Beschreibung des Oberamts Oberndorf/Kapitel B 15
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Weit in den beiden Thalschluchten hinauf stehen vereinsamt malerische Schwarzwaldhäuser, oft von hohen Bäumen beschattet, und immer ein hübsches Gärtchen und einen frischen Quellbrunnen neben sich. Die Ortsstraßen sind gut gehalten, überhaupt hat der Ort ein reinliches und freundliches Aussehen. Die weißgetünchte Kirche zum h. Michael wurde 1737/38 im Geschmack dieser Zeit mit Rundbogenfenstern, vielseitig geschlossenem Chore und westlichem, mit kreuzgewölbter Vorhalle versehenem Thurm erbaut; dieser ist ganz schlicht gehalten und trägt ein sehr großes Zwiebeldach. Das ziemlich durch Emporen verbaute Innere des Schiffes hat eine ebene Decke mit flachen Stichkappen, der Chor ein halbrundes Tonnengewölbe, ebenfalls mit Stichkappen; über dem Triumphbogen ist das Bissingen’sche Wappen groß angemalt mit der Jahreszahl 1737; dasselbe Wappen findet sich außen an der Nordseite des Thurmes. Die Kirche besitzt 3 Zopfaltäre; den sehr reichen Hochaltar schmückt ein neues schönes und großes Gemälde, Christus am Kreuz. Von den 2 mit Reliefs verzierten Glocken hat die größere die Umschrift: Jochem Grieninger in Villingen goss mich 1667; die andere ist gegossen von Pelagius und Benjamin Grieninger in Villingen 1750. Die Unterhaltung der Kirche ruht auf der vereinigten Stiftungspflege Schramberg. Der alte Friedhof, der die hochgelegene Kirche umgibt, ist noch ummauert, der neue wurde 1840 südlich vom Ort angelegt. Im oberen Lauterbachthal besteht noch eine kleine Privatkapelle.
Das hübsche Pfarrhaus hat eine sehr schöne Lage östlich an der Kirche und vor sich den reizenden hochaufgemauerten Pfarrgarten; das frühere brannte 1790 nieder; die Unterhaltung hat die Schramberger Stiftungspflege.
Das Schulhaus wurde 1806 erbaut und enthält 2 Lehrzimmer; Schulmeister und Unterlehrer haben Privatwohnungen; im Thal Sulzbach befindet sich ein zweites Schulhaus, das ein Lehrzimmer und die Wohngelasse des Schulmeisters enthält.
Der Ort besitzt auch ein kleines Rathhaus.
Sehr gutes und gesundes Trinkwasser liefern im Überfluß 3 laufende und 2 Pumpbrunnen; dann hat jede der einzeln stehenden Parzellen einen laufenden Brunnen, so daß sich deren Zahl auf 90 belaufen mag. Außerdem fließen zahlreiche Quellen und Bäche mit vortrefflichem Wasser in den Lauterbach und den Sulzbach, welche| zuweilen bei starken Regengüssen oder schnellem Schneeabgang Schaden anrichtend austreten; auch sind bei derartigen Witterungsverhältnissen schon bedrohliche Erdrutschen an den nahen Steilgehängen erfolgt. Beide Bäche entspringen auf der Gemeindemarkung.Weiher, die abgelassen werden können, sind angelegt.
Die Vicinalstraße von Schramberg nach Hornberg führt durch den Ort.
Sechzehn steinerne und 4 hölzerne Brücken und 1 Steg führen über die beiden Bäche; ihre Unterhaltung ruht mit kleinen Ausnahmen auf der Gemeinde.
Die Einwohner, ein blühender gesunder Menschenschlag, sind fleißig, betriebsam, sparsam und religiösen Sinnes; 80 Jahre und darüber zählen gegenwärtig 10 Ortsangehörige. Im Ort selbst herrscht die städtische Tracht, während sich die Leute in den beiden Thälern zum Glücke von ihrer schönen Volkstracht nicht abbringen lassen.
Von Volksbelustigungen ist der sog. Schellenmarkt anzuführen, der jedes Jahr am Pfingstfest auf dem Vöhrenbühl abgehalten wird; er ist eine Art Maienfest, Kinderfest, da nur Kinder dasselbe besuchen. Alle Hirtenknaben der ganzen Umgegend, wohl 1000 an der Zahl, kommen an diesem Fest, der einzige Tag im ganzen Jahr, an dem sie frei haben, zusammen und treiben dann hauptsächlich Handel und Tausch mit Kuhschellen; auch verkaufen sie aus Birkenrinde selbst verfertigte sog. Waldhörner (s. auch den allgem. Theil).
Haupterwerbsquellen sind in erster Linie Gewerbe und Handel, dann Feldbau und Viehzucht.
Seit 1. Juni 1866 wird hier eine 25 Arbeiter beschäftigende Kammfabrik mit gutem Erfolg getrieben; ferner werden viele Uhren verfertigt, auch eine Dosenfabrik, die Dosen aus Birkenrinde und Papiermaché liefert, und eine Messerschmiede besteht; der Absatz geht hauptsächlich in das Badische; Strohgeflechte, Taschen, Teppiche, sowie Besen werden viel nach Schramberg verkauft. Einen besondern Erwerbszweig bilden noch die zahlreichen Buntsandsteinbrüche, welche vorzügliche Werk- und Schleifsteine liefern, die in Menge nach Baden geführt werden; sie liegen südlich vom Ort auf der Anhöhe bei Heiligenmatte und Mückenberg. Der überall anstehende Granit gibt ein treffliches Straßenbeschläg. Sandgruben bestehen.
Drei Getreidemühlen mit je 2 Mahlgängen, 2 Sägmühlen, 3 Schildwirthschaften und 1 Bierbrauerei, mit Ausschank verbunden, sind vorhanden; ferner 24 Kauf- und Kramläden.
Von denjenigen Einwohnern, die sich von Feldbau und Viehzucht| ernähren, wie die der beiden Thäler Lauterbach und Sulzbach, besitzt der Begütertste 80 Morgen Äcker, 21 Morgen Wiesen und 66 Morgen Wald; der Mittelmann besitzt 12 Morgen Äcker, 5 Morgen Wiesen und 18 Morgen Wald; die ärmere Klasse 3 Morgen Äcker und 2 Morgen Wiesen. Gemeindeunterstützung wurde im Jahre 1865 1100 fl. gereicht.L. ist der Geburtsort von drei berühmten Orthopäden. Am 23. April 1770 ist geboren Joh. Georg Heine, Sohn eines Bauern, zuerst Messerschmied, dann Instrumentenmacher, endlich Orthopäd, in welch letzterer Eigenschaft er bahnbrechend wurde. Längere Zeit Assessor der medicinischen Fakultät und Demonstrator der Orthopädie in Würzburg, siedelte er 1829 ins Haag über, wo er ein orthopädisches Institut einrichtete und am 7. Sept. 1838 starb (Stumpf, denkwürdige Bayern 367–369). Ein Brudersohn desselben ist der jetzige Geh. Hofrath Jacob von Heine, welcher den 16. April 1800 geboren wurde, auf der Universität Würzburg Medicin, Chirurgie und Geburtshilfe, wie auch Orthopädie in dem Institut seines Oheims studirte. Im Jahr 1829 gründete er in Canstatt mit Unterstützung der K. Staatsregierung die erste orthopädische Anstalt in Württemberg, der er 35 Jahre vorstand und durch seine ausgezeichneten Leistungen einen großen Ruf verschaffte. Der Sohn eines andern Bruders ist Bernhard Heine, geb. den 20. Aug. 1800, welcher bei seinem Oheim den Grund seiner mechanischen Fertigkeit legte, in Würzburg studirte, allda Professor der Experimentalphysiologie wurde und sich als Osteotom und Orthopäd einen europäischen Ruf erwarb. Er starb den 31. Juli 1846 auf einem Besuch in der Schweiz bei Thun.
Die große Gemeindemarkung ist durchaus sehr gebirgig und von einer Menge tiefeingeschnittener Thälchen und Schluchten durchzogen.
Der Boden ist unergiebig, theils leicht rothsandig (Zersetzung des Buntsandsteins), theils kiesig, d. h. mit zahllosen kleinen Granittrümmern gemengt (Zersetzung des Granits). Die schmalen Thalebenen haben einen dem Wieswachs zuträglichen Alluvialboden, mit Ausnahme im Thal Sulzbach, wo nasser, saures Futter erzeugender Boden vorkommt.
Wegen der hohen Lage und der ausgedehnten Nadelwaldungen ist das Klima im allgemeinen rauh, die Nächte sind auch den Sommer über kühl, zuweilen kalt und Frühlingsfröste, wie auch kalte Nebel wirken häufig schädlich ein. Hagelschlag kommt seltener vor.
In Folge der ungünstigen natürlichen Verhältnisse ist die Landwirthschaft,| welche im System der Feldgraswirthschaft und der reinen Graswirthschaft hauptsächlich nur von den Bewohnern der Thäler Lauterbach und Sulzbach getrieben wird, unbedeutender als in den übrigen Bezirksorten; verbesserte Ackergeräthe haben spärlich Eingang gefunden und zur Kräftigung des mageren Bodens wendet man außer dem gewöhnlichen Stalldünger Gips und Asche an.Von den Getreidearten baut man nur Roggen, Gerste und Haber; Dinkel gedeiht hier nicht; außer diesen kommen noch Kartoffeln und etwas dreiblätteriger Klee zum Anbau. Die erzeugten Getreidefrüchte befriedigen das örtliche Bedürfniß weit nicht, daher noch viele eingeführt werden müssen.
Der Wiesenbau ist nicht ausgedehnt und liefert gutes, theilweise auch geringes (saures) Futter; die Wiesen, von denen etwa 300 Morgen bewässert werden können, sind 1–2, auch 3mähdig.
Die Obstzucht wird in geringer Ausdehnung und wegen des rauhen Klimas ohne Erfolg getrieben; das Obst wird alles grün verspeist.
Die Gemeinde besitzt weder Wald noch Weide; dagegen haben die Güter- und Hofbesitzer in den beiden Thälern Lauterbach und Sulzbach eigene Waldungen und Weiden (sog. Wildfelder); auf letzteren lassen sie ihr Vieh und je 4–6 deutsche Schafe weiden.
Die Rindviehzucht ist zwar gegenüber den meisten Bezirksorten etwas zurück, allein auch hier ist zur Verbesserung derselben vieles geschehen; man züchtet Tyroler-, Allgäuer- und Schweizerbastarde von noch ziemlich kleinem Schlag und hat 2 tüchtige Farren (Schwarzwälder Race) zur Nachzucht aufgestellt. Viehaustrieb findet noch statt. Der Handel mit Vieh ist nicht beträchtlich.
Eigentliche Schweinezucht besteht nicht, da alle Ferkel (halbenglische und bayerische) von außen bezogen, und theils für den eigenen Bedarf, theils zum Verkauf aufgemästet werden.
Die Zucht des Geflügels, wie die der Bienen, ist nicht von Belang.
Das Fischrecht in den an Forellen reichen Bächen hat die Gemeinde, welche es jährlich um 50 fl. verpachtet.
Auf einem vorgeschobenen Hügel nahe am Ort soll eine Burg, nach andern ein Kloster gestanden sein; daselbst stößt man auf Grundgemäuer, auch ein Befestigungsgraben ist noch sichtbar.
Die zu der Gemeinde gehörigen Parzellen liegen zerstreut theils in oder in der Nähe der Thalebenen des Lauterbachs und des Sulzbachs, größtentheils aber auf den Vorsprüngen gegen die Thäler, auf| der Terrasse, welche der Granit bildet, hinter dem sich alsdann der Buntsandstein als hohe, durchaus bewaldete Stufe erhebt. Nur einzelne Ansiedelungen, wie Reibenhof und ein zu Mückenberg gehöriges Haus haben sich auf die Hochebene des Buntsandsteins gewagt. Auch die an der Landesgrenze liegende Parzelle Vöhrenbühl hat eine sehr hohe Lage (2748 württ. F.). Durch den Ort führt die im Jahr 1784 angelegte Schramberg-Hornberger Landstraße, an der in demselben Jahre 5 Wirthshäuser zur Zuflucht für Reisende auf dieser rauhen Höhe erbaut wurden, von denen im Jahr 1833 4 abbrannten und nur das Gasthaus zum Adler von den Flammen verschont blieb. Von den abgebrannten Wirthschaften stunden 2 auf badischem Gebiet. Die durchgängig im Schwarzwaldstil (Gebirgsstil) erbauten Häuser der zerstreuten Weiler und Höfe winken von ihren Vorsprüngen malerisch in die engen Gebirgsthäler herab und verleihen der Gegend einen besonderen landschaftlichen Reiz, der unwillkürlich an die Schweiz erinnert.L. gehörte zur Herrschaft Schramberg und wechselte mit ihr die Besitzer.
Der Ort kommt schon unter dem 25. Sept. 769 vor, als Lutinbah, als die Nonne Cotaniwi mit ihrem hiesigen Besitz das Kloster St. Gallen beschenkte, am 23. Jan. 786 als Leodrabach. Damals bestand hier ein Nonnenklösterlein, dessen Spur nachher verschwindet.
Ums Jahr 1101 half Hugo von Wehrstein eine Schenkung von Gütern in L. an das Kl. Alpirsbach vermitteln.
Kirchenpatron ist der Graf von Bissingen-Nippenburg. Vordem war die Kirche (gestiftet um 1390 von Erhard von Ramstein) der Kastvogtei in Schramberg einverleibt.
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