Zum Inhalt springen

Bilder aus Spanien/Madrid und seine Feste

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Schmidt-Weißenfels
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Madrid und seine Feste
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 435–439
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[435]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Bilder aus Spanien.

Madrid und seine Feste.
Von Schmidt-Weißenfels.

Die beste der Welten, sagt ein humoristischer spanischer Schriftsteller, ist Europa; die beste der Nationen Europas ist die spanische, und das Beste von Spanien ist Madrid.

Am oft sehr wasserarmen, zu Wasch- und Trockenplätzen benutzten Manzanares gelegen, erscheint die Stadt von weitem wie eine aus der Ebene aufsteigende Bastion. Stolz ragt an der Flußseite der mächtige weiße Schloßbau, die königliche Residenz, empor. Aber keine Stadt in Spanien hat in ihrer äußeren Erscheinung so wenig Spanisches wie Madrid. Es ist wie ein Stück Paris und ganz modern; nichts Alterthümliches und geschichtlich Ehrwürdiges darin. Es ist nicht so groß, als man sich gemeinhin vorstellt, und es ist auch nicht so schön, als man glauben sollte nach dem Ruf, der über das Leben daselbst sich verbreitet hat. Aber immerhin ist es großstädtisch, luxuriös, heiter und volkreich. Das Beste oder das Interessanteste darin ist die Puerta del Sol, ein Platz mitten in der Stadt, auf welchen zehn Straßen aus allen Weltgegenden münden; besonders geräumig ist er nicht, und wenn man die Kathedrale von Toledo dahin stellen würde, hätte sie lange nicht Platz genug. Aber über ihn fluthen von früh bis spät in die Nacht die lärmenden Wellen geschäftigen Verkehrs. Hier kreuzen sich die zahllosen Wagen, Karren und Pferdeeisenbahnen; hier bummeln die reichen und die armen Müßigganger; hier haben die Bettler jeder Art ihr Hauptquartier und erfüllen Verkäufer aller Art die Luft fort und fort mit ihrem Geschrei. Jeder von den 470 000 Einwohnern Madrids, meint man, müsse wenigstens einmal des Tages oder des Abends über die Puerta del Sol gehen. Hier schlägt in Wahrheit das Herz von Madrid.

Gearbeitet wird nicht sehr viel in dieser Hauptstadt Spaniens. Sie besitzt keine Fabriken, keine Industrie. Daher sind die Hauptstraßen nach der Puerta del Sol immer voll Menschen, die sich in der frischen Luft oder in der Sonne von ihrer häuslichen Anstrengung erholen; die großen Kaffeehäuser sind niemals leer. Und abends ist alle Welt, die es haben kann, in den Theatern, deren es mehr als ein Dutzend giebt. Für öffentliche Schauspiele und Festlichkeiten ist keine Stadt so geeignet wie Madrid; es hat die Plätze dazu, gleichsam die Bühnen mit Dekorationen und Coulissen, und die stets zur Schaulust bereite Menge. In ihren Festen spiegelt sich der Geist der Stadt. Werfen wir daher hier einen Blick auf einige dieser öffentlichen Schauspiele. Und da das Militär zu den glänzendsten Erscheinungen des öffentlichen Lebens gehört, mögen auch die militärischen Schauspiele, die große Parade, die Manöver voranstehen.

Als Platz für die Paraden dient der „Prado“, die beliebte breite Promenade, die sich in ihren mit Baumalleen und Palästen versehenen Fortsetzungen um halb Madrid zieht.

Die spanischen Truppen sind ähnlich uniformiert wie die französischen, nur in der Kopfbedeckung unterscheiden sie sich merklich von diesen. Sie sind elegant und gediegen ausgestattet, und zumal in Madrid liegen die schönsten Regimenter. Freilich besitzen sowohl Infanterie- wie Kavallerieregimenter eine im Vergleich zu unseren deutschen Verhältnissen äußerst geringe Friedensstärke. Erstere erreichen kaum den Mannschaftsstand eines deutschen Bataillons. Ihrer sechzig, im Frieden je etwa sechshundert Mann stark, sind über die spanischen Provinzen und Kolonien vertheilt. Die Kavallerie zählt 28 Regimenter mit je vierhundert Pferden, darunter Ulanen mit blanken Stahlhelmen, Husaren und Chasseurs, letztere unsern Dragonern entsprechend.

Die ganze Armee übersteigt in Friedenszeit kaum hunderttausend Mann und soll in Kriegsstärke auf 800 000 gebracht werden können. Erst unter König Alfons XII. wurde anstatt der früheren zehnjährigen Präsenzzeit die dreijährige mit Reservepflicht nach deutscher Weise eingeführt. Wenn auch jeder Spanier neuerdings zum Kriegsdienst verpflichtet ist, so kann er sich doch vom aktiven Dienst mit einer Summe von fünfzehnhundert bis zweitausend Pesetas (1 Peseta gleich einem Frank zu rechnen) loskaufen. Natürlich sind es infolgedessen die armen Landleute, aus denen sich die Armee zum größten Theil zusammensetzt; jährlich werden ihrer bis zu zwei vom Hundert ausgehoben, blutjunge kleine Kerle, oft noch knabenhaft in ihrem Erscheinen, aber flink und zäh. Aehnlich wie bei den Italienern ist auch bei der spanischen Infanterie das Marschtempo ein ganz erstaunlich schnelles, 125 Schritte in der Minute, während die deutschen Bataillone [436] auch nach der neuerdings eingeführten Beschleunigung nur 114 Schritte in der Minute machen, und es ist daher ein flotter Anblick, wenn so eine Truppe unter den melodiösen Weisen ihrer „Banda“ den Prado heruntermarschiert.

Das vornehmste Corps in der spanischen Armee ist die „Guardia civil“ zu Fuß und zu Pferde. Sie versieht im ganzen Lande den Gendarmeriedienst, und die Pflichttreue und der persönliche Muth, welchen sie stets beweist, haben ihr eine hohe Achtung und das Wohlwollen aller ordnungsliebenden Bürger in Spanien gesichert. Sie ist der Schrecken der Banditen und gilt als die zuverlässigste Stütze der Regierung. Als einmal wiederholt Eisenbahnzüge in den einsamen Gebirgsstrecken des Landes nächtlicherweile überfallen wurden, da ließ man in jeden Nachtzug mehrere dieser Guardias civil einsteigen, und ihre Anwesenheit genügte, um die Passagiere über die Sicherheit ihrer Person und ihrer Habseligkeiten zu beruhigen. Als alte gediente Männer machen sie schon durch ihr Aeußeres einen gebietenden Eindruck; sind es doch meist stattliche Gestalten, deren verwetterte Gesichter mit dem starken schwarzen Schnurrbart sich im Zusammenwirken mit der Uniform äußerst martialisch ausnehmen.

Diese Uniform, von der unser Anfangsbildchen eine Vorstellung zu geben vermag, besteht aus einem dunklen Leibrock mit rothem Brusteinsatz und silberbordierten Aufschlägen, aus weißledernen Kniehosen, schwarzen wollenen Gamaschen und einem Dreispitz als Kopfbedeckung. So erinnern die Leute lebhaft an die Grenadiere Friedrichs des Großen, und ihre malerische Tracht gewinnt noch bei denjenigen, welche beritten erscheinen.

In der Zuneigung des Publikums steht der Guardia civil am nächsten die Gebirgsartillerie; die nebenstehende Abbildung zeigt uns eine Abtheilung derselben auf schmaler Bergstraße. Die Geschütze sind zerlegt in ihre Bestandteile, Rohr, Räder, Protzkasten etc., und sichergehende Maulthiere tragen auf eigens zugerichteten Sätteln die einzelnen Lasten. Handelt sich’s aber um eine Parade, dann bewähren sich dieselben Mulos gleich vortrefflich als leistungsfähige Zugthiere, und im Galopp geht’s mit den kleinen gedrungenen Geschützen und den Protzkasten voll Kanonieren den Prado hinunter.

Gebirgsartillerie.

Manöver in unserem Sinne, wo große Verbände, Divisionen, Armeecorps, gegeneinander operieren, giebt es in Spanien nicht, jeder Truppentheil führt irgend eine Aufgabe für sich aus. Der Grund liegt in der heißblütigen Leidenschaftlichkeit der spanischen Natur, und es hat sich gezeigt, daß eine Felddienstübung mit Partei und Gegenpartei nicht ohne Gefahr ist. Die gegenseitige Eifersucht von Waffengattung gegen Waffengattung, von Regiment gegen Regiment artet dabei leicht in ernsthafte Händel aus, bei denen alle Disciplin in die Brüche geht. Vor etwa fünfzehn Jahren wurde einmal zu Ehren des Kaisers von Marocco ein richtiges Manöver spanischer Truppen veranstaltet. Eine fingierte Feste auf einem Berg sollte genommen werden. Als man aber zum Sturm vorging, da wollte die Besatzung um keinen Preis dem Plan zuliebe weichen, sie mißachtete alle Signale und Befehle, es kam zu scharfen Schüssen und zu Verwundungen hüben und drüben – die Besatzung der Festung behauptete ihre Stellung, unbekümmert darum, daß der Generalstab es anders vorgeschrieben hatte.

Es kennzeichnet diese Geschichte die Eigenwilligkeit der spanischen Regimenter, die sie so oft schon zu schweren Verletzungen der Disciplin geführt hat und insbesondere auch in ihrer Betheiligung an der Politik zu Tage tritt. Die Soldaten in Spanien bilden in der That die Menschenklasse, welche am meisten Politik treibt, und alle Ueberwachung der Kasernen konnte nicht verhindern, daß darin oft genug Verschwörungen geplant und angezettelt wurden. Die Sergeanten waren gern die Häupter dabei, weil sie Offiziere werden wollten, und die Offiziere liebten ihrerseits das Revolutionspielen, weil sie sonst nie oder doch nicht schnell genug ihren Traum von den Generalsschnüren erfüllt sahen.

Doch kehren wir zurück zu Madrid und seinen Festen. Die militärischen Schauspiele, so wichtig und so zahlreich im Leben des Berliners und Parisers, nehmen nur einen bescheidenen Raum ein in dem des Madriders. Hier beansprucht eine Gattung den Vorrang vor allen andern, das sind die Stierkämpfe in der Arena, die „Corridas de Toros“.

Als seinerzeit im November 1883 der deutsche Kronprinz und nachmalige Kaiser Friedrich III. zum Besuche des Königs Alfons XII. nach Madrid kam, war die Herbstsaison der Stiergefechte eben zu Ende gegangen. Aber selbstverständlich wurde für den hohen Gast eine außerordentliche Vorstellung veranstaltet. Der Spanier meint ja niemand eine höhere Ehre erweisen zu können, als wenn er eigens für ihn ein Stiergefecht ansetzt. Das von ihm selbst so leidenschaftlich geliebte Nationalvergnügen, welches an den Sonntagnachmittagen die zehn-, zwölf-, ja fünfzehntausend, nebenbei bemerkt, gar nicht billigen Plätze der städtischen Arenen füllt, es ist das Höchste, was er bieten kann. Eine Mißachtung dieser alten blutigen Spiele, eine Verurtheilung derselben als eines widerwärtigen Auswuchses menschlicher Grausamkeit würde den Spanier aufs tiefste verletzten, und allerdings kann er von dieser überlieferten Gewohnheit öffentlicher Volksbelustigung nicht denselben Eindruck haben wie der Fremde, welcher zum ersten Mal mit ihr Bekanntschaft macht.

Man muß die Stiergefechte eigentlich mit Theateraufführungen vergleichen, die im Frühjahr und Herbst in den offenen Arenen (plazas de toros) stattfinden, von denen jede größere Stadt in Spanien eine besitzt. Wie einem Schauspieldirektor, so wird einem Unternehmer diese Arena für einen bestimmten Preis gegen die Verpflichtung zu einer bestimmten Anzahl von Stierkämpfen verpachtet. Einer der Alcalden (Stadträthe) ist jedoch immer so etwas wie Generalintendant dafür, er ist als Präsident der Torospiele bei einem jeden derselben in seiner besonderen Loge zugegen, um für eine gute Vorstellung den Dank der Zuschauer, für eine schlechte ihren sehr kräftig sich ausdrückenden Unwillen davonzutragen. Selbstverständlich sichert sich deshalb auch dieser Alcalde den nöthigen Einfluß auf den Gang der Handlung. Der Unternehmer seinerseits hat dagegen in erster Linie die Sorge für die Anwerbung des auftretenden Personals.

[437]

Photographie im Verlage von Loescher u. Petsch in Berlin.

Torero.
Nach dem Oelgemälde von N. Sichel.

[438] Dieses besteht zunächst aus den Inhabern der Hauptrollen, den „Espadas“ (Degen), die in ihrer Kunst einen mehr oder minder glänzenden Ruf genießen, in den öffentlichen Anzeigen der Aufführungen daher mit Namen genannt und landauf landab zu Gastrollen berufen werden. Wer wollte auch nicht einmal Don Rafael, den „Igel“, oder Don José, den Krauskopf – Spitz- oder Schmeichelnamen haben sie alle – bewundern? Sie sind die Angesehensten ihrer Gilde, nennen den Herzog so und so ihren Freund und die Condesa so und so ihre huldvolle Gönnerin und tragen sich außer Dienst untadelhaft in ihrer eigenartigen Kleidung. Der Name „Matadores“, d. h. „Schlächter“, wie sie der Fremde meist irrthümlich nennt, würde sie schwer beleidigen; diese Benennung kommt, wie wir später sehen werden, ganz anderen Persönlichkeiten zu. Sie kennzeichnen sich wie durch die Kleidung und durch ein feines Zöpfchen im Nacken so durch eine typische Physiognomie, und es ist beinahe schwierig, auf flüchtigen Blick hin zu unterscheiden, wer jung oder alt von ihnen ist. Sie sind schlank, von theatralischem Gebahren; ihre Gesichter sind völlig bartlos, bleichgrau oder bronzefarbig, hart in den Zügen, und ihre Augen von stechendem Ausdruck mit muthigem, stolzem, kaltblütigem Blick. Sie sind berufen, dem Stier mit ihrem Degen den Tod zu bringen.

Eine zweite Gattung dieser „Toreros“ – dies die Gesammtbezeichnang aller in einem Stiergefechte auftretenden Personen – sind die „Banderilleros“, die in ihrer Besonderheit nicht minder gerühmt werden und eigentlich die liebenswürdigste Rolle bei einer Corrida haben. Ist der Espada des Stieres Tödter, so schmückt der Banderillero das Opfer, ehe es fällt. In der malerischen Festkleidung, der bunt und goldgestickten Sammetjacke, den seidenen, mit breiten Stickereien an den Seiten gezierten Kniehosen, den weißen Strümpfen und leichten, offenen Schuhen, dem roth- oder gelbseidenen Mantel, gleichen sich beide; aber die Rolle des Espada ist eine tragische, die des Banderillero eine mehr humoristische. Er spielt mit dem Stier, er tanzt vor ihm und wirft ihm dabei kühn und gewandt die mit farbigem Papierschmuck umhüllten Harpunen in den Nacken – die Banderillas –, die ihm gleich Federbüschen anhaften bleiben, sehr wider seinen Willen und sein Gefallen, denn ihre Widerhaken sitzen schmerzhaft in seinem Fell.

      Picador.   Espada.   Capeadores.

Banderilleros.
Stierkämpfer.

Die dritte Stufe in der Rangordnung nehmen die athletischen „Picadores“ ein, welche zu Pferde in der Arena erscheinen und mit langen, kurzstacheligen Lanzen die ersten ernsten Angriffe auf den Stier machen und ihm blutige Wunden beibringen. Ihre Aufgabe ist meist die aufregendste und grausamste; durch sie nimmt das Spiel erst eine ernste Wendung. Während bis dahin mit dem Stier nur eine Art Neckerei getrieben wurde, schreibt ihm der Picador mit Blutschrift gleichsam sein Todesurtheil auf den Leib, und der Stier rächt sich dafür, indem er die Pferde mit seinen Hörnern niederstößt. Der Picador selbst ist in ein Gewand von dickem gelben Leder mit Eisenschienen darunter gehüllt, so daß er zu Pferde vor dem Angriff des gereizten Thieres gesichert ist. Aber wenn sein Roß zum Tode getroffen zusammenstürzt, so sinkt er hilflos in seiner Rüstung mit zu Boden, und aus dieser gefährlichen Lage müssen ihn seine Genossen schnell befreien.

Außerdem giebt es noch „Mantelschwenker“, „Capeadores“, ihrer zehn, zwölf bei jeder Vorstellung, welche, ebenfalls in Torerotracht, ihre rothen oder gelben Tücher dem Stier vor Augen halten und ihn bei der Jagd, die er danach macht, in Wildheit zu versetzen suchen. Das übrige Personal besteht aus einigen Reitern, Herolden in altspanischer Tracht, die nur beim Anfang zur vollständigen Räumung des Kampfkreises in der Arena erscheinen, und aus den Wächtern in dem freien Rundgang unmittelbar hinter der Barriere, in welchen sich der in die Enge getriebene Torero mit keckem Sprunge flüchten kann und wohin oft der mächtige Körper des Stiers auch selber übersetzt, um dann durch die schnell geöffneten Innenthüren wieder in den verhängnißvollen Kreis zu traben.

Der Pächter hat auch die Stiere und die Pferde zu besorgen, welche bei der Corrida nöthig sind. Er schließt zu diesem Zweck feste Verträge ab, insbesondere wird er darauf sehen, daß der Stierlieferant schon durch seinen Namen eine gewisse Bürgschaft für die Tüchtigkeit seiner Thiere biete; denn es kommt viel darauf an, ob der Stier aus Andalusien oder aus Galicien stammt, ob er von dieser oder jener Rasse, ob er muthig oder phlegmatisch ist. Er darf auch auf der freien Heide, wo er aufwuchs, noch nicht viel mit Menschen in Verkehr gekommen sein, und der Hirt darf ihn nicht schon durch Spielereien mit dem Mantel verdorben haben. In aller Naturwüchsigkeit muß er vor versammeltem Volk erscheinen und sie in einem grausamen Spiel beweisen, bis er den Todesstoß empfängt.

Die den Picadores gestellten Pferde sind natürlich zum Tode verurtheilt und daher ausgesucht aus der Schar solcher, deren Leben nicht mehr für werthvoll erachtet wird. Der Lieferant hat nur ein Interesse daran, daß ihrer möglichst wenig in einem Gefechte fallen, weil er den ganzen Bedarf gegen eine Pauschalsumme beschaffen muß. So sucht er denn die Picadores zu gewinnen, daß sie die Thiere nicht unnöthig opfern, während der Pächter-Direktor seinerseits den Picadores empfiehlt, zur Befriedigung des Publikums es auf ein paar Pferde mehr oder weniger nicht ankommen zu lassen.

Vor Beginn der Vorstellung spielt eine Musikkapelle ihre Stücke, sie füllt auch die Pausen aus; denn eine Corrida dauert drei Stunden und länger. Nicht als ob es so lange währen würde, bis ein Stier schließlich unter dem tödlichen Stoße zusammenbricht; nein, die unersättliche Schaulust der Menge verlangt eine mehrmalige Wiederholung des wilden Spieles, und oft fallen sechs bis acht Thiere hintereinander einer einzigen Corrida zum Opfer. In der Hauptsache gleicht natürlich ein Gefecht dem andern; aber häufig kommt es doch vor, daß die besondere Kraft und Tücke eines Stiers oder außerordentliche Zufälle ernstester Art eine „interessantere“ Abwechslung herbeiführen.

Ein Schauspiel von echt spanischem Glanz und südländischer Farbenfülle leitet die Vorstellung ein. Von Fanfaren angekündigt, begrüßt von Musik und von dem tausendstimmigen Beifallruf der Menge, hält die „Quadrilla“ ihren Einzug in die Arena. Vorauf [439] die berittenen Herolde in altspanischer Tracht, dann die drei Espadas, dahinter fünf bis acht Banderilleros und ebensoviel Picadores zu Pferde, mit breitkrämpigem Hute, und endlich in losen Reihen die Mantelschwenker. Angethan mit ihren Galagewändern, schreiten sie quer über den glattgestampften feinen gelben Sand des Kampfplatzes bis vor die Loge des Hofes oder des Präsidenten, bringen ihren Gruß dar und ziehen sich dann alsbald hinter die Einzäunung in den leeren Gang zurück, welcher die eigentliche Arena von den amphitheatralisch aufsteigenden Sitzreihen trennt.

Nun öffnen sich auf ein Trompetensignal die Flügel des Eingangs auf der Stallseite, und in den leeren Raum trabt der Stier herein. Geschrei und Gepfeife empfängt ihn; er stutzt, sieht sich um und schreitet dann ahnungslos nach Belieben über den Sand. Jeder Schritt setzt ihn der lärmenden Kritik des Publikums aus; bei jeder seiner Bewegungen wird er mit hoffnungsvollem Zuruf beehrt oder schon ausgelacht und gehöhnt.

Jetzt erscheinen die Capeadores, die Mantelschwenker, mit ihren grellen rothen und gelben Tüchern und beginnen den Stier zu reizen. In erwachendem Unmuth läßt er sich auf die Neckerei ein, geht mit gesenkten Hörnern in noch schwerfälligem Stoß drauf los und geräth in steigende Wuth, wenn er merkt, daß er immer ins Leere trifft. Nun kommt es aber vor, daß er bei seinen Ansätzen auf dem glatten Sande ausgleitet; daß er die Lust verliert, sich durch die vorgehaltenen Tücher oder Mäntel weiter äffen zu lassen; daß er selbst den Picadores auf ihren Pferden, die sich an der Cirkuswandung aufgestellt haben, seine völlige Mißachtung bezeigt. Dann reißt die Geduld der Zuschauer. Sie sind empört, daß ein so untauglicher, feiger Toro auf die Scene zu kommen wagt. Ihre Zinnpfeifen schrillen ohrenzerreißend, ihre Stöcke stampfen den hohlen Bretterboden. „Hinaus! hinaus!“ ertönt es von allen Seiten immer wüthender, man ballt die Fäuste oder schwingt die Stöcke gegen die Loge des präsidierenden Alcalden. Diesem bleibt nichts übrig, als dem Willen des souveränen Volks zu gehorchen und den schlechten Stier abführen zu lassen. Auf seinen Wink erscheinen munter trabend vier hellfarbige Ochsen Kopf an Kopf in der Arena, und kaum sehen sie den Geschlechtsverwandten, so nehmen sie ihn in ihre Mitte. Er geht auch hochvergnügt sogleich mit ihnen und verschwindet, ohne die Schmach seines schlechten Debuts zu empfinden und ohne sich durch das ihm nachfolgende Hohngeschrei der Menge irgendwie beleidigt zu fühlen. Es ist eine ebenso heitere wie überraschende Scene für den Fremden, zu sehen, welche Macht die Ochsenfreundschaft auf den Stier ausübt, wobei zu bemerken ist, daß diese Freundschaft auch das beste Mittel bildet, um den Stier ohne Beschwerde von der Weide weg nach der Stadt seiner Triumphe oder Niederlagen zu befördern.

Ist der Sohn der Wildniß bei diesem ersten Auftreten nicht so glücklich, „den Ochsen zu verfallen“, so wird ihm der Sand des Cirkus unfehlbar zum Sterbelager. Die Picadores greifen ihn mit ihren Lanzen an, einer nach dem andern, und seine Haut röthet sich vom herausrieselnden Blut. Ein Pferd um das andere stößt er wüthend nieder, ein Picador um den andern stürzt hilflos in den Sand. Sache der Mantelschwenker ist es, in solchen Augenblicken dem gefährdeten Kameraden zu Hilfe zu eilen und den Stier von ihm ab auf sich zu lenken, bis es jenem gelungen ist, ein frisches Roß zu besteigen. Zugleich greifen aber unter neuem Trompetengeschmetter die kühnen Banderilleros ins Gefecht ein. Sie umspringen und umtanzen das gereizte Thier, stoßen ihm ihre bändergeschmückten Harpunen in das Fell des tief gesenkten Nackens, – immer reichlicher rinnt sein Blut und immer höher steigt seine Wuth.

Abermals ein Signal – und der Espada betritt den Kreis.

Es ist ein feierlicher Augenblick, wenn er, den entblößten Degen und die „Muleta“, das grell rothgelbe Tuch an einem kurzen Stock, in der Linken vor die Loge des Alcalden tritt, seine Mütze abzieht und die Phrase pathetisch hinaufspricht: „Ich sterbe oder ich siege!“ Mit dem Gefolge aller Capeadores wendet er sich sogleich dem Stier zu, um seine Kühnheit und Gewandtheit im kecksten Spiel mit der Muleta bewundern zu lassen. Immer erregter wird das Publikum. Der Espada legt endlich den Stahl aus und stellt den wild die Augen rollenden Stier, der mit gesenkten Hörnern auf ihn zustürmt. Jetzt ein kühner Stoß mit dem Degen, ein gewandter Sprung zur Seite – und wie vom Schlag getroffen bricht das gehetzte Thier mitten im vollsten Anlauf zusammen. Der Espada hat glücklich die einzige Stelle des Nackens getroffen, deren Verletzung den sofortigen Tod des Stiers zur Folge hat. Ein wahres Beifallstoben bricht über den glücklichen Sieger herein: Orangen, Geldstücke, Hüte, Stöcke, Cigarettentaschen, Regenschirme, Fächer und allerlei andere Dinge regnen in die Arena, Geschenke, welche dem Bewunderten von den begeisterten Männern und Frauen gespendet werden und die man ihm entweder läßt oder nachher auslöst.

Inzwischen ist das mächtige Thier verendet, Musik ertönt ihm zur Todesfeier. Knechte erscheinen mit einem Dreigespann von lustig aufgeputzten Maultieren und schleifen erst die todten Pferde, dann den todten Stier hinaus vor die Thore der Arena, wo der letztere sofort ausgeschlachtet und verkauft wird. Drinnen fegt man den Sand über die Lachen von Blut, die letzte Spur des Kampfes wird vertilgt – eine neue Fanfare: und ein neuer Stier betritt den Kreis.

Nicht immer aber ist der Stoß des Espada so glücklich. Es kommt vor, daß der Stier nicht zusammenbricht, daß er weiterrast mit dem Degen im Nacken. In solchem Falle erscheint der „Matador“; er giebt mit seinem kurzen Schlachtmesser dem Thiere den Todesstoß. Der ungeschickte Espada aber mag sich hüten vor der Ungnade des verwöhnten Publikums; so freigebig es mit seinen Gunstbezeigungen ist, so rücksichtslos drückt es seinen Unwillen aus, und es sind nicht die saubersten Dinge und nicht die schmeichelhaftesten Benennungen, die um die Ohren des Unglücklichen sausen.

Unser Blick aber wendet sich trotz aller malerischen Farbenpracht, die sich in einem solchen Stiergefecht darbietet, trotz aller Bewunderung für die hochgesteigerte menschliche Kraft und Gewandtheit, welche in den Leistungen der Toreros sich entfalten, doch mit innerem Grausen ab von einer Schaustellung, die so sehr auf die rohen Leidenschaften der Menge berechnet ist, und wir müssen jener verwandten Erscheinungen unter den Vergnügungen des alten Roms gedenken, jener Thierhetzen im Amphitheater, die nicht den Aufstieg, sondern den Niedergang des Römervolkes begleiteten.