Christkindlein auf dem Friedhof
Als ich im Leben einsam stand,
Sucht’ ich in fremder Kinder Blicken
Das Glück, das ich daheim nicht fand:
Des Unschuldjubels Herzerquicken.
Aufstrahlte in der Dämmerstunde
Der Weihnacht, wandelt’ ich allein
Durch alle Gassen meine Runde.
So weit die Tannen dieser Nacht
Sind in den Herzen auferwacht
Des Kinderglaubens fromme Psalmen.
Und was der Glaube uns verhieß
Nur als der Sel’gen letztes Hoffen:
Heut steht’s auf Erden Jedem offen!
Auch mir ist’s herrlich aufgethan,
Umhegt von meines Stübchens Wänden;
Zur Decke ragt der Baum hinan,
Doch eh’ für meiner Kinder Ohr
Erschallt des Christkindengels Kunde:
„Herein! Herein!“ – mach’ ich zuvor
Die liebgewohnte stille Runde.
Der reinsten Liebe endlos Walten! –
Dort ist ein Fensterlein erhellt,
Hier strahlt’s hervor durch seidne Falten –
Und doch ist all die Freude gleich,
Den Kindern ist’s ein Himmelreich,
Und Kindeshand nur öffnet’s Allen!
„O Gott, wer heute weinen muß!“
Mir bebt das Herz bei dem Gedanken. –
Seh’ ich ein Weib zum Friedhof wanken;
Ein Knäblein an der rechten Hand,
Ein Weihnachtsbäumchen in der Linken. –
Ach, all mein Lusterspähen schwand
Sie wandelt zu vertrautem Ort,
Sie sucht nicht erst in all den Reihen;
Vor „ihrem“ Gräblein kniet sie dort,
Die Nacht auch ihrem Kind zu weihen.
Beleuchtet einer Mutter Thränen,
Und durch die heil’ge Stille bricht
Die Klage von der Liebe Sehnen.
„So schmückt dein Grab der heil’ge Christ!
Wie groß Dein Brüderlein jetzt ist?
Du bist mein kleines Kind geblieben!
Mein Engel Du, o schau herab,
Daß unsre Blicke sich begegnen,
Die Liebe, die hier weint, zu segnen!“
Nun beten sie, nun gehn sie leis. –
Mich drängt’s, des Kindes Grab zu sehen:
Da leuchtet es, wo rings im Kreis
Ich eilte fort. – So sehnsuchtweich
Bin ich noch niemals heimgegangen,
Nie hab’ in meinem Himmelreich
Ich meine Lieben so umfangen.
Stand mir im Geist das Grabweihnachten:
Wie hältst der Liebe letzen Raum
So hoch du, deutsche Stadt der Schlachten!
Weil du so treu die Liebe lehrst,
Wie du die schöne Sitte ehrst,
So ehret dich die schöne Sitte.
[805]