Bei- und Nachträge zu Knigge’s „Umgang mit Menschen“

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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Bei- und Nachträge zu Knigge’s „Umgang mit Menschen“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 686-687
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aerztliche Strafpredigten.
Bei- und Nachträge zu Knigge’s „Umgang mit Menschen.“

Was das „Gesund- und Krankheitliche“, das „Arzt- und Arzneiliche“ betrifft, da benehmen sich oft auch Gebildete recht ungebildet und zwar ebenso gegen ihre Aerzte, wie gegen ihre anderen Mitmenschen, obschon sie gegen sich selbst das rücksichtsvollste Benehmen in dieser Hinsicht von Andern beanspruchen und die gesellschaftlichen Formen vollkommen zu beherrschen meinen. Sie sollen in diesen Zeilen einmal tüchtig antikniggisch „geknigget“ werden.

I. Urtheile über ärztliches Wissen und Handeln zu fällen, unterstehen sich in der Regel Personen, die keine Idee von den in der Natur und im menschlichen Körper herrschenden Gesetzen haben. Sie sind bei Krankheiten Anderer gleich mit den Redensarten bei der Hand: „ja, der Kranke ist ganz falsch behandelt worden!“ oder: „hätte man nur Blutegel gesetzt und zur Ader gelassen!“ oder: „wäre nur gleich nach dem Herrn Dr. A. geschickt worden, denn der Herr Dr. B. hat die Sache vom Anfange an viel zu leicht genommen!“ oder: „in dem Falle würde gewiß die Homöopathie geholfen haben,“ u. s. f. – Um nun beiläufig auch wieder einmal auf die homöopathische Heilkünstelei zu kommen, so gibt diese die meiste Veranlassung zu albernen Behauptungen und Klugthuereien. Jeder Hans Toffel, der kaum das Wort „Homöopathie“ richtig auszusprechen vermag, maßt sich an, über den Werth oder Unwerth derselben zu urtheilen oder wohl gar selbst an Thier und Mensch herum zu homöopathisiren. Ja sogar den Verfasser, der doch die homöopathische Wirthschaft aus dem Fundamente kennt, erfrechen sich Hahnemaniaci, – Leute, die von Natur- und Heilwissenschaft weder Kix noch Kax verstehen und aberglauben, daß, wenn ein homöopathisch behandelter Jemand gesund wird, jene Behandlung schuld daran sei, – über die Wichtigkeit der Homöopathie aufklären oder gar wegen seiner Beleuchtung dieser Charlatanerie tadeln zu wollen. – Wer ein wirklich gebildeter und gesitteter Mensch sein will, der lasse hinführo sein voreiliges Urtheilen über Aerzte wie über Heilmethoden und behalte seine medicinische Naseweisheit für sich; er rede nur, wenn er in der Heilkunde gehörig zu Hause ist. Es ist und bleibt stets eine unartige Dreistigkeit und Unbescheidenheit, über Dinge zu entscheiden, die man nicht kennt und versteht. Man lasse sich lieber darüber von Sachverständigen belehren; das zeugt von Bildung und Gesittung.

II. Das Benehmen gegen den Arzt ist sehr oft von Seite der Patienten und ihrer Angehörigen ein solch’ ungebührliches, daß wir im Interesse der Arztheit nicht umhin können, uns darüber einmal gehörig auszusprechen. Ueberhaupt scheinen Viele den Arzt den Dienstleuten zuzuzählen, die sie nach Gefallen maltraitiren können. – a) Zuvörderst ist beim Kranken der Mangel an Vertrauen und Offenherzigkeit sehr tadelnswerth. Wir sprechen hier nicht etwa vom Verschweigen solcher Thatsachen, die auf den jeweiligen Krankheitsfall Bezug haben, denn das ist nicht blos tadelnswerth, sondern geradezu unverzeihlich, einfältig und nicht selten gefährlich. Es ist hier das heimliche und heimtückische Gebahren des Patienten hinter dem Rücken des Arztes gemeint. Anstatt nämlich demselben offen und ehrlich zu erklären, daß er einmal andere Helfer und Hülfsmittel in Gebrauch ziehen möchte, läßt er sich ganz ruhig von seinem Arzte tagtäglich besuchen, die Zunge besehen, den Puls befühlen und Recepte verschreiben, während er doch in der That den Rath eines andern befolgt. Ja, wenn sich ein Kranker ohne Vorwissen seines Arztes an einen Charlatan und Wunderdoctor (z. B. in Cöthen, Horburg, Goslar u. s. w.) wendet, dann ist’s allenfalls verzeihlich, wenn er’s verschweigt, denn einer solchen That muß sich allerdings jeder Gebildete schämen! – b) Eine andere Rücksichtslosigkeit, unter welcher der Arzt nicht selten zu leiden hat, betrifft das Bestellen desselben, was freilich bisweilen nur von den dämligen Boten abhängt. Daß bei plötzlich eintretenden und außergewöhnlichen Krankheitserscheinungen das sofortige oder doch baldige Erscheinen des Arztes am Krankenbette gewünscht und sicherlich vom Arzte auch nicht abgeschlagen wird, versteht sich ganz von selbst. Daß aber bei schon längern oder doch einige Zeit bestehenden und nicht eben verschlimmerten Leiden der Arzt zum eiligen Besuch aufgefordert, wohl gar dabei aus seiner Ruhe- und Erholungsstunde, manchmal sogar aus dem Schlafe gerissen wird, das ist unverschämt. Ja, manche Patienten, die sich recht gut selbst zum Arzt hin bemühen könnten, verlangen sogar dessen Erscheinen nach Viertel- und halben Stunden, gerade als ob der Arzt ihrer paar Groschen wegen auf ihre Befehle lauerte. – c) Ebenso verstößt es sehr gegen die Gesetze der Humanität und Artigkeit, wenn der Patient den besuchenden Arzt ohne dringenden Grund lange warten und antichambriren läßt. – d) Geradezu als unzurechnungsfähig und deshalb freilich als entschuldigt muß ein Kranker angesehen werden, wenn er darum seinen Arzt kurz und mürrisch, überhaupt unartig behandelt, wenn das Leiden nicht seinem Wunsche gemäß schnell genug weicht. Findet eine solche Behandlung aber auch von Seiten der nichtkranken Angehörigen statt, dann verdienen diese ihrer Beschränktheit und Ungezogenheit wegen eine derbe Zurechtweisung. – e) Sodann ist es ganz ungehörig, wenn Kranke oder deren Angehörige dem Arzte Vorschläge oder gar Vorschriften in Bezug auf die Behandlung machen. Das sollte doch jeder Verständige selbst fühlen, daß es für den Arzt äußerst beleidigend und ärgerlich ist, wenn er im Krankenzimmer von Laien hören muß: „Wäre nicht ein Dampfbad gut?“ – „Sollten nicht vielleicht Blutegel helfen?“ – „Verschreiben Sie doch etwas Magen- und Nervenstärkendes!“ – „Was halten Sie vom Schwitzen?“ – „Wollen Sie nicht einmal kalte Abreibungen probiren?“ – „Dürfte hier nicht der Magnetismus nützen?“ – In Berserkerwuth möchte der Arzt oft über das Gebahren der kranken und gesunden Laien gerathen, und doch soll er stets liebenswürdig, sanft und geduldig, theilnehmend und aufopfernd sein. Diese Selbstbeherrschung zehrt an der Leber und nagt am Herzen.

III. Eine häufige, nicht selten gefahrbringende Unsitte der Laien ist es, jedem Leidenden irgend Etwas, was Hansen oder Kunzen in einem ähnlichen Falle einmal geholfen haben soll, zu empfehlen oder gar zu verabreichen. Solche unberufene [687] Helfer in der Noth bedenken gar nicht, daß sie dadurch möglicher Weise Krankheiten in ihrem naturgemäßen Verlaufe stören und vielleicht gar tödtlich machen können, oder daß sie das Herbeischaffen rechtzeitiger ärztlicher Hülfe verzögern können. Sie mögen sich hiermit gesagt sein lassen, daß, was dem Schmiede helfen kann, dem Schneider oft schadet, und daß gar nicht selten ganz verschiedenartige Krankheiten so ziemlich dieselben Krankheitserscheinungen darbieten, so daß selbst der gebildete Arzt im Zweifel über die Natur des Uebels bleibt. – Wenn’s denn aber vom Laien durchaus gequacksalbert sein muß, dann schaffe sich der Curirwüthige wenigstens eine homöopathische Hausapotheke an (am liebsten vom Dr. Lutze in Cöthen, der seine Mittel noch mit einer Portion Lebensmagnetismus versetzt und eine Apotheke mit 40 Mitteln für 3 Thlr., eine solche mit 60 Mitteln für 5 Thlr., eine mit 80 Arzneien für 7 Thlr. und eine mit 135 für 10 Thlr. verkauft). Um sich dann in der Apotheke und in den Krankheiten zurecht finden zu können, bedarf es nur noch eines homöopathischen Haus-, Familien- oder Arzneischatzes (von den DD. Clotar Müller, Hirschel, Goullon, Hering, Lutze u. s. w.). Mit diesen nichtsnutzigen Heilhülfsmitteln wird dann wenigstens nicht unmittelbar, höchstens manchmal mittelbar, durch Vernachlässigung nothwendigen Untersuchens und rechtzeitigen Eingreifens, geschadet. Es ist dadurch aber doch jede alte Frau in den Stand gesetzt, homöopathisch zu heilkünsteln, und das macht Spaß.

IV. Ferner soll noch eine recht schlechte Angewohnheit Mancher gerügt werden, die, wenn auch von Seiten der Laien nicht schädlich, doch vielen Betheiligten sehr ärgerlich ist, die aber beim Arzte geradezu als verdammenswerth bezeichnet werden muß. Ich meine das Sichaufhalten über das leidende Aussehen Jemandes. „Fehlt Ihnen was? Sie sehen ja recht elend aus!“ – „Mein Gott, wie sind Sie blaß und mager geworden!“ – „Fühlen Sie sich unwohl? Sie schleichen mir so.“ – „Waren Sie krank?“ – Diese und ähnliche Redensarten schleudern Viele und noch dazu mit ganz theilnehmender Miene ihren Bekannten in’s Gesicht, und bedenken nicht, daß die Meisten eine derartige Theilnahme und Aufmerksamkeit zum Henker wünschen. Ja, es gibt so ängstliche und um ihr Leben und ihre Gesundheit besorgte Personen, daß sie durch eine solche Beileidsbezeigung wirklich in eine krankhafte Gemüthsstimmung versetzt werden können. Also behalte man den Eindruck, welchen ein leidend aussehender Bekannter auf uns macht, hübsch für sich und incommodire wenigstens den Leidenden nicht selbst damit. Schon das ist ennuyant, wenn Einer auf der Straße aller zehn Schritte angehalten wird und hören muß: „Aber werden Sie dicke!“ – Erlaubt sich nun gar der Arzt Bemerkungen über verändertes Aussehen Jemandes, und zwar diesem in’s Gesicht zu machen, dann kann diese Voreiligkeit recht leicht eine sehr schlimme Wirkung auf das Gemüth und den Gesundheitszustand dieses Jemand hervorbringen. So quälte einer meiner Freunde sich und seine Familie viele Jahre lang mit der fixen Idee, er müsse nächstens an Rückenmarksverzehrung zu Grunde gehen, und zu dieser seine Angehörigen sehr betrübenden, seinen Freunden allerdings sehr komischen Idee war er nur dadurch gekommen, daß ihm, dem jungen kräftigen Ehemanne, einst beim Baden ein geschwätziger unwissenschaftlicher Arzt eine Rückenmarksschwäche anschlabberte.

V. Schließlich sei noch der Unart gedacht, welche zumal bei hypochondrischen Männern und hysterischen Frauenzimmern unerträglich ist und darin besteht, daß wirkliche oder eingebildete Leidende ihren Krankheitszustand, wo’s immer nur geht, zum Thema der Unterhaltung zu machen suchen. Ist nun diese Unart in Laien-Kreisen schon widerwärtig genug, um wie viel ärgerlicher wird sie nicht erst dem von der Praxis ausruhenden Arzte, den jeder Nachbar, mag’s beim Biere oder Weine sein, angenehm zu unterhalten meint, wenn er ihm ausführlich die Geschichte seiner Hämorrhoiden, Flechten u. dgl. vorsetzt! Behaltet doch Eure Gebresten für Euch und incommodirt nicht Andere damit! Bedenkt: Artigkeit geht vor Schönheit und ziert den Jüngling wie den Greis!
Bock.