Besser als sein Ruf

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: M. E. P.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Besser als sein Ruf
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 80
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[80] Besser als sein Ruf. Menschen glauben das Unmöglichste lieber als das Wahrscheinliche; einige jener Schreckens- und Schauergeschichten, wie sie „weit draußen“ auf dem Meere passiren, lassen sich im Gefühle behaglicher Sicherheit recht angenehm genießen, und so ist denn der Haifisch ein Opfer geworden der allmächtigen Tradition. Jedermann ist von seiner Entsetzlichkeit von vornherein schon überzeugt: wo er ist, da giebt’s ein Unglück, Gischt, Blut und wenigstens abgebissene Glieder; jeder Seeroman würde mangelhaft sein ohne ihn und er erscheint – ein deus ex machina immer an der richtigen Stelle, um das Interesse wieder zu fesseln.

Um Genaues über ihn zu erfahren, wende man sich an jene Männer, welchen die See zur Heimath geworden ist, an die Fischer, und unter diesen wieder an die eigentlichen Kosmopoliten, die Walfischfänger. Alle Gewässer werden von diesen durchsucht, nichts entgeht ihren Blicken in der ungeheuren Weite; vom Verdeck aus, vom Maste herab, im leichten Boote, oft auch im Wasser selbst haben sie eine gewiß vielseitige, wenn auch nicht immer beneidenswerthe Gelegenheit, die See und ihre Bewohner kennen zu lernen. Wo ein todter oder verwundeter Wal sich befindet, da versammeln sich in den warmen Meeren immer eine große Anzahl Haifische mit unbegreiflicher Schnelligkeit. Nun ist es in dem wechselvollen Leben der Walfänger gar nicht so selten, daß Boote zertrümmert und die Mannschaften in das Wasser geschleudert werden, eine für die anwesenden Haie gewiß verführerische Gelegenheit, und dennoch ist mir kein Fall bekannt, daß jemals ein Mensch gebissen worden wäre, obgleich ich Hunderte von Walfängern befragt habe. Officiere sowohl als Mannschaften, und ergraute Veteranen von allen Meeren.

Folgende Notizen aus meinem Tagebuche werden die vorwiegende Ungefährlichkeit der Haie ebenfalls nur bestätigen.

Im Süd-Atlantischen Ocean wurde unser Boot von einem Potwal gänzlich zerstört und wir sechs Insassen waren genöthigt, uns mittels Rudern und Planken vielleicht zwei Stunden lang schwimmend zu erhalten, mitten zwischen den unvermeidlichen Haifischen. Rastlos wie die See selbst und schrecklich gewandt, bald auf-, bald niedertauchend zogen sie ihre Kreise, aber obgleich unter uns einige Farbige waren – die bisher als Leckerbissen für sie galten – wurden wir doch nicht belästigt.

Ein anderes Mal speckten wir einen Wal ab, während eine Menge Haie uns wacker dabei halfen; wie üblich, stieg ein Mann, wieder ein Neger, auf den Cadaver hinab, um die Kinnlade abzulösen, glitt aber, obgleich er durchs eine Leine gesichert war, von der schlüpfrigen Masse ab und plumpte in das Wasser. Sofort schossen, wahrscheinlich ein Stück Fleisch oder Speck vermuthend, mehrere der gefräßigen Burschen auf ihn zu, wandten sich aber, ihren Irrthum erkennend, wenige Fuß von dem zappelnden Menschen wieder hinweg.

Im Stillen Ocean, unter dem Aequator, von langweiliger Windstille befallen, sprangen wir, um uns zu erfrischen, einfach über Bord und schwammen nach Herzenslust um das bewegungslose Schiff. Es war ein wonniges Gefühl, so mitten im Weltmeere zu baden und wir hatten uns schon mehrere Tage dieser Lust überlassen, als wir Haifische bemerkten. Sofort machten wir uns bereit, einen oder einige derselben zu fangen, nicht vermöge der Geduldprobe mit Köder und Haken, sondern, wie es Walfängern geziemt, mit Harpune und Lanze. Ein glänzender Blechtopf, an dünner Leine befestigt, wurde mit hinaus in das Wasser geworfen und schnell wieder zum Schiffe herangezogen. Dieses Lockmittel bewährte sich wie immer ausgezeichnet: in blinder Gier schossen die Haie dem blinkenden Dinge nach, und bald war einer harpunirt, getödtet und an Deck genommen. Er hatte ungefähr doppelte Mannsgröße, sein elastischer Rachen hätte aber wohl kaum einen zehnjährigen Knaben aufnehmen können. Der Magen enthielt Knochen und Kartoffeln, Abfälle unserer Küche, die er mit seinen Cameraden getheilt hatte; sie bewiesen, daß er uns schon mehrere Tage gefolgt war. Offenbar waren diese Haie bei so kärglicher Nahrung sehr hungrig, und obgleich wir, ihre Nähe nicht ahnend, ihnen verschiedene Male vor der Nase herumgeschwommen waren, hatten sie uns doch nicht angefallen.

An der Küste von Chili sah ich Rotten wilder Knaben der einkommenden Fluth brusttief entgegenwaten und den an den Rand herandrängenden Haifischen erfolgreiche Gefechte liefern. Meistens erlegten sie mit ihren sehr primitiven Lanzen und Harpunen nur die kleineren Hunds- und Katzenhaie; doch sah ich auch einen sieben Fuß langen Grundhai an’s Land bringen, welcher natürlich viel größer war als irgend einer seiner Peiniger. Sie versicherten mir, daß diese Jagd ihr Lieblingsvergnügen sei und sie oft noch größere Exemplare erlegten.

Würde es der Raum erlauben, so könnte ich noch Vieles, von dem ich Augenzeuge war, anführen; doch würde daraus immer nur hervorgehen, daß der Hai besser ist als sein Ruf. Um Juan Fernandez im Stillen Ocean – die berühmte Insel, auf welcher Alexander Selkirk, der Held unserer Robinsonaden, lebte – wimmelte es von Haifischen; die chilenische Familie, welche dort wohnte, hielt sie für ungefährlich. Die Sandwich-Insulaner, wahre Amphihien-Naturen, schwimmen und tauchen im Meere, wo es ihnen beliebt; die Bewohner der Azoren, der Cap Verde Inseln und brasilianische Fischer, mit denen ich in Berührung kam, konnten mir keinen Unglücksfall angeben, der sich bei genauer Untersuchung nicht als unbegründet auswies.

Die westindischen Haie sind berüchtigt. Wir haben daselbst Schiffbruch erlitten und auf einem trostlosen Korallenriff Robinson gespielt, mit unzähligen Haien aller Art als einzigen Besuchern; sie haben uns nicht gefressen. An der Küste von Massachusetts haben wir Vergnügungsfahrten unternommen, um uns mit allerlei Seegethier zu bereichern, Schwertfische zu harpuniren und Haie zu angeln; wir haben sie von allen Größen gefangen, und die Fischer von dem berühmten Cap Cod, ein rauhes und kühnes Geschlecht, sahen uns gern, weil wir sie von dem die Fische verscheuchenden und die Netze zerreißenden „Ungeziefer“ befreiten. Schlimmeres wußten auch sie nicht zu sagen.

Seeleute sind von äußerst conservativer Gesinnung und haben ihre eigene Sagenwelt, an der nur schwer sich rütteln läßt; sie stimmen überein in ihrem Haß und ihrer Grausamkeit gegen Haifische und wissen grausige Geschichten zu erzählen. Fragt man aber einen Gläubigen, so hat er es zwar nicht selbst gesehen, aber – und dies ist das alte, alte Lied – er hat Einen gekannt, der hat wieder Einen gekannt, welcher es gesehen hat oder vielleicht gar nur bald einmal gesehen hätte. Solch treuherziger Glaube kann das Wissen schwerlich fördern.

M. E. P.