Bei den Preiskindern

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Titel: Bei den Preiskindern
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 618–620
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Bei den Preiskindern.

England ist die ursprüngliche Heimath der öffentlichen Ausstellungen. Kunst- und Industrieausstellungen, Blumen- und Fruchtausstellungen, Vieh- und Geräthausstellungen, Hühner- und Taubenausstellungen u. a. m. sind, nach seinem Vorgange, mittlerweile längst auch bei uns zu regelmäßig wiederkehrenden Vorkommnissen geworden, eine Art von Ausstellung aber hat bis jetzt anderwärts noch keine Nachahmung gefunden, sondern ist eine „berechtigte Eigenthümlichkeit“ der anglosächsischen Race diesseit und jenseit des atlantischen Oceans geblieben – die Ausstellung kleiner Kinder oder Babies, wie der Engländer sagt. Zu einer solchen führte mich vor wenigen Wochen mein Weg, und ich lade den Leser, mehr noch die Leserin, ein, mir freundlich dahin zu folgen, überzeugt, daß auch ihnen die Neuheit der Sache und des Schauspiels nicht ohne Interesse sein werde.

An der Westminsterbrücke stieg ich in eines der sogenannten Penny-Dampfschiffe, die um das geringe Fahrgeld von einem Penny pro Kopf den Omnibusdienst auf der Themse stromab und stromauf versehen, um mich nach den Gärten von Woolwich hinabtragen zu lassen, wo die Ausstellung veranstaltet war. Der Dampfer wimmelte bereits von Menschen, namentlich von Frauen. Alles wollte nach der Babyschau. Woolwich ist bekanntlich eines der größten Kriegsarsenale der Welt; hier hat die englische Regierung ihre gewaltige Fabrik von Zerstörungsmitteln, ihre Kanonengießerei, ihre Congreve-Schmiede, ihre Kugelgießereien, ihre Artilleriecaserne mit den Sammlungen von Geschütz- und Festungsmodellen aller Art und ihre berühmte Militärakademie, so daß man eines vollen Tages bedarf, um alle diese Etablissements und Institute nur einigermaßen in Augenschein zu nehmen. Heute aber lenkte sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf ganz andere, viel friedlichere und erfreulichere Dinge, auf den wunderhübsch angelegten Garten oder Park, welcher Woolwich umgiebt und einen der lieblichsten Plätze ausmacht, wo der Londoner, aus dem Getümmel seines rauch- und nebelvollen Häusermeeres entronnen, einen freien Nachmittag auf das Vergnüglichste verbringen kann; was im Westen der ungeheuern Metropole die vielgenannten Gärten von Cremorne sind, das sind die Anlagen von Woolwich im Osten, oder versprechen es wenigstens zu werden.

In diesen reizenden Umgebungen nun, inmitten eines saftstrotzenden, üppigen Baumgrüns, wie man es in gleicher Schönheit und Fülle nur in England sehen kann, war eine improvisirte Halle und daneben ein großes Zelt errichtet, und dahin wallten die Tausende, welche jetzt den Park erfüllten, denn in diesen beiden Räumlichkeiten hatte man die „Babies“ zur Schau ausgestellt. Offenbar bestand das Publicum, dem jeder neue Dampfer frische Menschenschaaren zuführte, der Mehrzahl nach aus Mitgliedern der unteren Gesellschaftsschichten, die „obersten Zehntausend“ waren blos in sehr sporadischen Erscheinungen vertreten. Dienstmädchen, Handwerker mit ihren Weibern und Kindern, junge Leute, welche zugleich ihr Absehen auf einen oder den andern der im Freien aufgezimmerten Tanzböden gerichtet haben mochten, bildeten den weitaus größeren Theil der Besucher.

Es war kein Leichtes, sich in diesem Menschenstrome fortzuarbeiten. Alles stürzte mit Ungestüm auf das eine Ziel los, und man mußte seine Ellenbogen ganz gehörig brauchen und seinerseits manchen Stoß und Puff ertragen, bis man sich an Ort und Stelle gewürgt hatte. Ich bin ein großer Kinderfreund, selten, daß ich auf meinen Wegen und Spaziergängen einem Kinde oder einer Kindergruppe begegne, ohne daß ich stehen bleibe und mich weide an diesen lieblichen Menschenknospen, ich hatte mich daher auf die Ausstellung wahrhaft gefreut. Aber – ich muß es gleich heraussagen, auch auf die Gefahr hin, daß man diesen Ausspruch unvereinbar finde mit meiner obigen Behauptung – das Schauspiel berührte mich durchaus nicht angenehm. So anziehend wie ein einzelnes kleines Kind oder eine Gruppe von Kindern auch ist, ein Durcheinander von den verschiedenartigsten Säuglingen und kleinen Kindern erscheint als das directe Gegentheil davon. Man denke sich etwa hundertundfünfzig „Babies“, von sieben Wochen bis zu achtzehn Monaten, versammelt, die, wie Ferkel in ihren Ställen, aus einem Gitter hervorsehen, hinter welchem die Mütter mit ihren Kleinen auf den Armen in langer Reihe saßen. Das Wetter war, ausnahmsweise in diesem winterhaften Sommer, drückend heiß und der Duft von gekochter Milch und Brei mischte sich mit der dampfenden Ausdünstung der eng zusammengepferchten Menge. Viele von den Kindern schliefen und lagen auf den Bänken oder auf den Knieen ihrer Mütter oder Pflegerinnen in Stellungen, die, grausig genug, an kleine Leichen gemahnten.

So viel ich mich erinnere, habe ich in der ganzen Ausstellung nur ein einziges hübsches Kind gesehen. Es war ein ungefähr [619] anderthalbjähriges kleines Mädchen mit hellen schwarzen Augen und einer Fülle dunkelen Haares, welches in unserer leidigen Chignonära für ein halb Dutzend erwachsener Damen hingereicht haben dürfte. Natürlich wurde die kleine Schönheit von allen Seiten geliebkost und gehätschelt. Man brachte ihr alle nur möglichen zuträglichen und unzuträglichen Süßigkeiten herbeigetragen und steckte ihr Pennys und Halbpennys in die dicken kleinen Händchen, so daß die anderen Mütter die glückliche Besitzerin der umworbenen Kleinen nicht blos mit nicht mißzudeutenden Zornesblicken ansahen, sondern ihrem Neid auch in manchen noch weniger zweideutigen Complimenten Luft zu machen suchten.

Waren also im Allgemeinen die Kinder nicht eben schön zu nennen, so gab es dagegen viele dicke und große und gesunde Babies unter ihnen. Eine Zigeunerin – der braune Teint, die dunkeln mandelförmigen Augen, das blauschwarze Haar und die schlanke Gestalt ließen keinen Zweifel über ihre Abstammung – trug in ihren Armen einen vollkommenen kleinen Hercules, so braun und frisch wie sie selbst und mit Augen, die den ihrigen an Glanz und Rastlosigkeit nicht viel nachgaben. In einer Reihe daneben zappelte und krabbelte ein volles Dutzend kleiner Ungeheuer, bei denen das Fleisch in förmlichen Wülsten an Armen und Beinen saß und die Backen vor Fett fast platzten. Als Widerspiel dazu waren erst sieben Wochen alte Drillinge ausgestellt, – arme schwächliche Geschöpfe mit flachen idiotischen Gesichtern. Sie hatten etwas Gespenstisches, diese unglückseligen Drillinge, ihr Anblick verfolgte mich durch die ganze Halle wie ein unheimlicher Geist. Mit ihren zusammengekniffenen Zügen schienen sie vorzeitig alt zu sein, und dennoch hatten sie etwas so Unfertiges und Unvollkommenes an sich, daß man sich wunderte, daß sie überhaupt da waren.

Die Ausstellung war übrigens eine Privatspeculation und die als vorzüglichst befundenen Kinder sollten mit verschieden abgestuften Preisen bedacht werden, ohne welche es in England bei dergleichen Gelegenheiten, bei einer Kunst- wie bei einer Hunde- und Kaninchenausstellung, ja niemals abzugehen pflegt. Preisschweine und Preiskinder stehen bei dem englischen Publicum ungefähr in gleicher Kategorie. Sämmtliche der in Woolwich zusammengebrachten Kinder waren folglich in der ausgesprochenen Absicht hierher verpflanzt worden, um einen oder den andern, vielleicht um mehrere dieser Preise zugleich, zu concurriren. Aber merkwürdig! die meisten dünkten mich in keiner Weise etwas Besonderes zu sein, weder durch Größe noch durch Kleinheit, kurz durch nichts, als freilich etwas sehr Anerkennenswertes – durch Reinlichkeit ausgezeichnet, eine Bedingung, von welcher der Unternehmer die Einverleibung in seine Ausstellung abhängig gemacht hatte. Auch die Mütter waren höchst sauber und nett gekleidet, obschon sie, der Mehrzahl nach, offenbar in sehr ärmlichen Verhältnissen lebten und ihre Kleinen einzig und allein um jener Geldpreise willen zur Ausstellung gebracht hatten. Außerdem hatte sich der Entrepreneur des Ganzen verbindlich gemacht, während der Dauer seiner Schau die Weiber mit der nöthigen leiblichen Atzung zu versorgen, und die Aussicht auf unbeschränkte Quantitäten von Thee und Porter war jedenfalls ein mächtiges Lockmittel für die Ausstellerinnen gewesen.

Wie ich sofort bemerkte, waren beinahe alle diese Mütter vom Lande gekommen, die Stadt London selbst befand sich in entschiedener Minorität dagegen. Sammt und sonders aber schienen sie mir mit der Sache sehr zufrieden zu sein, erfreut über die Aufmerksamkeiten, welche die Besucher ihren Kleinen erwiesen, noch mehr zufrieden jedoch, wenn dergleichen Aufmerksamkeiten die Gestalt pecuniärer Spenden annahmen, wie geringfügig dieselben auch sein mochten. Ebenso sprach mir seinerseits der Unternehmer, ein gewisser Mr. Holland, seine Zufriedenheit mit den Ausstellerinnen aus und fügte den verheißenen Geldpreisen, die von fünf bis zu fünfzehn Pfund stiegen, freiwillig noch Prämien von silbernen Bechern hinzu. Das Resultat seiner Speculation mußte mithin seine Erwartungen übertroffen haben.

Die Idee der Kinderausstellungen ist übrigens amerikanischen Ursprungs, dem erfinderischen Kopfe des großen Humbugkünstlers Barnum entflossen, der, wie meine Leser wissen, so manches eigenthümliche Unternehmen erdacht und in Scene gesetzt hat. Als er vor einigen Jahren zuerst mit dem Project einer Baby-Schau herausrückte, fand man den Gedanken über die Maßen excentrisch; keine Mutter würde sich ja, das wandte man an erster Stelle dagegen ein, herbeilassen, ihre Kinder öffentlich auszustellen, und sodann dürfte kein Mensch geneigt sein, Geld auszugeben, um die etwa zur Schau gebrachteu kleinen Kinder zu besichtigen. Beide Besorgnisse erwiesen sich als grundlos, und jetzt ist in der That keine andre Ausstellung in England so leicht in’s Leben zu rufen und in gewissen Kreisen so beliebt geworden wie diese Babyschaustellungen Barnum’scher Erfindung. Um unsre Ausstellung in Woolwich in’s Werk zu richten, kündigte ihr Urheber sein Vorhaben blos in einigen englischen Provincialblättern an, und alsbald waren ihm über zweitausend Kinder dazu offerirt, und am Tage, an welchem die Schau eröffnet wurde, erschienen zweitausenddreihundert Mütter mit mindestens derselben Anzahl von kleinen Kindern an den Pforten des Gartens, manche davon aus einer Entfernung von fünfzig und mehr deutschen Meilen. Die meisten dieser Kinder waren für den beabsichtigten Zweck nicht zu gebrauchen, und es mußte das den Frauen begreiflich gemacht werden. Allein dies war eine trostlose Aufgabe. Die Weiber schrieen, die Kinder schrieen und Lärm und Tumult wurden bald so arg, daß der erschrockene Entrepreneur sich vor dem tobenden Haufen verstecken mußte. Mehrere Stunden vergingen, ehe man das Terrain von den überflüssigen Babies gesäubert und die glücklichen Auserwählten behufs ihrer Inspection seiten des Publicums in zwei Reihen formirt hatte. Wie groß der Andrang des letztern war, erhellt aus der Thatsache, daß in den vier Tagen, während welcher die Ausstellung geöffnet blieb, über dreitausend Personen dieselbe besucht haben sollen. Das Eintrittsgeld betrug einen Schilling, rechnet man hierzu, daß auch der Erlös aus den nicht eben sparsam genossenen Erfrischungen und Herzstärkungen in die Tasche des Veranstalters fiel, so muß das Unternehmen als Finanzspeculation gewiß ein vollkommen gelungenes genannt werden.

Desgleichen haben die vier Tage den Müttern und ihren Kindern zu offenbarem Gewinn gereicht. Eine halbe Woche freies Essen und Trinken und die Chance, nach Ablauf dieser Zeit fünf oder zehn, ja im glücklichsten Falle selbst fünfzehn Pfund Sterling obendrein zu verdienen, und zwar lediglich dadurch, daß man auf dem Stuhle sitzt und sein Kind nährt – das ist eine Perspective, die sich dem armen Weibe selten aufthut, und darum nicht zu verwundern, wennn sie mit beiden Händen ergriffen wurde. Ueberdies waren die Kinder selbst während der vier Ausstellungstage unbestritten besser daran, als sie es jemals zu Hause gewesen sein mochten: besser getränkt und gespeist und reinlicher gehalten; für sie zumal ist also die Ausstellung als eine wahre Glücksepoche im Leben zu bezeichnen.

Auch in dieser Beziehung läßt sich somit gegen die Idee der Kinderausstellungen nichts Erhebliches einwenden. Ein Anderes ist es hinsichtlich des zuschauenden Publicums; nach meiner Ansicht ist dies der einzige Theil, welcher dabei verliert, denn, ich wiederhole es, das Schauspiel entsprach meinen Erwartungen bei Weitem nicht und schien mir in der That des angewandten Schillings kaum werth zu sein – vielleicht, weil ich mir unter „Preiskindern“ und namentlich unter englischen Preiskindern, nach der Menge prächtiger, rosiger, von Gesundheit und Leben strotzender Kinder, die man in den öffentlichen Londoner Parks, in den Squares und auf den Promenaden sich tummeln sieht, etwas absonderlich Vollkommenes von Kindergenre zu finden hoffte.

Die mit zuschauenden Frauen und Mütter, welche, wie bereits erwähnt, uns anwesende Männer an Zahl mindestens um das Doppelte übertrafen, schienen freilich anderer Ansicht zu sein. Für sie hatte die Ausstellung unbestritten das allergrößte Interesse, denn sie verglichen im Stillen die Preisbabies mit ihren eigenen Kindern zu Hause. Man sah dies an der gespannten Aufmerksamkeit, mit welcher sie sich jedes einzelne Kleine hinter den absperrenden Gittern betrachteten, man hörte es aus dem eifrigen Geflüster, das sie mit einander unterhielten, und das triumphirende Lächeln und Kopfschütteln, womit in der Regel ihre Unterhaltung endete, deutete klar genug an, wie sehr die Parallele zu Gunsten ihrer eigenen Sprößlinge ausfiel. Viele dieser zuschauenden Mütter begnügten sich natürlich nicht mit dem bloßen Ansehen der ausgestellten Kleinen, sie wollten sie vielmehr nach allen Dimensionen hin gründlich befühlen und auf den Armen wägen. Die Babies mußten nicht selten die Runde durch die ganze Halle machen, ehe sie ihren natürlichen Pflegerinnen restituirt wurden.

Mir wurde angst, daß nicht am Ende eine allgemeine Säuglingsverwechselung die Folge dieser, beiläufig, von einem ohrenzerreißenden vielstimmigen Schreiconcerte begleiteten Wanderungen [620] sein möchte, und ich hielt mit meiner Besorgniß nicht zurück. Damit hatte ich indeß das Signal zu einem furchtbaren Sturm gegeben, der über mich hereinbrach. Der Mutterstolz fühlte sich durch meine Aeußerung gekränkt und erhob ringsum energischen Protest. „Ob ich meinen Baby nicht wieder erkennen werde, und wenn Hunderttausende von Kindern da wären!“ schrie mich eine riesige Bäuerin aus Yorkshire an und machte Miene, aus dem Gitter herauszutreten und mir mein Unrecht handgreiflich zu demonstriren, wie mir schien. „Das kann nur ein ‚Foreigner‘ (Ausländer) behaupten,“ eiferte eine Andere, und von rechts und links drangen wüthende Blicke auf mich ein. Schon fürchtete ich eine Scene wie bei Eröffnung der Ausstellung, wo der Unternehmer sich hatte flüchten müssen, und wollte mich meinerseits ebenfalls in Sicherheit bringen, da ward plötzlich die allgemeine Aufmerksamkeit nach anderer Seite hin abgelenkt. In höchster Aufregung drängte sich eine Frau in den Saal, und ein Polizeidiener ihr nach. Ihr Kind, welches sie als „einen sehr schönen, großen kräftigen Knaben“ beschrieb, war der Unglücklichen in der Nacht vorher aus ihrer Wohnung gestohlen worden, und auf der Polizeistation, wo sie davon Anzeige gemacht, hatte man gemeint, vielleicht habe es eine kühne Speculantin genommen und auf die Ausstellung nach Woolwich gebracht, um sich damit einen Preis zu gewinnen. Die Idee schien ganz plausibel zu sein, und da war nun die arme Mutter und ging in ihrer Herzensangst von Kind zu Kind. Sie sah sich jedes einzelne auf das Genaueste an, allein das ihrige war nicht unter den Hunderten, und bitterlich schluchzend zog das Weib unter dem Geleite ihres Schutzmanns wieder ab, von einer Fluth nicht eben liebsamer Titulaturen verfolgt, denn sämmtliche Ausstellerinnen sahen sich durch den Zwischenfall schwer an ihrer Ehre gekränkt.

Inzwischen war es Abend geworden, und einzelne Männer erschienen, um Frauen und Kinder nach Hause zu holen. Wie ich erfuhr, waren das jedoch nicht etwa die Väter der ausgestellten Kleinen, sondern die Brüder oder Vettern der Ausstellerinnen, die Väter hielten sich, vielleicht aus gerechter Scheu, von dem Schauspiele fern. Jedenfalls vermißten wir ihre Abwesenheit nicht. Alle Mütter nämlich, die wir danach fragten, erklärten ohne Ausnahme, ihre Babies seien die leibhaftigen Abbilder der Herren Papas, und wir hatten schon an dem Anblick der Kinder genug, um uns nicht nach dem der Väter zu sehnen.

Auch das Publicum entfernte sich allmählich, wie mich dünkte und wie ich zur Ehre des englischen Volkes constatiren zu können glaube, im Allgemeinen nicht sehr erbaut von der Ausstellung. Wenn es sich des Eindrucks auch nicht klar zu werden schien, ein dumpfes Gefühl mochte Alle durchdringen, daß diese aus bloßer materieller Speculation unternommenen öffentlichen Schaustellungen des Theuersten, was der Mensch auf Erden besitze, wenn sie auch nicht gerade unmoralisch zu nennen sind, doch unseren menschlichsten und darum heiligsten Empfindungen Hohn sprechen.

Ich aber fuhr mit der stolzen Ueberzeugung die Themse hinauf nach Hause, daß dergleichen Kinderausstellungen bei uns in Deutschland niemals Nachahmung finden und noch viel weniger Popularität gewinnen werden, obschon mindestens eine gute Seite derselben sich nicht in Abrede stellen läßt: sie tragen unleugbar dazu bei, daß, wenn gleich lediglich in Aussicht auf mögliche pecuniäre Vortheile, für die nothwendigste Grundlage alles künftigen leiblichen und geistigen Wohlbefindens, die Gesundheitspflege der Kinder, größere Sorge getragen wird, als dies, ohne solchen Anreiz, in den hier zunächst in Frage kommenden Schichten der Gesellschaft sonst der Fall sein würde. Und aus diesem Grunde sei unserm Verdammungsurtheile über die „Baby-Shows“ wenigstens die Abschwächung der „mildernden Umstände“ bewilligt.