Berliner Bilder/Bei Clausing

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Gustav Schubert
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Berliner Bilder - 4. Bei Clausing
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 456–457
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[456]
Berliner Bilder.
4. Bei Clausing. Eine Jubiläums-Erinnerung.


„Dasjenige Bier, welches nicht getrunken wird, hat seinen Beruf verfehlt.“ Dieser unsterbliche Satz floß am 21. Januar 1880, bei Gelegenheit der Berathung des Gesetzentwurfs betreffend die Steuer vom Vertriebe geistiger Getränke aus dem Munde eines preußischen Abgeordneten, welcher durch diese inzwischen unter die „Geflügelten“ erhobenen Worte eine Heiterkeit des Hauses erregte, die bei allen Bieranbetern, in Tausenden von deutschen Kneipen und salamanderreibenden Kreisen ein freudiges Echo weckte und dem klarsehenden Redner sogar unzählige gereimte und ungereimte Dankschreiben sowie lustig dedicirte Fäßlein Gerstensaft einbrachte. Wenn dem parlamentarischen Biervertheidiger auch nur das „Baierische“ vorschwebte, so fanden seine weiteren geistvollen Ausführungen (vergl. den stenographischen Bericht) nichtsdestoweniger die begeistertste Zustimmung einer Biergemeinde Berlins, die mit stolzer Verachtung auf das braune Gebräu herabblickt und nur dem Weißbier huldigt.

Bei der culturgeschichtlichen Mission, die das Weißbier unbestritten erfüllt, und dem Adelsrang, den das Berliner (nur aus Weizen gebraute) Nationalgetränk unter den „Stoffen“ einnimmt, ist billiger Weise zunächst die „Ahnenfrage“ zu erörtern. Das Berliner Weißbier ist nach den gewissenhaftesten Stammbaumstudien ein wohlgerathener Nachkomme des „Broihan“, eines Trankes, der 1547 in Halberstadt auftauchte und nach seinem „Erfinder“ Conrad Broihan benannt wurde. Den sonstigen Erfahrungen entgegen, scheint diese „Erfindung“ von den Zeitgenossen des Halberstädter Brauers sofort in ihrem vollen Werthe begriffen worden zu sein; denn nach einem von dem „Bär“ (Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde) mitgetheilten Distichon aus jener Zeit soll sogar Zeus dieses Weizenproduct bei seinen olympischen Gastmählern eingeführt haben:

„Grandia si summo fierent convivia coelo,
Broihanum superis Jupiter ipse daret.“


(„Wenn auf dem hohen Olymp commersirten die seligen Götter –
Broihan setzte gewiß Zeus den Unsterblichen vor.“)

Die Kunst, das himmlische Naß herzustellen, verpflanzte sich bald nach dem Hauptplatze der Mark; in einem kurbrandenburgischen Kochbuche aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird bereits das „Berliner Weitzenbier“ neben andern empfehlend genannt, „denn es ist so beschaffen, daß man es im Mangel eines guten Broihans brauchen kann, um damit vornehme Personen herrlich zu tractiren“.

Die Stürme der Zeiten haben nichts über dieses Bier vermocht; die verschiedenen, oft mit den wunderlichsten Namen belegten Brauproducte, ein treffliches „Spiegelbild des deutschen Particularismus“, traten zwar in Concurrenz, das vornehmthuende „Bairisch“ schien ihm den Rang ablaufen zu wollen, trotzdem aber ist der Consum mit einigen Schwankungen ein steigender gewesen, denn heute widmen sich „am grünen Strand der Spree“ mehr als zwanzig Brauereien der Herstellung des schäumenden Getränkes. Im Hinblick auf die große Güte und allgemeine Beliebtheit desselben ist es durchaus begreiflich, wenn am 26. Februar ein Gedenktag gefeiert wurde, an welchem die Bewohner der Residenz in Gedanken, Wort und That den innigsten Antheil nahmen: es war das fünfzigjährige Jubiläum des Weißbierlocals von Clausing, Zimmerstraße 80.

Ein halbes Jahrhundert ist verflossen, seitdem der „alte Clausing“ in dem Hause, wo sich bereits seit 1781 eine Weißbierstube befand, die erste „kühle Blonde“ ausschenkte. „Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen“, welchen bezaubernden Reiz der Ruf: „eine Weiße“, eine „kühle Blonde“ für den Spree-Athener hat, ja schon der Name Clausing weckt in dem echten Berliner, auf welchem Punkte des Erdballes er sich auch befinde,

„Der dunkeln Gefühle Gewalt,
Die im Herzen wunderbar schliefen.“

Wer von den Einheimischen hätte „Vater Clausing“ in seinem schwarzen Sammetkäppchen nicht gekannt? Die Kinder auf der Straße grüßten den alten Herrn; den Fremden wurde er gewissermaßen als Berliner Wahrzeichen und lebendiges Wappenbild gezeigt; denn die von ihm meisterlich gepflegte „kühle Blonde“ galt als unübertrefflich und schien nur in seinen Händen gedeihen zu wollen.

Kein anderes Getränk fordert nämlich in seiner Behandlungsweise Intelligenz und persönliche Hingabe in dem Maße heraus, wie es das Weißbier thut. Viele Factoren: Keller, Gefäße, Sauberkeit, Temperatur, Gährungsproceß, Kruken, Pfropfen, Aufstellung, sogar Licht und Schatten müssen zusammenwirken, um jene perlende, kohlensäurehaltende, prickelnde Flüssigkeit zu erzeugen, zu deren Quelle sich die durstende Seele zurücksehnt, wie der Rom-Pilger zu den einmal gekosteten Wassern der Fontana Trevi in der ewigen Stadt. Wo deshalb immer Berliner sich eine neue Heimath gründen, da folgt ihnen auch die ersehnte „Weiße“, und das Clausing'sche Haus schickt seine kunstvoll „geproppten“ Kruken in alle Welt hinaus, oder genauer gesagt, nur nach der nördlichen Erdhälfte, da das Spreewasserproduct den Aequator noch nicht passiren gelernt hat, ohne ein verzweifelt saures Gesicht zu machen. Es ist übrigens eine noch nicht hinlänglich bekannte Thatsache, daß sich das gute Weißbier nur aus dem Elemente der Spree brauen läßt; das ganze übrige deutsche Flußnetz, so respectable Eigenschaften sich auch von ihm nachweisen lassen – zu echten kühlen Blonden läßt es sich doch nicht verwirthschaften.

Gleich seinem Bier hat auch das Clausing'sche Local selbst seine Geschichte. Wie ehedem die Heroen der Dicht- und Schauspielkunst in der Weinstube von Lutter und Wegner (vergleiche „Gartenlaube“ Nr. 49, Jahrgang 1856) zu fröhlichem Zechen und Scherzen zusammenkamen, so versammelte sich auch bei „Clausing“ allabendlich eine „Tafelrunde“, deren Geist, obgleich ganze Geschlechter hinweggeweht sind, noch heute in den Räumen fortlebt. Der Weißbiergeist ist aber ein ganz besonderer Kauz, der mit dem Geist auf sonnigen Hügeln gezeitigten Traubensaftes nichts gemein hat. Dieser regt das Gemüth des Menschen auf, läßt das Blut schneller in den Adern rollen und ist fähig, wie die Geschichte der weintrinkenden romanischen Völker lehrt, zu allem Außergewöhnlichen zu reizen. Nicht so der andere. Das kühlende, Hunger und Durst zugleich vertreibende Weißbier macht den Trinker ruhig, nachdenklich und bedächtig und läßt ihm Besinnung genug, bei Allem, was er thut, auch das maßgebende Ende zu bedenken, indem es zugleich das angeborene kritische, moquirende und witzelnde Element zu fröhlicher Entfaltung befördert.

Dort an dem Stammtisch, umgeben von tabakgebräunten, schmucklosen Wänden, saßen Mimen und Sänger, wie Gern, Iffland, Hendrichs, Mantius in Gesellschaft von allerhand Geheimräthen, Universitätsprofessoren, Doctoren, Gelehrten, Beamten und dem biederen, wohlhabenden Bürger, der es nie versäumt, bevor er zum Werke des Trinkens schreitet, neben sich auf den eichenen Tisch die mächtige Dose und das bunte Schnupftuch aufzubauen; hier reiften die Urtypen der in Vatermörder versunkenen Weißbierphilister „Neumann“, „Schwabbe“, „Bohmhammel“ und Andere. Aus praktischen Gründen bildete sich unter ihnen, wie bei allen Weißbiertrinkern, ein Consortium, welches nur aus einem Glase trinkt; dieser Modus trägt offenbar dazu bei, durch den ohne Rast und Ruhe kreisenden ungeheuerlichen, nur mit zwei Händen zu regierenden Humpen nebst „Strippe“ (Kümmel) ein gleichmäßiges Fluidum zu verbreiten. Wer nennt ein politisches oder unpolitisches Thema, das nicht an dem „Raisonnirtisch“ mit echter deutscher Gründlichkeit verarbeitet worden wäre, um, wenn irgend möglich, schließlich mit einer von Spott und Hohn gesättigten „Tunke“ begossen zu werden! Vater Clausing verstand es vortrefflich, durch zeit- und kunstgemäßes Einschenken den Rede- und Bierfluß im Gange zu erhalten. Aber auch „Mutter Clausing“, ein Muster aller Gastwirthinnen, wurde hoch in Ehren gehalten; zeigte die am Schenktisch aufgehängte schwarze Tafel in den altmodischen, mit Kreide geschriebenen Buchstaben Gänsebraten, Karpfen oder gar Eisbein mit Sauerkohl, so gab es keinen Stammgast, der nicht seine „Protection-Portion“ à drei Groschen beansprucht hätte.

Das mit Allem, nur nicht mit den Wirkungen des Weißbieres in Zusammenhang zu bringende „tolle Jahr“ 1848 warf seine Wellen auch in die Atmosphäre des Clausing'schen Locals.

Der ruhige Bürger mußte zur Wehr greifen; er stellte dieselbe aber mit Vorliebe nach gethaner Wache oder sonstigem [457] kriegerischem Geschäft Abends friedlich in eine Ecke bei Clausing und spülte alle politischen Beklemmungen durch mehrere Weiße mit verschärften Strippen hinab. Wie eine wohlverbürgte Tradition berichtet, hatte sich trotz der dort vorherrschenden „angenehmen Temperatur“ eines Tages ein „revolutionärer Redner und Wühler“ eingeschlichen, um von einem Tische aus Propaganda für Freiheit und Gleichheit zu machen. Seine Bemühungen scheiterten indeß an der Gesinnungstüchtigkeit der „Mutter Clausing“, die weniger den neuen Ideen, als vielmehr dem unberufenen Schreier mit kräftiger Hand „unter die Arme griff“ und ihn unter Beifallsrufen der anwesenden Gäste zum Hause hinausbrachte.


Ein Stammtisch bei Clausing in Berlin.
Originalzeichnung von H. Lüders.


Besonders lebhaft ging es in den traulich düstern Kneipräumen während des Berliner Jahrmarktes zu, dessen Budenreihen sich vom Dönhofsplatze bis zur Zimmerstraße erstreckten. Die Verkäufer waren um Gründe, sich einen guten Trunk zu leisten, nicht verlegen; gute Geschäfte wurden in Gesellschaft der Kunden durch mehrere Weiße gefeiert, während die schlauen Handelsleute und feilbietenden Handwerker der bösen Laune über mangelnden Umsatz und das sprüchwörtliche „Jahrmarkts-Hundewetter durch mannhaftes Trinken bei Clausing geschickt das Gleichgewicht zu halten wußten. Wer von seinem „Stande“ unabkömmlich war, ließ sich eine „Blonde“ holen, sodaß an manchem Tage tausend Weiße „über die Straße“ verkauft wurden. Der „alte Clausing“ ist, nachdem er durch Millionen Kruken den Durst seiner Mitwelt gelöscht hat, im Jahre 1857 heimgegangen; er hat, wie jener König von Thule, Alles, sogar noch den „Becher“ seinen Erben gegönnt; denn sein Sohn wandelt, unterstützt von einer wackeren, thätigen Hausfrau, in den Fußstapfen des Vaters weiter.

Das Fest des fünfzigjährigen Jubiläums gestaltete sich deshalb zu einem Ehren- und Erinnerungstage, der seine wohlausgenutzten vierundzwanzig Stunden zählte und welchem Hekatomben von Weißen („auf Eis“ und „in Civil“) und – Kuhkäse geopfert wurden.

Wenn auch der Charakter des Locales etwas vom Zeitgeiste benagt und beeinflußt worden ist, das alte patriarchalische Verhältniß zwischen Gästen und Wirth ist doch geblieben; den dem Letzteren ist es durch das erstaunlich pünktliche, über Tag und Nacht gleichmäßig vertheilte Kommen und Gehen der Besuche ziemlich leicht gemacht, Fühlung zu behalten. Da erscheint in den ersten Vormittagsstunden die „angeblich wegen Studien“ in der Residenz sich massenhaft aufhaltende akademische Jugend in der ausgesprochenen Absicht, das bekannte geschwänzte Hausthier, Kater genannt, zu ertränken; ihnen folgen die Mannen des täglichen Stammfrühstücks, und sodann vereinzelte Mittagsgäste, denen sich am Nachmittag beziehungsweise Abend die eigentlichen Weißbierhelden anreihen. Ministerial-, Magistrats- und sonstige Beamte mit Titel und Würden, Militärs z. D. und a. D., Künstler, Schauspieler, Abgeordnete, Journalisten, Rentiers, Kaufleute, Handwerker wechseln in bunter Reihenfolge bis nach Mitternacht; es soll nicht verschwiegen werden, daß in der Neuzeit in dem neuen modernen Anbau auch die sonst in diesem Hause nicht gesehene Damenwelt Eingang gesucht und an der „Blonden“ großen Geschmack gefunden hat.

Die Aegypter, Phönicier, Tyrer, Karthager und andere Völker des Alterthums mußten, wie der Eingangs erwähnte Parlamentsredner in derselben Sitzung behauptete, nach kurzem Glanze schnell untergehen, „weil sie nichts Vernünftiges zu trinken gehabt haben“. Berlin wird demnach ewig blühen; denn es hat sein Weißbier. Du aber, o Wanderer, sollten sich je deine Schritte nach der Zimmerstraße lenken, so gedenke des tiefsinnigen Wortes: Dasjenige Bier, welches nicht getrunken wird, hat seinen Beruf verfehlt.

Gustav Schubert.