früchte treit.
Viel tausig Chriesi roth und frisch.

     Und’s Spätzli seit: „isch das der B’richt?
do sizt me zu, und frogt nit lang.
Das git mer Chraft in Mark und Bei’,
und stärkt mer d’Stimm zum neue Gsang.“

„Hausfreund,“ sagt der Adjunkt, „hat euch auch manchmal der Feldschütz verjagt ab den Kirschbäumen in eurer Jugend? Und habt ihr, wenns noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen, und Aepfel und [290] Nüsse eingetragen auf den Winter, wie meiner Frau-Schwiegermutter ihr Eichhörnlein, das sie euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist.“

Das geht natürlich zu, sagt der Hausfreund, man hat am längsten Zeit daran zu denken.

     Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:
„Ruum ab! sie hen jez alli g’ha.“
Druf het e chüele Bergluft gweiht,
und ’s het scho chleini Rife g’ha

     Und d’Blättli werde gel und roth
und fallen eis im andere no
und was vom Boden obsi chunnt,
muß au zum Bode nidsi go.

     Der lieb Gott het zum Winter gseit:
„Deck weidli zu, was übrig ist.“
Druf het der Winter Flocke gstreut –

„Hausfreund,“ sagt der Adjunkt, „ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl hätte ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum, oder Nußbaum, lieber ein Baum.“

Der Hausfreund sagt: „Adjunkt ihr seyd ein schlauer Gesell. Ihr denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt’ ich auch einen eigenen Garten, oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Hausthür wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen Kühlein auf seinen vier Beinen könntet ihr übel dran seyn.“

„Das ists eben“, sagt der Adjunkt, „so ein Baum frißt keinen Klee und keinen Haber. Nein er trinkt still wie ein Mutterkind den nährenden Saft der Erde, und saugt reines warmes Leben aus dem Sonnenschein, und frisches aus der Luft, und schüttelt die Haare im Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüthen, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die glücklichsten Geschöpfe, meynt der Adjunkt, wenn sie wüßten, wie frey und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehen bleibt und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Taback [291] genießt, oder ein Stücklein Käs, und wie sie gleich dem Kayser Wohlthaten austheilen können, und Jung und Alt froh machen umsonst, und im Winter allein nicht heimgehen. Nein sie bleiben draussen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fußpfade verschneyt sind. Rechts – jezt links – jezt noch ein wenig links über das Berglein.“

„Hausfreund,“ sagt der Adjunkt, „wenn ihr einmal Vogt werdet, Stabhalter seyd ihr schon, oder gar Kreisrath, das Alter hättet ihr, so müßt Ihr euere Untergebenen fleißig zur Baumzucht und zur Gottseligkeit anhalten, und ihnen selber mit einem guten Beyspiel voranleuchten. Ihr könnt euerer Gemeinde keinen größeren Segen hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesezt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig, wenn er aber groß ist, so ist er ein Kapital für die Kinder, und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.“

Wenn ich mir einmal so viel bei euch erworben habe, sagt der Adjunkt zum Hausfreund, daß ich mir ein eigenes Gütlein kaufen, und meiner Frau Schwiegermutter ihre Tochter heyrathen kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muß heißen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen, und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den Herrn Pfarrer oder den Dekan, und begrabe es unter sein Bäumlein, und wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie Auferstandene von den Todten in ihrer Verklärung da, voll Blüthen und Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab, und rufe leise hinab: „Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maytag bleibt dir auch nicht aus.“

Er ist kein unwäger Mensch der Adjunkt.