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Beschreibung des Oberamts Canstatt/Kapitel A 4

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IV. Einwohner.


1. Bevölkerung.
a. Stand der Bevölkerung.
Am 1. Nov. 1831 zählte das Oberamt 22.346 Einwohner, einschließlich des Antheils von Berg mit 69 Einwohner. Es kommen also auf 1 Geviertmeile 11.750 Menschen; die Durchschnittsbevölkerung des Königreichs beträgt dermalen 4390 Menschen auf 1 Geviertmeile. Wäre das Oberamt seinen Verhältnissen gemäß gebildet, und gehörten statt der abgelegenen Schurwald-Orte die näher gelegenen| Dörfer dazu, so würde die Bevölkerung noch viel stärker sich darstellen. Die obige Einwohnerzahl enthält überdieß nur die der Ortsangehörigen, die der Ortsanwesenden, d. h. die wirkliche Bevölkerung übersteigt die erstere noch, was zugleich beweist, daß die Bevölkerung für die Verhältnisse nicht zu stark ist. Von der obigen Einwohnerzahl sind nach der Bevölkerungsliste männlich 10.848, weiblich 11.498, also mehr weiblich als männlich 650. Am stärksten ist die Ungleichheit zu Stetten (159 mehr weiblich), sodann zu Canstatt, Uhlbach und Felbach. Dagegen ist die männliche Bevölkerung überwiegend in Rommelshausen, Wangen, Hedelfingen und Sillenbuch.
Religions-Verhältnisse.
Christen:
a) evangelische 20.736
b) katholische 1595
Juden 15
Standes-Verhältniß (nach dem Stand von 1822).
Adelige 13
Bürgerliche 20.017
Gewerbs- und Nahrungs-Verhältnisse.
Bauern und Weingärtner 2726
Taglöhner 171
Gewerbsleute 887
Ohne Gewerbe 61
Eheliches Verhältniß.

Die Zahl der Ehen betrug 3390, wonach auf 1 Ehe 59/10 Menschen kommen.

b. Gang der Bevölkerung[1].
Am 1. Nov. 1812 zählte das Oberamt 18.715 Einwohner, es hat also die Bevölkerung in den 10 Jahren bis 1822 zugenommen um 1369 Menschen, oder jährlich um| 7/10 Procent, und in den 10 Jahren von 1822/32 um 2216 oder jährlich beynahe 11/10 Procent. Am meisten hat die Bevölkerung in dem ersten Zeitraum, den wir hier vergleichen, in Sillenbuch, Canstatt und Unter-Türkheim, nirgends jedoch bis auf 2 Procent zugenommen; dagegen hat sie in Rommelshausen um 23 und in Zatzenhausen um 7 Menschen abgenommen.

Geboren wurden in dem Jahrzehend von 1812/22 im Durchschnitte jährlich 792, und zwar männlich 401, weiblich 391; das Verhältniß der Gebornen zu den Lebenden ist also = 1:243/8. Die meisten Geburten kamen verhältnißmäßig vor zu Oeffingen (1:18), zu Hedelfingen, Mühlhausen, Sillenbuch, Uhlbach und Unter-Türkheim (1:20), die wenigsten zu Hofen und Ober-Türkheim, Schanbach und Lobenroth (1:27) und zu Stetten (1:28).

Unter den Gebornen waren Uneheliche 54, es ist also das Verhältniß = 1:146/10, das geringste unter allen Oberämtern. Die meisten unehelichen Kinder haben verhältnißmäßig Zatzenhausen, wo das 5te bis 6te, Uhlbach und Mühlhausen, wo das 8te bis 9te Kind ein uneheliches ist, die wenigsten Hofen, wo das 40te, und Sillenbuch, wo das 44te unehelich ist.

Todtgeborne kamen jährlich vor 39, also unter 20 Geburten 1. Dieses Verhältniß ist besonders ungünstig zu Mühlhausen und Münster, wo das 13te bis 14te, zu Unter-Türkheim, Hedelfingen und Sillenbuch, wo das 15te bis 16te Kind todt zur Welt kommt; die wenigsten Todtgeborne haben Zatzenhausen, wo das 38te, Rotenberg und Lobenroth, wo das 42te bis 43te Kind ein todtgebornes ist, und zu Schanbach, wo in 10 Jahren gar keines vorkam.

Gestorben sind im Durchschnitt jährlich 622, und zwar männlich 324, weiblich 298. Das Verhältniß der Gestorbenen zu den Lebenden ist also wie 1:31. Am günstigsten ist das Verhältniß zu Stetten, 1:41, Ober-Türkheim, Schanbach und Lobenroth, 1:38, und Uhlbach, 1:37; am ungünstigsten zu Oeffingen, 1:21, und Mühlhausen,| 1:23. Einschließlich der Todtgebornen sind im ersten Lebensjahre gestorben 262, also 33 Procent der Gebornen. Die meisten Kinder sind im ersten Lebensjahre gestorben zu Mühlhausen, 44 von 100, und zu Hedelfingen, 40 von 100, die wenigsten zu Stetten und Uhlbach, beziehungsweise 15 und 23 von 100. Von den Gestorbenen waren über 60 Jahr alt 116, von 100 also 19 mehr als gewöhnlich.

Vergleicht man die Zahl der Gebornen mit der Zahl der Gestorbenen, so ergibt sich in dem Zeitraum von 10 Jahren eine innere Zunahme (ohne Errechnung der Ein- und Auswanderungen) von 4/5 Procent oder von 1691, und zwar männl. 765, weibl. Geschlechts 926. Es zeigt sich also eine größere Zunahme auf Seiten des weiblichen Geschlechts, während sie sonst in der Regel, trotz dem Russischen Feldzug, auf der andern Seite ist.

Ehen wurden im Durchschnitt geschlossen 133, aufgelöst dagegen a) durch den Tod 119, b) durch Scheidung 2. Im Ganzen hat sich die Zahl der Ehen von 1812 bis 1822 um 72 vermehrt. Auf 143 Menschen kommt eine Heirath.

2. Eigenschaften und Gesundheits-Zustand der Einwohner.
Die Bewohner des Oberamtsbezirks bilden einen gesunden und gut aussehenden Menschenschlag, von etwas mehr, als mittlerer Größe. Meist aus Weingärtnern bestehend und an strengere Arbeit gewöhnt, dauern sie auch Strapazen viel mehr aus, als der wohlgenährter aussehende Bauer. Körperliche Gebrechen sind selten, epidemische Krankheiten kommen nur vor, wenn sie durch äußerliche Veranlassung herbeygeführt werden, wie dieß bey den verheerenden Spitalfiebern 1806 und 1814 durch fremdes Militär geschah. Dagegen sind einige Orte von der Anlage zu Endemien nicht ganz frey. Nach den Beobachtungen des Oberamtsarztes, Herrn Dr. Tritschlers, sind die im Neckarthale zwischen Eßlingen und Canstatt auf dem linken Neckarufer| gelegenen Orte sämmtlich mehr oder weniger zu Wechselfiebern geneigt, während die Orte auf dem rechten Ufer ganz frey davon sind. Diese merkwürdige Verschiedenheit zwischen beyden Ufern ist so bestimmt, daß sogar in der auf dem linken Ufer gelegenen Vorstadt von Canstatt Wechselfieber nicht selten sind, während die Stadt ganz frey davon ist. In den beyden Orten Oeffingen und Hofen kommt seit vielen Jahren sowohl der chronische, als der acute fieberhafte Friesel häufig vor, und es ist merkwürdig, daß diese beyden Orte die einzigen katholischen des Oberamts sind. In eben diesen Orten gibt es auch sehr viele histerische Weiber und Mädchen, ebenso auch Männer, die an ähnlichem Übel und Verstimmung des Nervensystems leiden. Zu Felbach ist die Anlage zu Entzündungen groß; in Stetten ist der Kropf nicht selten, auch zeigen sich Spuren von Cretinismus daselbst. Im Ganzen aber gehört der Oberamtsbezirk zu den gesunden, wie verschieden auch die Lage der einzelnen Orte ist. In Beziehung auf das Sterblichkeits-Verhältniß steht er jedoch unter der Mitte.

Die Einwohner, insbesondere die Weingärtner, zeichnen sich durch Fleiß, Arbeitsamkeit und Mäßigkeit vortheilhaft aus. Die Nähe der Residenz drückt sich unverkennbar in einem mehr als gewöhnlichen Grade von Bildung aus. Die Kleidung ist die gewöhnliche des Unterlands, nur die beyden Schurwaldorte, Schanbach und Lobenroth, unterscheiden sich und kommen mehr den Bewohnern des Schwarzwalds nahe. Der gesteigerte Luxus in Kleidung ist auch dem diesseitigen Bezirke, bey allen Klagen über schlechte Zeiten, nicht fremd geblieben. Besondere Sitten und Gebräuche findet man nicht; das Kirchweihfest ist das einzige allgemeine Volks-Vergnügen.

Die Religion der Einwohner ist, der Mehrzahl nach, die evangelische, nur die Orte Hofen und Oeffingen sind katholischer Religion. Juden gibt es, wie oben schon gezeigt worden, wenige, und noch vor kurzer Zeit gab es gar keine. Um Religiosität und Sittlichkeit sieht es wenigstens nicht schlechter aus, als in andern Bezirken. Aberglauben und| Neigung zum Mysticismus zeigt sich noch in den meisten Orten, in vielen gibt es Pietisten-Gesellschaften, Felbach zählte früher viele Separatisten.
  1. Eine Vergleichung der nachfolgenden Verhältnisse von sämmtlichen Oberämtern des Königsreichs ist zu finden in den Würt. Jahrbüchern 1824 S. 115 u. ff.
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