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Bilder aus dem Berliner Rechtsleben

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Autor: F. K.
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Titel: Bilder aus dem Berliner Rechtsleben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, 17, 26, S. 122–126, 265–267, 409–411
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[122]

Bilder aus dem Berliner Rechtsleben.

Von F. K.
I.

Das in Preußen zur Herrschaft gelangte Centralisationsprincip hat eine Justizbehörde geschaffen, die unter ihren Schwestern hervorragt, wie Goliath unter den Philistern, ich meine das Berliner Stadtgericht. Keine Behörde der Welt ist in so kolossalem Maßstabe angelegt. Gegen zweitausendzweihundert Beamte sind dem großen Mechanismus eingefügt, der, von einem Präsidenten und drei Directoren geleitet, mit einer Präcision und Schnelligkeit arbeitet, an der sich manches kleine Gericht ein Beispiel nehmen könnte. Das Ganze, bei dem mehr denn siebenmalhunderttausend Menschen Recht nehmen, zerfällt in drei Abtheilungen: die für Civil- und Vormundschaftssachen in der Jüdenstraße, eine Criminalabtheilung am Molkenmarkte und eine andere im sogenannten Lagerhause, jenem alten Residenzschlosse der ersten brandenburgischen Kurfürsten. Die Abtheilungen selber sind wieder in Commissionen und Deputationen so vielfach zergliedert, daß es dem Publicum unmöglich ist, das Ganze zu durchschauen, und dies ist ein schwerer [123] Mangel; selbst wir jüngeren Juristen bedurften einer langen Zeit, ehe wir in diesem Chaos heimisch wurden.

Wie männiglich bekannt, hat der preußische Jurist die Ehre, dem Staate fünf bis zehn Jahre unentgeltlich zu arbeiten; dafür darf er das Gericht wählen, an dem er beschäftigt sein will, und wer das Berliner Stadtgericht ausersieht, thut wohl daran. Denn nirgends bietet sich eine solche Fülle von Rechtsfällen der interessantesten Art, wie hier. Ich habe allen Abtheilungen angehört und kann wohl sagen, daß noch jetzt jeder Tag zu neuen Beobachtungen Stoff bringt. Wer also von den Lesern der Gartenlaube ein wenig hinter die Coulissen des Berliner Lebens schauen möchte, den bitte ich, mich zu begleiten. Beginnen wir mit dem Molkenmarkte, wo die strafende Göttin der Gerechtigkeit, die Binde über beiden Augen, ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat, allerdings mit ziemlich schlechtem Geschmacke, falls nicht besagte Binde die Schuld daran trägt. Die Gebäude selber sind so enge und finster, wie nur irgend möglich, in den Zimmern herrscht eine Atmosphäre, die aus einer Mischung von Actenstaub und Gefängnißluft besteht und füglich Criminalparfüm genannt werden könnte, da es noch an einem technischen Ausdrucke dafür fehlt. In diesen Räumen habe ich ein volles Jahr zugebracht und so manchen heiteren, aber auch verzweifelt ernsthaften Criminalfall kennen gelernt, die erstere Art vorzugsweise auf der Commission für sogenannte Uebertretungen.



Unsere Criminalstatistiker stellen bekanntlich den Satz auf: In den Städten wächst die Zahl der Verbrechen analog der Zunahme der Bevölkerung. Das mag richtig sein, wo es will; in Berlin steht aber die Sache so, daß seit etwa zwanzig Jahren die Bevölkerung um ein Drittel gewachsen ist, die Verbrechen dagegen sich zweimal verdoppelt haben. Worin diese traurige Erscheinung ihren Grund hat, kann hier nicht erörtert werden; sie wird den Leser aber Ahnen lassen, welch’ ein kolossaler Apparat dazu gehört, ein solches Material zu bewältigen. Will er auch den äußeren Eindruck gewinnen, so muß ich ihn schon bitten, sich mit mir zwei Treppen hoch nach der Commission für Voruntersuchungen zu bemühen und sich auf düstere, angreifende Scenen gefaßt zu machen.

Wir betreten einen langen, schmalen Corridor, der durch eine eiserne Thür von den Gefängnissen der Stadtvogtei getrennt ist und scherzweise die Kegelbahn genannt wird. Diesen Gang, auf dem die Zimmer für etwa dreißig Untersuchungsrichter liegen, passiren sämmtliche Verbrecher Berlins, in jenen Zimmern habe ich die schwere Kunst des Inquirirens geübt, nach der ich mich, offen gestanden, nicht zurücksehne. Es gehören starke Nerven und eine langjährige Gewohnheit dazu, bei allem Elende unberührt zu bleiben, welches uns hier Schritt für Schritt entgegenkommt. Man sieht die fahlen Gesichter der Untersuchungsgefangenen, die zum Verhöre geführt werden, man hört das Geschrei derer, die, zum ersten Male zu schwerer Strafe verurtheilt, nach den Gefängnissen zurückwandern, und ist empört über die schlechten Witze der Schließer, welche den Transport bewerkstelligen. Mich beschleicht jedesmal ein unbehagliches Gefühl, wenn ich an meine Lehrzeit in jenen Räumen zurückdenke; schon der erste Tag hatte mir diese Beschäftigung verleidet. Ein hübscher, intelligenter, junger Mann von anständiger Familie war in schlechte Gesellschaft gerathen; junge Leute mit vornehm klingenden Namen hatten ihn an ihren Ausschweifungen Theil nehmen lassen und seine vom Vater sehr liberal ausgestattete Börse derartig geplündert, daß er sich zu kleinen, nach und nach immer höher werdenden Veruntreuungen aus der Casse seines Principales hinreißen ließ und endlich zu dem letzten Mittel, der Wechselfälschung, griff, die ihn vor den Untersuchungsrichter brachte. Die Reue und die Verzweifelung des jungen Mannes waren grenzenlos, und das Elend seiner allgemein geachteten Eltern läßt sich nicht beschreiben. Er verfiel einer langjährigen Gefängnißstrafe, die er noch in der Stadtvogtei verbüßt.

So hatte ich Gelegenheit, lange mit ihm zu verkehren und sein im Grunde gutes Gemüth kennen zu lernen. Eine vorzügliche Führung im Gefängnisse trug ihm die Vergünstigung ein, seine Familie alle vierzehn Tage sehen zu dürfen; dieser Besuche, die oft unter meiner Aufsicht stattfanden, werde ich immer gedenken. Sie haben mir die volle Ueberzeugung verschafft, daß der junge Verbrecher, dem nur das Gesetz nicht verzeihen durfte, dereinst ein achtbares Mitglied der Gesellschaft sein wird. Möge er mir nach abgebüßter Strafe die Freundschaft erhalten, welche er mir während derselben bewiesen hat, und diese Zeilen als Dank dafür ansehen.

In den Untersuchungsgefängnissen sind stets siebenhundert bis achthundert Gefangene detinirt, zu denen die Herren Langfinger natürlich das Hauptcontingent stellen. Ein hervorragendes Mitglied dieser ehrenwerthen Gilde, mit dem ich lange herumexperimentiren mußte, ehe er ein Geständniß ablegte, hat mich gegen Belohnung mit Schnupftabak, den die Gefangenen bekanntlich sehr lieben, und mit Butterbroden mit der inneren Verfassung seiner Corporation bekannt gemacht. Was ich davon behalten, will ich hier kurz erzählen.

Mein „Machulke“, denn dies ist der technische Ausdruck für Strafgefangene, besaß außer seinen Standeseigenschaften, von denen Schweigsamkeit nicht die letzte war, einen außerordentlich gesegneten Appetit, für welchen die schmale Gefängnißkost niemals hinreichte. Als ich einmal mit ihm in meinem Zimmer verhandelte, sah er die belegten Butterbrode, aus denen mein Frühstück bestehen sollte, so sehnsüchtig an, daß ich sie ihm offerirte und ihm für die Zukunft dergleichen mehr versprach unter der Bedingung, mir seinen Lebenslauf mitzutheilen. Kauend begann er: „Bis zu meinem dreiundzwanzigsten Lebensjahre war ich unbestraft; ich diente damals bei einem hiesigen Regimente und hatte nur noch ein Jahr meiner Militärzeit vor mir, als mich das Unglück ereilte. Von einer anstrengenden Marschübung in die Caserne zurückgekehrt, hatte ich kein Brod mehr, denn alle vier Tage ein Commißbrod war für meinen Appetit viel zu wenig. So brachte mich der Hunger dazu, einem Cameraden ein Stück Brod zu entwenden. Dies wurde entdeckt und vom Unterofficier, der mich nie leiden mochte, trotz aller Bitten meiner Cameraden gemeldet. Ich kam sechs Monate auf die Festung und in die zweite Classe. In das bürgerliche Leben zurückgekehrt, verwandte ich die kleine Summe, welche ich von meinen inzwischen verstorbenen Eltern geerbt hatte, dazu, ein kleines Schankgeschäft zu kaufen. Mein Erwerb ging so gut, daß ich heirathete und mir eine recht zufriedenstellende Existenz gründen konnte, wenn die Polizei nicht hinter meine Bestrafung gekommen wäre. Mir wurde die Concession entzogen – und so war ich ein Bettler. Denn so gern ich arbeiten wollte, kein Mensch mochte mich nehmen, nachdem meine Vergangenheit bekannt geworden. Der geringe Erlös aus meinem kleinen Waarenbestande war bald verzehrt; ich selbst fiel dem Laster in die Arme. Es fanden sich Bekannte aus der Strafsection, mit denen ich zusammen ,Geschäfte machte’.“

„Womit fingen Sie denn an?“ unterbrach ich ihn.

„Wir waren ,Schottenfeller’,“ erwiderte er, „wir räumten die Waschböden auf und machten dabei sehr gute Geschäfte, wohl über ein Jahr lang.“

„Nun, und wie kamt Ihr damit zu Ende?“

„Wir schärften (hehlen, verkaufen) damals die Söge (gestohlenes Gut) bei dem bekannten ,Galgenkönig’; es dauerte aber nicht lange, so brannten die Lampen (die Polizei entdeckte den Hehler), und der Galgenkönig pfiff (gestand) Alles. Ich bekam zwei Jahre Zuchthaus und der Galgenvogel sechs Jahre, worüber ich mich noch heute freue. In Brandenburg lernte ich einen Drücker (Taschendieb) kennen, der mich überredete, mit ihm Geschäfte zu machen, wenn wir wieder nach Hause kämen.“

„Das verstanden Sie ja aber nicht!“

„O Herr Referendar, darin haben wir uns geübt; er zeigte uns Alles, besonders das Uhrendrücken.“

„Wie kann man sich denn dagegen schützen?“

„Nur dadurch, daß man einen zugeknöpften Ueberrock trägt. Wir haben eine kleine, haarscharfe Zange, mit der wir uns unbemerkt heranschleichen und die Kette dicht am Knopfloche durchschneiden. Wenn sie dann herunterhängt, so ziehen wir damit die Uhr heraus. Einmal sprang sie mir ab und ich wurde gefaßt. Dafür habe ich fünf Jahre im Zellengefängniß abgemacht. Wenn ich jetzt nur nicht wieder dahin käme! Als ich wieder draußen (in Freiheit) war, traf ich den Galgenkönig abermals, der mir Leute zuführte. So haben wir denn zwei Jahre lang Geschäfte gemacht, ich und die von hinten (seine gleichfalls in der Stadtvogtei befindlichen Complicen) als Macha (practicirende Diebe); der Galgenkönig hat baldowert (die Gelegenheit zu Diebstählen ausgekundschaftet), und jetzt will sich der Gannew (Schurke, Verräther) [124] noch auf uns putzen (die Schuld auf uns wälzen). Kriege ich den wieder, so wag er sich hüten! Er weiß auch, wo die Söge von dem Einbrüche ist, den wir zuletzt machten; ich habe mit ihm kassibert (kleine Zettel zugesteckt, meist beim Spaziergänge im Gefängnißhofe) und geklopft (durch Pochen Buchstaben andeuten, aus denen dann die Worte entstehen), denn er sitzt über mir; er hat aber nicht geantwortet.“

Unsere Zeit war um, ich mußte ihn zurückschicken. Wiedersehen werde ich ihn schwerlich – er ist zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurtheilt und wird sein Leben wahrscheinlich im Zuchthause schließen.

Es ist eine der traurigsten Erscheinungen für den Menschenfreund, daß der einmal bestrafte Verbrecher fast ausnahmelos für diese Welt verloren ist. Niemand will ihn um sich sehen und Niemand vertraut ihm; auf das Laster angewiesen, wandelt er seine abschüssige Bahn bis an sein Ende. Wie viele Menschen könnten doch gerettet werden! Man sendet Missionäre in ferne Länder, um „Seelen zu gewinnen“, während man diese hier auf allen Gassen finden kann und doch nicht finden will. Zwar giebt es einen Privatverein für diese Zwecke, aber was kann er thun, wenn ihm jede Staatshülfe mangelt, wie soll er da wirken, wo die Gesetze den bestraften Verbrecher durch Verwaltungsmaßregeln der peinlichsten Art einschränken, durch die sogenannte Polizeiaufsicht? Läßt sich der Observat nach neun Uhr auf der Straße sehen, so wird er bestraft; entfernt er sich ohne polizeiliche Erlaubniß auch nur einen Tag aus Berlin, so ist ihm das Gefängniß gewiß. Kein Meister mag sich der Unannehmlichkeit aussetzen, ihn in Arbeit zu nehmen, da die Polizei jeden Augenblick nach ihm fragen kann und dem Arbeitgeber seine eigene Wohnung verleidet. Wann wird in diesen Dingen die Humanität zum Durchbruch kommen! Wann wird man aufhören, in unseren Strafanstalten durch das Disciplinarmittel der Stockschläge, durch die Anrede „Du“ und durch pietistische Versuche den kleinen Funken von Ehrgefühl, der auch in der Brust des gröbsten Verbrechers glimmt, zu ertödten, da man diesen Funken doch so ängstlich nähren und mehren sollte! – Wenn ich die Leser bitte, noch weiter an meinen Criminalerlebnissen Antheil zu nehmen, so geschieht dies unter dem Versprechen, jetzt weniger düstere Bilder aufzurollen. Man thäte Unrecht daran, den Molkenmarkt zu verlassen, ohne wenigstens die berüchtigten Berliner Bauernfänger kennen zu lernen, deren Leben und Treiben eines humoristischen Anstriches nicht entbehrt. Die Natur ihres Industriezweiges macht es nöthig, Societätsverhältnisse einzugehen. Zu dem Behufe vereinigen sich ihrer fünf bis sechs; einer von ihnen ist der „Schlepper“, die anderen sind die „Macher“. Der Schlepper wandelt nun durch die Straßen der Menschen, um seine Opfer zu suchen. Etwa am Neuen Museum oder unter den Linden sieht er Einen, „der nicht von hier ist“, in tiefe Betrachtungen versunken stehen. Er nähert sich ihm und knüpft ein Gespräch an. Der biedere Fremdling offenbart nun sogleich, er sei aus Kyritz oder Perleberg gekommen, um eine Stelle als Comptoirdiener oder dergleichen zu suchen.

„Ei, das trifft sich ja prächtig,“ antwortet der Bauernfänger; „da ist mein Schwager, ein angesehener hiesiger Kaufmann, der sucht einen Lagerverwalter mit monatlich dreißig Thalern Gehalt und freier Station. Einem Manne von Ihrer Bildung kann es ja nicht schwer fallen, auch diesen Posten zu bekleiden. Wir könnten sofort zu ihm gehen, allein er kommt leider erst morgen von seiner Reise zurück; bis dahin können wir uns ja Berlin ein wenig ansehen.“

Der Vogel wäre also „auf den Leim gegangen“. Zuerst wird die neue Bekanntschaft durch einige Seidel besiegelt, die der noble Berliner trotz allen Sträubens seines Gefangenen bezahlt.

„Nun, wenn Sie durchaus bezahlen wollen, so kommen Sie jetzt in ein anderes Local; wir treffen dort Herren aus Ihrem neuen Geschäfte.“

Der Provinciale, immer noch im siebenten Himmel seiner dreißig Thaler pro Monat, willigt mit Freuden ein. Durch ein Labyrinth von Straßen und auf Umwegen gelangen sie in ein Local, in dem die Macher schon warten. Der neue Ankömmling wird vorgestellt, man scherzt und ist guter Dinge. Zuletzt kommen die Kartenkunststückchen an die Reihe. Einer von der sauberen Gesellschaft mischt ein Spiel Karten, zeigt eine derselben, wirft sie nebst zwei andern verdeckt auf den Tisch und behauptet, Niemand würde aus den drei Karten diejenige rathen, welche er vorhin gezeigt. Nichts scheint aber leichter, als dies. Jemand setzt einen Thaler und gewinnt; er gewinnt öfter und fordert den zukünftigen Lagerverwalter auf, doch auch ein wenig zu Pointiren. Bier und Kümmel machen fleißig die Runde, ein Thaler nach dem andern wandert aus der Tasche des armen Geprellten, der auch das Letzte, seine Taschenuhr, auf das Spiel setzt, in der Hoffnung, seine verlorene Baarschaft wieder zu gewinnen. Ist nichts mehr an ihm zu gewinnen, so wird ein Streit provocirt, in dessen Verlaufe das Opfer zur Thür hinausgeworfen wird. Aber auch die Bauernfänger verlassen schleunigst den Ort ihrer Schandthat, um anderswo zu theilen, wobei natürlich der Schankwirth nicht zu kurz kommt. In unserm speciellen Falle hatten sie sogar eine Droschke zur Flucht benutzt, und dies wurde ihr Verderben. Der Kutscher hatte aus ihren Gesprächen Namen wie „Kanonenheber“ und dergleichen behalten und dies der Polizei mitgetheilt, die ihre Kunden gar bald zu finden wußte.

Selten habe ich gesehen, daß ein Gefangener über den Verlust seiner Freiheit so ergrimmt war wie diese Kerle; draußen, wie sie es nennen, hatten sie ein vergnügtes, lustiges Leben geführt, und jetzt wollte ihnen die Isolirhaft und die Gefängnißkost sehr wenig schmecken. Mit unglaublichem Raffinement verstanden sie es, die Untersuchung zu verdunkeln. Der Herr, welcher den ehrenvollen Beinamen, den ich soeben anführte, von seinen Collegen erhalten hatte, wußte sehr geschickt eine kleine Scheere in seine Zelle zu schmuggeln, mit der er über Nacht Haar und Bart derartig zustutzte, daß ihn der „Gemachte“ in der That nicht bestimmt zu recognosciren vermochte. Er hatte sich aber gewaltig verrechnet. Die abgeschnittenen Rudera seines Gesichtsschmuckes wurden im Ofen seiner Zelle vorgefunden und der Herr selber so lange in Untersuchungshaft behalten, bis er sich wieder im Status quo ante befand und auf das Bestimmteste recognoscirt wurde. Die ganze Gesellschaft sitzt jetzt im Zuchthause; den geprellten Provincialen sah ich neulich als wohlbestallten Hausknecht in einem hiesigen Hotel. Hoffentlich ist er klüger geworden und läßt sich von Anderen nicht mehr die Volte schlagen.

Da ich hier einmal von der Gaunersorte der Bauernfänger! spreche, so will ich noch einen Streich erzählen, welcher unlängst durch dies Gelichter hier verübt worden ist.

Ein Fremder, nennen wir ihn Herrn v. L., der sich Berlin besehen wollte, eilte zunächst in das Neue Museum und fand sich, wie gewöhnlich, in dem eben gekauften Kataloge nicht zurecht. Fragend blickt er sich um. Ein eleganter Herr, der seine Verlegenheit bemerkt, wendet sich mit gewinnender Höflichkeit au ihn, um ihm ein wirklich geistreicher Führer durch das Museum zu sein. Der Fremde ist entzückt und sinnt auf Dank. Aber der Herr lehnt mit äußerster Artigkeit ein Frühstück ab, erwähnt indeß beiläufig, daß Freunde ihn in der Weinstube von Borchardt, Ewest etc. erwarten. Was ist natürlicher, als daß Herr v. L. auf die Bemerkung hin, jeder Reisende müsse eigentlich diese Locale kennen lernen, sich anschließt, schon der liebenswürdigen Gesellschaft halber. Dort trifft man die Freunde, Alles vornehme junge Leute mit guten Namen, die den Fremden sehr herzlich empfangen und ihn sein „zu Hause“ gänzlich vergessen machen. Hier wird mit dem Geschmack vornehmer Gourmands gefrühstückt und mit Gold bezahlt. Während man noch bei einer Havanna sitzt, erscheint plötzlich ein galonnirter Diener, der die Herren für den heutigen Abend zum Balle bei Frau v. B. einladet. „Mein Gott, das paßt prächtig; Sie, Herr v. L., müssen mit, wir führen Sie ein; Sie werden sich vortrefflich amusiren, und jetzt diniren wir zusammen.“

Herr v. L., der allerdings nicht zu den Scharfblickendsten zu gehören scheint, ist schnell überredet.

In heiterster Champagnerlaune betritt er das Festlocal.

Freilich kommt ihm die „Gnädige“ etwas sonderbar vor; auch fällt es ihm auf, daß sie die einzige alte Dame, daß die Beleuchtung mangelhaft, die Musik mehr als schlecht ist und daß die Möbel einen ganz ungebildeten Geschmack verrathen; indeß er ist in einer fremden Residenz und die jungen Damen sind um so reizender, – alle so liebenswürdig, so interessant, – ein bischen frei, – man merkt: man ist in der großen Welt! Dagegen ist der Champagner vortrefflich und die Gastgeberin äußerst freundlich! Ohne Unterlaß wird getrunken – und die reizenden jungen Damen nehmen das hier nicht übel, sind nicht so prüde, wie in kleinen Städten! Ah, wie schön, wie schön! Es lebe Berlin! – [125] Und von Allen die Schönste: jenes herrliche junge Mädchen mit der junonischen Büste und den Feueraugen!

Eine größere Pause folgt dem Tanz und dafür wird zur Abwechselung ein gemüthliches Spielchen arrangirt. An der Seile der schönen Amanda pointirt Herr v. L., gewinnt erst, verliert dann, läßt Amanda spielen, die diesen Abend auch unglücklich setzt, und verläßt endlich mit etwas wüstem Kopfe die Gesellschaft.

Am andern Morgen war Herr v. L. kahl wie eine Kirchenmaus. Kaum hatte er seinen Rausch verschlafen, so stellen sich die Herren, die merkwürdiger Weise seine heimathlichen Verhältnisse jetzt ganz genau kennen, lärmend ein, beklagen seinen Verlust und machen ihm schalkhafte Vorwürfe darüber, daß er im Begriff stehe, die schönste Blume ihres Kreises, die herrliche Amanda, ihnen zu entführen; denn nach den gestrigen Vorgängen sei Jeder von einer tiefen gegenseitigen Liebe überzeugt u. s. w. Herr v. L. ist in diesem Gedanken völlig berauscht; er umarmt seine Freunde und fragt schüchtern, ob ein Präsent wohl nicht zu gewagt sei.

„Wenn es ein gediegenes Kunstwerk, zum Beispiel ein vollständiger, kunstvoll gearbeiteter Schmuck ist,“ erwidert der Freund, „mögen Sie es wagen, und ich will Sie zu meinem eigenen, sehr geschickten Goldschmied führen.“

„Ein herrlicher Gedanke,“ ruft Herr v. L., „aber, mein Gott, ich habe kein Geld!“

„Ich will Ihnen meinen Agenten schicken, der vielleicht einen Sichtwechsel placiren kann, dann können Sie heute Abend mit Ihrem Fräulein Braut – so darf ich wohl sagen – in die Oper fahren.“

„Herrlich, herrlich!“ ruft Herr v. L.; „nur schnell!“

Bald darauf erscheint ein Agent (Commissionair); Herr v. L. in völligem Sinnenrausch schreibt einen Sichtwechsel von fünfzehnhundert Thalern und einen Auftragschein, nach dessen Wortlaut der Wechsel für „angemessene“ Valuta verkauft werden darf.

Nach zwei Stunden erscheint der Agent abermals; er bringt, da der Herr es so eilig habe, „vorläufig“ fünfhundert Thaler, deren Empfang er sich quittiren läßt, und der glückliche v. L. läßt sich von seinem Freunde zu dem „reellen“ Goldarbeiter führen, wo er nach dem Rathe seines Freundes für Amanda einen Schmuck im Preise von vierhundert Thalern kauft. Welch’ Glück! mit Amanda in der Oper! Dann gemüthliches Souper im Kreise der Freunde, kleines Spiel, freilich wieder Alles verloren: – je nun, morgen giebt’s ja mehr Geld und dann Amanda!

Ein Wechselproceß gegen Fremde ist schnell erledigt, und der Gläubiger sofort berechtigt, den Fremden zur Haft zu bringen.

Herr v. L. lag in süßen Träumereien zur Mittagsstunde auf dem Sopha, als ein gänzlich unbekannter Mann mit dem Sichtwechsel in der Hand eintrat.

„Ah,“ sagt Herr v. L., „Sie bringen das Geld; geben Sie schnell.“ – „Ich bringe kein Geld,“ erwiderte der unbekannte Mann (ein Eintreiber), „ich will nur meine fünfzehnhundert Thaler haben.“ –

„Wie! Sie wollen Geld haben? ich habe ja noch zu fordern “

„Mir sehr gleichgültig, ich will meine fünfzehnhundert Thaler haben, oder Sie kommen zum Schuldarrest!“

Dabei tritt der Executor und mit ihm der entsetzte Hotelwirth mit seiner Rechnung ein. Der Scandal beginnt. Herr v. L. ist auf das Aeußerste bestürzt, er weiß sich durchaus nicht zu fassen; der Eintreiber läßt ihm kaum so viel Zeit, seine Effecten zu verschließen, die der Wirth als Pfand behält, und mitten durch das schadenfrohe, höhnende Hotelpersonal, mitten durch das neugierige angesammelte Straßenpublicum wird Herr v. L., der vor Scham in die Erde sinken möchte, Herr v. L., der in seiner Heimath ein hochangesehener Mann ist, zwischen Executor und Eintreiber fort zum Schuldarrest geführt. Und zum Berliner Schuldarrest! – das will etwas ganz Anderes sagen als sonst wo – dort werden Herrn v. L. zunächst Uhr, Uhrkette, Ringe, Brieftasche, sonstige Preciosen und Papiere abgenommen zu Gunsten seines Gläubigers, und nur zufällig behielt er in der Westentasche einen Papierthaler zurück, den er zu einer Depesche in seine Heimath benutzen konnte. Während eines fürchterlichen Tages und einer noch entsetzlicheren Nacht findet Herr v. L. Zeit, von seinen Träumen zu erwachen; er überzeugt sich, daß eine Gesellschaft von Bauernfängern, Louis, Eintreibern und Grisetten ihn, und noch zwei andere Freunde gründlich „genommen“ habe, und beschließt, polizeiliche Hülfe anzurufen. Am nächsten Tage erhält er aus seiner Heimath zweitausend Thaler, er erkauft sich seine Freiheit und verfügt sich zunächst zur Polizei, welche sich alle Personen recht speciell beschreiben läßt und ihn bittet, noch einige Tage in Berlin zu verweilen. Dann eilt er nach dem Hotel, wo der beschämte Wirth ihn tausendfach um Verzeihung bittet, löst seine Sachen aus und bezieht einen anderen Gasthof.

Nach zwei Tagen erhält er eine Vorladung zur Polizei und weiß sein Erstaunen kaum zu mäßigen, als er nicht allein alle Personen der Komödie, nebst Amanda, dem galonnirten Diener und dem Eintreiber, in polizeilichem Gewahrsam findet, sondern sie auch Alle in derselben glänzenden Toilette jenes Festabends bewundern kann. Seine Leidenschaft für Amanda war freilich gänzlich erloschen, und es kam ihm nur darauf an, die Betrüger zur Strafe zu ziehen, wo möglich zu seiner Entschädigung zu gelangen. Allein welches Verbrechen lag vor? – Hatte Herr v. L. nicht freiwillig die Einladung zum Balle angenommen, freiwillig splendide Bewirthung sich gefallen lassen, freiwillig ein Spielchen gemacht? Hatte er nicht freiwillig den Sicht-Wechsel mit dem sogar schriftlichen Auftrage fortgegeben, denselben zu „angemessenem“ Preise zu verkaufen? – „Angemessen“ aber heißt ja, was der Commissionär dafür hält, und hat Herr v. L. nicht Valuta erhalten? – Der Wechsel befand sich [126] bereits in der vierten Hand, und es ist gleichgültig, ob er für drei Pfennige verkauft wurde. Hatte Herr v. L. nicht freiwillig den Schmuck gekauft und ihn Amanda geschenkt? – Wirklich, Betrug lag nirgends vor, und Herr v. L. konnte im besten Falle Rückgabe des Schmuckes verlangen. Aber Amanda war so sehr in Verlegenheit gewesen; sie hatte ihn verkauft und Herr v. L. verzichtete auf eine Civilklage gegen Amanda. Die Herren konnten nur wegen gewerbsmäßigen Hazardirens bestraft werden und gönnten sich für das brillante Geschäft jenes Abends gern drei Monate ungestörter Ruhe.

Die Polizei aber machte in ihren Listen neben den Namen der Herren einen kleinen Vermerk, welcher mit dem classischen „quos ego!“ gleichbedeutend ist. Das sicherste Geschäft, und nach seiner Idee ohne Risico, hatte der biedere Goldarbeiter gemacht. Freilich hatte er seinem Freunde, dem „Schlepper“, zehn Procent abgeben müssen, aber er hatte einen Schmuck im Werthe von einhundert Thalern für vierhundert Thaler baaren Geldes verkauft, hatte natürlich seinen Freund, den „Schlepper“, außerdem betrogen und am nächsten Tage denselben Schmuck von der hartbedrängten Amanda für fünfzig Thaler zurückgekauft. „Heißt ’n Geschäft!“ – Dieser biedere Goldarbeiter ist keine fingirte Person; auch er hat sein „quos ego!“ in den Listen der Polizei.

Herr v. L. aber hatte einstweilen genügende Kenntnisse von Berlin gesammelt; er verließ es, gewitzigt durch Erfahrung.



[265]
II.

Die große Zahl der Fremden, welche die Sehenswürdigkeiten Berlins aufsuchen, versäumt es durchgehends, sich den Genuß eines Schauspieles zu verschaffen, dem man wohl ein Vormittagsstündchen opfern könnte. Niemandem fällt es ein, die Civilabtheilung des Strafgerichtes zu besuchen, auf welcher ein Leben und Treiben herrscht, das nicht minder charakteristisch und mannigfaltig ist, als der Jahrmarkt einer kleinen Stadt.

Der Leser wird es mir gestatten, bevor ich ihn in das bunte Gewühl selbst einführe, in einigen Zahlenangaben ein Bild von der großartigen Geschäftsthätigkeit dieser Civilabtheilung zu geben. Im vorigen Jahre kamen, in runden Zahlen ausgedrückt, zur Verhandlung: neunzigtausend Bagatellprocesse, zwanzigtausend summarische Processe, dreißigtausend Wechselklagen, siebenhundertundfünfzig Ehescheidungen, vierhundert Concurse und eintausenddreihundert Subhastationen; dreitausendsiebenhundert Firmen wurden eingetragen. Dazu kommen auf die Vormundschaftsabtheilung die Kleinigkeit von vierzigtausend Vormundschaften. Dreihundertzwanzigtausend Executionen wurden vollstreckt, und achthundertfünfzigtausend Gesuche gingen ein. Das Ganze macht etwa dreihunderttausend Termine nöthig, so daß auf jeden richterlichen Beamten durchschnittlich eintausend Termine kamen, und die Zahl der Journalnummern belief sich auf zwei Millionen und einmalhunderttausend. Das sind in der That Verhältnisse, wie man sie ein zweites Mal nicht findet!

Der für Juristen und Nichtjuristen interessanteste Theil sind unstreitig die sogenannten Bagatellcommissionen, die allein eine kleine Welt für sich bilden, in welcher der Beobachter so recht aus dem frischen Volksleben schöpfen kann; hier öffnet sich denen, die an psychologischen Studien Geschmack finden, ein Theater, dessen Genuß durch keine hohen Eintrittspreise verkümmert wird und das dennoch des Belehrenden und Unterhaltenden eine Fülle bringt.

Schlag zehn Uhr ertönt der Aufruf der Parteien, den die Gerichtsdiener mit wichtiger Amtsmiene und der ihnen eigenen Stentorstimme bewerkstelligen; letztere ist aber auch unerläßlich, denn die Parteien, welche soeben in die Terminzimmer strömen, haben schon auf den Corridoren recht wacker gezankt. Wenn man übrigens, um noch eine kleine Einschaltung zu machen, die Richter „Priester der Gerechtigkeit“ zu nennen beliebt, so kann man den Gerichtsdienern ganz wohl den Titel „Küster der Gerechtigkeit“ zubilligen, da sie oft genug eine an des Komische streifende Amtswürde herausbeißen. Ich weiß einen Fall, wo der Gerichtsdiener den in Wechselsachen fast ausnahmelosen Bescheid: „Der Verklagte ist nicht erschienen“, etwa zwanzig bis dreißig Mal mit so gleichförmigem und hohlem Pathos wiederholte, daß es nicht mehr auszuhalten war und der Richter sich einen weniger salbungsvollen Mann ausbitten mußte. –

Doch die Verhandlungen beginnen. Daß es dabei so feierlich zuginge, wie es sonst wohl vor Gericht Brauch ist, könnte ich nicht behaupten; es ist den Berlinern einmal nicht gegeben, mit ihren Gedanken hinter dem Berge zu halten, und noch viel weniger haben sie es gelernt, dieselben bescheiden auszudrücken. Die verschiedensten, oft heillos verschrobenen Rechtsansichten werden mit einer Geläufigkeit und mit einem Vorrathe maliciöser Redensarten vertheidigt, die dem Uneingeweihten Staunen erregen müssen und den Richter oft genug nöthigen, einen der „Krakehler“ „an die Luft setzen“ zu lassen. Und welche Dinge kommen da zum Vorschein!

So war ich höchlich verwundert, beim Aufruf die vornehm klingenden Namen „Baron R. wider v. D.“ zu hören. Es erschienen auch sofort ein Paar ziemlich schäbig aussehender Gesellen und gaben sich als die Gewünschten zu erkennen. Ich bat mir den Termin aus, las die Klageschrift und förderte einen ganz erbaulichen Rechtsfall zu Tage:

„Verklagter v. D.! Weshalb wollen Sie dem Kläger die verlangten fünf Thaler nicht zahlen?“

„Ich hatte zwar den Kläger gegen freie Kost und monatlich fünf Thaler Lohn als Hausknecht angenommen, mußte ihn aber schon nach drei Tagen wegen unziemenden Betragens entlassen.“

„Begründen Sie das näher!“

„Meine Frau nahm den Kläger mit auf den Wochenmarkt, damit er ihr den Korb trage. Dies schien ihm jedoch in keiner Weise recht zu sein; er ließ durch seine zornigen Bewegungen mehrfach Kartoffeln aus dem Korbe fallen, und als ihm meine Frau deshalb einen Verweis ertheilte und ihn aufforderte, dieselben wieder zu suchen, bediente er sich frecher Redensarten.“

[266] „Welcher?“

„Euere Metze Kartoffeln macht Euch doch nicht fett; ob nun drei Stück daran fehlen, oder nicht!’“

„Das war zwar nicht hübsch, aber immer noch kein Grund zu sofortiger Entlassung, die gesetzlich nur dann erfolgen darf, wenn ernste und wiederholte Ermahnungen fruchtlos blieben.“

„Ueberdies hatte ich ihm ein für alle Mal befohlen, meine Frau mit gnädige Frau’ anzureden; dies hat er stets unterlassen, aller Ermahnungen meiner Frau ungeachtet.“

„Haben Sie noch etwas zur Sache anzuführen?“

„Nein!“

Ich ertheilte jetzt dem Kläger das Wort; derselbe begann:

„In die Lage, in welcher Sie mich sehen, Herr Stadtgerichtsrath“ – mit diesem Titel beehrte er mich beständig –, „hat mich nur die größte Noth gebracht, welcher ich durch die Annahme jener mich tief entwürdigenden Stellung zu entgehen glaubte. Aber weit gefehlt! Schon am ersten Tage erhielt ich kein Mittagbrod, weil v. D. selber keins hatte; er behauptete jedoch, mit seiner Familie sehr gut gefrühstückt zu haben, und so ging es weiter. Und dabei sollte ich noch ‚gnädige Frau’ sagen, der ich als Baron von höherem und noch dazu von weit älterem Adel bin, als der Verklagte …“

Hierbei geriethen beide Edelleute in einen erbitterten Rangstreit, dem ich mit der Erklärung ein Ende machte, daß der Verklagte dem Antrage des Klägers gemäß verurtheilt sei.

Was aus Herrn v. D. geworden ist, weiß ich nicht. Baron R. hat einer reichen Dame aus bürgerlichem Stande die Hand gereicht und sie zu seiner Sphäre emporgehoben: er ist jetzt als feiner Rheinweinkenner in dem berühmten I.’schen Locale hoch geehrt.

Ein anderer Streitfall zwischen Herrschaft und Bedienung nahm vor einigen Jahren mein größtes Interesse in Anspruch.

Ein armes Dienstmädchen verklagte ihre Herrin, die Frau Geheimräthin L., welche es sich nicht nehmen ließ, im Klagebeantwortungstermine persönlich zu erscheinen. Die Klägerin, der ich als Rechtsbeistand beigeordnet war, hatte soeben die Charité verlassen, wohin sie eine böse Augenkrankheit gebracht hatte, und machte einen sehr vortheilhaften Eindruck. Sie war erst achtzehn Jahre alt und verwaist. Der Vater, ein armer Landschullehrer, hatte ihr nichts als eine ziemlich gute Erziehung geben können, und nach seinem Tode war sie nach Berlin gekommen, wo sie ein böser Zufall in das Haus der Frau Geheimräthin gebracht hatte. Aufgefordert, ihre Klaggründe nochmals zu erörtern, erzählte sie:

„Vor etwa einem halben Jahre las ich in den Zeitungsanzeigen, daß Frau Geheimräthin ein Stubenmädchen brauche; ich bewarb mich um die Stelle und erhielt sie unter der Zusicherung, daß ich einen sehr guten Dienst haben würde. Der Lohn war auf vierteljährlich neun Thaler festgesetzt. Allein schon der nächste Morgen brachte mir bittere Täuschung. Meine Verköstigung erwies sich als so spärlich, daß an Sattwerden nicht zu denken war. Die Zeit, welche nach allen wirthschaftlichen Verrichtungen übrig blieb, wurde ich mit dem Nähen weißer Wäsche beschäftigt, was ich gut verstehe, und zwar an jedem Tage, selbst den Sonntag nicht ausgenommen, bis nach zwölf Uhr Nachts. Ausgehen durfte ich gar nicht. Da sich meine Augen durch das anstrengende Arbeiten zu entzünden anfingen, machte ich meiner Herrin davon Mittheilung und bat sie, mich von dieser Beschäftigung zu befreien. Als Antwort erhielt ich eine Ohrfeige und die Zusicherung, daß ich, falls ich mir noch einmal dergleichen erlaubte, zum Hause hinausgeworfen würde. So nähte ich denn weiter, bis ich es nicht mehr aushalten konnte und in das Krankenhaus mußte. Meine Herrin hatte, wie ich später erfahren habe, das von mir mit Nähen verdiente Geld eingesteckt; denn die Wäsche war nicht, wie sie mir sagte, für sie und die Ihrigen, sondern für ein hiesiges Geschäft genäht worden.“

Jetzt erbat ich mir’ als Rechtsbeistand der Klägerin das Wort und verlangte nicht nur die Auszahlung des vollen Lohnes für ein Vierteljahr, sondern auch noch Rückerstattung des von ihr verdienten Näherlohns an sie, sowie Zahlung der ziemlich bedeutenden Curkosten, welche die Verwandten meiner Clientin für sie berichtigt hatten.

„Das ist eine impertinente Forderung,“ brauste die Verklagte auf, „ich kann meine Domestiken beschäftigen, wie ich will, wenn ich nur …“

Weiter ließ sie der Richter nicht kommen. „Verklagte,“ begann er auf das Ernsteste, „Sie haben sich soeben einer Beleidigung eines Beamten im Dienste schuldig gemacht; ich rathe Ihnen sehr, dem Herrn Referendar schleunigst Abbitte zu leisten, um möglicher Weise eine Gefängnißstrafe von sich abzuwenden. Geben Sie zu, der Klägerin unzureichende Nahrung gewährt zu haben? Geben Sie ferner zu, dieselbe mit Nähen für fremde Rechnung beschäftigt zu haben, und zwar in dem Maße, daß sie dadurch ein Augenleiden bekam? Haben Sie endlich das so verdiente Geld erhoben und für sich behalten?“

„Nein!“ rief sie schnippisch.

„Dann muß die Klägerin die Beweismittel für ihre Behauptungen angeben.“

Dies geschah. Nun folgte Beweistermin auf Beweistermin; es wurden mehrere Mädchen vernommen, die früher gleichfalls in Diensten bei der Verklagten standen; ein ärztliches Gutachten wurde eingefordert, der Weißwaarenhändler mußte erscheinen, und alle Aussagen fielen zu Ungunsten der Geheimräthin aus. Da aber derartige Termine nicht billig sind, so beliefen sich die Gerichtskosten fast eben so hoch, wie die Summe, zu deren Zahlung sie verurtheilt wurde.

Es ist merkwürdig, daß die komischen Scenen auf den Bagatellcommissionen fast immer vom schönen Geschlechte ausgehen. Eines Vormittags wurden die Lachmuskeln der Anwesenden nicht wenig in Thätigkeit gesetzt. Eine ehrsame Bürgersfrau hat ihrem hübschen Töchterchen ein Paar neue Schuhe bestellt, die nicht nach Wunsch ausgefallen sind, und verweigert deshalb die Bezahlung. Der Schuster klagte, und nun erschienen die Verklagte im Beistande ihres Ehemannes, Fräulein Tochter mit den ungerathenen Stiefelchen und der höchst erboste Schuster. Natürlich suchte ich einen Vergleich zu Stande zu bringen, wozu auch der männliche Beistand rieth. Kaum begann er aber zu sprechen, so wurde ihm von seiner theuren Ehehälfte sehr energisch der Mund verboten, worauf er schwieg. Dies wiederholte sich zur großen Freude des Publicums so oft, bis ich der Frau ein angemesseneres Betragen anrathen mußte. Es blieb nun nichts weiter übrig, als Beweis aufzunehmen; die Schuhe wurden unter Oberaufsicht des gleichfalls geladenen Sachverständigen anprobirt. Hoch erröthend ließ das schöne Kind dieses Verfahren an sich vorübergehen, dessen verhängnisvolles Ergebniß Seitens des Sachverständigen dahin zusammengefaßt wurde: die Schuhe sind zu eng! Hatten nun vorher die Parteien gezankt, so zankten jetzt die beiden Fachgenossen mit Hintansetzung aller collegialischen Rücksichten, zu nicht geringem Ergötzen sämmtlicher Anwesenden. Schuster wird abgewiesen, zahlt Kosten und erhält sein Machwerk zurück. Von Rechts wegen! Der Sachverständige bekommt einen Thaler Gebühren, wovon Madame mit großer Befriedigung Notiz nimmt, und die Sache ist abgemacht.

Ein ganzes Lexikon unschöner Redensarten kann man aber sammeln, wenn die Damen unserer Halle, hier zu Lande „Hökerweiber“ genannt, um Gerechtigkeit schreien. Ein Fall ist mir noch frisch im Gedächtniß. Es handelte sich um den Tod einer Katze. Madame N., denn dieser Titel ist einmal nicht zu missen, und Madame M. waren Jahre lang treue Freundinnen; sie saßen auf dem Dönhofsplatze neben einander, tranken aus einer Kanne ihren Kaffee und waren in puncto der Durchhecheleien stets einer Meinung gewesen. Das Unglück wollte, daß Madame N. mit Würsten handelte, nach denen das Mietzchen der getreuen Nachbarin mehr Appetit zeigte, als es sich mit den gesetzlichen Vorschriften über Mein und Dein vereinbaren läßt. Kurz und gut, Mietzchen bekam eines Tages einen Genickschlag, der ihren Lebensfaden durchschnitt. Mit Hülfe eines Winkeladvocaten klagte Madame M. Sie beschreibt im Termine die herrlichen Tugenden, welche die Entschlafene zierten, als sie das Licht noch sah. Die Verklagte dagegen, des schönen Sprüchwortes: De mortuis nil nisi bene (über die Todten soll man nur Gutes reden), ganz uneingedenk, behauptete höhnisch, es sei eine Katze gewesen, wie jede andere, nur etwas alt, daher ohne eigentlichen Geldwerth, und von fünf Thalern Entschädigung könne vollends keine Rede sein.

Beide Damen geriethen nach und nach in eine unbeschreibliche Wuth. Sie überhäuften sich, ihre gegenseitigen Vorfahren und Nachkommen derartig mit Schmähungen, daß an ein Verhandeln gar nicht mehr zu denken war. Sie mußten gewaltsam nicht nur aus dem Zimmer, sondern auch noch aus dem Gerichtsgebäude gebracht werden; auf Grund eines thierärztlichen Gutachtens erhielt Klägerin später [267] zwar zehn Silbergroschen als Entschädigung, beide Theile belästigten aber einander so lange mit Klagen und Anzeigen, bis sie wegen Querulirens in eine ganz gehörige Geldbuße genommen wurden, ein Mittel, das sie endlich beruhigte.

Leider gehören solche erheiternde Vorgänge zur Minderheit; der fröhliche Eindruck wird oft nur zu bald durch eine Menschensorte verwischt, welche fast das halbe Stadtgericht für sich allein in Anspruch nimmt. Ich meine die sogenannten Commissionäre, ein Wort, das man im Berliner Sinne meist so übersetzen muß: Leute, die zu einem festen Berufe unbrauchbar sind und nun ihren Lebensunterhalt durch Alles, am liebsten durch „Eintreiben“ gewinnen. Der Leser wolle mir gestatten, eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen näher zu beschreiben.

Ein armer Handwerker ist in Noth, mit zehn Thalern wäre ihm geholfen. Der Commissionär hört davon und erscheint sofort. Nachdem er sich überzeugt, daß die vorhandenen Hausgeräthe mehr als genügende Sicherheit gewähren, schafft er das Geld herbei. Das arme Opfer muß nun „Wechsel mit Unterlage“ geben, d. h. er unterschreibt einen Wechsel, zu dessen Sicherheit er außerdem noch seine bewegliche Habe verpfändet. Kann er nun am Verfalltage nicht zahlen, so heißt es: „Das schadet ja gar nichts; Sie sind ja ein sicherer Mann.“ Der Wechsel wird ein, zwei, drei Mal bereitwilligst prolongirt, bis seine Summe den Werth der verpfändeten Sachen erreicht hat. Jetzt aber wird bitterer Ernst aus der Sache, nun hilft kein Weinen, kein Flehen mehr. Dem armen Manne wird Hab und Gut genommen, zehn Thaler haben ihn völlig ruinirt, und das Alles von Rechts wegen! Das Gesetz gewährt durch Aufrechterhaltung der Schuldhaft die Mittel, einen armen Menschen zu hetzen wie ein Stück Wild, es giebt niederen Charakteren Gelegenheit, ihren Opfern nicht nur Hab und Gut, sondern auch die Freiheit zu nehmen. Jeder kann jetzt seinen Nachbar, den er haßt, unter Umständen fünf Jahre lang in Schuldknechtschaft halten, wenn es ihm gelingt, eine ausgeklagte oder wenigstens klagbare Forderung gegen ihn zu erwerben. Welcher Spielraum dadurch den niedrigsten Leidenschaften eröffnet wird, braucht nicht erst betont zu werden.

Nächst diesem Geschäftszweige cultiviren unsere Biedermänner, die Commissionäre, den Pferdehandel und die Vermittelung von Heirathen mit großer Vorliebe. Es ist für Berlin höchst charakteristisch und wenig schmeichelhaft, daß die Heirathen immer mehr und mehr als reine Geschäftssache behandelt werden. Ich habe eine ganze Anzahl von Fällen erlebt, in denen Commissionäre ihre Gebühren für Heirathsvermittelungen einklagten. Eine Klage war in Ausdrücken abgefaßt, die ich doch der Nachwelt erhalten möchte:

„Verklagter kam eines Tages zu mir und theilte mir mit, daß er eine Frau brauche mit wenigstens tausend Thaler Vermögen. Ich sagte ihm, daß ich derartige Personen mehrere vorräthig habe, worauf mich Verklagter mit der Vermittelung des Geschäftes beauftragte mit dem Versprechen, mir, wenn es zu Stande käme, eine Belohnung von fünfzig Thalern zu zahlen. Ich habe nun“ etc. (NB. ganz wörtlich.)

Verklagter, nunmehr glücklicher Ehemann, war aber keinesweges zu zahlen bereit, behauptete vielmehr, die Verabredung sei dahin gegangen, daß die zu beschaffende Frau körperlich gesund und ohne Fehler sein solle. Aerztliches Attest beweise nun, daß seine Frau der Zähne fast ganz entbehre, er sei also zur Zahlung nicht verpflichtet. Von solchem Uebereinkommen wollte der Commissionair schlechterdings nichts wissen, allein das war auch gleichgültig. Das ganze Geschäft wurde mit Recht als unsittlich angesehen und der Kläger abgewiesen.

Zum Schlusse noch einige allgemeine Betrachtungen. Bagatelle (vom französischen bagatelle, Kleinigkeit) ist bei uns im processualischen Sinne ein Streitobject bis zu fünfzig Thalern. Es liegt in der Sache selber, daß die Parteien meistens den arbeitenden Classen angehören, für welche fünfzig Thaler wahrlich keine Bagatelle sind. Wie oft hängt der letzte Blutstropfen eines Arbeiters an solcher Summe, die ihm vielleicht ein reicher Mann böswillig vorenthält! Der reiche Bankier dagegen, der einundfünfzig Thaler, die für ihn wirklich eine Bagatelle sind, einklagt, genießt gewisser Rechtsmittel, welche jenem versagt sind. Bagatellsachen werden nämlich von einem Richter abgeurtheilt, gegen dessen Erkenntniß nur der Recurs zulässig ist, ein Rechtsmittel, das seiner innern Natur nach sehr selten hilft. Die Sache des Bankiers dagegen wird von drei Richtern sehr gründlich bearbeitet, ihm stehen zwei Appellationen zu Gebote, die ungleich vortheilhafter sind, als der Recurs.

Das ganze Institut des Bagatellprocesses hat Preußen der französischen Gesetzgebung, der es überhaupt in neuerer Zeit vielfach gefolgt ist, entnommen. Daß es dem deutschen Volksgeiste entspricht, glaube ich nicht. Es ist ein Grundzug des deutschen Volkscharakters, dem Großen und Kleinen gleiche Sorgfalt zuzuwenden; weshalb geschieht das nicht auch hier?

Und wie steht die Sache weiter? Zehn Bagatellcommissionen, jede mit drei Richtern besetzt, erledigen jährlich neunzigtausend Processe, so daß ihrer dreitausend auf jeden Richter kommen. Nehmen wir an, daß jeder Streit nur einen Termin erfordere, und rechnen wir das Jahr selbst zu dreihundert Arbeitstagen, so ergiebt es sich, daß der Richter in den zwei täglichen Terminstunden zehn Termine abzuhalten hat. Weitere Betrachtungen sind überflüssig, wenn wir der noch zu Rechte bestehenden gesetzlichen Vorschrift erwähnen, daß der Richter, um recht gründlich verfahren zu können, täglich blos eine Sache bearbeiten soll. Ein anderes Gesetz, daß ein Bagatellproceß in der Regel nur sechs Wochen schweben soll, mußte bei dieser Unzahl von Terminen natürlich den Boden seiner Anwendung verlieren; ob zum Vortheil des Publicums, wird man beurtheilen können, wenn man erwägt, daß es hier eine ganze Kaste ehrenwerther Leute aus allen Ständen giebt, die kleine Summen grundsätzlich nicht eher zahlen, als bis ihnen der Executor von ferne droht.



[409]
III.

Eine der merkwürdigsten Bibliotheken der Welt enthält das Berliner Stadtgericht. Mit Erstaunen und mit Grauen betritt man eine lange Reihe großer Zimmer, die von oben bis unten mit Folianten und Actenstücken vollgepfropft sind, und noch mehr wächst unsere Verwunderung, wenn wir erfahren, daß alle diese Tausende von Büchern nichts sind als Hypothekenbücher, – denn wir befinden uns in der Deputation für Hypothekensachen, die allein hinreichen würden, eine recht anständige Behörde zu bilden, größer als manches große Kreisgericht. Wären diese Bände leer, man könnte die Weisheit der theologischen Facultäten von ganz Deutschland hineinschreiben und behielte doch noch Platz genug für einige sinnige Anmerkungen! Wie im alten Rom die sibyllinischen Bücher nur von einem eigens dazu bestellten Priestercollegium eingesehen werden durften, so stehen die Hypothekenbücher nur dem Richter offen; für das Publicum sind die sogenannten Grundacten angelegt. Jedes der siebenzehntausend Grundstücke Berlins hat hier seine eigenen Acten; jeder Verkauf, jede Verpfändung, überhaupt jeder dasselbe betreffende Contract, befindet sich darin, so daß diese Acten oft ein höchst respectabeles Aeußere haben, vor dem der Aermste zurückschreckt, welcher zu ihrer Durchsicht verdammt ist. Dennoch ist eine derartige Beschäftigung bisweilen sehr interessant, denn man gewinnt so einen Ueberblick über den Werth der Grundstücke zu verschiedenen Zeiten. Dieser Werth hat sich in den letzten zwanzig Jahren ganz erstaunlich gehoben; Baustellen, die noch vor einem halben Menschenalter vielleicht für eintausend Thaler erworben wurden, sind jetzt für den zehnfachen Preis nicht feil. Seinen Höhepunkt hat indessen der Grundwerth bereits verlassen. Die Bauwuth, einen anderen Ausdruck kann ich nicht wählen, brachte es in den Jahren 1852 bis 1865 so weit, daß, wie man ermittelt zu haben glaubte, der Bedarf an Wohnungen noch auf zehn Jahre hinaus gedeckt sein sollte, eine Annahme, die sich jedoch schon in diesem Jahre als übertrieben herausgestellt hat. Das Gepräge dieses Zeitraumes ist übrigens ein so merkwürdiges, daß ich meinen Lesern eine Schilderung desselben nicht vorenthalten möchte.

Den sturmbewegten Jahren 1848 und 1849 folgte naturgemäß eine tiefe Stille auf politischem Gebiete, welche die Industrie mächtig begünstigte. In Berlin steigerte sich namentlich die Baulust in einer Weise, die man krankhaft nennen möchte. Der bis dahin ziemlich philiströse, meist nur auf Theater und Paraden beschränkte Gesichtskreis unserer guten Berliner hatte sich erweitert, Speculation trat an die Stelle der früheren engen Gevatterschaften, [410] und so wurde es auch ein beliebtes und einträgliches Geschäft, Häuser zum Verkaufe zu bauen. Dem Spießbürger fiel es zwar nach wie vor nicht ein, sich damit zu befassen; wer aber mit kühnem, berechnendem Unternehmungsgeiste nach Berlin kam, hatte die besten Aussichten. Zur Anzahlung auf Grund und Boden genügte gewöhnlich eine geringe Summe; wer nur diese erspart hatte, für den fanden sich bald Capitalisten, welche das zum Baue nöthige Geld hergaben und dafür Hypotheken auf das neue Haus nahmen. Auf diese Weise sind die neuen Stadttheile vor den Thoren beinahe durchgängig entstanden, und so hat sich ein Schlag von Berliner Hauswirthen herangebildet, der mit Recht einen gewissen, eigenthümlichen Ruf erlangt hat. Ihre ganze Laufbahn hat in der Regel nur vier Stufen: Arbeitsbursche, Hausknecht, Schankwirth (sogenannter Budiker), Hausbesitzer; in letzterer Eigenschaft führen sie den stolzen Titel „Rentier“. Der junge Mann kommt von seinem Dorfe nach Berlin und findet eine Stelle als Arbeitsbursche, Allmählich avancirt er zum Hausknechte, eine Stellung, deren Einkünfte das Gehalt eines Volksschullehrers gewöhnlich weit übersteigen und dem eines Richters bisweilen ziemlich nahe kommen sollen. Hat er hierbei einige hundert Thaler gespart, so kauft er zur Begründung eines eigenen Herdes eine sogenannte Budike, das Ideal aller Hausknechte und Droschkenkutscher. Ein nothdürftig ausgestatteter Keller ist sein Geschäftslocal, in welchem Droschkenkutscher, Arbeiter und Soldaten nach des Tages Last und Mühe – die ersteren auch während des Tages ein halbes Dutzend Mal – den inneren Menschen mit Weißbier, Kümmel und Wurst stärken. Solche Geschäfte, in denen übrigens das Sie zu den größten Seltenheiten gehört, blühen immer, und schon nach zehn oder fünfzehn Jahren hat der „Budiker“ ein Capital gesammelt, das zur Anzahlung bei einem Hauskaufe reicht. Die höchste Stufe seines irdischen Glückes ist erstiegen, Berlin um einen Rentier reicher.

Jetzt entfalten sich alle die schönen Eigenschaften, welche die gütige Natur in ihn legte. Hat er ehemals schwer gearbeitet, so stolzirt er jetzt in Schlafrock und Morgenschuhen, die Cigarre im Munde, vor seinem „Grundstücke“ auf und ab und beobachtet das Treiben seiner Miether, welche, Dank sei es den berüchtigten, von einem patriotischen Manne herausgegebenen Miethscontractsformularen, wenig mehr als seine Frohnleute sind. Versetze sich der Leser, in die Lage eines kleinen Handwerkers oder Beamten, der eine billige Wohnung sucht, d. h. hier für achtzig bis hundert Thaler jährlicher Miethe. Man trifft den Herrn „Wirth“ glücklich an, stellt sich ihm vor und hat ungefähr folgendes peinliches Verhör zu bestehen: Wo wohnten Sie bisher und weshalb wollen Sie ziehen? Können Sie die Miethe pränumerando zahlen? Haben Sie Kinder oder Hunde? etc. etc. Bejaht man die letzte Frage ganz oder theilweise, so ziehen schon bedenkliche Falten über das Antlitz des gestrengen Herrn. Kinder und Hunde sind ihm bei seinen Miethern grundsätzlich ein Gräuel; denn sie verletzen durch Ruhestörung möglicher Weise die Hausordnung, welche überall in großen Lettern mit der einfach erhabenen Unterschrift „Der Wirth“ prangt. Diese Hausordnung bis in’s Kleinste zu halten, muß sich jeder Miether ausdrücklich verpflichten, und so wird sie eine Quelle ewigen Zankens und Processirens. Wenn man den Gesetzen des Drako nachsagte, sie seien mit Blut geschrieben, so muß man der Hausordnung mindestens so viel lassen, daß sie höchst spitzfindig ausgedacht ist und eine Menge Klippen enthält, die kaum zu umgehen sind. Ein wenig auf die Treppe vergossenes Wasser, das vorübergehende Beherbergen eines zum Besuche anwesenden Verwandten reicht schon zur Anstrengung einer Exmissionsklage hin, denn die Hausordnung bedroht den geringsten Verstoß mit der Strafe sofortiger Ausweisung.

So geschieht es, daß ein guter Theil unserer Hauswirthe tägliche Gäste des Stadtgerichtes sind; freilich mißlingen ihre chicaneusen Versuche nicht selten, woran ihre erklärte Vorliebe für Winkelconsulenten viel beiträgt. Ich weiß mich eines Falles zu entsinnen, in dem eine Exmissionsklage angestellt und glänzend verloren wurde, weil der Miether einen Canarienvogel hielt, den der Herr Wirth unter die im Miethscontracte verbotenen Hausthiere zu rechnen beliebte.

Die Zahl dergleichen Winkelconsulenten ist in Berlin Legion; sie ergänzt sich aus gewesenen Justizbeamten aller Grade und gehört nicht zu den kleinsten Uebelständen unseres Rechtslebens. Auf ungefähr siebenhunderttausend Berliner kommen etwa siebenzig Rechtsanwälte, also im Durchschnitt einer auf zehntausend Menschen. Diese Zahlenangabe macht es Jedem deutlich genug, daß die Amtsthätigkeit jener Herren meistentheils nur größeren Processen zugewandt sein wird. Doch weiter! „Ohne Kreuzer kein Schweizer,“ sagte man in den Zeiten des heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, und bei uns heißt es: „Ohne Kostenvorschuß kein Rechtsanwalt“. Der Arme ist also übel genug berathen; er muß, wenn er selber die nöthige Gewandtheit nicht besitzt, den Winkelconsulenten in die Hände fallen. Diese werthe Gilde verlangt nun zwar keinen Kostenvorschuß, so lange der Hülfesuchende kein Geld hat, zwickt und zwackt ihn aber nachträglich um so ärger und, was das Schlimmste an der ganzen Sache ist, verdirbt ihm gewöhnlich den Proceß. Dazu kommen die zahlreichen Betrügereien, welche von den „Winkelmännern“, wie man sie wohl am Stadtgerichte nennt, ausgeübt werden. Kein Monat vergeht, in dem nicht einer oder mehrere derselben auf die Anklagebank wandern. Wer es zu beobachten Gelegenheit hat, kann sein Vergnügen finden an der Amtswürde und dem komischen Aufwande anscheinend juristischer Gelehrsamkeit, mit welchem sie ungebildete Leute täuschen. „Das wollen wir schon machen,“ heißt es, „ich werde sofort eine Klage aufsetzen und die Verurtheilung des X. veranlassen.“ Dabei bleibt es aber dann auch. Kurz, die ganze Geschichte ist heillos, und sie wird nicht eher aufhören, als bis man sich zu der längst gewünschten und längst für nothwendig gehaltenen freien Advocatur entschließt.

In engem Zusammenhange mit der großartigen Entwickelung unserer Bauindustrie gestaltete sich aber auch ein neuer Zweig des modernen Schwindels: es entstand das berüchtigte System der vorgeschobenen Personen. Capitalien, die ihr Vermögen in kurzer Zeit verdoppelt und verdreifacht zu sehen wünschen, setzen sich mit irgend einem verdorbenen Subjecte in Verbindung, gewöhnlich wird es ein Commissionär oder Winkelconsulent sein. Dieser stellt sich nun dem Bauunternehmer, der soeben seine Ersparnisse zum Ankaufe von Grund und Boden verwendet hat, als den eigentlichen „Geldmann“ vor und schließt mit ihm einen Contract, nach welchem er Holz, Steine und die nöthigen Arbeitslöhne hergiebt. Der Unternehmer verpflichtet sich dagegen, in Höhe jener Lieferungen nach Vollendung eines Theiles des Baues Hypotheken für seinen Gläubiger eintragen zu lassen, und fängt frisch an zu arbeiten. Die Sache geht nun auch ganz gut, bis die erste Balkenlage gelegt und die versprochene Hypothek eingetragen ist. Kaum hat aber der Vorgeschobene sein Hypothekeninstrument in der Hand, so cedirt er es dem eigentlichen Capitalien, nimmt seine Belohnung in Empfang und denkt nun gar nicht mehr daran, seine weiteren Verbindlichkeiten aus jenem Contracte zu erfüllen. Eine Klage hilft gegen ihn nicht, denn wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.

Der arme, geprellte Unternehmer steht also vor seinem angefangenen Hause, ohne Mittel, es zu vollenden. Rathlos versucht er es, anderweitige Hülfsquellen zu eröffnen, da empfängt er einen recommandirten Brief. Er bricht das Siegel: die Hypothek ist ihm von ihrem jetzigen Besitzer gekündigt. Der Zahlungstermin kommt heran, er kann die bedeutende Summe nicht auftreiben, und das Ende vom Liede ist, daß ihm sein grausamer Gläubiger das Grundstück subhastiren (gerichtlich verkaufen) läßt. Ein solches Subhastationsverfahren ist aber ebenso langwierig wie kostspielig und für den Betroffenen nachtheilig. Der Capitalist ersteht natürlich das Grundstück, da er der alleinige Gläubiger ist, zu einem verhältnißmäßig geringen Preise, und sein armes Opfer ist um, die Früchte jahrelanger, mühevoller Arbeit gebracht.

Auf solche Weise pflegen unsere Blutsauger den Schweiß ihrer Nebenmenschen an sich zu bringen, und dabei ist es leider nicht einmal möglich, derartige Manöver zu bestrafen, da die Vereinbarung derselben zwischen den beiden Ehrenmännern nur in den allerseltensten Fällen nachgewiesen werden kann.

Zwei in Berlin häufig vorkommende andere Erscheinungen verdanken jener Industrie ebenfalls ihr Dasein. Es giebt hier eine große Anzahl Personen, von denen der Volkswitz sagt: „sie haben fünf Häuser und keine Schlafstelle,“ d. h. der Executor verfolgt sie so, daß sie sich nirgends blicken lassen dürfen. Dies sind entweder solche Hauseigenthümer, welche den oben beschriebenen Gaunern in die Hände gefallen sind, oder ohne jeden Pfennig eigenen Capitales zu bauen begonnen haben. Eine zweite für den Uneingeweihten merkwürdige Erscheinung sind die Inhaber der [411] sogenannten „faulen Hypotheken“, deren Vermögen auf dem Papiere nach Tausenden und Abertausenden zählt, während sie in Wahrheit keinen Groschen besitzen. Ihre Industrie ist eine höchst gefährliche und dem Strafgesetze leider zu häufig unerreichbare und besteht darin, daß sie auf irgend ein Grundstück Hypotheken auf Hypotheken eintragen lassen, weit über den Werth desselben hinaus, natürlich ohne einen Deut dafür zu zahlen. Die darüber ausgestellten Documente werden nun an geübte Schwindler abgetreten, welche sie an den Mann bringen. Das platte Land bietet meistentheils Gelegenheit genug dazu, wie folgender Fall darthut.

Ein Bauer wünschte wegen Kränklichkeit sein werthvolles Gut zu veräußern, um seiner Heilung in Berlin ruhig entgegensehen zu können und den Rest seiner Tage in Ruhe zu verleben. Kaum hat er eine dahin zielende Anzeige in die Blätter rücken lassen, so erscheinen einige höchst anständig gekleidete Herren mit den nie fehlenden schweren goldenen Uhrketten und Lorgnetten und stellen sich ihm als die früheren Rittergutsbesitzer und jetzigen Rentiers So und So aus Berlin vor. Der Bauer wird nun in der zuvorkommendsten Weise gebeten, sein Gut zu zeigen. Nachdem dies geschehen, reisen die Herren, die mit dem Kaufpreise ganz einverstanden sind, ab, und nach einigen Tagen macht sich der Landmann, einer verbindlichen Einladung folgend, schon auf den Weg nach Berlin, um hier den Verkauf abzuschließen. Sein Empfang ist glänzend; in den luxuriösen Zimmern eines Hotels wird der arme, von dem ungewohnten Glanze und der Herablassung seiner vornehmen neuen Bekanntschaft ganz geblendete Mann den Herren von So und So, dem Baron N. und Gott weiß, wem noch, vorgestellt. Beim Glase Champagner malt man ihm aus, wie ruhig und sorglos er in der Residenz leben könnte, wenn er sein Gut gegen „feine“ Hypotheken umtauschte, wie er sich daheim hart schinden und plagen müsse, hier dagegen nichts weiter zu thun habe, als vierteljährlich seine Zinsen in Empfang zu nehmen. Und wem sollte das nicht einleuchten? Der weinselige Betrogene willigt in Alles. Am nächsten Morgen noch ein delicates Frühstück, und dann zum Notar. Das Geschäft wird abgeschlossen, und unser biederer Uckermärker reist, von seinen nobeln Bekannten noch per Droschke bis zum Bahnhofe begleitet, mit einem ganzen Paket schöner, neuer Hypothekendocumente nach Hause, um „Muttern“ sein ungeahntes Glück und seinen vortheilhaften Handel zu erzählen. Die Gauner sind inzwischen aber auch nicht müßig gewesen. Noch an demselben Tage wird der Bauernhof gegen einen baar ausgezahlten Spottpreis an irgend einen Capitalisten veräußert, der von Hause aus mit der sauberen Sippschaft unter einer Decke steckte. In etwa acht Tagen sieht man einige hochgepackte Möbelwagen das Thor passiren. Sobald diese Betten und Möbel verkauft sind, ist aus einem behäbigen Bauersmanne ein Bettler geworden, welcher der Armenpflege zur Last fällt, wenn auch nicht auf lange Zeit, denn Gram und Kummer sichern dem armen Betrogenen bald den kleinen Sandhügel auf dem Armenkirchhofe.

Der Leser würde irren, wenn er glaubte, daß derartige arge Betrügereien zu den Seltenheiten gehören. Berlin birgt eine ganz respectable Zahl solcher Hochstapler, die freilich ihrer eigenen Sicherheit halber nach verübtem Verbrechen auf einige Zeit von der Bühne verschwinden und namentlich von ihrem Opfer nie wiedergesehen werden. Gelingt es der Criminalpolizei, sie zu fangen, so brauchen sie freilich wegen freien Quartiers auf lange Zeit außer Sorge zu sein.

Man sieht, die „Metropole der Intelligenz“ ist für Unerfahrene ein heißes Pflaster, auf dem manches frische Lebensglück zu Grunde geht. Allein es ist nicht zu ändern. Die ungeheure Entwickelung einer Stadt wie Berlin muß nebst vielem Guten naturgemäß auch Böses mit sich bringen, dem übrigens unsere Behörden, es darf dies nicht geleugnet werden, mit möglichster Thatkraft entgegen wirken.

Die letzten Jahre haben überhaupt den Grundbesitz in eine recht üble Lage gebracht. Der gesteigerte industrielle Verkehr läßt es dem Capitalisten vortheilhafter und bequemer erscheinen, sein Geld in industriellen Unternehmungen zu verwerthen, die ihm nicht allein schnelleren und höheren Ertrag versprechen, sondern ihm auch die Möglichkeit gewähren, jeden Augenblick in beliebiger Weise über sein Vermögen verfügen zu können. So wendet sich das Capital vom Grundbesitze ab der Industrie zu, und zwar mit vollem Rechte. Unsere Hypothekengesetzgebung ist noch eine so starre und unbequeme, daß ein natürliches Verhältniß zwischen Grund und Boden und der Arbeit nicht eher hergestellt sein wird, als bis es gelingt, eine den Grundsätzen des modernen Lebens angepaßte Gesetzgebung zu schaffen, eine Aufgabe, mit der sich sowohl der Staat als Private gleich emsig beschäftigen. Wünschen wir, daß es ihnen bald gelinge, das Räthsel zu lösen.

Zum Schlusse sei es gestattet, einige interessante Notizen der letzten statistischen Ermittelungen über die Berliner Grundverhältnisse mitzutheilen.

Die Zahl der bebauten und unbebauten Grundstücke Berlins betrug im Jahre 1866 sechszehntausend einhundertundfünf, von denen jedes im Durchschnitte mit 16,357 Thalern Schulden belastet war. Der Werth der bebauten Grundstücke betrug 348,762,995 Thaler, der der unbebauten 6,318,830 Thaler; die Privilegien und Gerechtigkeiten, welche mit Grund und Boden zusammenhängen, wurden auf 609,515 Thaler veranschlagt, so daß der Gesammtwerth des unbeweglichen Berlins, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Summe von 355,655,340 Thalern erreichte. Dabei ist von Jahr zu Jahr eine Erhöhung des Werthes von etwa zehn Procent berechnet werden! Die Belastung stieg dagegen nur um fünf Procent. Der Durchschnittskaufpreis eines Grundstückes stellte sich unter den elfhundertundsiebenundzwanzig Verkäufen des Jahres 1866 auf 26,205 Thaler heraus, wozu allerdings noch einhundertundfünfneunzig unfreiwillige Verkäufe (Subhastationen) zum Durchschnittspreise von 15,824 Thalern (!) kamen. In jedem Jahre werden etwa vierhundertundfünfzig Neubauten begonnen.

Alle diese Gebäude wurden von dreiundzwanzig Gesellschaften mit 213,359,500 Thalern versichert und ihr Miethsertrag überstieg 21,750,000 Thaler, die von mehr als 150,000 Miethern gezahlt wurden. Von ihnen entrichteten: 47,200 Miether unter fünfzig Thaler, 54,000 zwischen fünfzig und hundert Thalern, 18,150 zwischen hundert und hundertundfünfzig Thalern, 10,000 zwischen hundertundfünfzig und zweihundert Thalern, 10,000 zwischen zweihundert und dreihundert Thalern, 5000 zwischen dreihundert und vierhundert Thalern, 3000 zwischen vierhundert und fünfhundert Thalern, 4600 zwischen fünfhundert und tausend Thalern, und 1600 über tausend Thaler Miethe.

Also fast ein Drittel aller Berliner wohnt in Räumen, die jährlich weniger als fünfzig Thaler Miethe kosten, das heißt in dumpfen, schlechten Löchern! Wer ahnte dies wohl, wenn er zum ersten Male die glänzenden Straßen der Hauptstadt des norddeutschen Bundes betritt? Es scheint in der That eins der dringendsten Erfordernisse zu sein, diesen gesellschaftlichen Uebelständen abzuhelfen; dann wird auch in Berlin nicht mehr erst der zehnte junge Mann zum Militärdienste körperlich brauchbar sein.