Ein Sturm in der Sandwüste (1859)

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Titel: Ein Sturm in der Sandwüste (1859)
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 643
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Dieser Artikel ist mit fast wörtlich gleichem Inhalt bereits im Jahr 1853 erschienen.
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[643] Ein Sturm in der Sandwüste. – In den ausgedehnten Ebenen des nordwestlichen Asiens, wo sich weder Baum noch Strauch findet und nur selten eine geringe Erhöhung dem in die unendliche Ferne sich verlierenden Blick einen Ruhepunkt bietet, so wie in den dortigen Sandwüsten werden die Reisenden oft von Stürmen heimgesucht, die, besonders im Herbst und Winter, bisweilen eine so furchtbare Gewalt erlangen, daß sie Menschen und Thiere niederwerfen und sie unaufhaltsam über die Fläche hinschleifen. Noch schlimmer aber, wenn die Betroffenen vom Sturm emporgehoben werden; ihr Loos ist unfehlbar zerschmettert zu werden.

Zum Glück verkünden sich die heftigsten Stürme vorher und lassen den Bewohnern gewöhnlich noch Zeit sich in Sicherheit zu bringen. Dann zeigt sich unter Menschen und Thieren erst eine wachsame Aufmerksamkeit und eine ängstliche Stille, die dann von dem wildesten Treiben und Drängen unterbrochen wird, sobald die Zeichen der hereinbrechenden Naturerscheinung als untrüglich erkannt werden. Aus der Nähe und Ferne eilen die Heerden und die zerstreut weidenden Thiere herbei, legen sich nieder und schließen sich so fest wie möglich zusammen, ohne Unterschied: Kameele und Schafe, Pferde und Rindvieh, so zahlreich sie immer vorhanden. Die Menschen beeilen sich ihre Hütten niederzureißen und die Stäbe, Matten und Hausgeräthe so fest als möglich zusammenzubinden; Andere haben während der Zeit Gruben gegraben, worin sich die Familien verbergen, wenn auf der Oberfläche der Widerstand nicht mehr möglich wird. So vorbereitet, kann man den furchtbaren Druck noch ertragen. Wo aber im rasenden Sturm eine Windsbraut aufwirbelt, da reißt sie ihre Opfer in Masse vom Boden empor und führt sie mit zerbrochenen Gliedern auf ihrer tosenden Säule in die Ferne hinaus.

Im Winter, bei eisiger Kälte und heftigem Schneegestöber, worunter sich die Augen krankhaft schließen, finden sich die zerstreuten Heerden nicht immer zusammen. Manche Hütte wird dann vom Sturme entführt, noch ehe es gelang, dieselbe niederzureißen. Die Menschen in ihren Vertiefungen und Gruben werden vom Schnee bedeckt, worunter sie, von der Kälte betäubt, in einen festen Schlaf versinken, aus welchem sie oft nie wieder erwachen. Doch findet hier in der Regel noch Rettung statt. Aber wen das Unwetter ohne Vorbereitung auf der Sandwüste überkommt, den begräbt es unter schwerem Sande, und der Tod ist die unvermeidliche Folge.

Auf den Ebenen, wo vor Jahrtausenden die Wogen des kaspischen Meeres sich weithin nach Norden erstreckten und die jetzt zum Theil den zahlreichen Heerden der muhamedanischen Hirtenvölker, der Kirgisen, üppige Gras- und Krautweiden bieten, häufte sich an verschiedenen Stellen, durch die Kraft des Sturmes auf den ausgedehnten Flächen, der sandige Meeresgrund so hoch, daß auch ein mildes Klima nicht mehr im Stande ist, diese Düne mit Gras zu bekleiden. Die Kirgisen müssen die Strecken oft durchwandern, um die jenseits derselben liegenden Weideplätze zu erreichen. Während meines Aufenthaltes unter ihnen – schreibt der Verfasser des Tagebuches, dem diese Erzählung entnommen ist – wohnte ich selbst einige Zeit in der Nähe einer solchen Sandfläche in einer aus Lehm und unbehauenen Steinen erbauten Hütte. In der Umgegend befanden sich mehrere Hirtenfamilien, zum Theil in ähnlichen Lehmhäuschen, größtentheils aber unter tragbaren Zelten von rothen künstlich ineinandergefügten Stäben unter baumwollenen Decken. Ich ritt öfters einige Stunden in die Sandwüste hinein und fand ein seltsames Vergnügen daran, mich von den vom Sturme gebildeten wellenförmigen Bergen und Hügeln des zarten Sandes rings umgeben zu sehen, wie von einem Meere, welches im Augenblick der größten Erregung seine Gewalt ruhen läßt und es dem Wanderer erlaubt, einige Zeit trockenen Fußen über seine aufgethürmten Wellen dahinzueilen. Auf dem Sande sah ich oft eine Art Eidechsen mit Blitzesschnelle dahingleiten und vermittelst einer eigenen zitternden Bewegung ihres Körpers in den Sand versinken, um spurlos darunter zu verschwinden. Eines Tages, als ich mich von einem weiteren Ausfluge heimkehrend auf dem Wege nach meiner Wohnung befand, bemerkte ich die Kinder eines meiner Nachbarn, einen Knaben und ein Mädchen, welche im Sande spielten. Der Knabe belustigte sich damit, auf die Eidechsen Jagd zu machen. Wo er wußte, daß sich eine unter dem Sande verborgen hielt, berührte er sie mit einem Stäbchen, welches er in den Sand steckte, worauf das Thier sogleich hervorkam, schnell entfloh, in einiger Entfernung aber immer wieder unter der Oberfläche verschwand. Eines von diesen Thieren, welches der Knabe aufscheuchte, entfloh nicht sogleich, sondern lief der Gefahr entgegen, tauchte in den Sand, um einem dort verborgenen Gefährten, vielleicht seinem Weibchen, ein Zeichen zu geben, worauf dann auch sogleich eine zweite Eidechse hervorkam und nun beide davoneilten. Ich ermahnte die Kinder diese treuen Thierchen nicht ferner zu verfolgen, und setzte den Weg nach meiner Wohnung fort. Hier angekommen, traf ich meine Nachbarn, wie sie in ängstlicher Hast ihre Wohnzelte niederrissen, und erfuhr auf mein Befragen, daß wir einen Sturm zu erwarten hätten, welcher sich nach ihrer Angabe am äußersten Horizonte in einer dunkeln Streifwolke verkündete. Für mein steinernes Häuschen hatte ich nichts zu besorgen. Ich eilte nach dem Zelte, wo die Eltern der Kinder wohnten, welche ich vor etwa einer Stunde in der Sandwüste verlassen hatte. Aber sie befanden sich auf den entfernten Weideplätzen ihrer Heerden, und weil alle Nachbarn mit der Bergung ihrer eigenen Familien und ihrer Habe beschäftigt waren, so ritt ich selbst in die Steppe zurück, um den Kindern zu Hülfe zu kommen.

Die grasbedeckte Ebene hatte ich bald zurückgelegt, allein im Sande konnte ich meinem Pferde keinen raschen Schritt abgewinnen. Doch sah ich die Kinder bald; sie kamen mir weinend entgegen, denn sie hatten die herannahende Gefahr bemerkt und waren im Begriff, ihrer Heimath zuzueilen. Mir schien die Gefahr noch gar nicht so nahe, auch hatte ich nur einen unvollständigen Begriff von der Größe derselben. Ich nahm bis jetzt nur eine beängstigende Schwüle wahr und einen besonderen Druck der Luft von oben herab. Plötzlich aber wurde mein Pferd unruhig und meiner ferneren Leitung ungehorsam; es lief mit mir um einen Sandhügel herum und legte sich hinter demselben nieder. In einer Entfernung von einigen tausend Schritten aber rückte eine wandelnde Mauer von Sand und Schutt, wie sie der tosende Sturm auf seinem Wege durch die Wüste aufgethürmt hatte, in furchtbarer Hast auf mein Versteck heran. Noch fühlte ich nur erst einige leise Rundbewegungen der Luft. Die Kinder waren höchstens hundert Schritte von mir entfernt, allein sie konnten mich nicht mehr erreichen. Ich selbst warf mich neben meinem Pferde zur Erde und wurde bald darauf unter dem furchtbaren Druck des Sturmes mit Sand und Steinen förmlich überschüttet.

Nach einiger Zeit war der erste Windstoß vorüber, mein Pferd schüttelte sich aus dem Sande hervor. Allein der Sturm war noch heftig genug und die Luft dermaßen mit feinem Sande gefüllt, daß das Athmen kaum noch fortzusetzen war. Von den Kindern glaubte ich, sie müßten in meiner Nähe begraben liegen. Ich klopfte meinen Gaul, der auf der Kalmückensteppe in seiner Heimath an ähnliche Erfahrungen gewöhnt schien, auf den Hals, rückte einigemal am Zügel, und das treue Thier erhob sich. Wir drangen, mit dem Sturme kämpfend, vorwärts, um die Kinder in ihrer Noth zu unterstützen. Bei einem Versuche jedoch, die Augen zu öffnen, waren dieselben sogleich mit Sand gefüllt. Ich versuchte also, den durchdringenden Schrei nachzuahmen, den der Sohn der Steppe gellend in die weite Ferne zu schicken versteht, allein der heulende Sturm verschlang den Ton vor meinem Munde, Unter solchem Unwetter könnte auch eine Mutter ihr Kind nicht retten, und wenn es zu ihren Füßen mit dem Tode der Erstickung ränge.

An mein Pferd angeklammert, tappte ich noch eine Weile umher, nachgerade an meiner eigenen Erhaltung verzweifelnd. Da fühlte ich mich plötzlich von den zitternden Händen des Mädchens erfaßt, und als ich mit der Hand umhertastete, fand ich auch den Knaben auf, welcher seine Schwester fest umschlungen hielt. Ich ließ die Zügel meines Pferdes los, hielt mich an dem Riemen des Steigbügels und überließ unser Geschick der Leitung des Thieres, denn ein Mensch ist nicht im Stande, sich aus der sturmerregten Sandwüste herauszuhelfen.

Nach langem Kampfe, von Flugsand und Steinen an Gesicht und Händen zerpeitscht, erreichten wir endlich die grasbewachsenen Ebenen, wo wir etwas freier athmen konnten, und bald darauf meine Wohnung. Die Kinder, welche ich für heute beherbergte, versanken, todesmüde, bald in einen festen Schlaf und unser Erretter, der Kalmückengaul, gab durch ein munteres Wiehern und Nicken mit dem Kopfe sein Selbstbewußtsein zu erkennen, als ich ihn nach seiner Anstrengung so reichlich und kostbar bewirthete, als es meinen Vorräthen nach irgend thunlich war.

Am andern Morgen hatte sich der Sturm etwas gelegt, und die Eltern der beiden Geschwister waren in Todesängsten zurückgekehrt. Ihr Wohnzelt und Hausgeräth hatte ihnen der Sturmwind allerdings entführt, aber sie trösteten sich gern über den Verlust, denn ihre Kinder fanden sie wohlbehalten in meiner Hütte.