Im Schifferhaus zu Lübeck

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Autor: H. A.
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Titel: Im Schifferhaus zu Lübeck
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 76–79
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[76]
Im Schifferhaus zu Lübeck.

Eins der alterthümlichsten Häuser in Lübeck ist das Schifferhaus, gewöhnlicher die „Schiffergesellschaft“ genannt. Es liegt am Kuhberge, der Jacobkirche vis à vis, ist mit einem herrlichen Treppengiebel versehen und führt auf dem Beiwerk die Inschrift: „Allen zu gefallen, ist unmöglich!“ Ein wahres Wort. Im vorigen Jahre machten freilich ein hiesiger Professor, ein Maler und ein Schiffer sich die Kurzweil und änderten, oder richtiger, verballhornisirten dieselbe folgendermaßen:

[77]

Das Schifferhaus in Lübeck.
Originalzeichnung von Vinc. Lerche in Düsseldorf.

[78]

„Allen zu gefallen, ist unmöglich!
Bei den Schiffern ist’s behäglich,
Wein und Bier giebt es dort täglich.“

Warum aber die geistreichen Verfasser dieser Ergänzungen sich zur vierten Zeile den Endreim „kläglich“ entgehen ließen, vermögen wir nicht zu bestimmen und erwähnen es auch nur so nebenher, denn die alte ursprüngliche Inschrift ist an den beiden Steinsäulen längst wieder hergestellt.

Das Alter dieses Hauses ist vielleicht auf dreihundert Jahre zu schätzen; wenigstens spricht hierfür sein Inneres, das noch heute unverändert ist. Noch heute erkennt man die Anordnung der Plätze für die Aelterleute (die Schiffer in Lübeck huldigen der Zunft); Tische und Bänke der Compagniebrüder sind mit dem Wappen der commercirenden Collegien geschmückt, und die hoch hinauf reichenden Rückwände können ebenso gut für Zeichen in sich abgeschlossener Gemüthlichkeit als für Zeichen starren Kastengeistes gelten. Die altergeschwärzten Balken sind gleichfalls in derbster Weise verziert, von der Decke aber hängen die seltsamsten Schiffsmodelle früherer Zeit, ein Eskimoboot, die abenteuerliche Gestalt eines Seeungeheuers, Schiffslaternen, Innungsfahnen, Schutzheilige und andere Curiositäten, unter denen das „schwarze“ Brett für „Widerhaarige“ nicht vergessen werden darf.

In diesen Räumen verkehrten früher vorzugsweise an den langen Winterabenden die lübischen Schiffer – jetzt kann jeder Gast dort einkehren – und erzählten sich beim Glase Wein oder „steifen“ Grog Erlebnisse aus dem Seemannsleben, bald heiter, bald düster, je nachdem der Gott des Meeres sie gefügt. Daneben wurden auch Erinnerungen aus älterer und jüngerer Zeit laut. Man sprach von den Kämpfen mit den „Linkendelern“ (Vitalianern), namentlich mit den Häuptlingen der Piraten, mit Claus Störtelbecker, mit Wichmann, Michelt und Gödeke Michalsen; von den Gefechten mit den Niederländern, von Jürgen Wullenweber und dem lübischen Admiral Marx Meier, wie auch von den schwedischen Seekriegen, die Lübeck im sechszehnten Jahrhundert geführt. (Eine Abbildung des Admiralschiffs, der „große Adler“ genannt, das 37,500 lübische Mark kostete, hundertundneun Ellen lang und sechsundzwanzig Ellen breit war und tausend Last führte, ist im Schifferhause noch vorhanden.) Am liebsten jedoch und am nachhaltigsten unterhielten sich die Söhne des Meeres von den beiden lübischen Schiffern Brandt und Schümann.

Und warum? Hören Sie! Ersterer ging im October 1813 mit seinem Schiffe „Elfriede“ aus dem Hafen von Sheerneß unter Segel, um nach Swinemünde zu fahren. Das Schiff war bemannt, außer dem Capitän, mit zwei Schiffsjungen, fünf Matrosen und einem Steuermann (Bruder des Capitäns), für den Nothfall führte die „Elfriede“ zwei Kanonen, fünf sogenannte „Donnerbüchsen“, eine Pistole und einen Degen.

Am ersten November erblickte der Capitän in der Nähe der Doggersbank eine englische Brigantine, die beinahe alle Segel eingebüßt und die Nothflagge aufgezogen hatte. – Der Capitän Brandt ließ, um dem bedrängten Schiffe Beistand zu leisten, alle Segel seines Schiffes in den Wind richten, und, sobald beide Schiffe sich nahe genug gekommen waren, rief die Mannschaft des jenseitigen Schiffes in englischer Sprache: „Rettet uns! Das Schiff will sinken!“

Der deutsche Capitän säumte keinen Augenblick. Er ließ, als er bemerkt, daß auf dem fremden Schiffe kein Boot war, von dem seinigen schleunigst eins in’s Wasser setzen, bestieg dasselbe mit vier Matrosen und fuhr hinüber nach der Brigantine, wo er sich an Bord begab und die Mannschaft in Todesangst und Verzweiflung fand.

Als Brandt sich die Schiffspapiere hatte vorlegen lassen und das Schiff für ein englisches anerkennen mußte, hieß er die Mannschaft – aus sieben Erwachsenen und einem zwölfjährigen Jungen bestehend – in sein Boot steigen und führte alle nach seinem Schiffe. Kaum befanden sich die Geretteten am Bord der „Elfriede“, so schrie Einer von ihnen, daß auf der Brigantine noch ein bedeutender Mundvorrath sich befände, welcher der vermehrten Mannschaft wohl zu statten kommen könne. „So holt die Lebensmittel herüber!“ gebot Brandt. Allein die Geretteten schienen so entkräftet, daß sich seine Leute erboten, sie zu holen. Es fuhren demnach die vier Matrosen und der Koch der „Elfriede“ wieder hinüber nach dem fremden Schiffe. Kaum waren diese aber abgefahren, so baten die Geretteten um etwas Essen, welchem Wunsche der deutsche Schiffer auch entsprach.

Während die Hungrigen sich sättigten, stand der Capitän Brandt mit seinem Bruder und den beiden Schiffsjungen auf dem Hintertheil der „Elfriede“ und blickten ahnungslos hinüber nach der immer mehr versinkenden Brigantine. Da, plötzlich und unerwartet stürzen die sieben Aufgenommenen von dem Vordertheil des Schiffes hervor, dringen schreiend und mit Pistolen bewaffnet auf den Capitän ein, umringen ihn und rufen: „Wir sind keine Engländer, sondern französische Kaper! Euer Schiff ist unser und wenn Ihr Euch widersetzt, seid Ihr des Todes!“ Und noch ehe Brandt sich widersetzen konnte, ist er und sein Bruder von den Piraten in die Kajüte hinabgestoßen.

Was nun anfangen? Gewalt gegen Gewalt setzen? Das war mehr als mißlich und dennoch blieb ihnen keine andere Wahl, als den ungleichen Kampf zu wagen. Zwei gegen Sieben, und überdies waren diese bewaffnet. Aber glücklicherweise befanden sich in der Kajüte fünf Donnerbüchsen, eine Pistole und ein Degen, welche Gegenstände die Seeräuber wahrscheinlich nicht bemerkt hatten. Beide Brüder reichten sich die Hände und sagten gleichzeitig: „wir kämpfen!“ – Während nun der Capitän die Donnerbüchsen lud und der Steuermann neben der Kajütenthüre horchte, jubelten, sangen und tanzten die Piraten auf dem Verdecke und als das Boot mit dem geretteten Proviant daher kam, rief ein Kerl den deutschen Seeleuten zu: „Zurück! dies Schiff ist unser Eigenthum! fahrt seewärts, sonst schießen wir Euch nieder!“ – Die fünf wehrlosen Matrosen wagten es nicht näher zu kommen, obwohl zwei von ihnen darauf bestanden das Schiff zu entern.

Eben überlegten die Gebrüder Brandt, wie der Angriff auf die Piraten am wirksamsten auszuführen sei, als diese den Steuermann auf’s Verdeck riefen, um ihm das Steuer zu übergeben. Jedoch hatte der Capitän so viel Zeit seinem Bruder zuzuflüstern: „Suche die Räuber auf einen Fleck zu bringen!“

Dieser Worte gedenkend, rief dieser alsbald den Piraten zu: „Refft die Segel zur Rechten, damit wir nördlich kommen!“ Alle begaben sich eiligst rechts, während der jüngere Brandt rasch an die Kajütenthür trat, wo ihm der Bruder eine geladene Büchse in die auf den Rücken gelegten Hände schob. Im nächsten Augenblick krachten Beider Donnerbüchsen und streckten vier Piraten zu Boden, von denen sich aber drei sogleich wieder aufrichteten, und Alle erhoben ein Wuthgeschrei, grausig anzuhören.

Beide Brandt erreichten jedoch glücklich die Kajüte, nahmen wiederum eine Donnerbüchse zur Hand und brannten abermals los. Zwei Piraten fielen, einer erhob sich wieder. Blitzschnell eilten beide Brüder abermals in die Kajüte. Der Capitän entreißt dem zitternden Jungen die letzte geladene Büchse und schlägt auf den Anführer der Seeräuber an. Von dem Schusse getroffen, stürzt dieser zwar nieder, erhebt sich aber wieder und dringt auf den Capitän ein. Dieser fühlt im nächsten Augenblick einen Dolchstoß in der rechten Seite und verliert die Besinnung, kommt jedoch schnell wieder zu sich, als ein Schuß fällt und sein Bruder knirschend ruft: „Meine linke Hand ist fort!“ Die Büchse, welche er schleunigst geladen, war gesprungen und hatte ihm den Daumen zerschmettert.

Dieser Aufschrei des Bruders entflammte auf’s Neue den Muth des Capitäns. Er ringt mit seinem Gegner, entreißt ihm glücklich das Dolchmesser und versetzt dem schon Schwerverwundeten einige so heftige Stöße, daß derselbe sterbend zusammensinkt. Jetzt war aber auch der deutsche Schiffer so entkräftet, daß er gleichfalls zusammenbrach in dem Augenblick, wo sein Bruder, den Degen in der gesunden Hand schwingend, wieder auf’s Verdeck stürzt und mit einem Hiebe den Kopf eines Piraten spaltet, daß dieser todt zu seinen Füßen sinkt. Dieser Erfolg entmuthigte die zwei noch übrigen Feinde dergestalt, daß sie sich auf die Kniee warfen und um Pardon baten.

Der Sieg war errungen und der ungleiche Kampf hatte zwar die „Elfriede“ wieder in Besitz des Capitäns gebracht, aber sein und seines Bruders Lage war durchaus nicht beneidenswerth. Beide Männer waren verwundet, zwei unerfahrene Schiffsjungen ihre einzigen Gehülfen und dazu die Nacht vor der Thür. Doch das Sprüchwort: „Wenn die Noth am höchsten, ist die Hülfe am nächsten,“ bewährte sich auch hier. Die fünf Matrosen, welche sich nicht allzuweit entfernt hatten, kamen gegen Mitternacht an Bord. Der Capitän lag ohnmächtig auf dem Bette, während der Steuermann, [79] im Verein mit den Matrosen, die Verwundeten untersuchte. Zwei waren todt und wurden in’s Meer versenkt; ein Dritter, obgleich verwundet, war keck genug, sich zur Wehr zu setzen, er wurde lebendig über Bord geworfen; ein Vierter verschied gegen Mitternacht, auch sein Leichnam wurde der See übergeben; der Fünfte starb an seinen Wunden erst nach zwei Tagen.

Die Gebrüder Brandt erreichten mit ihrem Schiffe glücklich Gothenburg, wo sie ärztliche Hülfe erhielten und ihre Wunden geheilt wurden. – Auch die beiden gefangenen Piraten wurden daselbst abgeliefert. – Zum Lohne für diese bewiesene Tapferkeit erhielten die Gebrüder Brandt von dem Könige von Preußen das „eiserne Kreuz“, und noch vor einigen Jahren sah man in dem Schifferhause zu Lübeck unter den Gästen auch den Capitän Brandt, geschmückt mit dieser Decoration, still-ernst dahinblickend. – –

Der lübische Schiffer J. J. Schümann erlebte ein ähnliches Seemannsstückchen. Im Mai des Jahres 1817 segelte er mit seinem Schiffe „Industrie“ von Riga nach Corril in Spanien. Auf der Höhe vom Cap Finisterre wurde er von einem ebenfalls unter englischer Flagge fahrenden, aber mit Algierischen Seeräubern bemannten Briggschiffe angehalten und zu demselben an Bord gefordert. Der Uebermacht nachgebend, entsprach der deutsche Capitän mit zweien seiner Leute diesem Befehle. Man verlangte seine Papiere und vor Allem einen türkischen Paß, und da er solchen nicht hatte, erklärte man Schiff und Ladung für eine gute Prise und ihn und seine Leute ohne Umstände für Sclaven.

Die Unmöglichkeit einsehend, Gewalt mit Gewalt vertreiben zu können, machten die Deutschen gute Miene zum bösen Spiele und schienen sich in ihr Schicksal zu fügen. Jedoch bemerkte Schümann den Piraten, daß es für Schiff und Ladung wohl gerathen sein möchte, wenn er selbst auf demselben die Reise nach Algier fortsetze, da sein Steuermann stark dem Trunke ergeben sei. Der Anführer der Seeräuber pflichtete dem bei und ließ Schümann mit seinen beiden Leuten, begleitet von elf Räubern, wieder an Bord der „Industrie“ bringen. Hier angekommen, plünderten die Corsaren sogleich die deutschen Seeleute gänzlich aus und fanden es alsdann für gut, den Capitän und fünf seiner Matrosen auf dem Schiffe zu lassen, die übrige Mannschaft aber, einen Steuermann, zwei Matrosen und zwei Burschen, nach dem Raubschiffe abzuführen.

Von nun an war Schümann nur darauf bedacht, die mißtrauischen Piraten etwas unbesorgter zu machen, weshalb er sich, was sonst gar nicht seine Weise war, gegen seine Leute despotisch benahm, sie bei der geringsten Veranlassung schalt und schlug oder sie so arg stieß, daß sie sogleich hinfallen mußten, ohne darüber zu mucksen. Dies Verfahren bewirkte gar bald, daß die Türken weniger aufmerksam wurden, indem sie die deutsche Besatzung für sehr schwach und muthlos hielten, von der nichts zu besorgen sei.

Am fünften Juli kam die „Industrie“ in die Nähe von Lissabon, und an demselben Tage entschloß sich der deutsche Capitän, zu siegen oder zu sterben. Zwischen ihm und seinen Leuten wurden demzufolge folgende Verabredungen getroffen: Schümann wollte die Türken zu einem guten Häringssalat einladen, und Steffen – ein beherzter und entschlossener Mann – den er als Kajütenjungen angestellt, sollte bei der Bereitung behülflich sein. Als das Frühstück angerichtet war, wurden die Piraten dazu eingeladen. Schümann aß mit den vier Officieren auf dem Verdeck, Steffen mit den sieben Gemeinen im Roof. Was man gehofft, erfolgte: es stellte sich bei den Räubern nach genossenem Mahle ein starker Durst ein. Der Capitän ging mit dem Prisenmeister in die Kajüte hinab, um ihm ein Glas Rum zu geben; zu ihnen gesellte sich Steffen, mit der Reinigung einiger Geräthe sich beschäftigend. Schümann lud den Türken ein, sich auf eine neben der Kajütenthür und dem Tische stehende Kiste niederzulassen, wo er, wie verabredet, von Steffen niedergehauen werden sollte. Aber der Räuber setzte sich so, daß er beim Trinken Alles übersehen konnte. Dieser Plan war also vereitelt!

Nach kurzer Weile legte der Capitän eine Seekarte auf den Tisch und zeigte mit dem Finger, wo Lissabon und Algier liege. Den letztern Ort betonte er absichtlich sehr stark, indem er hastig ausrief: „Hier liegt Algier!“ Der bis dahin gleichgültig zuhörende Prisenmeister wandte sich neugierig nach der Karte und bückte sich, um den Ort zu sehen, über den Tisch. Dieser Moment war entscheidend. Schümann gab Steffen das verabredete Zeichen, dieser ergriff einen Zimmermanns-Dehsel und versetzte mit dessen Schärfe dem Türken einen solchen Hieb in den entblößten Nacken, daß der Corsar, ohne irgend einen Laut von sich gegeben zu haben, todt niederstürzte. Der Schaft des Instruments zerbrach. Rasch eigneten sich nun die beiden Deutschen des Gefallenen Waffen, zwei Pistolen und einen Degen, an und schritten auf’s Verdeck. Als sie dies erreicht, legte der Capitän auf den vor der Kajütenthür stehenden türkischen Posten an und erschoß ihn. Steffen aber nahm den neben dem Steuer stehenden Türken in’s Auge und traf auch diesen glücklich. Schnell ergriffen sie der Gefallenen Waffen und riefen die deutsche Besatzung zu sich. Wollte man Sieger bleiben, so mußte man rasch handeln, und das geschah denn auch: fünf Corsaren wurden mit ihren eigenen Waffen niedergestreckt.

Jetzt stand Schümann hinten auf dem Schiffe und hatte seine fünf Leute noch unversehrt neben sich; der hintere Roof diente ihnen gleichsam als Schanze gegen das Schießen der Piraten von vorn her, denen aber zum Wiederladen keine Zeit gelassen werden durfte, vielmehr mußte man ihnen keck zu Leibe gehen. Dies geschah denn auch unverzüglich, wobei jedoch einer der deutschen Matrosen mit einem Piraten zusammengerieth, der ihm an Körperkraft weit überlegen war, weshalb der Capitän mit blanker Waffe hinzusprang und dem Türken einen Hieb versetzte, daß sein Blut sechs Fuß hoch in das backliegende große Segel hinaufspritzte. In demselben Augenblick sprang ein Pirat über Bord. Da man jetzt nirgends einen Feind mehr erblickte, rief Schümann zwei seiner Leute zu sich, um eine andere Rudertalje einzuziehen, da die vorige wahrscheinlich durchgehauen war, so daß das Steuer hin und her schlug.

Eben am Backbord mit dieser Arbeit beschäftigt, ward man plötzlich noch eines Corsaren gewahr, welcher sich bisher im Roof versteckt hatte, jetzt aber mit einer „Blunderbüchse“ hervor trat, die mit sechs Kettenkugeln geladen war und die er auf die drei Deutschen anlegte. Noch rechtzeitig stieß Schümann seine Umgebung auseinander, rasch nach der Steuerbordseite springend. Bei der Kajütenthür aber begegnete ihm der Corsar, der auf ihn anlegte und ihn am Kopfe verwundete, so daß der Capitän gezwungen war, sich bis in die Mitte des Schiffes zurückzuziehen. Der Pirat jedoch verfolgte ihn, in jeder Hand eine gespannte Pistole haltend. Jetzt schlug er auf seinen Gegner an – aber beide Pistolen versagten. Mit einem Sprunge stand Schümann neben ihm, einige Säbelhiebe ihm versetzend und zwar so, daß er niederstürzte und bei jedem Hiebe, den er bekam, in italienischer Sprache ausrief: „Das ist gut!“ Er hatte auch gar nicht Unrecht, denn mit seiner Person war der letzte der Seeräuber aus dem Wege.

Die Leichname wurden nun theils ganz, theils stückweise „mit Sack und Pack“ über Bord geworfen. Dabei entdeckten die Matrosen einen Piraten zur Seite des Schiffes, wahrscheinlich denjenigen, welcher über Bord gesprungen war und der nun ein Tau ergriffen und, um leichter schwimmen zu können, seine Jacke ausgezogen hatte. Er bat um Pardon, aber bei der Erbitterung der Mannschaft wurde hierauf nicht gehört: das Tau ward gekappt und er den Wellen preisgegeben, in denen er wohl seinen Tod gefunden.

Der blutige Kampf hatte eine volle Stunde gewährt.

Nachdem das Schiff wieder vor den Wind gebracht und das Blut der erschlagenen Seeräuber weggewaschen worden war, dankten Alle knieend Gott für den verliehenen Sieg. An demselben Tage noch bekam die „Industrie“ von Lissabon aus einen Lootsen an Bord und landete daselbst am folgenden Tage.

Glücklicherweise wurde auch die deutsche Mannschaft, welche auf dem Piratenschiffe in die Sclaverei geführt werden sollte, durch die thätige Verwendung des schwedischen General-Consuls, Herrn Anckerloo, wieder in Freiheit gesetzt, und zwar ohne die als Lösegeld verlangten fünfzehntausend Piaster bezahlt zu haben.

H. A.