Briefe aus Constantinopel und Arzroum

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Autor: Prof. Friedrich Eduard Schulz, Universität Gießen
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Titel: Briefe aus Constantinopel und Arzroum
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 40. S. 157–158.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum: 1827
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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Briefe aus Constantinopel und Arzroum.[1]


Pera, den 1. März 1827.

„Ich habe mich mehrere Monate in Konstantinopel aufhalten müssen, um mich im Sprechen des Arabischen Türkischen und Persischen zu üben, die ich in Paris nur als todte Sprachen getrieben hatte. Nach allem, was ich hier über Tiflis in Erfahrung bringen konnte, sehe ich, daß ich mich sehr getäuscht habe, wenn ich annahm, daß die russische Hauptstadt von Georgien mir außer dem Umgang mit einigen türkischen und persischen Kaufleuten die geringsten Hülfsmittel für meinen Zweck dargeboten hätte, und ich glaubte, mir auch in dieser Beziehung Glück wünschen zu können, daß ich durch die Umstände genöthigt wurde, den Winter in Constantinopel zuzubringen.

Von dem Tage nach meiner Ankunft an, suchte ich mir den Unterricht einiger nicht unwissender Khodschas zu Nutze zu machen, und mit ihrer Hülfe habe ich schnellere Fortschritte in diesen Sprachen gemacht, als ich selbst gehofft hatte. Als ich, besonders im Persischen, keine Schwierigkeiten mehr in der gesellschaftlichen Unterhaltung fand, hielt ich mich bereit, Constantinopel mit dem December zu verlassen. – Ich wollte Kleinasien durchreisen, und mich über Arzroum gerades Weges nach Tauris begeben. Ich hatte Briefe von dem französischen Gesandten an Ghalib, Pascha von Arzroum, erhalten: und Lord Stratford Canning, dem ich von General Guilleminot vorgestellt wurde, gab mir ein Empfehlungsschreiben an die englische Gesandtschaft in Persien.

Ich hatte für meine Reise türkische Kleidung angenommen, weil der Anblick der fränkischen Tracht in Kleinasien zu selten und unwillkommen ist, um den Reisenden, der sie trägt, nicht vielen Unannehmlichkeiten auszusetzen. Ich glaubte, da die Jahreszeit archäologischen Beobachtungen und Excursionen doch nicht günstig war, den Gebrauch von Postpferden dem weniger kostspieligen, aber äußerst langsamen Karavanengange vorziehen zu müssen, und hatte daher bereits einen Tataren von der Post zu meinem Begleiter erwählt. Aber der unerhörte Regen, der den ganzen Monat December hindurch nicht aufhörte, machte meine Abreise unmöglich, und zwang mich meine Reise nach Persien bis zu Ende dieses Monates aufzuschieben, wo ich hoffen kann, daß die Jahreszeit mir keine Schwierigkeiten mehr in den Weg legen wird.

Meinen Aufenthalt in Constantinopel habe ich so nützlich als möglich zu machen gesucht. Gleich bei meiner Ankunft wandte ich mich an Hrn. Ducauroy, der sich mit dem Studium der orientalischen Sprachen beschäftigt, um durch seine Vermittlung Zutritt zu den Bibliotheken von Constantinopel zu erhalten. Ich wollte mir wenigstens Abschriften von den Catalogen der darin aufbewahrten Manuscripte verschaffen, damit man in Europa nicht länger genöthigt sey, dem ersten besten zu glauben, der versichert, dieses Werk fände sich zu Constantinopel, und jenes nicht. Hr. Ducauroy machte mir indeß bemerklich, daß es sehr schwer fallen würde, in Constantinopel jemand zu finden, den man zu wissenschaftlichen Arbeiten in den Bibliotheken dieser Stadt würde brauchen können, und daß es selbst nicht wahrscheinlich sey, daß die türkische Regierung erlauben werde, Abschriften von den Catalogen zu nehmen, besonders in diesem Augenblicke, wo sie in großer Bewegung, und selbst in Beziehung auf die geringsten Kleinigkeiten, mißtrauischer sey, als je. Auch fand ich in der Folge, daß Hr. Ducauroy vollkommen recht hatte, wenn er behauptete, daß die hohe Pforte eben nicht geneigt sey, wissenschaftliche Untersuchungen der Christen in ihren Staaten zu begünstigen. Vor kurzem erst hat ein Firman allen Buchhändlern von Constantinopel verboten, arabische, persische oder türkische Manuscripte an Ungläubige zu verkaufen; eine Maßregel, die mir sehr hinderlich gewesen wäre, wenn ich nicht Mittel gefunden hätte, sie zu umgehen. Der Reis-Effendi wollte nicht einmal einen Firman für den Eintritt in die Moscheen, zu denen der größte Theil der Bibliotheken der Stadt gehört, zugestehen; und er antwortete Hrn. Desgranges, der denselben für mich verlangt hatte, die Pforte pflege die Erlaubniß zum Besuche der Moscheen niemanden außer den Gesandten zu ertheilen. Ich hatte indeß in dem Khodscha Anton dem Indier (demselben, der mit Lord Elphinstone in Kabul gewesen war) einen eben so unterrichteten als wohlwollenden Mann gefunden, der bei mehreren Gelehrten und Großen von Constantinopel in großem Ansehen stand. Dieser machte mich, um mir den Zutritt zu den Bibliotheken zu verschaffen, mit dem Rumeli-Kazi-asker und mehreren anderen Ulemas von großem Einfluß [158] bekam. Alle überhäuften mich mit Höflichkeiten und Wohlwollen, und ich verdankte es hauptsächlich ihrem Rathe und ihren Empfehlungen, daß mir erlaubt wurde, die schönsten und reichsten Bibliotheken der Stadt zu besuchen, ihre Cataloge und Manuscripte durchzugehen, und alles zu copiren, was mir gut deuchte. Nur mußte ich für diese Besuche mich türkischer Tracht bedienen, weniger um den Gläubigen keinen Anstoß zu geben, welche etwa an den Orten, wo man das Gebet hält, und wo täglich die Scheikhs zahlreichen Zöglingen Unterricht in der Theologie und Liturgie ertheilen, den Anblick eines Franken mit Abscheu sehen möchten, als um mich den sonderbaren Fragen und den ermüdenden Höflichkeitsbezeugungen zu entziehen, mit denen man mich überhäufte, sobald man bemerkte, daß ich Franke und Christ sey; denn – ich kann dieß mit der größten Gewissenhaftigkeit versichern, und werde mich vielleicht in einem andern Brief noch ausführlicher über diesen Gegenstand verbreiten – nichts ist alberner, als die Bevölkerung von Constantinopel für so unduldsam und fanatisch zu halten, als einige europäische Journale sie ihren Lesern darstellen. Man kann diese Blätter hier nicht lesen, ohne entrüstet zu werden über die unglaubliche Treulosigkeit, mit der alles verunstaltet wird, was durch sie über Constantinopel und besonders über die Begebenheiten der letzten Jahre in’s Publikum kommt.

Es ist schwer mit Genauigkeit anzugeben, wie viele Bibliotheken es in dem weiten Umkreis von Constantinopel giebt. Ich habe bemerkt, daß deren viele sind, von denen meist nicht einmal das Dasein bekannt ist, und die eben so reich sind an guten Werken, als die berühmtesten. Bis jetzt besuchte ich die folgenden dreißig Bibliotheken: 1) des Sultans Mustafa, 2) die von Yeni-djami, 3) des Sultans-Bayazid, 4) des Großveziers Raghib-Pascha, 5) des Großveziers Ibrahim-Pascha, 6) des Großveziers Kupritioglu Mohammed-Pascha, 7) des Aschur-Effendi, 8) des Murad-molla, 9) des Kilitsch-Ali-Pascha, 10) der Pagen des Großherrn zu Galata-seräi, 11) der Derwische Mewlewi in Galata, 12) der Osmaniye, 13) der Suleimaniye, 14) des Sultan’s Abd’ulhamid, 15) des Athif-Effendi, 16) von Faiz-Ullah, 17) von Aya-sofia, 18) des Sultan’s Mohammed, 19) von Ali Pascha, 20) von Hakim-oglu Ali Pascha, 21) von Veli-Effendi, 22) von Tosik-Effendi, 23 von Dschurilli-Ali-Pascha, 24) von Marzfuni-Kara-Mustafa Pascha, 25) von Saleh-zade, 26) von Rustem-Pascha, 27) von Mersih-Pascha, 28) von Amradz-zade-Hussein-Pascha, 29) von Ayub-ansari, 30) Aga-Kutubkhanesi (Bibliothek des Aga).

Um nur die Cataloge der Manuscripte zu copiren, die sich in allen diesen Anstalten befinden, hätte ich mehr Zeit gebraucht, als ich mir vorgenommen hatte, in Constantinopel zuzubringen. Ich habe daher meine Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf jene Manuscripte beschränkt, die mir die wichtigsten zu seyn schienen, d. i. auf die orientalischen Historiker, welche diese Bibliotheken besitzen. Einige der oben aufgezählten haben zwar nicht einen einzigen Historiker, wenn man nicht die mohammedanischen Legenden, die man hundertmal in jeder großen Bibliothek wieder findet, dazu rechnen will; viele dagegen besitzen die kostbarsten Manuscripte, Werke, die man in Europa nicht einmal dem Namen nach kennt, oder längst verloren glaubt. –

Unter den Manuscripten, die ich in Händen gehabt habe, waren mir die merkwürdigsten, die Werken von Ibn-alathir, Ibn-alasakir, Ibn-aladim, und Ibn-Khaldun, von denen, soviel ich weiß, kein einziges in Europa existirt. Da es fast eben so schwer hält, Copien von diesen Werken zu erhalten, deren jedes aus einer großen Anzahl von Folianten besteht, als es unmöglich ist, ein Exemplar aus den Bibliotheken herauszubekommen, in denen sie mit abergläubischer Gewissenhaftigkeit verwahrt werden, so habe ich mich darauf beschränken müssen, so genaue Notizen über dieselben zu machen, als mir möglich war.

Was Ibn-alathir (der sich u. a. in zwei ungeheuren Folianten in der Bibliothek von Raghib-Pascha befindet und in sechs kleineren in der von Athif), so habe ich daraus alles ausgezogen, was sich auf die Geschichte von Persien von Kaiomorts bis auf Alexander den Großen bezog. Der Verf. hat, wie er in der Vorrede sagt, seinem Werke den großen Tarik von Tabari einverleibt; er ist einer der besten arabischen Geschichtschreiber und verdient die Achtung, deren er im Orient genießt, vollkommen.

Die Werke des Ibn-Asakir und Ibn-Adim über Damascus und Aleppo sind wahrhaft riesenmäßige Arbeiten; man begreift kaum, wie ein einziger Mensch ein so colossales Werk, wie das des Ibn-Asakir, das aus eilf Folianten, nach einer sehr mäßigen Schätzung mit 20 bis 22,000 Seiten sehr kleiner Schrift, – einer Million Zeilen und 50 – 60 Millionen Buchstaben – besteht, nur abschreiben, geschweige verfassen konnte. Wie richtig dieses beiden Werke für die Geschichte und Geographie des Orients sind, werden die Notizen zeigen, die ich nach den Exemplaren der Bibliotheken von Ibrahim Pascha, von Athif und Faïz-ullah gemacht habe.

Das letzte Werk, welches mich während meines Aufenthaltes in Constantinopel beschäftigte, ist das große Werk von Ibn-Khaldun, von dem Hr. von Hammer behauptet hatte, daß es in keiner der Bibliotheken von Constantinopel vorhanden sey. Ich habe es – sieben Folianten – in der schönen Bibliothek des Ibrahim-Pascha gefunden, der Moschee der Prinzen vom Geblüt (Schahzadehler-Dschâmisi) gegenüber. – In der Mitte des fünften Bandes fängt die Geschichte der Berbern an, von der ich mehrere Kapitel copirt habe, die sehr schätzbare Aufschlüsse über den Ursprung, die Genealogie und das Land dieses Volkes enthalten. –

  1. Hr. Schulz, Prof. der orientalischen Sprachen an der Universität in Gießen, hat im Sommer 1826 eine große Reise angetreten, um die Sprachen, Alterthümer, Geographie, Geschichte und Literatur der Völker des Orients, besonders der persischen Monarchie, an Ort und Stelle zu studiren. Das Nouveau Journal Asiatique, das in seinem neuesten Heft (Januar 1828) diese Briefe mittheilt, verspricht fortlaufende Berichte über diese Reise zu liefern.