Bilder vom Mittelmeer
Bilder vom Mittelmeer.
„Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.“
Ist es ein Traum? Draußen treiben des Winters Vorboten ihr Wesen, es stürmt und wettert. Ich aber sehe sonnenumglänzte grüne Berge ragen, schimmernde Felsen über sie hinaus … ich sehe stille licht- und wärmeerfüllte Thäler sich öffnen, in denen Lorbeeren wachsen, Rosen und Orangen blühen … wie ins Unendliche dehnt sich das leuchtende blaue Meer mit gleitenden Segeln; ein süßer Wind weht von ihm herüber und regt und weckt die Knospen in den Gärten, wo kranzflechtende Frauen wandeln; Musikklänge, Gesangestöne flattern aus den weitgeöffneten Fenstern der Villen, welche die schlanken Glycinen einspinnen; hoch auf den Hügeln, von Cypressen und Pinien erklettert, steht in braunen Trümmern, alte Geschichten erzählend, ein Kloster, ein Schloß, und die Leute, die auf den stillen Wegen an mir vorüberwandern, grüßen mit einem fremdklingenden Gruß … die sonnendurchkochte lautere Luft aber, die ich in vollen Zügen athme, spricht von Gesundheit, von Genesung.
Das ist kein Traumland. Du kennst das Land, dessen fast schönster Theil es ist, das uralte Sehnsuchtsland Italien, und dieser schöne Theil heißt: die Riviera. Unsere Sehnsucht braucht nicht vergebens nach ihr zu schmachten, die ehemalige Scheidewand, „der Berg und sein Wolkensteg“, ist gefallen; wir bedürfen des Faustschen Zaubermantels nicht mehr, seit wir den Gotthardtunnel haben, und brauchen nicht viel mehr Zeit als unsere Phantasie, „der Sonne nach und immer nach zu streben,“ bis dahin, wo „das Meer sich mit erwärmten Buchten vor den erstaunten Augen“ aufthut; wir brauchen vierundzwanzig Stunden, um mitten in die Wärmeparadiese des Mittelmeeres hineinzufliegen, um ganz deutlich fühlbar, wie in ein warmes Bad, von den Alpen in die lauen Buchtenkessel der ligurischen Küste zu steigen und unter wirklichen Freilandspalmen zu sitzen. Und so ward die Riviera nicht bloß Wanderziel, sondern auch Winterasyl und so entstanden dort die berühmten Winterkurorte, einer nach dem andern.
Winterkurort: ein prosaisches Wort, es schmeckt nach Hospital, nach Arzt und Arzenei! Aber das Hospital, welch reizende Lage hat es, wie mild und menschenfreundlich ist der Arzt, wie süß und erquickend die Arzenei! Was uns daheim fehlt, die Lebensspeise der reinen Luft, hier bekommen wir unsere wohlgemessenen nöthigen Kubikmeter täglich in unverfälschter Güte, wie die Milch der Alpen, und Kranke trinken an ihr sich gesund, Todeskandidaten schlürfen aus ihr neues Leben, und Gesunde – nun, so ein zeitweiliger Klimawechsel, man glaubt es kaum, wie er auf den Gesammtorganismus des Menschen und dadurch auch auf Seele und Geist anregend, belebend, umgestaltend wirkt.
„Riviera“ ist der Gesammtname für den langen, südlich von den Seealpen und dem ligurischen Apennin sich hinziehenden, schöngeschwungenen Mittelmeerküstenstrich von Nizza bis Spezia; denn Riviera bedeutet Ufer- oder Küstengegend. Nun unterscheidet man aber nach den Himmelsrichtungen mit Genua als Ausgangspunkt eine Riviera di Ponente, von Genua bis Nizza, und eine Riviera di Levante, von Genua bis Spezia. Ponente heißt das Land „gegen Abend“, von Ponente, der Sonnenuntergang; Levante, von levare aufgehen, ist das Land gegen Sonnenaufgang. Politisch unterscheidet man eine französische, bis Ventimiglia reichende, und eine italienische Riviera. Die erstere läßt einer koketten Französin sich vergleichen, die andere ist ganz eine brünette reizvolle Italienerin, beiden aber steht das „Halsband“, das die Natur ihnen umgebunden – denn das französische „Rivière“ hat auch diese Bedeutung – gar prächtig zu Gesicht. An dieses Halsband sind gereiht als Perlen und Diamanten in steter Abwechselung von klein und groß, von Nizza bis Spezia sechs Dutzend Städte, Flecken, Dörfer, Orte und Oertchen, von denen als weltbekannt sich auszeichnen Nizza, oder wie die Franzosen wollen: Nice, Monaco, Monte-Carlo, Mentone, Bordighera, San Remo, Savona, Pegli, Nervi, Sestri, Spezia. Alle funkeln und leuchten in echtestem Glanze, alle aber werden überstrahlt und zusammengehalten von dem Krondiamanten Genua, der in der Mitte unsrer „Rivière“, aus dem tiefsten Grunde des Riesengolfes hervorblitzt.
Werfen wir einen Blick auf die Karte! Wir erkennen an der ganzen großen Küstengestaltung, wie an der Form und Stellung des Gebirges die freundliche Absicht der Natur, die Sonnenstrahlen einzufangen, die nordischen Lüfte abzuhalten; und jeder kleine und kleinste Golf wiederholt dies Bestreben noch einmal im kleinen und dann natürlich um so erfolgreicher. Fragen wir den Geographen, so sagt er uns, daß die Isotherme (die Linie gleicher mittlerer Wärme) der ligurischen Küste die lieblichste der Welt ist: es ist die glückliche Linie von 15° Celsius, dieselbe, welche über die südlichen Inseln Japans, China, das Kaspische Meer, Griechenland, die Cykladen, das Adriatische Meer, die Arnoufer läuft. Weiter erfahren wir, daß um diese glückliche Linie in nächster Nachbarschaft als Linie der größten Wärme diejenige von 24° C. und als Linie der größten Kälte die von 8° C. sich windet.
[695] So ist es denn an dieser Küste möglich, die verschiedenen Pflanzengürtel der Erde so rasch wie sonst nirgend zu durchkreuzen. Die niederen Ufergegenden kleiden die immergrünen Wälder der Olive, schmücken die Gärten voll Orangen und Rosen, die Wiesen voll Frühlingsblumen; bei zweihundert Metern Höhe noch reift der köstliche Wein, bei vierhundert wandelt man unter Eichen, bei sechshundert unter Nußbäumen und Edelkastanien; dann treten die Buchen und Tannen auf, die zu Begleitern sich die zierlichen Blüthen der Meerkirsche und der Alpenrose und gewürzige Kräuter, bis zu fünfzehnhundert Metern Höhe, erwählten. Weiter hinauf dann dieselben Erscheinungen auf den höchsten Gipfeln des Apennins wie auf den schweizer Alpen: zwei Drittel des Jahres Schnee, vier Monate grüne kräftige Sommerweide mit Herden und Hirten.
Da hinauf aber steigen die Herren und Damen, welche in den genannten Orten einen Winter verbringen wollen, und besonders die Kurgäste nicht. Sie wandeln die bequemen Wiesenpfade, um die herum schon der Monat Januar seinen Blumenteppich breitet, und erfreuen sich der blühenden Pracht. Diese Pracht steigerte der Fleiß des Menschen noch in den Villengärten an den sanften Hügelhängen, wo die verschiedenartigsten und seltensten Pflanzen unter dem Kusse der südlichen Sonne keimen, gedeihen und blühen. Die Geranien sind hier ganz heimisch und wachsen zur Höhe eines kleinen Baumes; die Margarethen oder Anthemis, in Deutschland bescheidene Blümchen, entfalten sich zu staunenerregender Größe; Levkojen wachsen auf freiem Feld und die Veilchen sind augengroß mit spannenlangen Stielen und haben nichts von der Bescheidenheit der unter nordischem Frühling erblühten.
Wenn irgendwo, so ist hier die Rose die Königin der Blumen, glühend von Farben, voll üppigen Duftes und von stolzer Größe. Kamelien und Oleander stehen prächtig und stark und entwickeln sich ganz ohne Pflege; Nelke, Heliotrop oder Vanille blühen gleichzeitig und mischen ihre süßen Düfte. Die fremden Pflanzen athmen hier heimische Luft und gedeihen deshalb wie unter den Tropen. Ganz gewöhnliche und offen in allen Gärten gezogene Landesprodukte sind die Olive, die Citrone, Orange, Cedrato, Mandarine, Granate und japanische Mispel, die eßbare Kastanie, Pfirsich, Kirsche, Pflaume, die köstlichsten Trauben und Melonen; gewöhnliche und billige Gemüse sind die Artischoken, der Blumenkohl, Liebesapfel, Eierapfel und alle feinen Sorten von Salat.
Was auf dem Gebiete der Blumen geleistet werden kann, erkennt man zu gewissen Zeiten am besten in dem lebelustigen Nizza. Schon an gewöhnlichen Tagen labt unser Auge sich an dem am Ende des „Korso“ abgehaltenen Blumenmarkt, an der Fülle der Veilchen, Anemonen, Narcissen, Jonquillen, Rosen, Aurikeln und Heliotropen; was aber die Gartenstadt Nizza an Blumen aufzubringen vermag, wenn sie einmal alle ihre Kräfte wie an den Februartagen des Blumenkarnevals zusammennimmt, davon können wir uns trotzdem keine Vorstellung machen. An einem Tage wird ein ganzer Frühling in einzelnen Blumen und Sträußen vergeudet, ein Blumenmeer ergießt sich über die Stadt.
Der Jardin Public, der „öffentliche Garten“, ist das Toilettezimmer Nizzas. Wie üppig stehen hier die Bäume, die Lorbeeren und immergrünen Eichen, die Pfefferbäume und Kasuarinen, die Agaven und Rosen! Und die prächtigen Palmengruppen – Algerien kann schönere nicht haben!
Ja, auch die Palme hat an der Riviera ihr zweites Vaterland gefunden, aus dem sie nicht nöthig hat, sich nach ihrer afrikanischen Sonne zurückzusehnen. Wir finden sie auch in andern Theilen Italiens, aber meist nur in einzelnen, oft sehr schönen Exemplaren; an der Riviera jedoch erscheint sie nicht bloß in Gruppen, sondern, mit staunenden Augen sehen wir’s, in ganzen tausendstämmigen Wäldern, und zwar ungepflegt, frei, am Meeresufer, auf Felsterrassen, allen Winden hingegeben, in verwahrlosten Bauerngärten am Berge.
Wer nach dem berühmten Bordighera kommt, steige durch Alt-Bordighera in die höher gelegenen Gärten hinauf, hier findet er den größten Palmenhain Italiens, den „Palmeto“ von Bordighera, und dieser Ort liegt unter dem 44° n. Br.! Hier ist die vorherrschende Palme die Phoenix dactylifera, die Dattelpalme; andere Palmenarten und viele exotische Gewächse schauen wir in dem prächtigen Garten des Signor Moreno an der Via Romana und in den wohlgepflegten Anlagen unseres vortrefflichen Landsmanns Winter. Auch der Palmengarten des vor einigen Jahren verstorbenen Barons von Hüttner in San Remo an einer sonnigen Hügellehne ist ein wahres Schmuck- und Schatzkästchen der Riviera. Hier können wir mit Muße die eingehendsten Palmenstudien machen und in einer Stunde weite Flüge durch Asien, Afrika, Amerika und Australien thun. Versuche mit den verschiedensten Sorten der Kokospalme sind hier ganz herrlich gelungen.
Dies für den Kenner. Den lustigen Touristen und Freund Scheffelscher Muse führen wir zu einer Gruppe von Palmen, die einsam unterhalb der Straße im Osten Bordigheras am Meeresufer steht. Der Eingeborene nennt den Ort „La Cisterna“, denn inmitten von etwa zwölf schlanken, meerwindzerzausten Dattelpalmen, die sich keineswegs durch ihre Schönheit auszeichnen, findet sich ein kleines verfallendes Brunnengemäuer.
Diese Palmen sind bekannt unter dem Namen der „Scheffelpalmen“, unter ihnen fühlte sich der Dichter, als er die Riviera entlang fuhr, in den fünfziger Jahren „dem Tode nahe“; diese Ueberschrift erhielt auch das darauf bezügliche Gedicht, und in ihm wird jener einsamen Palmen Erwähnung gethan:
„Zwölf Palmen ragten am Meeresstrand
Um eine alte Cisterne;
Der Wagen knarrte im Ufersand,
Die Sonne versank in der Ferne.“
Hier will er sterben; ein schöner Sterbeort wär’s schon, denn:
„Hier umsteh’n, eine altbefreundete Schar,
Mein Schmerzenslager die Palmen;
Im Fächerdach rauscht’s voll und klar,
Wie tröstende Sterbepsalmen.“
Er starb in der Heimath erst viele Jahre nachher, und nach ihm haben sich viele neues Leben unter den Palmen geholt, denn wo Palmen im Freien ausdauern und Musen wachsen, da lebt auch der Mensch ein volles Leben.
Welchen Ort aber sollen wir vor allen andern nennen, wo jeder seine Vorzüge hat, aber auch – seine Mängel, klimatische sowohl wie gesellschaftliche? Der Kranke fragt nur nach den klimatischen Vorzügen und wendet der italienischen Riviera, wendet San Remo, Bordighera, Alassio, Pegli und Nervi sich zu; der Gesunde und wer sich noch stark oder nur erholungsbedürftig fühlt, geht nach der lebhafteren französischen Seite, wo er außer Nizza (vielleicht mag auch Cannes dazu gerechnet werden) noch Villafranca, Monaco, Monte-Carlo, Mentone findet.
Der ernstlich Kranke verlangt von seinem Winterkurorte am Mittelmeer ein beständiges, ein heilkräftiges „Klima“. Was aber ist „Klima“? Die meisten Menschen verstehen darunter nur einen einzelnen Faktor des Klimas: die Temperatur. Der Mann der Wissenschaft jedoch, Humboldt z. B., faßt unter „Klima“ den Inbegriff aller der Zustände der Atmosphäre, von denen unsere Organe auf eine merkliche Weise berührt werden. Dazu gehören: die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Veränderungen des Luftdrucks, Ruhe oder Bewegung der Luft durch verschiedenartige Winde, die Spannung der atmosphärischen Elektricität, die Reinheit der Luft oder ihre Mengung mit mehr oder weniger schädlichen gasigen Aushauchungen, endlich der Grad ihrer gewöhnlichen Durchsichtigkeit, jene Heiterkeit des Himmels, die einen so wichtigen Einfluß ausübt, nicht nur auf die Wärmeausstrahlung des Erdbodens, auf die Entwickelung des organischen Gewebes der Pflanzen und auf das Reifen der Früchte, sondern auch sogar sich geltend macht durch die Richtung, welche sie der gesammten sittlichen Entwickelung des Menschen giebt.
In der Temperatur wechselt die Natur am meisten, und das ist es gerade, was der Winterkurgast am ersten vermeiden möchte und was er an vielen Orten der Riviera vermeiden kann. Aber einen „ewigen“ Frühling (es ist damit wie mit dem „ewig-blauen“ Himmel Italiens) findet der Südlandsfahrer an der Riviera noch nicht; sie ist kein vollständiges, windstilles, regenfreies Paradies! Wie sollten ohne Regen auch die herrlichen Bäume wachsen, die Wiesen grünen, die Blumen blühen? Man kann es manchen Winter auch recht schlimm treffen, obschon gänzlich böse Winter sehr große Ausnahmen sind. Schnee gehört an der Riviera zu den größten Seltenheiten und kehrt im Durchschnitt alle vier Jahre während ein bis zweier Stunden wieder, [696] ohne eine dauernde Decke bilden zu können; auch Nebel sind seltene Erscheinungen.
Ich will aber meinem Bilde einen Schatten geben und setze ein Stück aus dem Mittelmeer-Tagebuch von Gutzkow hierher, der es im Winter des Jahres 1873 recht schlecht traf. Er schreibt: „Ja, das ist ein trauriger Winter. Ich suchte Italien, um einen ständigen Katarrh, ein Rheuma in allen Gliedern loszuwerden, und wie hat uns Venedig, Genua begrüßt? In Venedig, wo alle Kirchenkuppeln mit Schnee bedeckt waren, auf dem Markusplatz jeder kleine Tümpel Wassers zu Eis gefroren war, da erkältete ich mich vollends. In dem reizenden Städtchen Pegli (dicht bei Genua) hielten wir sechs bis sieben Wochen aus. Dann mußten wir den Versuch machen und eine eigene „Villa“ miethen, ein Familienhaus in gebirgszerklüfteter Höhe. Wie hier der Sturm haust! Nachts rüttelt er an den geschlossenen Fensterläden. Er beugt die Pinien, daß sie seufzen und knacken! Das Meer wirft Westen bis auf die Eisenbahn, die sich unten an der Landstraße hinzieht nach Nizza, wo dieselben Täuschungen über den italienischen Winter etwaige Zureisende erwarten …“
Die Männer der Wissenschaft haben langjährige Beobachtungen über das Klima dieses reich gesegneten Küstenstrichs zum Wohl der leidenden Menschheit angestellt. Aus allen geht hervor, daß das Klima der Riviera eine höchst günstige und glückliche Mischung von Wärme, Feuchtigkeit und Luftzug bietet. Von der Klarheit der Luft, wenn sie einmal durch einen großen Regen gewaschen wurde, von ihrem Glanz, ihrer beflügelnden Leichtigkeit hat der Nordländer keinen Begriff. Wer solche Tage an der Riviera verlebte, Lenztage für Leib und Seele, vergißt sie nie wieder. Dann möchte der Mensch „ganz Lunge“ sein, um die Fülle dieser Luftheiterkeit in sich aufzunehmen, dann schwimmt er wie körperlos in einem erquickenden Meere von Sauerstoff.
Und wie genießt das Auge! Die Ferne schwindet, alles ist nahe gerückt, alles nimmt reichere Formen an, was vorher flach erschien, wird plastisch, die Farben entfalten sich in voller Pracht. Felsen, Baumblätter, Gräser glänzen wie poliert, als wären sie eben erst aus der großen Schöpfungswerkstätte hervorgegangen. Ueber der Horizontlinie des tiefblauen Meeres, das sanft in die Ufer hineinathmet, erscheint das Profil einer Insel …
Das sind ligurische Sonnenfesttage!
„In diesen Silberhainen von Oliven
Hab’ ich die Heilung aller meiner Wunden
Und auch die heitre Lösung nun gefunden
Von meines Lebens ernsten Hieroglyphen.“
Ort für Ort kennen zu lernen, befahren wir die mit hohem Recht weltberühmte Uferstraße der Corniche, italienisch Cornice, was ein Architekt etwa mit „Kranzgesimsstraße“ übersetzen würde, denn in die Seiten der Ausläufer der Seealpen, in die Hänge der apenninischen Vorberge wurde sie, oft hoch über dem Meere, hineingesprengt und -geschnitten, zu einer Zeit, wo es noch keine Eisenbahn gab. Sie beginnt in der Nähe Nizzas und läuft bis Genua, alle Orte der Riviera di Ponente berührend. Ihr malerisch schönster Theil ist die Strecke von Nizza bis zu der Burgruine La Turbie, jenen weitschauenden Resten eines vom Kaiser Augustus errichteten ungeheueren Römerthurms; und diesen Theil muß jeder gesehen haben, der an die Riviera kam. Aber auch in ihrem weiteren Verlaufe, über Monaco, Mentone, Bordighera, San Remo, Savona bis Genua ist der kaleidoskopische Wechsel der landschaftlichen Bilder ein unendlicher.
Nizza liegt hinter uns. Dort steht es an der „Baie des Anges“, der „Engelsbucht“, und winkt zum Abschied. Es prangt in lustiger, sonnenheitrer Frühlingstoilette, Orangenblüthen an dem Hut, einen großen Veilchenstrauß an der Brust, und giebt den aus aller Welt Geladenen ländliche Feste, Soiréen und Diners, Theater und tausend Freuden. Nizza ist zu geräuschvoll; Erholung, idyllische Ruhe und Einsamkeit wohnt nur auf den benachbarten Bergen.
Der Weg nach Mentone führt uns durch einen mittelalterlichen Rest: das Fürstenthum Monaco, das selbstherrliche Fürstenthum Monaco. Wir sind auf der Corniche und der Küstenzauber beginnt; die Fee Morgana treibt ihr Spiel! Wir sind nicht mehr in Europa, wir sind in Afrika, das sagt uns die warme Luft, das sagt uns die üppige, fast tropische Vegetation: die Agaven mit dem Riesenblüthenstamme, die Opuntienkaktus mit den goldglühenden Blüthenflammen, die baumartigen Heidekräuter, Rieseneuphorbien, der mannshohe leuchtende Ginster, die wilde Granatblume – schwellende Formen, glühende Farben allüberall. Und wo die Natur sich nicht gleich willig fügen wollte, da hat die Menschenhand kräftig nachgeholfen, um das einst versunkene Paradies wieder auf die Oberfläche zu heben. Aber auch die alte Schlange ist wieder mit heraufgekommen: hüte Dich, Wanderer, betritt den gefährlichen Boden nicht oder nur mit einem dreifachen Panzer gewappnet: Monte-Carlo[1] ist die Spielhölle! Ob wohl der neue Herrscher von Monaco der Schlange den Kopf zertreten wird? Wird er die Hand dazu reichen, daß ein Schandfleck aus der Welt verschwinde? Wer weiß es!
Mentone taucht auf über den blauen Wellen. Sehen wir uns vorher die ganze Küstenlandschaft ein wenig aus der Vogelschau an. Das Meer bildet von der Punta St. Hospice, bei dem zunächst Nizza gelegenen Villefranche, an bis zu dem
[697]Kap S. Ampeglio, an welchem Bordighera liegt, eine in weitem Bogen verlaufende sanfte Küsteneinbiegung. Der Rand dieser Küste erfährt jedoch wiederum verschiedene Gliederungen durch hervorspringende Landspitzen, mittels deren weitere, kleinere Golfe gebildet werden. Zwischen Kap St. Hospice und Kap d’Aglio schmiegt sich der Busen von Eza, zwischen Kap d’Aglio und Kap Martino der Busen von Monaco, zwischen Kap Martino und Kap della Murtola endlich der mentonesische Busen, zwischen dem letztern Kap und dem von St. Ampeglio liegt die italienische Grenzstadt Ventimiglia.
Mentone kann man eine englische Kolonie nennen; überall hört man englisch sprechen. Aber Mentone ist reich geworden durch die Söhne Albions, und da wollen wir denn nicht neidisch kritteln, nicht einmal staunen, wenn wir, gerade wie in Nizza, in den Namen der Hotels: Angleterre, Anglais, Victoria, Londres, Westminster u. a. ihnen geschmeichelt sehen.
Bordighera lernten wir bereits als Stadt der Palmen kennen, in San Remo sehen wir uns den ursprünglichen Bauplatz eines solchen Winterkurorts an, er kann als Modell und Beispiel für alle andern dienen.
Die schöpferische Natur zeichnete in feinen sanften Linien einen Meerbusen, setzte wie zwei Wachtthürme zwei in die Wellen vorspringende Landzungen an dessen Endpunkte, schob in den Rücken der Landschaft gegen Norden in Kreisform einen hohen Gebirgszug, ließ von diesem sieben Hügel mit dazwischenliegenden, sanft geneigten Thälern, welche friedliche Bäche durchfließen, meerwärts sich abdachen, umkleidete diese Hügel mit dem Oelbaum, dem silbernen Baume der Minerva, mit Citronen, Orangen, Mandeln, Granaten, Lorbeeren, Myrthen und Palmen, die höhern Berge mit Tannen, Fichten, Eichen, schmückte das ebenere Land gegen das Meer hin mit Reben und Rosen, die Wiesen mit Veilchen und Anemonen und all den süßen Frühlingsspielereien, erfüllte die ganze amphitheatralische Höhlung mit einer milden Bergluft und – der Boden von San Remo war fertig. Darüber spannte nun der Himmel sein blaues Zelt aus und ließ seine sanftesten Winde wehen. Die Menschen aber kamen und bauten ihre Häuser in diese Landschaft, und als die Leidenden aus dem Norden kamen, baute man ihnen zahlreiche Gasthöfe und Fremdenwohnungen, in [698] denen es sich still und lieblich lebt, wenn auch schmerzliche Erinnerungen jeden Deutschen überkommen, der San Remo betritt, wo unser Kaiser Friedrich vergeblich Heilung jenes heimtückischen Leidens suchte, das ihm ein frühes Grab bereitet hat. Alle andern Küstenorte, welche die Natur nach san-remesischem Modell angelegt hat, Pegli und, über Genua hinaus: Nervi, bauten ihnen nach; zuletzt erschloß sich als jüngste Knospe zwischen Bordighera und San Remo das glänzende Ospedaletti. – Das Baumaterial von Gebirge, Berg, Hügel, Thal, Strom und Bach, von Wald und Wiese haben wir in Deutschland auch; einen „Leib“ San Remo könnten wir herstellen, aber den lebenden Odem, den Geist vermögen wir nicht, ihm einzuhauchen: die Sonne des Südens fehlt, es fehlt das gewaltige Wärmebecken des Mittelmeeres.
- ↑ Siehe des Verf. Artikel „Gartenlaube“ Jahrgang 1884 Nr. 13.