Christliche Symbolik/Tempel
Der von Salomo in Jerusalem erbaute Tempel der Juden verhält sich zur christlichen Kirche, deren Ideal das „neue Jerusalem“ ist, wie Moses und die Propheten zu den Evangelien, wie das alte zum neuen Testament, wie Judenthum zu Christenthum überhaupt.
Salomo machte es sich zu einer der wichtigsten Angelegenheiten seines Lebens, den Tempel zu bauen, wobei ihm David durch Sammlung grosser Schätze vorgearbeitet hatte. Die Israeliten waren damals noch in der Baukunst ungeübt, aber König Hiram von Sidon sandte dem König Salomo die geschicktesten Arbeiter und Cedern und Tannen vom Libanon in Fülle. Da erhob sich nun unter Gottes Zulassung der Tempel. Salomo selbst war sich darüber klar, dass die Gottheit nicht in einem Hause wohnen könne, und dass der Tempelbau nur den Zweck habe, dem Volk Israel einen symbolischen Mittelpunkt zu geben. Denn 2. Buch d. Chronica 2, 6. sagt er: „Wer vermag es, Gott ein Haus zu bauen? Denn der Himmel und aller Himmel Himmel mögen ihn nicht versorgen!“
Hieraus geht wohl zur Genüge hervor, dass die Ansicht irrig ist, welche hinter dem Cultus des Jehovah geheimen Sabäismus oder Sterndienst wittert, und die drei Theile der Stiftshütte auf die drei Weltreiche, den siebenarmigen Leuchter [459] auf die Planeten, die zwölf Schaubrodte auf die Monate etc. bezieht (v. Bohlen, Genesis LXXV, der den Cultus der Juden vom ägyptischen herleitet).
Der Tempel Salomo’s war nur 60 Ellen lang, 20 breit, 30 hoch. Das Langschiff ohne Zweifel nach dem Zelt der Stiftshütte geformt, das Allerheiligste wie dort durch einen Vorhang vom übrigen Raume getrennt, ungefähr wie später der Chor der christlichen Kirchen. Nur die Vorhalle wird 120 Ellen hoch angegeben, also thurmartig, und davor standen zwei grosse Säulen (Jachin und Boas, d. h. fest und stark, genannt). Josephus weicht in seiner Darstellung, antiq. 83, etwas von der biblischen 1. Buch d. Könige 6. und 2. Buch d. Chronika 2-5. ab. Ohne Zweifel blieb die zeltartige Stiftshütte der Typus, nach dem der Tempel gebaut wurde, und traten nur Modificationen hinzu, die von den Gewohnheiten der Baumeister herrührten. Da diese aber keine Aegypter, sondern Phönizier waren, so muss man an den syrischen, babylonischen und persischen Styl weit eher, als an den ägyptischen denken. Ganz bestimmt lässt sich aber aus den vorhandenen Beschreibungen der Styl nicht mehr ermitteln, wie oft es auch versucht worden ist. Es blieben immer einige Ungewissheiten übrig, z. B. über die Bedachung, über die Stellung der Säulen am Eingang, ob sie frei standen oder nicht? über die Fenster etc. Die berühmtesten Monographieen des Tempels sind von Villalpandus, Leo, Capellus, Lightfoot, Lund, Sturm, Wood, Hirt, v. Meyer (Blätter f. höhere Wahrheit IX.), Stieglitz (Gesch. d. Baukunst), v. Grüneisen (Kunstbl. 1831. Nr. 73 f.), Schnaase (Gesch. d. bild. Künste, dazu Merz im Kunstbl. 1844. Nr. 97.), Romberg (Gesch. d. Baukunst I. 24.).
In der Bibel selbst ist die Höhe der beiden Säulen am Eingang verschieden angegeben, 18 Ellen im Buch der Könige, 35 in dem der Chronik. Ob sie in der Vorhalle eingemauert waren oder wie Obelisken frei standen, ist ebenfalls streitig. Doch wissen wir, sie waren von Erz, inwendig hohl, auswendig mit einer Schnur umwunden und oben mit [460] einem Knauf geziert, an dem viele Reifen und Granatäpfel ausgeschnitzt waren. Vor dem Tempel befanden sich zwei grosse Vorhallen, eine für das Volk, eine für den Priester. Um des Tempels Dach lief oben eine Altane ringsherum, wie aber das Dach geformt war, weiss man nicht. Inwendig war der ganze Tempel mit Schnitzwerk, und zwar mit Cherubimen, Palmen und Blumenwerk von Holz ausgeschmückt, und das Holz war über und über vergoldet.
Zu den Heiligthümern des Moses, der Bundeslade, dem Armleuchter etc., die in’s Allerheiligste gebracht wurden, kamen nun noch einige neue, von Salomon verfertigte, namentlich das berühmte eherne Meer, ein grosses Waschgefäss, 10 Ellen weit, von zwölf ehernen Rindern getragen, deren Köpfe ringsherum nach aussen schauten. Dazu zehn Stühle und zehn eherne Kessel, Töpfe, Schaufeln, Becken, noch mehrere grosse Leuchter etc.
Für die christliche Kirche scheinen hauptsächlich in jenem Tempel Salomo’s Vorbilder gewesen zu seyn: 1) die Längenform der Kirche und die Trennung des Allerheiligsten oder des Chores vom übrigen Raum; 2) die hohen Eingangshallen mit den Säulen, woraus Thürme wurden; 3) die Bundeslade, die zum Altar wurde; 4) das eherne Meer, das zum Taufbecken wurde, 5) die Weihrauchgefässe. — Schon frühzeitig wurde der Tempel Salomo’s idealisirt, vom Propheten Ezechiel Kap. 40—43, eben so im altdeutschen Gedicht vom Titurel, erörtert von Boisserée.
Von den Freimaurern ist König Hiram zum Urmeister der Baukunst gemacht worden, und die Sage, er sey beim Tempelbau erschlagen worden von den Gesellen, die gleichen Lohn mit ihm verlangten, motivirt eine der Hauptceremonieen in der Maurerei, nämlich das Suchen des verlornen Meisters im Sarge. Aber der deistische Tempel der Maurer ist der christlichen Kirche noch mehr entgegengesetzt, als der alte Judentempel. Abbé Barruel beschuldigt die französische Maurerei, die bekanntlich in vielerlei ausschweifenden Dingen sich gefiel, in dem höheren maurerischen Grade [461] der sogenannten Rosenkreuzer ausdrücklich Voltaire’s berüchtigte Parole: Écrasez l’infame! (d. h. den Heiland und die ganze christliche Religion) adoptirt zu haben, mit der bestimmten Erklärung, Hirams Gott, für den er den Tempel baute, sey der alte Jehovah, sein Mörder aber sey der auf Jehovahs Ansehen neidische Christus gewesen. Der Rosenkreuzer Aufgabe sey daher, des Meisters Mord an Christo und dem gesammten Christenthum zu rächen.
Der christlichen Symbolik gemäss musste der alte Tempel in Jerusalem zerstört werden, sobald in Christo die Hoffnung des neuen Jerusalems aufging, wie es nach der Offenbarung Johannis wieder erbaut werden wird. Das ist in einem andern Bilde die Reinigung des Tempels, wie sie der Heiland selber vornahm in der Austreibung.
Als der Tempel fertig war, gab Gott sein Wohlgefallen daran zu erkennen, indem er ihn ganz mit einer Wolke ausfüllte, so dass die Priester selbst dadurch hinausgedrängt wurden. Diese Wolke im Heiligthum ist das einzige Bild der Gottheit, das je in den Tempel kam, entsprechend der Wolke, die vor Moses einherzog. Die Rationalisten nehmen natürlich nichts anderes an, als dass es eine von den Priestern selbstgemachte Weihrauchwolke gewesen sey.
Die Leviten waren so begeistert und so durchdrungen von Andacht, dass sie beim Dankliede alle wie Ein Mann sangen. 2. B. d. Chron. 5, 13. Auch Salomo stimmte ein langes und tiefempfundenes Danklied an, 1. B. d. Könige 8, worin Vers 53 besonders der Gedanke hervortritt, dass Gott seinen heiligen Willen durch das Volk Israel in jener Vorzeit nur insofern habe erreichen können, als er es von allen andern Völkern abgesondert habe; während diese exclusive und defensive Methode nach Christi Geburt mit einer gerade umgekehrten wechselt, nämlich mit der Eröffnung und Mittheilung des Heiles an alle Völker auf Erden.
Bei der Einweihung des Tempels brachte Salomo ein ungeheures Brandopfer, bei dem 22,000 Rinder und 120,000 Schafe bluteten. Nur diese Opfer erinnern noch an die [462] heidnische Vorwelt, sonst ist im Gottesdienst der Juden schon sehr viel Christliches. Die lang angehaltenen feierlichen Posaunentöne scheinen aus dem Hirtenleben vom Hirtenhorn entlehnt zu seyn. Sie entsprechen dem Schauerlichen und Geheimnissvollen des Allerheiligen und der Stimmung der jüdischen Gemüther, die in der Furcht vor Gott, wie in der Innigkeit des Gebets in eine Tiefe zurückgeht, von der die heidnischen Hymnen noch kaum etwas ahnen lassen.
Austreibung der Käufer aus dem Tempel. Die erste Handlung Jesu, als er in Jerusalem eingezogen, war, dass er zum Tempel ging, „und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer und stiess um der Wechsler Tische und die Stühle der Taubenkrämer, und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus heissen, ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht.“ Matth. 21, 12. 13. Nach Johannes 2, 15. machte er sich eine Geissel aus Stricken und trieb die Verkäufer sammt ihren Schafen und Ochsen hinaus, verschüttete den Wechslern das Geld und stiess ihre Tische um. Die Juden staunten über solche Kühnheit und verlangten ein Zeichen von ihm, dass er Solches thun dürfe. Da sprach er: „Brechet diesen Tempel, und ich will ihn in drei Tagen wieder aufrichten.“ Sie verstanden den Tempel von Stein, er aber meinte seinen Leib.
Die ganze Handlung ist nur sinnbildlich zu verstehen. Im Vorhof des Tempels trieben sich zur Osterzeit die Händler und Wechsler um, weil die von allen Seiten zum Tempel strömenden Juden nicht alle eigne Opferthiere mitbringen konnten und sich hier erst welche kauften. Dieser Schacher war eine Entheiligung des Tempels. Christus wollte aber nicht den alten Judentempel reinigen, sondern trieb alle andern gemeinen Opfer hinaus, weil er selbst jetzt als das erhabenste Opfer in den Tempel einzog. Die Handlung hat zugleich eine Beziehung auf das Sakrament des heiligen Abendmahls. Die Geissel, die er schwang, bedeutet die Geissel der Busse vor; die Händler und Krämer bedeuten die bösen Gedanken, die aus Herz und Sinn hinaus müssen, ehe das heilige [463] Sakrament genossen werden kann. Zugleich ist dadurch ganz im Allgemeinen auch das Verhältniss der ewigen Gerechtigkeit zur ewigen Gnade ausgedrückt. Ehe die Gnade im Mittlertode ihr höchstes und heiligstes Werk beginnt, muss der starke und eifrige Gott der Gerechtigkeit noch einmal in seiner ganzen Strenge walten.
Christus weint beim Anblick der Stadt und des Tempels, die da sollen zerstört werden. Das Gegenbild zu dieser schönen Scene ist die Vergleichung des Heilands selbst mit dem Tempel der da gebrochen wird, Joh. 2, 19: „Brechet den Tempel ab in drei Tagen will ich ihn wieder aufrichten.“ Der zerbrochene Tempel hat hier eine sehr verschiedene Bedeutung als Steintempel Salomo’s und als Leib des Gottmenschen. Die ganze Grösse des Opfers wird ausgedrückt indem der lebendige Tempel zur Sühne gebrochen wird für den todten.