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Carl Gehrts

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Textdaten
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Autor: W. Schleicher
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Titel: Carl Gehrts
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 304–306
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[304]

Carl Gehrts.

Von W. Schleicher.0 Mit den Bildern S. 304, 305, 308 und 309.

Odhin.
Nach einer Originalzeichnung von Carl Gehrts.

Ein köstliches Leben in der schönsten Blüte der Jahre, voll glänzender Hoffnungen, schloß sich am 18. Juli vorigen Jahres, köstlich für alle, die den liebenswürdigen, bescheidenen Künstler persönlich oder aus seinen Werken gekannt haben, und die er so oft allem Erdenleid durch seine Kunst entrückt hatte.

Ein tragisches Geschick schnitt den Lebensfaden gerade in dem Augenblicke ab, wo das mit verzehrender Sehnsucht erhoffte Ziel gesichert schien. Die Kräfte reichten noch aus, die Hand nach dem dargebotenen Lorbeer auszustrecken, aber in dem Momente der Berührung sank sie leblos zurück.

Carl Gehrts wurde den 11. Mai 1853 geboren. Die Eltern, beide tüchtige, gesunde Naturen, lebten in den allerkleinsten Verhältnissen in St. Pauli bei Hamburg. Der Vater, zuerst Anstreicher, malte nachher Oelgemälde von geringem Wert, mit denen die thätige und energische Mutter im Hafen hausierte. Auch der junge Carl malte bald mit, täglich zwei, später sogar vier Gemälde. Da er zugleich Talent zur Musik hatte, gab er für geringen Lohn Klavierunterricht und spielte Sonntag abends bis tief in die Nacht die Geige zum Tanz. Niemand dachte in der kleinen Vorstadtkneipe daran, daß der zarte, blonde Knabe mit den schönen leuchtenden Augen, der da oben zwischen den Musikanten saß, dereinst ein berühmter Mann werden würde. – So begann schon in frühester Jugend dies Leben anhaltender Arbeit ohne Rast und Ruhe. Zur Belohnung für seine ergiebige Thätigkeit durfte Carl abends, nachdem er den ganzen Tag gearbeitet hatte, die Kunstgewerbeschule besuchen, und hier war es, wo der Direktor Jessen, sein Talent erkennend, dafür sorgte, daß er durch Unterstützung wohlwollender Menschen, besonders auch des Herrn Arnold Otto Meyer, die Akademie in Weimar besuchen konnte. Wie Gehrts überglücklich hierhin im Jahre 1871 übersiedelte, Schüler Gussows und Baurs wurde, bei Preller im Hause verkehrte, anfangs sich der religiösen Malerei zuwandte, nachher mittelalterliche Scenen, Gnomen und Elfen malte, wie er Baur nach Düsseldorf folgte, hat er in seiner humoristischen Lebensbeschreibung, die in der Zeitschrift „Kunst für Alle“ erschien, selbst erzählt. In Düsseldorf fand er in einer seiner Schülerinnen seine Gattin; es war des Malers Köttgen talentvolle Tochter Anna, welche fortan ihre Kunst ganz seinem Dienste widmete und ihm eine bedeutende Gehilfin wurde. Ihr Heim richteten beide im romanischen Stile ein, den Gehrts besonders liebte und in welchem er auch später sein ländliches Wohnhaus bauen ließ.

Eine Anzahl meist kleinerer Bilder, zahllose Illustrationen, Widmungsblätter u. dergl. entstanden in dieser Zeit; unter anderem malte Gehrts auf seiner Hochzeitsreise das Widmungsblatt für die Goldne Hochzeit des alten Kaiserpaares. Blätter für Bismarck, deutsche Fürsten und hervorragende Privatpersonen, ferner viele von jenen übermütigen Scenen, wo die Elfen im Schilf kichern und die Kobolde so herzlich lachen, stammen aus jener Zeit. Die Darstellung Odhins, die den Anfang dieses Artikels schmückt, ist als Illustration zu einem Gedicht Felix Dahns entworfen worden. Wir sehen den höchsten Gott der alten germanischen Völker auf seinem Thron; zu seinen Füßen kauern die Wölfe „Geri“ (der Gierige) und „Freki“ (der Gefräßige), während die Raben „Hugin“ (Gedanke) und „Munin“ (Erinnerung) ihn umflattern.

Gehrts lebte anhaltend bescheiden, fast verborgen, bei Tag und Nacht mit derselben Unermüdlichkeit schaffend. Am liebsten hätte er alles verschenkt; große Schätze sammelte er denn auch trotz seines ungeheuren Fleißes absolut nicht, und es ist charakteristisch, daß eines unserer größten Blätter ihn zweimal selbst bat, seine Preise zu erhöhen.

Es nahte das Jahr 1882; mit ihm die Konkurrenz zur Ausmalung des Treppenhauses in der Düsseldorfer Kunsthalle, ein Wettbewerb, welcher Gehrts den größten Ruhm und die größte Pein seines Lebens bereiten sollte und welcher ihn plötzlich zum populärsten Künstler Düsseldorfs machte. Ohne die geringste Protektion, infolgedessen selbst ohne Hoffnung auf Erfolg, begann er die Arbeit, die ihn unwiderstehlich anzog.

Trotz dieser Hoffnungslosigkeit ging er vor, als gälte es sein Lebenswerk. Er schuf nicht nur eine Folge farbenprächtiger Entwürfe als Darstellung der Kunstgeschichte, sondern in ihnen zugleich ein bezauberndes Gedicht von wahrhaft sprudelnder Fülle poetischer Gedanken.

Der Raum enthält sechs viereckige Wandflächen, darüber sechzehn Lünetten. In letzteren stellte der Künstler die Kunstgeschichte in Märchenform dar, wobei die Kunst selbst immer als handelnde Person auftritt, von dem Augenblick an, wo sie als Göttergeschenk, ein kleines geflügeltes Kindlein, den wilden Menschen gebracht wird, bis zur Neuzeit, wo sie als Lehrerin des Volkes auftritt. Auf die Hauptflächen verlegte Gehrts sechs Hauptepochen der Kunstgeschichte, von denen die griechische Zeit und die Renaissance die größten Flächen erhielten. Alle Zwischenflächen, Stichkappen und Füllungen sind übersponnen von lieblichem Ornament mit zahlreichen Figuren. Zwei dieser [305] Wandgemälde bringt die „Gartenlaube“ (vgl. S. 308 und 309) in Holzschnittwiedergabe. Das erste zeigt uns die Anfänge der Kunst in vorgeschichtlicher Zeit. Ein Bildhauer vollendet ein Götzenbild, indem er in den Stein eine Runenschrift meißelt. Voller Andacht betrachtet das Volk sein Werk. Auf dem anderen Bilde sehen wir, wie der Baumeister des Kolosseums das Modell dieses Riesenbaues dem Kaiser Vespasian erläutert.

Trotzdem Gehrts nicht nur bei dieser Konkurrenz, sondern auch bei einer zweiten, welche man von gewisser Seite durchsetzte, den ersten Preis erhielt, bedurfte es einer Petition fast der gesamten freien Künstlerschaft Düsseldorfs, dem Künstler das Werk zu sichern. Von den Professoren der Akademie hatte nur Wittig, der Schöpfer der Hagar in der Nationalgalerie, unterzeichnet, welcher Gehrts erst durch die Entwürfe kennenlernte, seither aber sein bester Freund wurde, um ihm mit dem ganzen Schatz seines Wissens eine bedeutende Stütze bei dem großen Werk zu werden. Es ist bezeichnend für Gehrts’ Charakter, daß er letzteres stets gern aussprach. Auch gewann er durch sein Werk die wertvolle Freundschaft der Frau Sophie Hasenclever, der Tochter Schadows, welche bis zu ihrem Tode als die interessanteste Erscheinung in Düsseldorf galt. Die in hohem Alter stehende, immer noch schöne, stets thätige und einflußreiche Dame übersetzte Dante und die Gedichte Michelangelos. Sie war eine feine Kennerin der altitalienischen Zustände, dabei von bezaubernder Liebenswürdigkeit und hochverehrt in ihrem großen Kreise.

Trug dem Künstler auf diese Art sein Werk plötzlich die Verehrung und Freundschaft bedeutender Menschen ein, so war doch durch die entsetzliche Aufregung zwischen Hoffnung und Entsagung, besonders aber durch die unliebsame Bereicherung seiner Menschenkenntnis, die Gesundheit des Künstlers derartig erschüttert, daß er in Melancholie verfiel und es eines Jahres bedurfte, bis er völlig genesen in sein Heim zurückkehren konnte. Nachdem er nun den Auftrag erhalten hatte, folgte abermals eine lange Kette von Unannehmlichkeiten, so daß die Freunde mehrfach in der größten Sorge waren. Ein Glück war, daß Gehrts alles immer wieder vergaß, sobald er an der Arbeit saß, und so schuf er denn jenes schöne Werk, welches das Entzücken so vieler Menschen geworden ist, die es sahen. Die Ausführung hatte wesentlich im Sinne der ersten Konkurrenz stattgefunden; die zweite, welche beinahe des Künstlers ganze geistige Kraft ruiniert hatte, war also völlig überflüssig gewesen. Nur eine Aenderung, welche man, nicht zum Vorteil, verlangt hatte, daß nämlich die Kirche im Renaissancebild als Person auftrete, war notgedrungen beibehalten mit den daraus folgenden Konsequenzen. Der ganze Raum ist in geradezu vollendeter Harmonie so fein abgestimmt, als wäre das Ganze nur ein Bild.

Carl Gehrts.
Nach einer Photographie von Constantin Luck in Düsseldorf.

Das in der alten Freskotechnik ausgeführte Werk wurde am 1. August 1897 nach siebenjähriger Arbeit des Künstlers der Oeffentlichkeit übergeben; ungefähr siebenhundert Studien dazu waren gleichzeitig ausgestellt. Die Düsseldorfer Künstlerschaft gab Gehrts im „Malkasten“ voller Jubel ein glänzendes Fest unter Teilnahme der ganzen Stadt. Alles war Lust ohne Ende und der Künstler, welcher mit dem Lorbeer gekrönt wurde, erlebte den glänzendsten Tag seines Lebens. Alle Freunde hofften, es sei dies nach aller Arbeit und allem Elend der schöne Abschluß der ersten Lebenshälfte des Künstlers – nur ein Gedanke drückte sie: Gehrts wurde unter glänzenden Bedingungen aufgefordert, mit Geselschap allein zur Ausmalung des Hamburger Rathaussaales zu konkurrieren. Die hohe Ehrung durch seine Vaterstadt barg in diesem Augenblick eine Gefahr, die dort niemand ahnen konnte. Gehrts hatte sein ganzes Künstlerleben hindurch mit unglaublicher Zähigkeit die Hoffnung genährt, dereinst seiner Vaterstadt das Beste seines Schaffens bieten zu können. Durch all sein Denken und Trachten zog sich diese eine Idee wie ein fortlaufender Faden hindurch. Nun schien dieser sein höchster Wunsch in Erfüllung zu gehen. Noch erschöpft von der großen Arbeit und den Quälereien, die er erduldet hatte, konnte Gehrts, von unbezwinglicher Sehnsucht zu diesem Werke gezogen, nicht Zeit und Ruhe finden, sich vorher gründlich zu erholen. Er gab sich sofort der neuen Aufgabe mit ganzer Seele hin, dachte und sah nichts anderes mehr. Die Geister, die er so oft zur Freude der Menschheit gerufen hatte, sie ließen den zarten Körper jetzt nicht mehr los. Stellte ihm ein Freund das Unrichtige vor, so sagte er: „Ich kann arbeiten so viel ich will, ich bin das gewohnt von Jugend auf; kam meine Mutter nach Hause, so gab es Mittagessen, kam sie nicht, so gab es keins, und nachts spielte ich die Fiedel, wenn die andern schliefen. Ihr dürft nicht vergessen, daß diese Arbeit der Wunsch meines ganzen Lebens seit dem 17. Jahre gewesen ist!“ So half alles Abmahnen nichts, und zwei Monate vor Ablauf der Konkurrenz, als die Entwürfe fast vollendet waren, versiegte mit einem Schlage die Kraft. Das Lebenslicht wurde trübe. Todmüde, fast wie im Traum, trotzdem immer im Geist mit seinen Arbeiten beschäftigt, lebte der erschöpfte Künstler noch ein halbes Jahr; dann war auch der letzte Rest der Kraft verzehrt, trotz aller Hoffnung auf Genesung, welche die Aerzte gaben, und sanft entschlief er hinüber in die seligen Gefilde, von denen er so oft geträumt. Sterbend hinterließ er seiner Vaterstadt das schönste Werk, das er im Leben geschaffen, leider nur im Entwurf.

Die Arbeit, welche die Geschichte Hamburgs in sieben Gemälden darstellt, von der Verkündigung des Christentums und der Gründung der Hammaburg an durch die bewegte Zeit des Mittelalters und der Reformation bis zu den Befreiungskriegen und der Gegenwart, bildete einen Hauptanziehungspunkt bei der Ausstellung von Gehrts’ Werken, welche vor kurzem in der Düsseldorfer Kunsthalle stattfand, einer Ausstellung, deren reiche Schätze nunmehr in Berlin zu sehen sind. Das letzte Bild, das Gehrts schuf, die Einsegnung der Freiwilligen von 1813, ist das ergreifendste Gemälde, das er in seinem Leben geschaffen hat; es ist, als hätte er alle künstlerische Kraft und sein ganzes edles Gemüt in diesem Werk wie in einem Testament dem deutschen Volke vererben wollen. Deutsch war ja überhaupt seine Kunst und deutsch wollte sie sein auch in den letzten Jahren, wo die Mode den Internationalismus verlangte. Deutsches Gemüt und deutscher Sinn sprechen namentlich auch aus den zahlreichen Illustrationen. Sein „Goldnes Märchenbuch“, „Reineke Fuchs“, „Demetrius“, die „lustigen Koboldgeschichten“, „Leben und Heimat in Gott“ und vieles andre werden dem deutschen Volk ein wahrer Schatz bleiben, und sein Wirken wird Segen bringen, solange es ein deutsches Gemüt giebt.

Das ist gewiß der schönste Lohn, der einem Künstler werden kann. Eine Ahnung davon verlieh wohl Gehrts jene unvergleichliche Heiterkeit und Seelenruhe, jene milde Beurteilung anderer, bei denen er stets das Gute zuerst sah, auch bei solchen, die ihm manch schwere Stunde bereitet hatten. Er war ein guter, edler Mensch, ohne Falsch und Bitterkeit, von echt deutschem Gemüt.




[306]
16.

In lautloser Stille lag der Tillfußer Wald. Schon zog der laue Abendwind von den Bergen abwärts durch das Thal, aber so lind und leise, daß er die Zweige der Bäume nicht bewegte. Nur die schlanken Gräser, die am Saum des Pfades wuchsen, rührten sich ein wenig. Der ganze Waldgrund lag schon in tiefem Schatten, doch die Wipfel waren noch vom Glanz der Sonne umglüht, welche sinken wollte, und wie goldfunkelnde Riesenmauern, von purpurnen Schattenlinien durchzogen, sahen durch die Lücken des Waldes die grellbeleuchteten Berge nieder.

Auf einem Baum, den der Sturm geworfen hatte, saßen Graf Sternfeldt und der Förster. Nicht weit von ihnen zweigte sich der Pfad – der eine Weg führte zur Jagdhütte im Sebenwald, der andere zur Sebenalpe und zum See. Diesen letzteren Pfad konnte man, da er durch schütteren Wald in gerader Linie hügelan stieg, auf eine weite Strecke übersehen.

Je länger die beiden warten mußten, desto ungeduldiger wurde Sternfeldt.

„Endlich! Da kommt er!“ Der Graf erhob sich. „Bleiben Sie nur, Herr Förster … ich geh’ ihm entgegen!“

In Gedanken versunken und behaglich schlendernden Ganges kam Ettingen über den Pfad heruntergeschritten. Er trug den leichten Bergstock quer über den Rücken und hatte die Arme darübergelegt. Träumend und lächelnd blickte er vor sich nieder. Sein Hut war rings um die Krempe mit Blüten besteckt – es waren Edelrosen vom Sebensee.

„Heinz!“

Ettingen blickte auf, verwundert, als könnte er dem Klang dieser Stimme nicht glauben. Aber da leuchtete ihm die Freude aus den Augen. „Goni! Du?“ Ettingen stieß den Bergstock in die Erde und streckte dem Freunde die beiden Hände entgegen. „Du? Du? Wahrhaftig? Du? Ja sag’ mir nur … Nein, Goni, die Freude, die ich habe! Sagen kann ich dir das nicht … aber sieh mich an, und du mußt es fühlen!“

„Ja, Heinz!“ Tiefe Bewegung klang aus der Stimme des Grafen. „So deutlich wie in diesem Augenblick hab’ ich es noch nie empfunden, daß du mir gut bist!“

„Aber Goni! Hast du denn je daran gezweifelt?“

„Nein. Aber wer Gold besitzt, will auch gerne wissen, wie viel es ist, und freut sich der Stunde, die ihn zählen läßt. Und solch eine Zählstunde für deine Freundschaft … das war dieser Blick jetzt in deine Augen! Aber weißt du … dich jetzt so ansehen dürfen, das hat noch eine andere Freude für mich. Heinz! Heinz! Was ist aus dir geworden, seit ich dich nicht mehr gesehen habe!“

„Ein gesunder, froher Mensch! Ja, Goni, das hab’ ich dem Wald zu danken – und seinem schönen Schweigen! Und dir! Denn du warst es, der diesen herrlichen Fleck Erde für mich aussuchte … und du weißt ja gar nicht, was du da alles für mich gefunden hast! Ich danke dir, Goni! Ich danke dir! Aber …“ Ettingen lachte und schüttelte dem Freund die Hände. „So sprich doch endlich auch wieder ein Wort! Sieh mich nicht immer nur an! Ich will dich nicht nur sehen, ich will dich auch hören! … Aber Goni! Was machst du denn da für Augen?“ Lachend beugte er das Gesicht bis nah’ vor die Augen des Freundes. „Ich bin es schon! Wirklich! Ja, ja, ja!“

„Höre, Heinz! Wahrhaftig, jetzt hätt’ ich dich beinah’ gefragt: Bist du es? Denn daß du so gesund vor mir stehst, so sonnverbrannt, so lachend … das allein ist es nicht! Noch etwas anderes! An dir ist was Neues, weißt du! Und wär’ ich dir so in der Stadt begegnet, ohne zu ahnen, daß du da bist … ich glaube, ich hätte dich auf den ersten Blick gar nicht erkannt. Wie ein ganz anderer stehst du vor mir! Und wie mir dieser neue Heinz gefällt! Aus deinen Augen redet eine Lebenskraft, ein Wille zur Freude … Nein, jetzt hab’ ich keine Sorge mehr um dich! Jetzt kann ich es dir sagen, warum ich kam … heute! Ich bringe dir eine Nachricht, Heinz! Denk’ dir … sie ist da!“

„Wer?“

„Aber Heinz! Errätst du denn nicht?“

„Nein! Wer ist da?“

„Das ist eine Frage, die ich fast nicht begreife. Aber du hättest mir kein Wort sagen können, das ich lieber gehört hätte, als dieses ahnungslose: ‚Wer?‘ … Die Pranckha ist da. Draußen im Jagdhaus.“

Der Fürst erblaßte. So standen sie eine Weile schweigend voreinander. Dann stammelte Ettingen: „Sie? Bei mir? … Das ist stark!“

Sternfeldt lachte trocken. „Das weißt du doch aus Erfahrung: in Dingen, die stark sind, ist sie groß!“

„Und … sie kam allein?“

„Gott bewahre! Wenn ihr auch wenig daran liegt, dich zu kompromittieren – das dürfte sogar in ihrer Rechnung eine sehr notwendige Ziffer sein … aber für sich selbst muß sie den Schein wahren, um so mehr, da sie … wie ich fürchte … ‚ehrbare‘ Absichten hat.“

„Sie ist mit dir gekommen?“

„Aber, Heinz! Das ist eine Frage, die mich wirklich verdrießen könnte!“

„Ich bitte dich, Goni, sei mir nicht böse … aber ich weiß in meiner Empörung wahrhaftig nicht mehr, was ich rede.“

„Empörung? Wirklich? Was dich blaß macht und dir das Blut wieder ins Gesicht treibt … das ist nur Empörung?“

„Was sonst? … Aber ja, Goni, ich will ehrlich sein, es ist noch etwas anderes,“ sagte Ettingen mit bebender Stimme. „Was ich jetzt empfinde … es ist wie Schmerz! All dieses Vergangene, dieses Häßliche … vor einer Stunde noch war es so ganz vergessen, für mich so versunken, als wär’ es nie gewesen … und nun steht es plötzlich da vor mir! Ich hab’ ein Gefühl, als hätte man mir ein Stück Sonne ausgelöscht, das mich wärmte … als hätte man eine Blume zertreten, deren Anblick mir Freude war! Ich hatte das Gefühl wie nach einem Bad, als wär’ ich reingewaschen an Leib und Seele! Und jetzt! … Mir ekelt!“

„Sag’ ihr das … und du bist sie los! Aber das mit der Sonne und der Blume … wie meinst du das?“

„Nein! Diese Nachricht hören … und im gleichen Augenblick alles andere sagen? Nein! Das kann ich nicht! … Aber wenn sie nicht allein kam? Mit wem kam sie?“

„Rate!“

„Eine ihrer zweifelhaften Freundinnen?“

„Du mußt tiefer greifen! Aber du kommst nicht drauf! Denk dir, wen sie mitbrachte … den kleinen süßen Mucki!“

„Den soll ich auch noch ertragen? Ich danke!“ Ettingen lachte in Zorn vor sich hin. „Die Geschichte fängt an, mich zu erheitern. Und daß der mit ihr ist … das macht mir die Sache leichter. Aber du? Daß du mit ihnen kamst?“

Mit ihnen? Nein! Nach ihnen! Aber gerade noch zur rechten Zeit, um dir die erste gefährliche Verblüffung zu ersparen. Gestern mittag brachte mir der biedere Mann, von dem ich in meiner ahnungsvollen Vorsicht ihre Villa überwachen ließ, die Nachricht: mit dem Frühzug sind sie abgereist, Salonwagen nach Innsbruck. Am Abend saß ich im Coupé, kam heute um 10 Uhr in Innsbruck an … drei Stunden früher waren sie vom ‚Hotel Europe‘ abgefahren … ich erinnerte mich an Shakespeare: ein Königreich für ein Pferd … und da bin ich! Und bin neugierig, was du thun wirst. … Nun?“

„… Ich bin ratlos, Goni!“

„Ich wüßte dir einen Rat! Aber ich weiß, du befolgst ihn nicht.“

„Ja, Goni! Ja! Ja! Jeden, den du mir giebst!“

„Machen wir die Probe! Dort steht der Förster. Laß dich von ihm nach Ehrwald führen, jetzt gleich … drunten nimm dir einen Wagen, fahre nach Garmisch, nach München … oder nach Imst, nach Trafoi, wohin du willst … oder bleibe in Ehrwald, bis ich dich wieder rufe. Was du brauchst, schick’ ich dir noch heute hinunter … durch einen Jäger, nicht durch Martin!“ Sternfeldt lachte. „So schmerzlich es für dich sein wird, aber von diesem Ehrenmann wirst du dich trennen müssen; denn er ist ihr Helfer gewesen …“

„Martin?“

„Ja! Er hat dich neulich auf die Jagd geschickt – und

[308]

Die Kunst am Anfang.
Nach dem Wandgemälde von Carl Gehrts in der Düsseldorfer Kunsthalle.

[309]

Die Kunst unter Roms Kaisern.
Nach dem Wandgemälde von Carl Gehrts in der Düsseldorfer Kunsthalle.