Bulgarische Bilder

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Autor: Karl Braun-Wiesbaden
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Titel: Bulgarische Bilder
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 591-593
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bulgarische Bilder.

Von Karl Braun-Wiesbaden. 0 Mit Driginalzeichnungen von F. Schlegel.

Donaulandschaft bei Sistowa.

Ich habe Bulgarien zu verschiedenen Zeiten bereist, sowohl vor als nach dem russisch-türkischen Kriege von 1877. Vor dem Kriege war die Stimmung in Bulgarien panslawistisch, oder wenn man es kurz sagen will: russisch. Selbst die orthodoxe (griechische) Kirche wollte los von dem Patriarchen in Konstantinopel und strebte nach dem Anschluß an Rußland. Von der andern Seite machte die römisch-katholische Kirche Propaganda – ein Unternehmen, das Napoleon III. eingefädelt hatte. In Konstantinopel sagte man 1875, der russische Botschafter Ignatieff gedenke Bulgarien zu russischen Agitationszwecken zu bereisen.

„Ich wette, er geht nicht hin,“ meinte ein französischer Diplomat, „denn er befindet sich in Verlegenheit mit dem Glauben. Soll er zu den Priestern gehen, die es mit dem Patriarchen, oder zu Denen, die es mit Rußland halten?“

Nach dem Kriege fand ich die Stimmung geändert. Jetzt ist sie antirussisch, und die Abneigung gegen Rußlaud ist so groß, daß man sogar die Aeußerung hörte: lieber wieder türkisch als russisch.

Ein seltsamer Umschwung in wenigen Jahren! Dazu kommt, daß die Gelehrten entdeckt haben: die Bulgaren, obgleich sie jetzt slawisch sprechen, sind ethnologisch eigentlich gar keine Slawen sondern ein eingewanderter mittelasiatischer Volksstamm, am nächsten verwandt mit den Finnen und den Magyaren – Eroberer gleich diesen.

So meldet der altrussische Chronist Nestor. Indessen herrscht Streit über diese Frage. Unstreitig aber ist es, daß die Bulgaren einen andern Charakter haben als die übrigen Slawen im Süden. Ich möchte sagen: sie sind aus einem härteren und dauerhafteren Stoffe gebacken als z. B. die Serben, obgleich letztere mehr westeuropäischen Schliff haben und auf den ersten Blick uns mehr für sich einnehmen.

Ich reiste 1875 in Bulgarien mit einem englischen Freunde. Dieser faßte mir gegenüber sein Urtheil in die Worte zusammen: „Was die Deutschen auf dem europäischen Festland, das sind die Bulgaren auf der Balkan-Halbinsel. Sie sind kräftig an Körper und Geist, mäßig und bedächtig, fleißig und sparsam, kaltblütig und beinahe phlegmatisch, aber dabei beharrlich und, wenn es sein muß, auch tapfer. Der Bulgare unterscheidet sich von den übrigen slawischen Völkern der Balkan-Halbinsel, die keck, lebhaft und beweglich sind, durch jene, ich möchte sagen deutschen Eigenschaften namentlich durch seine zähe Geduld, durch seine Hartnäckigkeit und seine kluge Berechnung. Seine Nachbarn pflegen ihn nicht zu lieben, aber zu achten. Entschuldigen Sie meine Offenheit: ich möchte wiederholen, es ist gerade wie mit den Deutschen. Auch der Bulgare weiß dem härtesten Druck zu widerstehen. Scheinbar unterwürfig, sinnt er auf Befreiung. Man kann ihn biegen, aber nicht brechen. Er konspirirt wider den Türken, wie einst die Deutschen gegen die Fremdherrschaft der Franzosen.“

Türkische Straße in Tirnowa.

So mein englischer Freund. Er war mir, dem Deutschen, gegenüber zwar nicht allzu höflich, aber offenherzig und ehrlich; und während der bulgarischen Krisis und ihres Verlaufes seit 1885 ist mir oft jene treffende Aeußerung des vielgereisten Mannes wieder eingefallen.

Den wahren Typus des Bulgaren, das heißt des „slawisirten Tataren“ oder Finnen, findet man bei den dortigen Bauern. Sie sind groß, stattlich, muskulös, aber nicht ungeschlacht. Freilich, sie sind nicht so beweglich wie die Serben. Ihr Gesicht zeigt einen intelligenten aber ruhigen Ausdruck, und es hat starke Backenknochen.

Eigenthümlich kontrastirt ihr langes, blondes, schlichtes Haupthaar mit ihrer dunklen Gesichtsfarbe; sie lassen nur den Schnurrbart stehen, ältere Männer rasiren sich wohl [592] auch das Kopfhaar bis auf einen einzigen langen Haarschopf, den man in zwei Flechten theilt und unter der Mütze trägt. Wir finden dieselbe Sitte bei den Tataren. Auch der Bulgare ist, wie der Tatare, der Sohn der Steppe, unzertrennlich von seinem Pferde. Auch der Aermste hat ein solches, wenn es auch noch so klein ist.

Bulgarische Bäuerin.

Das Hauptkleidungsstück ist ein weitärmeliges Hemd, verziert mit bunten Stickereien. Im Sommer trägt er weite Leinenbeinkleider, im Winter gleichartige aus weißem Wollstoff, die er unter dem Knie mit rothen Wollbändern oder mit Riemen fest macht, ferner einen rothen Leibgürtel und als Schutz gegen die Kälte entweder eine Jacke oder einen langen Rock aus weißem Tuch, daneben auch einen Schafpelz oder einen Kapuzenmantel. Seine Kopfbedeckung ist eine Lammfellmütze, seine Fußbekleidung selbstgefertigte Bundschuhe, „Opanken“, wie es auf slawisch heißt.

Die Bulgarinnen auf dem Lande, namentlich die Mädchen, sind schön, aber es ist eine schnell vergängliche Schönheit. Ihr reiches langes Haar, das sie zu Zöpfen flechten, ist im Gegensatze zu dem der Männer immer dunkelfarbig, meist von Natur – wird aber auch häufig gefärbt, da die dunkle Haarfarbe der Mädchen dort für schön gilt.

Die Stirnen der Mädchen sind wie die der Männer etwas breit, aber doch schön geformt, die Augenbrauen langgeschweift, die dunklen Augen von sanftem, etwas melancholischem Ausdrucke, der durch die langen feinen Wimpern noch vermehrt wird; Nase und Mund oft von klassischer Schönheit. Ihre Gestalten sind schlank, ihre Formen vollkommen, dazu kommt die bunte und reiche Nationaltracht, die in jedem Kreise ihre kennzeichnenden Eigenthümlichkeiten aufweist. Sie tragen an Sonn- und Festtagen Blumen: Nelken hinter den Ohren und eine Rose über der Stirn. Auch lieben sie es, das Haar mit Münzen und Bändern zu zieren. Mit größter Sorgfalt verfertigen ihre kunstreichen Hände die bunten Seidenstickereien mit denen ihr weißes Hemd wie das der Männer geziert ist; diese Stickereien verrathen Erfindungsgabe und feinen Farbensinn.

Dame aus Rustschuk.


Der Rock besteht aus dickem, farbig gestreiftem oder einfarbigem Wollstoff und wird in enge Falten gebreitet; darüber tragen sie eine Schürze aus ähnlichem Gewebe und beide werden mit einem kunstvoll gearbeiteten Gürtel um den Leib zusammengehalten. Um den Hals und an den Armen tragen die Bulgarinnen gern allerlei Schmuck, wie Korallen, Perlen, Gold- und Silbergeschmeide.

Bemerkt zu werden verdient, daß der Brautwerber außer der Sittsamkeit seiner zukünftigen Frau vorzüglich ihre physische Stärke und Arbeitsamkeit in Betracht zieht, und nicht allein das Heirathsgut, für ein dünnbevölkertes Land, wie Bulgarien, ist diese „Selektion“ Naturgebot, und aus ihr ist eine kräftige, arbeitstüchtige Bevölkerung erwachsen.

Die bulgarische Bauersfrau muß ein sehr thätiges Leben führen, sie muß die treue Gehilfin des nicht minder fleißigen Mannes sein, man sieht sie immer und überall beschäftigt, am Herde, am Webstuhl, im Stalle, auf dem Felde – und bei allen diesen Arbeiten findet sie noch Zeit, ihren Säugling zu stillen, der zuweilen bis in sein drittes Lebensjahr an der Mutterbrust hängt.

Die Kinder genießen eine spartanische Erziehung. Bei jedem Wetter sieht man sie, auch in dem rauhen Gebirge, sich im Freien umhertummeln. Unter diesen Umständen ist die Kindersterblichkeit groß, um so mehr, da die griechischen Aerzte, welche hier zuweilen prakticiren, wie mir scheint, nicht allzuviel verstehen. Auch sind deren wenig, und man behilft sich mit Hausmittelchen, wie sie die „Großmuhme“ verordnet. Dafür pflegen die überlebenden Kinder desto kräftiger zu werden.

Türkische Hamals in Varna.

Die Bauern leben in einem größeren Familienverbande zusammen, an dessen Spitze der Stareschina, der Aelteste, steht. Das Grundeigenthum gehört dieser großen Gesammtfamilie, auch Kommunion genannt. Daneben kann aber auch der Einzelne und die Einzelfamilie Sondereigenthum haben. Es ist die altslawische Gesellschaftsverfassung, gleichsam eine Erinnerung an die primitive Landwirthschaft, welche der Nomadenzeit folgte. Um das aus besserem Materiale erbaute Haus des Familienoberhauptes, des Stareschina, sind die kleineren Häuser der verheiratheten Söhne ringsum aufgebaut, und dieses kleine Gesammt-Familiendorf umschließt ein hoher aus Zweigen geflochtener Zaun. Bei der Ausstattung des Wohnhauses legen die bulgarischen Bauern besonderen Werth auf schönes Hausgeräth; die Prunkstube ist durch den großen Wandschrank und die an den Wänden angebrachten Ruhebetten oder Divans charakterisirt, die mit schönen Teppichen belegt sind. Auf die Teppiche ist die Hausfrau [593] stolz. Sie zeigt solche dem Fremden gern, weil ihre geschickte Hand sie gewebt hat. Auch fehlt es im Hause nicht an schönen Krügen, Oellampen und allerlei Kupfergeschirren.

Montenegrinische Kawassen.

Das Familienleben der bulgarischen Bauern hat eine patriarchalische Innigkeit. Groß ist die Achtung vor den Eltern und überhaupt vor dem Alter. Die landwirthschaftlichen Geräthe sind von primitiver Einfachheit und Unbeholfenheit. Trotzdem ist der Bulgare ein tüchtiger Landwirth. Konstantinopel lebt von dem Gemüse, das die bulgarischen Gärtner ihm liefern. Das Hauptprodukt des Bodens ist Mais (Kukuruz). Außerdem erzeugt das Land Weizen, Roggen, Reis, Tabak, Wein, Bauholz etc. Auf den Almen des Balkan wird Viehzucht betrieben. In den wärmeren Geländen treibt man Seidenbau. Die bulgarischen Grains werden von den italienischen Seidenhändlern geschätzt und erzielen hohe Preise. Von den geschmackvollen Produkten der Hausindustrie habe ich schon gesprochen.

Der mit Büffeln bespannte bulgarische Bauernwagen rasselt nicht; denn es befindet sich kein Eisen an demselben, aber das biegsame Holz ächzt beim Fahren über die schwierigen Wege in allen Tonarten.

Der Bauer steckt leider noch voll allerlei Aberglauben, und die Popen thun wenig, um ihn aufzuklären. Auch die zahllosen Fest- und Fasttage fördern die Kultur nicht. Auf dem Land glaubt man allgemein noch an Vampyre und dergleichen.

Die Städte, namentlich die an der Donau, zeigen meist noch einen türkischen Charakter. Sie steigen amphitheatralisch terrassirt an dem Berg in die Höhe, und über die braunen hölzernen Häuser erheben sich weiße Minarets und schwarzgrüne Cypressen gen Himmel. Der Türke will von seinem Haus eine Aussicht haben. Aber die Einsicht verbaut er; die Fenster, namentlich die des Harems, sind geschlossen mit hölzernem Gitterwerk, das man „Musch-arabi“ nennt. Der obere Stock des Hauses springt meist vor. Die Straßen der Stadt sind eng, naß, schmutzig, verwahrlost; desto schöner ist es im Innern der Häuser. Der Türke liebt schöne Gärten, laubige Bäume und fließendes Wasser. Der Bulgare in der Stadt ist ein geriebener Kaufmann. Er ist dem Griechen, dem Juden und sogar dem Armenier vollkommen gewachsen. Die bulgarischen Juden stammen meistens aus Spanien. Als man sie dort vertrieb, lud man sie nach der Türkei ein, und der Sultan Bajaset sagte: „Wie dumm ist doch mein Bruder in Spanien, so nützliche Menschen zu vertreiben!“

Bulgarischer Gendarm.

Die ärmeren Türken verrichten hier die schwersten Arbeiten. Sie sind „Hamal“ (Lastträger) und „Kaikdschi“ (Kahnführer), beide bewundernswerth in ihren Kraftleistungen. Diese Hamals tragen Lasten, die wir kaum einem starken Pferde aufladen würden, auf dem Rücken, und dabei sieht man sie leicht wie Balletttänzer hinspringen; der Bulgar verschmäht solche Dienste. Die großen Magazine in den Städten sind in den Händen der Bulgaren und der Juden.

Die Residenzstadt Sofia hat einen ganz neuen Stadttheil, der einen westeuropäischen Charakter trägt. Das Kriegsministerium, das Bankgebände und der Palast des Fürsten sind geschmackvolle Renaissancebauten. Die Stadt hat jetzt etwa 25000 Einwohner, darunter 5000 Türken. Sie soll noch 1850 über 50000 Einwohner gezählt haben. Dies ist aber eine türkische Uebertreibung. Tirnowa an der Jantra ist die alte Kapitale des Landes und zeigt heute noch diesen Charakter. Sie ist im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts von Papst Innocenz III. gegründet. Sie hatte später ihren eigenen Patriarchen, im Gegensatz zu dem in Konstantinopel.

Zwei Menschenklassen verdienen noch erwähnt zu werden, weil sie sich in der letzten Zeit sehr bemerklich gemacht haben, nämlich erstens die montenegrinischen Kawassen und zweitens die bulgarischen Gendarmen. Die Ersteren pflegten die Ruhe und Ordnung zu stören und die Letzteren sie wieder herzustellen und aufrecht zu erhalten. Ein Kawaß ist ein bewaffneter Reise- oder Herrschaftsdiener, nebenbei auch eine Art Condottiere. Diese montenegriner Kawassen sind hier ein zucht- und meisterloses, freches und listiges Volk. – Das Gendarmeriekorps hat der Fürst Alexander nach deutschem Muster geschaffen. Es sind stramme Soldaten, die auch im Kriege Rühmliches geleistet. Sie fürchten sich nicht, weder vor den Serben noch vor den Montenegrinern.

Zum Schlusse empfehle ich noch Jedem, der sich über die jüngste Geschichte Bulgariens unterrichten will, zwei Bücher von A. von Huhn. Das eine ist betitelt: „Der Kampf der Bulgaren um ihre Nationaleinheit“, das andere „Aus bulgarischer Sturmzeit“. Jenes behandelt das Jahr 1885, dieses das Jahr 1886. Sie enthalten anschauliche und wahrheitsgetreue Darstellungen der Ereignisse, welche der Verfasser als Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ an Ort und Stelle miterlebt hat.

Bulgarisches Bauerngespann.