Critik der reinen Vernunft (1781)/Der Antinomie der reinen Vernunft Zweiter Abschnitt. Antithetik der reinen Vernunft.
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Der Antinomie der reinen Vernunft Erster Widerstreit der transscendentalen Ideen. » | |||
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Die Fragen, welche bey einer solchen Dialectik der reinen Vernunft sich natürlich darbieten, sind also 1. Bey welchen Sätzen denn eigentlich die reine Vernunft einer Antinomie unausbleiblich unterworfen sey. 2. Auf welchen Ursachen diese Antinomie beruhe. 3. Ob und auf welche Art dennoch der Vernunft unter diesem Widerspruch ein Weg zur Gewißheit offen bleibe.
Ein dialectischer Lehrsatz der reinen Vernunft muß demnach dieses, ihn von allen sophistischen Sätzen unterscheidendes| an sich haben, daß er nicht eine willkührliche Frage betrift, die man nur in gewisser beliebiger Absicht aufwirft, sondern eine solche, auf die iede menschliche Vernunft in ihrem Fortgange nothwendig stossen muß, und zweitens: daß er, mit seinem Gegensatze, nicht blos einen gekünstelten Schein, der, wenn man ihn einsieht, sogleich verschwindet, sondern einen natürlichen und unvermeidlichen Schein bey sich führe, der selbst, wenn man nicht mehr durch ihn hintergangen wird, noch immer täuscht, obschon nicht betrügt, und also zwar unschädlich gemacht, aber niemals vertilgt werden kann.Eine solche dialectische Lehre wird sich nicht auf die Verstandeseinheit in Erfahrungsbegriffen, sondern auf die Vernunfteinheit in blossen Ideen beziehen, deren Bedingungen, da sie erstlich, als Synthesis nach Regeln, dem Verstande und doch zugleich, als absolute Einheit derselben, der Vernunft congruiren soll, wenn sie der Vernunfteinheit adäquat ist, vor den Verstand zu groß, und, wenn sie dem Verstande angemessen, vor die Vernunft zu klein seyn wird; woraus denn ein Widerstreit entspringen muß, der nicht vermieden werden kan, man mag es anfangen, wie man will.
Diese vernünftelnde Behauptungen eröfnen also einen dialectischen Kampfplatz, wo ieder Theil die Oberhand behält, der die Erlaubniß hat, den Angriff zu thun, und derienige| gewiß unterliegt, der blos vertheidigungsweise zu führen genöthigt ist. Daher auch rüstige Ritter, sie mögen sich vor die gute oder schlimme Sache verbürgen, sicher sind, den Siegeskranz davon zu tragen, wenn sie nur davor sorgen: daß sie den lezten Angriff zu thun das Vorrecht haben, und nicht verbunden sind, einen neuen Anfall des Gegners auszuhalten. Man kan sich leicht vorstellen: daß dieser Tummelplatz von ieher oft genug betreten worden, daß viel Siege von beiden Seiten erfochten, vor den lezten aber, der die Sache entschied, iederzeit so gesorgt worden sey, daß der Verfechter der guten Sache den Platz allein behielte, dadurch, daß seinem Gegner verboten wurde, fernerhin Waffen in die Hände zu nehmen. Als unpartheyische Kampfrichter müssen wir es ganz bey Seite setzen, ob es die gute oder die schlimme Sache sey, um welche die Streitende fechten, und sie ihre Sache erst unter sich ausmachen lassen. Vielleicht daß, nachdem sie einander mehr ermüdet als geschadet haben, sie die Nichtigkeit ihres Streithandels von selbst einsehen und als gute Freunde auseinander gehen.
- ↑ Die Antinomien folgen einander nach der Ordnung der oben angeführten transscendentalen Ideen.
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