Bitte für einen Unglücklichen

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Textdaten
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Autor: Konst. Haesslin,
königl. griech. Richter
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Titel: Bitte für einen Unglücklichen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 68
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[68] Bitte für einen Unglücklichen. Man schreibt uns aus Syra in Griechenland: „Der Gartenlaube ist es schon mehrere Male gelungen, verlorengeglaubte Söhne ihren Eltern zurückzugeben; sollte es nicht möglich sein, auch im nachfolgenden Falle einem Unglücklichen durch die Gartenlaube zu den Seinigen zu verhelfen?

Zufällig kam mir vor ein paar Tagen zu Ohren, daß im Dorfe Wari, das etwa anderthalbe Stunde von Syra entfernt ist, sich seit Jahren ein höchst mysteriöser Geisteskranker aufhalte, von dem Niemand mit Bestimmtheit wisse, wie er nach Syra gekommen sei, und den man für einen Dänen halte. Ich ritt deshalb heute von ein paar Freunden begleitet nach Wari, um mich nach dem Manne umzusehen und ihm womöglich nützlich zu sein. Die Leute wollten wissen, er hätte vor Jahren Schiffbruch gelitten, sei von einem Schiffe im Meere aufgefischt und hier an’s Land gesetzt worden. Er spreche, sagte man mir, mit Niemand, thue Niemand etwas zu leide, schlafe bei der größten Kälte auf bloßer Erde in einer verlassenen fenster- und thürlosen Hütte und nehme von Niemand Almosen an, als täglich ein wenig Brod und Käse und nur immer gerade so viel, als er brauche, um sich nothdürftig zu sättigen. Die Leute sprachen alle mit der größten Theilnahme von ihm. Ein Bursche wies uns seine Hütte, wenn sie diesen Namen verdient, und wir ritten mit einiger Gefahr für die Beine unserer Pferde dorthin, fanden ihn aber nicht.

Erst nach langem Herumsuchen sah ich in der Ferne eine Gestalt, ganz in grobe Lumpen gekleidet, die mir der Bursche, der uns begleitete, als den Gesuchten bezeichnete. Ich stieg vom Pferd und ging ihm entgegen. Sobald ich ihm begegnete, sprach ich ihn auf Deutsch an und, nachdem er mich einen Moment betroffen gemustert hatte, antwortete er mir im perfectesten Deutsch. Seine Reden waren oft wirre. Geld und Kleider wollte er durchaus nicht von mir annehmen, meinen Antrag mich in die Stadt zu begleiten wies er entschieden und etwas mißtrauisch ab. Was ich aus ihm herausbringen konnte, ist, daß er Protestant sei, Heinrich Rose heiße und aus Kiel stamme. Sein Vater heiße Heinrich Ludwig Rose. Etwas aus seinem Leben und seinen Verhältnissen zu erfahren, war absolut unmöglich. Ich schätze den Mann auf etwa fünfundvierzig Jahre, obgleich er schon sehr graues Haar hat. Seine Sprache und seine Physiognomie weisen auf den Mann der gebildeten Stände. Er scheint sehr religiös zu sein und bittere Klagen gegen den verstorbenen Prinzen Albert, Gemahl der Königin von England, zu haben. Weßwegen, sagte er nicht.

Sollten in Kiel nicht noch Verwandte des Herrn Rose leben, die sich für diesen Unglücklichen, den sie gewiß längst als todt betrauern, interessiren?

Ich werde schon heute die nöthigen Schritte bei der deutschen Gesandtschaft in Athen veranlassen und hoffe, daß auch die Gartenlaube in ihrer bekannten Humanität und bei den ihr gegebenen Mitteln Nachforschungen anstellen wird. Handelt es sich doch um das Geschick eines unglücklichen Landsmanns.

Konst. Haesslin, königl. griech. Richter.“