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Blätter aus einem diätetischen Recept-Taschenbuche

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Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Blätter aus einem diätetischen Recept-Taschenbuche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 641-642
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Blätter aus einem diätetischen Recept-Taschenbuche.
Diätetische Recepte zur Verhütung und bei Heilung von Krankheiten.


Aber ein Recept könnten Sie mir noch verschreiben, Herr Doctor.“ Dieser Wunsch, der mich verzweifelnd in die Arme meines Großvaterstuhles sinken machte, das war denn das Resultat eines halbstündigen Vortrags, den ich einem sogenannten gebildeten Patienten darüber gehalten hatte, daß sein Uebel nicht durch Arznei, wohl aber durch eine zweckmäßige Lebensweise gehoben werden könne. Und wie gläubig und vertrauensvoll zeigte sich mir dieser hinterlistige kranke Mensch während meines Vortrags! er nickte so zustimmend und beifällig dazu, daß ich ordentlich stolz darauf war, abermals eine kranke Seele dem Arzneiteufel entrissen zu haben. Aber das kommt davon, wenn man zu früh jubelt und die Menschen voreiliger Weise für vernünftig hält (in Bezug auf die Behandlung ihres Körpers und Geistes nämlich).

Wo soll denn aber auch bei unserer jetzigen Menschheit die Vernunft in dieser Beziehung herkommen? Im Hause werden die Kinder von Geburt an durch ihre abergläubischen Eltern und durch die an den Popanz glaubenden Kindermädchen tagtäglich mit Aberglauben aller Art vollgestopft; die Schule, welche durch naturwissenschaftlichen Unterricht wenigstens Etwas von jenem Aberglauben wieder ausrotten könnte und sollte, ist gezwungen, Gottes freimachende Naturgesetze zum größten Theile zu ignoriren; nach den Schuljahren heißt’s beim männlichen Geschlecht? „Geld verdienen“, während das weibliche nichts thut, als sich mit Kunst anhübscht, um einen Mann zu kapern. Von den Heilkünstlern ist aber in Bezug auf Ausrottung medicinischen Aberglaubens ebenfalls kein Heil zu erwarten, da die Kunst der Meisten ja auch nur auf Aberglauben beruht, und durch den Aberglauben der Kranken einträglich wird. Und was nun gar das Receptschreiben betrifft, so werden das unwissenschaftliche Heilkünstler am allerwenigsten abzubringen suchen, da die meisten derselben den größten Theil ihrer Weisheit nur „Recept-Taschenbüchern“ verdanken. Ja, wer dem homöopathischen Aberglauben huldigen und homöopathisch curiren lernen will, hat’s ganz leicht, auch ohne einen Blick in die medizinische Wissenschaft gethan zu haben: der braucht sich nur den homöopathischen Haus- und Familienarzt oder den homöopathischen Arzneischatz und ähnliche homöopathische Curir-Leitfäden anzuschaffen, um Alles, auch die Eifersucht seiner Frau, durch Bilsenkraut (aber wohl in sehr überallopathischer Gabe?) curiren zu können. Und was für eine hübsche Auswahl von Arzneimitteln hat man bei der homöopathischen Heilkünstelei! Hast Du z. B. Zahnschmerzen in Folge von Durchnässung, so kannst Du (nach Dr. Clotar Müller’s Haus- und Familienarzt S. 71–74) Rhus tox., Nux. mosch., Rhod. [642] Borax oder Natr. carb. anwenden; ziehen die Zahnschmerzen in die Augen, dann wähle zwischen Cham., Clem., Puls., Spig., Calc. c.; verschlimmern sie sich durch Geistesarbeiten, dann thut Bellad., Nux vom., Ignagtia gut, während bei Verschlimmerung durch Stochern Pulsatilla hilft; bei Zahnweh während des Stillens sind besonders geeignet: Chi., Calc. Merc., Nux vom., Sep., Sulph., Acon., Bellad., Ars., und so gibt’s für jeden absonderlichen Zufall bei Zahnweh eine Anzahl anderer Hülfsmittel. Manche dieser Arzneien, wie <Bellad., Stram., Schwefel u. a., empfiehlt die Homöopathie (s. Dr. Hirschel’s Arzneischatz S. 72.) gleichzeitig auch gegen Albernheit, fixe Ideen und Verrücktheit. O! daß doch dieses Zeug wirklich Etwas helfen könnte, dann würde ich es allen Homöopathen dringendst anempfehlen.

Um nun aber wieder auf das Receptschreiben zurückzukommen, ohne welches ein Kranker eben so wenig wie ohne Arzneien, Salben oder Pflaster zu gesunden aberglaubt, so will sich, da es nicht anders geht, auch der Verf. in Etwas dem herrschenden Aberglauben der unverständigen Menschheit fügen und den Lesern dieser Aufsätze ebenfalls Recepte verschreiben, aber freilich solche ohne Arzneien, die auch nicht in der gewöhnlichen Büchsen- und Bullen-Apotheke, sondern nur in Gottes Natur-Apotheke gemacht werden können. Die einen dieser diätetischen Recepte sollen vor Krankheiten schützen, die andern die Naturheilung bei Krankheiten unterstützen. Zur richtigen Würdigung dieser Recepte möge der Leser nochmals daran erinnert werden, daß

Krankheiten zu verhüten leichter ist, als sie zu curiren;“ und daß

die Heilung der Krankheiten stets dem Naturheilungsprocesse, nicht aber der ärztlichen Heilmacht zu verdanken ist.

Man glaube doch nur endlich einmal, daß Krankheiten, Seuchen und vorzeitiger Tod nichts als die einfachen und nothwendigen Folgen unserer Lebensverhältnisse, gewöhnlich der mangelhaften Erfüllung unserer Lebensbedürfnisse sind, und daß deshalb bei richtiger Erfüllung dieser Bedürfnisse, sowie bei naturgemäßer Einrichtung unserer Lebensverhältnisse recht leicht Krankheiten zu verhüten sind. Natürlich muß man, um das Erkranken zu verhüten und die Erhaltung und Förderung des Wohlbefindens gehörig unterstützen zu können, die Bedingungen des Gesundseins und Gesundbleibens genau kennen. Man muß sich deshalb, gestützt auf die Kenntniß des Baues und der Thätigkeit unserer Körperorgane, mit den aus der Natur des Menschen hervorgehenden Bedürfnissen und mit dem Einflusse bekannt machen, welchen ebensowohl die Außenwelt, wie die im menschlichen Organismus selbst auftretenden Thätigkeiten auf sein Befinden äußern. Jeder vernünftige Mensch müßte eigentlich seine Lebensweise nach den Regeln der Gesundheitslehre (die von Gott und Rechts wegen in jeder Erziehungsanstalt gelehrt werden sollte) so einzurichten verstehen, daß sein Organismus vor Schädlichkeiten geschützt bleibt. Wer versteht denn aber seinen Körper richtig zu pflegen? Wenn nur wenigstens die wissenschaftlich gebildeten Heilkünstler in ihrer Stellung als Hausärzte sich mehr der Gesundheit als der Krankheit annehmen wollten, dann würden sicherlich nach und nach bei der großen Menge Gesundheitsregeln mehr Eingang finden, als heilkünstlerischer Hokuspokus.

Was nun aber den Verlauf und die Heilung der Krankheiten betrifft, so ist kein Zweifel darüber, daß einmal entstandene Krankheiten nach ihren ganz bestimmten Gesetzen zum Guten wie zum Schlimmen verlaufen und zwar mit derselben innern Nothwendigkeit, womit sie entstanden sind. Deshalb vermag auch alle menschliche Kunst nur selten etwas Wesentliches daran zu ändern, und es ist eine Unwissenheit und Arroganz sonder Gleichen, wenn sich Heilkünstler brüsten, schweren Kranken oder gar Sterbenwollenden durch eigene Machtvollkommenheit mit Hülfe von Arzneistoffen Gesundheit und Leben wiedergeben zu können. Die medicinische Wissenschaft, von welcher freilich die meisten Heilkünstler nur wenig oder, wie die Homöopathen, gar keine Notiz nehmen, lehrt, daß bei Krankheiten auf keine andere Weise zu nützen und zu heilen ist, als durch weises Befolgen oder Einhalten jener Gesetze, denen der kranke wie der gesunde Körper unterworfen ist. Damit soll übrigens nicht weggeleugnet werden, daß die Heilkunst einige wenige Arzneistoffe besitzt, welche gewisse beschwerliche Krankheits-Erscheinungen, aber ja nicht etwa wirkliche Krankheiten, zu lindern und zu heben im Stande ist. Solche Hülfsmittel besitzt die Homöopathie nicht, und deshalb ist sie eben gar nichts werth.

Ehe wir nun für die Behandlung der einzelnen Organe unseres Körpers im gesunden und kranken Zustande diätetische Regeln in Receptform geben, soll erst einiger Vorschriften im Allgemeinen gedacht werden. Sie sind von Kranken aller Art genau zu beachten. Das oberste aller dieser diätetischen Heilgesetze ist:

1) Das kranke Organ verlangt die größte Schonung. Auf einem bösen Beine muß man nicht herumspringen wollen; den schlechten Magen tractire man nicht mit Gurkensalat und Speckkuchen; bei Heiserkeit der Kehle taugt Singen und Schreien nicht; das kranke Auge meide das grelle Licht; mit einer schwerathmenden Brust eile man nicht Trepp’ und Berg auf und ab u. s. f. Gegen dieses Hauptgesetz werden die meisten Verstöße gemacht, zumal bei der allmählichen Wiedergenesung eines kranken Theiles. Die meisten Kranken können nämlich die völlige Heilung und Kräftigung ihres kranken Organs selten ruhig abwarten und muthen viel zu frühzeitig dem noch im Genesen begriffenen, noch geschwächten Theile seine volle Thätigkeit zu. Die Folgen davon sind, daß neue Erkrankungen leichter eintreten und in unheilbare Entartungen ausarten. Außerdem werden aber auch Krankheiten durch eine schonungslose Behandlung der beteiligten Organe sehr oft bedeutend in die Länge gezogen.

2) Der Kranke beobachte ein gleichmäßiges, ruhiges Verhalten und meide Ungewohntes. Es ist ganz erstaunlich, wie viele Menschen beim Unwohlwerden so gern etwas recht Absonderliches thun möchten und oft auch wirklich thun. Und dabei kommt in der Regel nichts Gutes heraus. Wer sonst gar nicht badete, will in’s Dampfbad; der Eine wünscht unsinnig zu schwitzen, ein Anderer abzuführen oder zu brechen; Mancher strebt seine Krankheit zu verlaufen, Mancher sie zu versaufen. Kurz, was doch eigentlich beim Kranksein am Natürlichsten ist, alle Thätigkeiten des Körpers nämlich im natürlichen, ruhigen und gewohnten Gange zu erhalten und nicht auf irgend eine Weise in dieser oder jener Richtung zu stören, das finden die meisten Kranken unnatürlich. Daher kommt es aber auch, daß eine große Menge von Krankheiten gleich von Haus aus in ihrem sonst gutartigen Verlaufe gestört und zu einem schlimmen Ende geführt werden. Daß wirksame Arzneistoffe gar nicht selten die Ursache eines unglücklichen Verlaufes von Krankheiten sind, davon ist der Verfasser so fest überzeugt, daß an sein Krankenbette nun und nimmermehr ein mittelsüchtiger Arzt kommen dürfte. Es ist sicherlich für jeden Kranken am besten, wenn er gleich anfangs im Zimmer oder Bette bleibt.

3) Dem kranken Körper sind die nöthigen Lebensbedürfnisse in zweckmäßiger Weise zuzuführen. Vor Allem sei die Luft stets (bei Tag und Nacht) rein und (wie überhaupt das Verhalten des Kranken) weder zu warm noch zu kalt, die Nahrung leicht verdaulich und mäßig nahrhaft, das Getränk mild und reizlos. Die Eindrücke auf Gehirn, Sinne und Nerven dürfen keine bedeutenden sein, weshalb alle stärkeren Gemüthsbewegungen, geistige und sinnliche Anstrengungen, grelles Licht, ergreifende Töne und starke Gerüche zu vermeiden sind. Auch auf Reinlichkeit ist zu halten und zwar ebenso am kranken Körper, wie in seiner Umgebung, deshalb sind warme Waschungen oder Bäder und öfteres Wechseln der Wäsche sehr dienlich. Es geschieht zum großen Nachtheile der Kranken zur Zeit noch sehr oft, daß Krankenzimmer nicht gehörig gelüftet werden, daß die Wäsche nur selten gewechselt und der Kranke überhaupt nicht ordentlich gereinigt wird, daß man ihm Nahrung fast ganz entzieht und nur Thee einzwingt. – Aus dem Gesagten geht sonach auch hervor, daß

4) alle schädlichen Einflüsse der Außenwelt vom Kranken möglichst abzuhalten sind, besonders: unreine Luft, Kälte und große Hitze, Zugluft, Feuchtigkeit, Reizmittel aller Art, giftige Substanzen, Gemüthsbewegung etc. Natürlich muß vorzugsweise nach Beseitigung derjenigen äußern Einflüsse getrachtet werden, welche die Krankheit veranlaßt haben und möglicher Weise noch fortwährend unterhalten. Es kommt sehr oft vor, daß langjährige Leiden nach Auffinden und Beseitigen einer bis dahin unbekannt gebliebenen Schädlichkeit in kurzer Zeit von Grund aus gehoben werden, und zu diesem Ausspähen gehört meistens keine große Gelehrsamkeit, nur gesunder Menschenverstand.

Bock.