Critik der reinen Vernunft (1781)/Des Ersten Buchs der transscendentalen Dialectik Dritter Abschnitt. System der transscendentalen Ideen.
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Wir haben es hier nicht mit einer logischen Dialectik zu thun, welche von allem Inhalte der Erkentniß abstrahirt und lediglich den falschen Schein in der Form der Vernunftschlüsse aufdekt, sondern mit einer transscendentalen, welche, völlig a priori, den Ursprung gewisser Erkentnisse aus reiner Vernunft und geschlossener Begriffe, deren Gegenstand empirisch gar nicht gegeben werden kan, die also gänzlich ausser dem Vermögen des reinen Verstandes liegen, enthalten soll. Wir haben aus der natürlichen Beziehung, die der transscendentale Gebrauch unserer Erkentniß, sowol in Schlüssen, als Urtheilen, auf den logischen haben muß, abgenommen: daß es nur drey Arten von Dialectischen Schlüssen geben werde, die sich auf die dreyerley Schlußarten beziehen, durch welche Vernunft aus Principien zu Erkentnissen gelangen kan, und daß in allen ihr Geschäfte sey, von der bedingten Synthesis, an die der Verstand iederzeit gebunden bleibt, zur unbedingten aufzusteigen, die er niemals erreichen kan.
Nun ist das allgemeine aller Beziehung, die unsere Vorstellungen haben können, 1) die Beziehung aufs Subiect, 2) die Beziehung auf Obiecte und zwar, entweder| erstlich als Erscheinungen, oder als Gegenstände des Denkens überhaupt. Wenn man diese Untereintheilung mit der oberen verbindet, so ist alles Verhältniß der Vorstellungen, davon wir uns entweder einen Begriff, oder Idee machen können, dreyfach: 1. das Verhältniß zum Subiect, 2. zum Mannigfaltigen des Obiects in der Erscheinung, 3. zu allen Dingen überhaupt.Nun haben es alle reine Begriffe überhaupt mit der synthetischen Einheit der Vorstellungen, Begriffe der reinen Vernunft (transscendentale Ideen) aber mit der unbedingten synthetischen Einheit aller Bedingungen überhaupt zu thun. Folglich werden alle transscendentale Ideen sich unter drey Classen bringen lassen, davon die erste die absolute (unbedingte) Einheit des denkenden Subiects, die zweite die absolute Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinung, die dritte die absolute Einheit der Bedingung aller Gegenstände des Denkens überhaupt enthält.
Das denkende Subiect ist der Gegenstand der Psychologie, der Inbegriff aller Erscheinungen (die Welt) der Gegenstand der Cosmologie und das Ding, welches die oberste Bedingung der Möglichkeit von allem, was gedacht werden kan, enthält, (das Wesen aller Wesen) der Gegenstand der Theologie. Also giebt die reine Vernunft die Idee zu einer transscendentalen Seelenlehre (psychologia rationalis), zu einer transscendentalen Weltwissenschaft (cosmologia rationalis), endlich auch zu einer transscendentalen| Gotteserkentniß (Theologia transscendentalis) an die Hand. Der blosse Entwurf so gar zu einer sowol als der andern dieser Wissenschaften, schreibt sich gar nicht von dem Verstande her, selbst, wenn er gleich mit dem höchsten logischen Gebrauche der Vernunft, d. i. allen erdenklichen Schlüssen verbunden wäre, um von einem Gegenstande desselben (Erscheinung) zu allen anderen bis in die entlegenste Glieder der empirischen Synthesis fortzuschreiten, sondern ist lediglich ein reines und ächtes Product, oder Problem, der reinen Vernunft.Von diesen transscendentalen Ideen ist eigentlich keine obiective Deduction möglich, so wie wir sie von den Categorien liefern konten. Denn in der That haben sie keine Beziehung auf irgend ein Obiect, was ihnen congruent gegeben werden könte, eben darum, weil sie nur Ideen sind. Aber eine subiective Anleitung derselben aus der Natur unserer Vernunft konten wir unternehmen und die ist im gegenwärtigen Hauptstücke auch geleistet worden.
Man sieht leicht: daß die reine Vernunft nichts anders zur Absicht habe, als die absolute Totalität der Synthesis auf der Seite der Bedingungen (es sey der Inhärenz, oder der Dependenz, oder der Concurrenz) und daß sie mit der absoluten Vollständigkeit von Seiten des Bedingten nichts zu schaffen habe. Denn nur allein iener bedarf sie, um die ganze Reihe der Bedingungen vorauszusetzen, und sie dadurch dem Verstande a priori zu geben. Ist aber eine vollständig (und unbedingt) gegebene Bedingung einmal da, so bedarf es nicht mehr eines Vernunftbegriffs in Ansehung der Fortsetzung der Reihe; denn der Verstand thut ieden Schritt abwerts, von der Bedingung zum Bedingten, von selber. Auf solche Weise dienen die transscendentale Ideen nur zum Aufsteigen in der Reihe der Bedingungen, bis zum Unbedingten, d. i. zu den Principien. In Ansehung des Hinabgehens zum| Bedingten aber, giebt es zwar einen weit erstrekten logischen Gebrauch, den unsere Vernunft von den Verstandesgesetzen macht, aber gar keinen transscendentalen, und, wenn wir uns von der absoluten Totalität einer solchen Synthesis (des progressus) eine Idee machen, z. B. von der ganzen Reihe aller künftigen Weltveränderungen, so ist dieses ein Gedankending (ens rationis), welches nur willkürlich gedacht, und nicht durch die Vernunft nothwendig vorausgesezt wird. Denn zur Möglichkeit des Bedingten wird zwar die Totalität seiner Bedingungen, aber nicht seiner Folgen vorausgesezt. Folglich ist ein solcher Begriff keine transscendentale Idee, mit der wir es doch hier lediglich zu thun haben.
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