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Corfu (Meyer’s Universum)

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XXXV. Die Felsenbrücke in Virginien, in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XXXVI. Corfu
XXXVII. Cintra, bei Lissabon, in Portugal
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CORFU

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XXXVI. Corfu.




Um die Westküste von Griechenland, von der Einfahrt in’s adriatische Meer an bis zur Spitze von Morea, lagert sich, sichelförmig, eine Gruppe von 7 größeren[1], und vielen kleineren Eilanden. Ihre unregelmäßigen, zerrissenen Formen, ihre hohen und steilen Felsenküsten, die Gebirge, welche sich in wilder Verworrenheit in den größern aufthürmen, lassen vermuthen, daß sie einst sämmtlich einen Theil des Festlandes ausmachten, von dem sie, durch irgend eine jener Catastrophen, welche der Rinde unserer Erde ihre gegenwärtige Gestalt gegeben haben, in undenklicher Vorzeit gewaltsam abgerissen wurden. Diese Eilande sind die Ionischen Inseln, seit dem Jahre, das der Abhängigken so manche als Freiheit ausprägte, (seit 1815) ein unabhängiger Freistaat geheißen. England, das sie als ein Hauptbollwerk seines Weltreichs und seiner Macht im mittelländischen Meere in Besitz hat, beherrscht sie unumschränkter als seine Colonieen, unter dem Titel eines Protektorats. Eine republikanische Scheinverfassung weist einem Senate von 6 und einer gesetzgebenden Versammlung von 40 Mitgliedern, jenem die ausübende, dieser die legislative Gewalt zu; aber die Wahl und Amtsdauer des erstern hängt von dem BON PLAISIR des Protektors ab und die Wirksamkeit der Gesetzgeber beschränkt sich auf die Bejahung der Vorschläge des Lord-Oberkommissairs der britischen Regierung. Damit die Nichtigkeit der Zentralgewalt des Senats dem Volke begreiflicher werde, so hat man jeder Insel eine Lokalregierung gegeben, an deren Spitze ein Regent im Namen des Senats die ausübende Macht auf der Insel versehen soll. Aber auf jeder Insel stellt auch der Lord-Oberkommissair einen Stellvertreter seiner Person, einen Engländer auf. Kein Akt eines Regenten ist gültig, wenn die Genehmigung des englischen Delegaten fehlt, welcher überdieß das Recht hat, Regenten und Räthe ohne vorherige Anfrage bei’m Senate jeder Zeit zu entsetzen. Auch die Richterstellen der Obertribunale werden vom Protektor besetzt, die öffentlichen Cassen sind seiner Controle unterworfen, die Land- und Seemacht commandirt er, die Militairgewalt wird durch ihn von 4 Regimentern englischer Truppen geübt. Die Ionische Militz, auch 4 Regimenter, ist von englischen Offizieren befehligt, die öffentliche Meinung endlich wird [86] in der Druckerei des Lord-Oberkommissariats und unter dessen Zensur ausgeprägt. Dieß die Freiheit der Ionischen Republik!

Welchen Gebrauch macht aber England von dieser unumschränkten Gewalt, welche ihm in jenem sogenannten Freistaat eingeräumt worden? Wie es von einem in der politischen Bildung so weit vorgeschrittenen und selbst freien Volke nicht anders seyn kann, den der Mäßigung und Weisheit. England hat seine Macht hier stets auf eine segensreich wirkende Weise geübt. Seit der Herrschaft der Britten, unter dem allmächtigen Schutze ihrer Flagge, hat sich der Handel verdreifacht, und fast in gleichem Maaße ist der Anbau der Ausfuhrartikel, Corinthen (allein jährlich über 400,000 Zentner), Baumwolle, Südfrüchte, Olivenöl, gestiegen. Das Innere der größern Inseln, welches die Engländer unwegsam fanden, durchschneiden jetzt prächtige und bequeme Landstraßen und 450 neuerrichtete Landschulen 5 Lyceen und eine Universität (in Corfu gegründet 1823,) verbreiten unter der griechischen, fast verwilderten Bevölkerung (jetzt 300,000) durch alle Klassen die Saat des nützlichen Wissens und der Bildung.

Corfu, die Hauptstadt des Landes und der Gegenstand unsers Bildes liegt auf der nordöstlichen Spitze der 10 Quadratmeilen großen Insel gleiches Namens, der albanischen Küste gegenüber, von welcher es eine Meerenge scheidet. Das steile Felsengestade, auf welchem sich die Stadt, eine für die größten Schiffe sichere Meerbucht umschließend, erhebt, ist noch durch unermeßliche Bauten der Befestigungskunst unzugänglich gemacht und auf den Höhen im Rücken der Stadt erheben sich uneinnehmbare Werke, welche, vereint, Corfu zu einem zweiten Gibraltar machen. Die Stadt, die von der Seeseite her einen herrlichen, höchst imposanten Anblick gewährt, hat jetzt über 20,000 Einwohner (1808 nur 12000) und ist der Sitz des Lord-Oberkommissairs sämmtlicher Centralbehörden, der Universität, (1823 mit 500 Studenten, meistens vom griechischen Festlande) des Erzbischofs, mehrer gelehrten Gesellschaften und der Lieblingsaufenthalt reicher Engländer, welche ein herrliches Klima, die gesunde Luft, der Zauber der wunderschönen Gegend und die Leichtigkeit, von hier aus das classische griechische Festland zu bereisen, jährlich in großen Schaaren herbeizieht.



  1. Corfu, Paxo, Santa Maura, Zephalonia, Theaki, Zante und Cerigo, das alte Cythera.