Bemerkungen zum Prinzip der Aktion und Reaktion in der allgemeinen Dynamik

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Autor: Max Planck
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Titel: Bemerkungen zum Prinzip der Aktion und Reaktion in der allgemeinen Dynamik
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aus: Physikalische Zeitschrift, 9. Jg., Nr. 23, S. 828–830
Herausgeber: E. Riecke; H. Th. Simon
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1908
Verlag: S. Hirzel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
auch erschienen in den Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 10. Jg. 1908, S. 728–732 Internet Archive
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[828] Max Planck (Berlin-Grunewald), Bemerkungen zum Prinzip der Aktion und Reaktion in der allgemeinen Dynamik.

Das Newtonsche Prinzip der Gleichheit von Aktion und Reaktion hat bekanntlich zum eigentlichen Inhalt den Satz der Konstanz der Bewegungsgröße oder des Bewegungsimpulses; ich möchte daher von jenem Prinzip auch nur im Sinne dieses Satzes reden, und zwar in seiner Bedeutung für die allgemeine Dynamik, welche nicht nur die Mechanik im engeren Sinne, sondern auch die Elektrodynamik und die Thermodynamik umfaßt.

Vielen von uns ist wohl noch in Erinnerung das Aufsehen, das es erregte, als H. A. Lorentz bei seinem Aufbau der atomistischen Elektrodynamik auf der Grundlage des ruhenden Äthers dem dritten Newtonschen Axiom die Allgemeingültigkeit absprach, und es konnte nicht fehlen, daß dieser Umstand, so z. B. von seiten H. Poincarés, als ein schwerwiegender Einwand gegen die Lorentzsche Theorie geltend gemacht wurde. Eine Art Beruhigung trat erst wieder ein, als sich zeigte, besonders durch die Untersuchungen von M. Abraham, daß das Reaktionsprinzip doch noch zu retten ist, und zwar in seiner vollen Allgemeinheit, [829] falls man nur außer der bisher allein bekannten mechanischen Bewegungsgröße noch eine neue Bewegungsgröße, die elektromagnetische, einführt. Abraham hat das noch näher dadurch plausibel gemacht, daß er die Erhaltung der Bewegungsgröße in Vergleich brachte mit der Erhaltung der Energie. Ebenso, wie das Energieprinzip verletzt wird, wenn man auf die elektromagnetische Energie keine Rücksicht nimmt, und erfüllt wird, wenn man diese Energieart einführt, so wird das Reaktionsprinzip verletzt, wenn man allein die mechanische Bewegungsgröße betrachtet, dagegen erfüllt, sobald man noch die elektromagnetische Bewegungsgröße berücksichtigt.

Indessen läßt dieser an sich gewiß unanfechtbare Vergleich doch noch einen wesentlichen Unterschied unberührt. Denn bei der Energie kennen wir ohnehin schon eine ganze Reihe verschiedener Arten: die kinetische Energie, die Gravitation, die elastische Deformationsenergie, die Wärme, die chemische Energie, und es bedeutet daher keine prinzipielle Neuerung, wenn man diesen verschiedenen Formen als eine weitere Form noch die elektromagnetische Energie angliedert. Dagegen bei der Bewegungsgröße kannte man bisher nur eine einzige: eben die mechanische. Während die Energie von vornherein schon einen universellen physikalischen Begriff darstellt, war die Bewegungsgröße bisher speziell ein mechanischer Begriff, das Reaktionsprinzip ein speziell mechanischer Satz, und daher mußte die als notwendig erkannte Erweiterung immerhin auch als eine Umwälzung prinzipieller Art empfunden werden, durch welche der bisher verhältnismäßig einfache und einheitliche Begriff der Bewegungsgröße einen erheblich komplizierteren Charakter erhält.

Ist es nun nicht möglich, auch vom Standpunkt der allgemeinen Dynamik aus die Definition der Bewegungsgröße, trotzdem sie jetzt sowohl die mechanische als auch die elektromagnetische Form umfaßt, dennoch ebenso einheitlich zu gestalten, wie das früher in der Mechanik geschah? Eine Bejahung dieser Frage würde jedenfalls auch zu einem Fortschritt in der Erkenntnis der eigentlichen Bedeutung des Reaktionsprinzips führen.

In der Tat scheint eine solche einheitliche Definition der Bewegungsgröße möglich und durchführbar zu sein, wenigstens wenn man zugleich die Einsteinsche Theorie der Relativität gelten läßt[1]. Nun muß allerdings hervorgehoben werden, daß diese Theorie heutzutage noch keineswegs als gesichert anzusehen ist. Allein da ihre Abweichungen von den übrigen in Betracht kommenden Theorien sich nur auf äußerst kleine Glieder beschränken, so wird man jedenfalls sagen dürfen, daß sie eben bis auf jene Abweichungen als richtig gelten kann, und insofern behalten also die folgenden Betrachtungen unter allen Umständen eine gewisse Bedeutung.

In der Relativitätstheorie läßt sich nun die Bewegungsgröße ganz allgemein auf denjenigen Vektor zurückführen, welcher die Energieströmung ausdrückt, aber nicht allein die Poyntingsche elektromagnetische Energieströmung, sondern die Energieströmung ganz im allgemeinen. Vom Standpunkt der Nahewirkungstheorie aus betrachtet kann ja eine jede Energieart nur durch kontinuierliche Fortpflanzung, nicht durch sprungweise Änderung ihren Ort im Raum verändern. Daher erfordert das Energieprinzip allgemein, daß die Änderung der gesamten in einem Raum befindlichen Energie gleich ist einem Oberflächenintegral, nämlich der algebraischen Summe der im ganzen durch die Oberfläche des Raumes einströmenden Energie. Die Strömung kann erfolgen durch Strahlung, wie beim Poyntingschen Vektor, durch Leitung, wie beim Druck oder Stoß und bei der Wärmeleitung, und durch Konvektion, wie beim Eintritt von ponderablen Atomen oder Elektronen durch die betrachtete Oberfläche. In jedem Falle ist die gesamte Energieströmung an jeder Stelle des Raumes, auf die Flächen- und Zeiteinheit bezogen, ein bestimmter endlicher Vektor, und der Quotient dieses Vektors durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit ist ganz allgemein die auf die Volumeneinheit bezogene Bewegungsgröße.

Nehmen wir als Beispiel eine mit der Geschwindigkeit bewegte ponderable Flüssigkeit unter dem Drucke . Durch ein Flächenelement einer ruhenden normal zu gerichteten Ebene strömt in der Zeit Energie durch Leitung und durch Konvektion. Die geleitete Energie ist die mechanische Arbeit: . Die mitgeführte Energie ist: , wobei die Energiedichte bezeichnet. Folglich ist nach der Definition die Bewegungsgröße der Volumeneinheit:

.

Vergleicht man diesen Ausdruck mit der gewöhnlichen mechanischen Bewegungsgröße , wo die Dichtigkeit der Flüssigkeit bedeutet, so findet man:

,

eine bekannte Beziehung der Relativitätstheorie[2].

[830] Von dem geschilderten Standpunkte aus kann das Prinzip der Gleichheit von Aktion und Reaktion ganz allgemein als der „Trägheitssatz der Energie“ bezeichnet werden.

Wir können aber noch einen Schritt weitergehen. Wie die Konstanz der Energie den Begriff der Energieströmung, so zieht notwendig auch die Konstanz der Bewegungsgröße den Begriff der „Strömung der Bewegungsgröße“, oder kürzer gesprochen: der „Impulsströmung“ nach sich. Denn die in einem bestimmten Raum befindliche Bewegungsgröße kann sich nur durch äußere Wirkungen, also nach der Theorie der Nahewirkung nur durch Vorgänge an der Oberfläche des Raumes ändern, also ist der Betrag der Änderung in der Zeiteinheit ein Oberflächenintegral, welches als die gesamte Impulsströmung in das Innere des Raumes hinein bezeichnet werden kann. Ein wesentlicher Unterschied aber gegenüber der Energieströmung liegt darin, daß die Energie ein Skalar, die Bewegungsgröße dagegen ein Vektor ist. Daher wird die in einen Raum einströmende Energie durch ein einziges Oberflächenintegral ausgedrückt, und die Energieströmung ist ein Vektor. Dagegen wird die in einen Raum einströmende Bewegungsgröße durch drei Oberflächenintegrale ausgedrückt, entsprechend den drei Komponenten der Bewegungsgröße, und die Impulsströmung an einem Orte ist ein Tensortripel, in der Bezeichnungsweise von W. Voigt[3], charakterisiert durch sechs Komponenten.

Um eine Vorstellung von der Bedeutung dieses Tensortripels zu gewinnen, betrachten wir zuerst die mechanische Bewegungsgröße und die ihr entsprechende mechanische Impulsströmung. Der gesamte Impulsstrom in das Innere eines Raumes hinein, also die Zunahme der im Innern befindlichen Bewegungsgröße pro Zeiteinheit, ist gleich der resultierenden mechanischen Kraft, welche auf die gesamte in dem Raume befindliche Masse wirkt. Folglich ist die Impulsströmung durch ein Oberflächenelement nichts anderes als der mechanische Druck auf das Oberflächenelement, und die Komponenten desselben von der Form:

,

wenn die innere Normale des Oberflächenelementes bezeichnet. , , , , , sind die sechs Komponenten des Tensortripels, welches den Impulsstrom darstellt.

Ganz ebenso verhält es sich mit der elektromagnetischen Impulsströmung im Vakuum. Die Komponenten dieses Tensortripels sind nichts anderes als die bekannten Maxwellschen Spannungen. Ihre Integration über eine geschlossene Oberfläche liefert den gesamten Impulsstrom in das Innere und somit die Zunahme der im eingeschlossenen Raume enthaltenen gesamten mechanischen und elektromagnetischen Bewegungsgröße. Es ist bemerkenswert, wie durch diesen Satz die Maxwellschen Spannungen auch für die Theorie des ruhenden Äthers eine physikalische Bedeutung gewinnen. Denn als Druckkraft haben diese Spannungen in dieser Theorie keinen rechten Sinn, da man doch einer Kraft, die auf etwas absolut Unbewegliches wirkt, nicht wohl eine Bedeutung beimessen kann[4]. Daß die Maxwellschen Spannungen sich dennoch, trotzdem sie sozusagen offiziell abgeschafft waren, in der Theorie des ruhenden Äthers behauptet haben, indem sie sich eben für gewisse Rechnungen häufig als bequemes mathematisches Hilfsmittel erwiesen, konnte schon den Gedanken nahelegen, daß ihnen doch irgendeine besondere physikalische Rolle zufällt, durch die sie auch für den ruhenden Äther legitimiert werden.

Es liegt nahe, den Begriff der Impulsströmung auch auf das Gravitationsfeld zu übertragen, wobei sich, abgesehen von dem fatalen Vorzeichen, eine bemerkenswerte Anzahl von Analogien ergeben; doch würde eine nähere Erörterung dieses Problems hier zu weit führen.

Diskussion.

Minkowski: Die Sätze über die Bewegungsgröße sind meiner Ansicht nach unmittelbar aus dem Energiesatze zu gewinnen. Nämlich der Energiesatz hängt in der Lorentzschen Theorie von dem Bezugssystem für Raum und Zeit ab. Schreibt man den Energiesatz für jedes mögliche Bezugssystem auf, so hat man mehrere Gleichungen, und in diesen sind die Sätze über die Bewegungsgröße mit enthalten.

Planck: Gewiß. Aber ich betrachte die Unabhängigkeit vom Bezugssystem nicht als ein festes physikalisches Ergebnis, sondern mehr als eine Hypothese, die ich allerdings für aussichtsreich halte, aber noch keineswegs für erwiesen. Es ist eben noch zu prüfen, ob diese Beziehungen auch wirklich in der Natur vorhanden sind. Das können wir nur auf experimentellem Wege erfahren, und hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir es erfahren.

(Eingegangen 9. Oktober 1908.)

  1. Vgl. insbesondere F. Hasenöhrl (Sitzungsbericht d. Akad. d. Wiss. zu Wien vom 31. Oktober 1907, S. 1400), der zwar nicht direkt von der Relativitätstheorie ausgeht, aber doch, soweit ich sehe, zu ganz den nämlichen Resultaten gelangt wie diese.
  2. Vgl. z. B. M. Planck, Ann. d. Phys. (4), 25, 27, 1908. Gleichung (48).
  3. Vgl. M. Abraham, Enzyklopädie d. math. Wiss. IV, 14, S. 28.
  4. Vgl. H. A. Lorentz, Versuch einer Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungen, S. 28. Leiden 1895.