Bei der Thränenquelle

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Textdaten
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Autor: K. v. R.
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Titel: Bei der Thränenquelle
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 412–415
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Beim „Tränenbrunnen“ im Khanpalast in Bachtschyssaraj
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[412]
Bei der Thränenquelle.


Als ich vor einigen Jahren die südliche Krim besuchte, führte ein russischer Freund, der für mehrere Wochen sich mir als Reisegefährte angeschlossen hatte, in der ehemaligen Tatarenhauptstadt Baktschisarai (d. i. Gartenschloß) mich zum Palast der Khane und hier sofort zu einem Heiligthum seiner stillen Verehrung. In einer der vielen hohen Vorhallen, die im glanzstrahlenden Hofe des ungeheuren Gebäudes vor den Sälen und zahllosen Gemächern sich wölben und in welchen viele Fontainen auf blühendweiße und reichvergoldete Marmorbecken niederrauschen, blieb er vor einer der letzteren stehen. Das Wasser derselben quoll ruhig aus der hohen Säule und fiel aus dem obersten Becken, in welchem es sich sammelte, in zwei andere, in welchen es sich theilte,

[413]

Die Gräber der Tatarenkhane in Baktschisarai.
Nach der Natur aufgenommen von A. Lavezzari.

[414] indem es nun in mehr und immer mehr Schüsselchen auseinanderfloß, bis es endlich nur noch in einzelnen Tropfen langsam abrinnen konnte.

„Hier,“ sprach mein Freund, „stehst Du vor dem Brunnen der Thränen, die er noch heute, wie vor hundert Jahren, nur tropfenweise vergießt und die dennoch den Stein, auf welchen sie fallen, in dieser Zeit zum Becken ausgehöhlt haben. Gerade so sind sie einst aus den schönen Augen der Maria Potocka geflossen, jener polnischen Gräfin, deren wunderbare Reize den gewaltigen Khan Krim Gherai zum liebeflehenden Mann umwandelten. Von einem der vielen Verheerungs- und Raubzüge, zu welchen hier, vor den Thoren ihrer Residenz, die Tataren-Khane der Krim ihre Reiterschaaren versammelten und vor denen Türken und Polen zitterten, ja die oft genug selbst Moskau in Schrecken setzten, brachte der Khan Krim Gherai die schöne Gräfin als Gefangene heim und hörte von diesem Augenblicke auf, Rosse und Waffen allein zu lieben. Alles, was nur die innigste Zuneigung ersinnen kann, wandte er auf, um sich die Huld seiner Schönen zu erwerben. Im Paradiese der Krim, in der blumen- und quellengeschmückten Stadt Baktschisarai, führte er sie in die prachtvollsten Gemächer seines Schlosses und machte sich zum Diener aller ihrer Wünsche; ja, sogar eine christliche Capelle ließ er ihr bauen und katholische Priester kommen, damit ihr Herz sich zu ihrem Gott wenden könne, gewiß das Aeußerste, zu welchem einen Nachkommen Dschingiskhan’s, des Christenverfolgers, die glühendste Liebe vermögen konnte. Aber jeder Liebesthat begegnete ihr Haß, die Sehnsucht nach der Heimath und ihren Lieben verschloß ihm den Weg zu ihrem Herzen. Hier, an dem Brunnen der Thränen, war ihr liebster Aufenthalt; sie weinten mit einander in ein Becken, – und fast schien es, als ob der gefürchtete Held von Tausenden von Kriegern zum Dritten im Bunde der Thränen werden sollte. Denn des Khans Liebe blieb grenzenlos, sein Heldensinn hatte nur noch ein Ziel: die Besiegung ihres Kummers. Da mußte es auch in ihrem edlen Gemüthe zum Wandel kommen: an des Hasses Stelle trat das Mitleid, und schon bahnte die Achtung vor seiner Seelengröße, wenn auch über Dornen, den Rosenweg zur Liebe, – als die Eifersucht allen Kämpfen ein Ende bereitete. Eine Georgierin, des Khans frühere Favoritin, ermordete die schöne Maria. Wie seine Liebe war nun auch des Khans Schmerz und Rache grenzenlos. Er ließ alle Frauen seines Harems enthaupten und die Mörderin von Pferden zerreißen. Und nachdem er über die irdische Hülle der Maria Potocka ein Grabmal mit aller Pracht des Orients erbaut, verließ er die Stätte seiner Qualen, bestieg sein Schlachtroß und durchzog die Länder seiner Feinde an der Spitze seiner wilden Reiterschaaren mit Feuer und Schwert, bis er den Tod im Kampf gefunden. – Das ist nun hundert Jahre her. – Die Geschichte hat dies nicht verzeichnet und verweist es in das Gebiet der Sage, aber die Poesie hat der Geschichte dieser Herzen sich angenommen und Puschkin, den russischen Byron, zu seiner schönsten Dichtung begeistert, seiner ‚Thränenquelle‘.“

Puschkin’s Dichtung ist leider noch lange nicht in so weiten Kreisen bekannt, als sie es verdient, aber sein Name besitzt Glanzes genug, um einen Widerschein auch in diese Räume zu werfen, die er verherrlicht hat. Vor zehn Jahren zog allerdings die taurische Halbinsel in Folge des türkenfreundlichen Kriegs der Westmächte gegen Rußland die Augen des gesammten Abendlandes mehr auf sich, als heute; die Donner der Gladiatorenkämpfe von fünf Nationen nach dem Willen ihrer Machthaber sind verhallt, und mit dem letzten Todten ward auch das Interesse für die Gegenwart des Landes begraben. Dagegen lebt hier ein Stückchen Morgenland treugepflegt fort, das zu allen Zeiten die Blicke sinniger Beschauer von Völkerlebensbildern auf sich lenken wird; auf dieses uns aufmerksam gemacht zu haben, ist das Verdienst unseres Reisemanns Kohl, dessen Schilderungen schon Manchen, und auch mich, nach einem vorher kaum geahnten Reiseziel in Bewegung gesetzt, und zu diesem lassen nun auch unsere Leser sich gern hinführen.

Wir wandelten weiter in den Höfen und Galerien des alten Palastes, in welchem über dritthalbhundert Jahre, bis 1784, wo die russische Kaiserfahne auf seinen Zinnen aufgepflanzt wurde, die Fürstenthrone jener Mongolen standen, welche im dreizehnten Jahrhundert die von der Völkerwanderung dorthin geschleuderten Trümmer der Alanen, Gothen, Kumanen und anderer Stämme unterjochten und die taurische Halbinsel zur „Krim“ (Krym), d. h. Festung, ihres Reichs machten. Alle Spuren früheren Völkerdaseins sind verschwunden, von Cimmeriern und Scythen spricht kein Stein mehr, nur die Dichtkunst hat Thoas, den taurischen König, und Iphigenia, die ihrem Bruder Orestes und dessen Freunde Pylades zu Liebe einst dort die Menschenopfer abgeschafft haben soll, im Gedächtniß der Nachwelt erhalten; versunken sind die Mauern der griechischen Städte, die einst am Gestade der Halbinsel blühten, mühsam sucht man aus den Münzen, die der Boden verbarg, die Geschichte des Bosporanischen Reichs zu ergründen, selbst ein Mithridates hinterließ kein Denkmal seines pontischen Königthums, und die Werke der Römer überdeckte die Fluth der Völkerwanderung. Eine so reiche Vergangenheit – und dennoch ein für die Kunde der Vorzeit verödetes Land! – Nur durch die Mongolen oder Tataren hat sich ein Bruchstück des alten Völkerlebens der Krim bis auf die Gegenwart erhalten.

Nachdem nämlich Potemkin die Unterjochung des Landes in seiner Weise vollendet, ersah die kluge Kaiserin Katharina als das beste Mittel, das Volk ihrem Willen fügsam zu machen, die Schonung seiner nationalen Eigenthümlichkeit und der Stätten seiner besondern Verehrung. Vor Allem wurde der Palast der Khane und die Moschee desselben, die größte und herrlichste von Baktschisarai, in ihrer überkommenen Gestalt und Pracht sorgfältig erhalten, ja die Stadt selbst den Tataren zum alleinigen Wohnsitz angewiesen. Die meisten der hier wohnenden Russen tragen als Beamte oder Militärs die Uniform des Kaisers. Alles übrige Leben ist echt tatarisch geblieben. Wie zur Zeit, wo sie den Pflug scheuten und auf Kosten ihrer Nachbarn nur „als Helden“ lebten, erfüllt noch heute die Stadt mit ihren etwa zwölftausend Bewohnern ein heiteres, ewig von Musik, Gesang und Tanz angeregtes Treiben und halten Sitten und Trachten der Männer und Frauen sich von jedem europäischen Culturanflug fern. So ist es denn gekommen, daß, wenn heute die alten Khane wiederkehrten in ihr Schloß, sie wenig verändert finden würden; die Gärten prangen im alten paradiesischen Schmuck der Blumen und Quellen, die Kuppeln und Minarets der Moschee ragen noch wie einst gen Himmel; in den Sälen hängen noch die alten Tapeten an den Wänden, die Rohrdecken liegen noch auf den gedielten Fußböden, die grünen und rothen Divans laden noch immer zu traulichem Niederlassen ein und der große Rathssaal ist jeden Augenblick bereit, um den Khan die Männer seines Vertrauens zu versammeln. Nur der Harem steht öde, leer und verlassen da zwischen seinen hohen Mauern, und von dem Lugthurm desselben blicken nicht mehr sehnsüchtige Frauenaugen zu den lockenden Bergeshäuptern hinüber oder hinab in die fröhlichen Gassen der Stadt.

Und wenn die alten Khane wiederkehren könnten, sie hätten’s gar nicht so weit, denn alle sind hier noch versammelt, nur in einem besonderen Garten.

Mein Freund führte mich zum Abschluß unserer Wallfahrt durch die Morgenlandspracht dieses von der Natur so wunderbar bevorzugten Fleckchens der Halbinsel zu dem eingeschlossenen Raum hinter der Moschee. Da wars recht still, trotz der zahlreichen Versammlung. Im Schatten Allah’s ruhen hier die Fürsten und Großen des tatarischen Volkes. Die irdischen Reste der Familie Gherai, welche zuletzt die Freuden des Herrschens genoß, haben ihre Stätten in zwei Grüften gefunden, wo etwa zwanzig theils hölzerne, theils marmorne Särge stehen. Eine weit größere Anzahl derselben hat es vorgezogen, zum letzten und längsten Schlafe sich im Freien niederlegen zu lassen. Hier ist’s wunderschön. Durch Weinranken und Blättergrün schaut der blaue Himmel auf die blumigen Gräber und verscheucht alle Trauer, denn die Zeit der Thränen ist hier vorüber, seitdem es keine Khane mehr zu bestatten giebt. Hier ist nur noch historischer Boden unter doppeltem Schutz: des Volkes Verehrung und Rußlands Hut. Darum wunderte ich mich nicht über die Unveränderlichkeit der Marmorbeete in diesem Garten, sondern freute mich wie ein Engländer, der in seinem Murray Alles richtig so findet, wie er’s vor sich sieht, darüber, daß selbst der Krimkrieg der Wahrheit der Kohl’schen Beschreibung dieser Gräber keinen Eintrag gethan hat. Sie standen wirklich so da, all die oben offenen Marmorkästen, welche die Erde für die schönsten Blumen beherbergten, und die hohen Seitenplatten zeigten noch immer an der Form ihrer oberen Enden, je nachdem sie einen Turban oder eine persische Frauenmütze darstellte, wer darunter schlummere, ob ein männliches oder weibliches Wesen. Die Inschriften sind [415] Meisterstücke an Schärfe und Schönheit der Züge. Auch die von Kohl aufgeführten fand ich heraus. Sie alle lassen wohl wünschen, daß der Todtengarten der Khane ein Reiseziel recht vieler Fürsten werden möge, von denen Mancher vor der Tatarenweisheit ihrer Grabsprüche sich beugen dürfte. Hier ruht Dewlet Gherai Khan unter einem Grabmal ohne Dach, und die Inschrift seines Marmors sagt es, warum? „Weil er den Himmel so schön und erhaben fand, daß er beständig aus seinem Grabe nur ihn, die Wohnung Gottes, zu sehen wünscht.“ Und hier liegt Toktamüsch Khan, der auf seinem Grabe statt Denkmals einen Weinstock zu pflanzen befahl, – „damit er, der Fürst, wenigstens im Tode die Früchte bringe, an welchen sein Leben so arm sei.“ Dort hat Selim Gherai Khan sich unter die Regentraufe des Daches der Moschee bestatten lassen, und sein Grabspruch gesteht es ehrlich, – „weil er hoffe, daß das Wasser des Himmels ihn mit der Zeit rein waschen könne vom Schmutze seiner Sünden, deren er so viele zu haben glaube, als Tropfen aus einer Wolke fallen.“ Und wiederum ein Anderer dieser Tatarenfürsten gebot, seine Grabstätte ringsum zu vermauern, nicht etwa, um von der Welt möglichst sicher geschieden zu sein, nein, sondern – „weil er sich nicht werth fühlte, auch nur vom kleinsten Strahle der Sonne beschienen zu werden.“

Wahrlich, die menschlich schöne Freude an der Himmelsherrlichkeit und die herzensehrliche Demuth, die aus diesen Sprüchen redet, ist es allein schon werth, daß wir das Bild, das diesen Artikel schmückt, mit erhöhter Theilnahme betrachten und dem Künstler dafür unsern besondern Dank sagen.

K. v. R.