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Berlin (Freiligrath)

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Textdaten
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Autor: Ferdinand Freiligrath
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Titel: Berlin
Untertitel:
aus: Neuere politische und sociale Gedichte, S. 52–57
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1848
Erscheinungsdatum: 1849
Verlag: Selbstverlag des Verfassers
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Köln
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[52]
Berlin.
Lied der „Amnestirten“ im Auslande.

Zum Völkerfest, auf das wir ziehn,
Zu dem die Freiheit ladet,
Wie wandelst herrlich du, Berlin!
Berlin, in Blut gebadet!

5
Du wandelst rußig und bestaubt

Einher in deinen Wunden!
Du wandelst hin, das bleiche Haupt
Mit Bannertuch verbunden!

Mit Tuch, von dem du jene Nacht

10
Geheiligt jeden Faden!

O, erste deutsche Fahnenwacht
Auf deutschen Barrikaden!

[53]

Du rissest es aus langer Schmach
Empor zu neuer Schöne!

15
In Einer Nacht, auf Einen Schlag

Rein wuschen’s deine Söhne!

So helfe dir nun Gott, Tyrann!
Erstochen und erschossen!
Und abwärts durch die Straßen rann

20
Ihr Blut in allen Gossen!

Arbeiterblut, Studentenblut –
Wir knirschen mit den Zähnen,
Und in die Augen treibt die Wuth
Uns seltne Männerthränen!

25
Sie fochten dreizehn Stunden lang,

Die Erde hat gezittert!
Sie fochten ohne Sang und Klang,
Sie fochten stumm erbittert!

[54]

Da war kein Lied wie Ça ira

30
Nur Schrei und Ruf und Röcheln!

Sie standen ernst und schweigend da,
Im Blut bis zu den Knöcheln!

So schlaft denn wohl im kühlen Grund,
Schlaft ewig unvergessen!

35
Wir können euch den bleichen Mund,

Die starre Hand nicht pressen!
Wir können euch zu Ehr’ und Zier
Mit Blumen nicht bewerfen –
Doch können wir und wollen wir

40
Die Schwerter für euch schärfen!


Denn einen Kampf, der so begann,
Soll kein Ermatten schänden!
Ihr strittet vor, ihr finget an:
So laßt denn uns vollenden!

[55]
45
Wir sind bereit, wir sind geschwind,

Wir treten in die Lücken!
Mit Allen, die noch übrig sind,
Die Klinge woll’n wir zücken!

Denn heißen soll es nimmermehr:

50
Für Nichts sind sie gestorben!

Für Nichts, als was sie Tags vorher
Ertrotzt schon und erworben!
Denn Keiner sage je und je:
Sie waren brav im Schießen!

55
Doch fehlt’ auch ihnen die Idee,

Da sie sich metzeln ließen!

Drum sollen eure Leichen nicht
Den Strom der Freiheit stauen;
Den Strom, der seine Fesseln bricht

60
In diesem Märzesthauen!

Drum sollen sie die Stufen sein,
Die Stufen grün von Zweigen,
Auf denen wir zum Dach hinein
Der freien Zukunft steigen!

[56]
65
Was Manifest noch, was Bescheid!

Was Bitten noch, und Geben!
Was Amnestie und Preßfreiheit –
Tod gilt es oder Leben!
Wir rücken an in kalter Ruh’,

70
Wir beißen die Patrone,

Wir sagen kurz: Wir oder du!
Volk heißt es oder Krone!

Daß Deutschland stark und einig sei,
Das ist auch unser Dürsten!

75
Doch einig wird es nur, wenn frei,

Und frei nur ohne Fürsten!
O Volk, ein einz’ger Tag verstrich –
Und schon von Vivats heiser?
Erst gestern ließ Er schlachten dich – –

80
Und heute deutscher Kaiser?!


Schmach! mit dem Blute, wild verspritzt
Bei jenem freud’gen Sterben,
Mit dem jetzt möcht’ Er sich verschmitzt
Den Kaiserpurpur färben!

[57]
85
Allein, daß das unmöglich sei,

Dafür noch stehn wir Wache,
Dafür bleibt unser Feldgeschrei:
Hie Republik und Rache!

Wir treten in die Reiseschuh’,

90
Wir brechen auf schon heute!

Nun, heil’ge Freiheit, tröste du
Die Mütter und die Bräute!
Nun tröste Weib, und tröste Kind,
Die Wittwen und die Waisen –

95
Wie derer, die gefallen sind,

So unsre, will’s das Eisen!

     London, 25. März 1848.