Critik der reinen Vernunft (1781)/Des dritten Hauptstücks Siebenter Abschnitt. Critik aller Theologie aus speculativen Principien der Vernunft.

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Critik der reinen Vernunft (1781)
Inhalt
II Transscendentale Methodenlehre »
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Des dritten Hauptstücks
Siebenter Abschnitt.
Critik aller Theologie aus speculativen Principien
der Vernunft.
Wenn ich unter Theologie die Erkentniß des Urwesens verstehe, so ist sie entweder die aus blosser Vernunft (theologia rationalis) oder aus Offenbahrung (revelata). Die erstere denkt sich nun ihren Gegenstand entweder blos durch reine Vernunft, vermittelst lauter transscendentaler Begriffe, (ens originarium, realissimum, ens entium) und heißt die transscendentale Theologie, oder durch einen Begriff, den sie aus der Natur (unserer Seele) entlehnt, als die höchste Intelligenz und müßte die natürliche Theologie heissen. Der, so allein eine transscendentale Theologie einräumt, wird Deist, der, so auch eine natürliche Theologie annimt, Theist genant. Der erstere giebt zu, daß wir allenfals das Daseyn eines Urwesens durch blosse Vernunft erkennen können, aber unser Begriff von ihm blos transscendental sey, nemlich nur als von einem Wesen, das alle Realität hat, die man aber nicht näher bestimmen kan. Der zweite behauptet, die Vernunft sey im Stande, den Gegenstand nach der Analogie mit der Natur näher zu bestimmen, nemlich: als ein Wesen, das durch Verstand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in sich enthalte. Jener stellet sich also unter demselben blos eine Weltursache, (ob durch die| Nothwendigkeit seiner Natur, oder durch Freiheit, bleibt unentschieden), diesen einen Welturheber vor.

 Die transscendentale Theologie ist entweder dieienige, welche das Daseyn des Urwesens von einer Erfahrung überhaupt (ohne über die Welt, wozu sie gehöret, etwas näher zu bestimmen), abzuleiten gedenkt und heißt Cosmotheologie, oder glaubt durch blosse Begriffe, ohne Beihülfe der mindesten Erfahrung, sein Daseyn zu erkennen und wird Ontotheologie genant.

 Die natürliche Theologie schließt auf die Eigenschaften und das Daseyn eines Welturhebers, aus der Beschaffenheit, der Ordnung und Einheit, die in dieser Welt angetroffen wird, in welcher zweierley Caussalität und deren Regel angenommen werden muß, nemlich Natur und Freiheit. Daher steigt sie von dieser Welt zur höchsten Intelligenz auf, entweder als dem Princip aller natürlichen, oder aller sittlichen Ordnung und Vollkommenheit. Im ersteren Falle heißt sie Physicotheologie, im lezten Moraltheologie[1].

 Da man unter dem Begriffe von Gott nicht etwa blos eine blindwirkende ewige Natur, als die Wurzel der Dinge, sondern ein höchstes Wesen, das durch Verstand| und Freiheit der Urheber der Dinge seyn soll, zu verstehen gewohnt ist, und auch dieser Begriff allein uns interessirt, so könte man, nach der Strenge, dem Deisten allen Glauben an Gott absprechen und ihm lediglich die Behauptung eines Urwesens, oder obersten Ursache übrig lassen. Indessen, da niemand darum, weil er etwas sich nicht zu behaupten getraut, beschuldigt werden darf, er wolle es gar läugnen, so ist es gelinder und billiger zu sagen: der Deist glaube einen Gott, der Theist aber einen lebendigen Gott (summam intelligentiam). Jezt wollen wir die mögliche Quellen aller dieser Versuche der Vernunft aufsuchen.
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 Ich begnüge mich hier, die theoretische Erkentniß durch eine solche zu erklären, wodurch ich erkenne, was da ist, die practische aber, dadurch ich mir vorstelle, was da seyn soll. Diesemnach ist der theoretische Gebrauch der Vernunft derienige, durch den ich a priori (als nothwendig) erkenne, daß etwas sey, der practische aber, durch den a priori erkant wird, was geschehen solle. Wenn nun entweder, daß etwas sey, oder geschehen solle, ungezweifelt gewiß, aber doch nur bedingt ist: so kan doch entweder eine gewisse bestimte Bedingung dazu schlechthin nothwendig seyn, oder sie kan nur als beliebig und zufällig vorausgesezt werden. Im ersteren Falle wird die Bedingung postulirt, (per thesin), im zweiten supponirt (per hypothesin). Da es practische Gesetze giebt, die schlechthin nothwendig sind (die moralische), so muß,| wenn diese irgend ein Daseyn, als die Bedingung der Möglichkeit ihrer verbindenden Kraft, nothwendig voraussetzen, dieses Daseyn postulirt werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf diese bestimte Bedingung geht, selbst a priori als schlechterdingsnothwendig erkant wird. Wir werden künftig von den moralischen Gesetzen zeigen: daß sie das Daseyn eines höchsten Wesens nicht blos voraussetzen, sondern auch, da sie in anderweitiger Betrachtung schlechterdings nothwendig sind, es mit Recht, aber freilich nur practisch, postuliren; iezt setzen wir diese Schlußart noch bey Seite.

 Da, wenn blos von dem, was da ist (nicht, was seyn soll), die Rede ist, das Bedingte, welches uns in der Erfahrung gegeben wird, iederzeit auch als zufällig gedacht wird, so kan die zu ihm gehörige Bedingung daraus nicht als schlechthinnothwendig[WS 1] erkant werden, sondern dient nur als eine respectivnothwendige, oder vielmehr nöthige, an sich selbst aber und a priori willkührliche Voraussetzung zum Vernunfterkentniß des Bedingten. Soll also die absolute Nothwendigkeit eines Dinges im theoretischen Erkentnisse erkant werden, so könte dieses allein aus Begriffen a priori geschehen, niemals aber als einer Ursache, in Beziehung auf ein Daseyn, das durch Erfahrung gegeben ist.

 Eine theoretische Erkentniß ist speculativ, wenn sie auf einen Gegenstand, oder solche Begriffe von einem Gegenstande, geht, zu welchem man in keiner Erfahrung gelangen| kan. Sie wird der Naturerkentniß entgegengesezt, welche auf keine andere Gegenstände oder Prädicate derselben geht, als die in einer möglichen Erfahrung gegeben werden können.

 Der Grundsatz: von dem, was geschieht, (dem empirischzufälligen) als Wirkung, auf eine Ursache zu schliessen, ist ein Princip der Naturerkentniß, aber nicht der speculativen. Denn, wenn man von ihm, als einem Grundsatze, der die Bedingung möglicher Erfahrung überhaupt enthält, abstrahirt und, indem man alles Empirische wegläßt, ihn vom Zufälligen überhaupt aussagen will, so bleibt nicht die mindeste Rechtfertigung eines solchen synthetischen Satzes übrig, um daraus zu ersehen, wie ich von etwas, was da ist, zu etwas davon ganz Verschiedenem (genant Ursache) übergehen könne; ia der Begriff einer Ursache verliert eben so, wie des Zufälligen, in solchem blos speculativen Gebrauche, alle Bedeutung, deren obiective Realität sich in concreto begreiflich machen lasse.

 Wenn man nun vom Daseyn der Dinge in der Welt auf ihre Ursache schließt: so gehört dieses nicht zum natürlichen, sondern zum speculativen Vernunftgebrauch; weil iener nicht die Dinge selbst (Substanzen), sondern nur das, was geschieht, also ihre Zustände, als empirisch zufällig, auf irgend eine Ursache bezieht; daß die Substanz selbst (die Materie) dem Daseyn nach zufällig sey, würde ein blos speculatives Vernunfterkentniß seyn| müssen. Wenn aber auch nur von der Form der Welt, der Art ihrer Verbindung und dem Wechsel derselben die Rede wäre, ich wolte aber daraus auf eine Ursache schliessen, die von der Welt gänzlich unterschieden ist, so würde dieses wiederum ein Urtheil der blos speculativen Vernunft seyn; weil der Gegenstand hier gar kein Obiect einer möglichen Erfahrung ist. Aber alsdenn würde der Grundsatz der Caussalität, der nur innerhalb dem Felde der Erfahrungen gilt und ausser demselben ohne Gebrauch, ia selbst ohne Bedeutung ist, von seiner Bestimmung gänzlich abgebracht.
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 Ich behaupte nun: daß alle Versuche eines blos speculativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gänzlich fruchtlos und ihrer inneren Beschaffenheit nach null und nichtig sind, daß aber die Principien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie führen, folglich, wenn man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt, oder zum Leitfaden braucht, es überall keine Theologie der Vernunft geben könne. Denn alle synthetische Grundsätze des Verstandes sind von immanentem Gebrauch: zu der Erkentniß eines höchsten Wesens aber wird ein transscendenter Gebrauch derselben erfodert, wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist. Soll das empirischgültige Gesetz der Caussalität zu dem Urwesen führen, so müßte dieses in die Kette der Gegenstände der Erfahrung mit gehören, alsdenn wäre es aber, wie alle Erscheinungen, selbst wiederum bedingt. Erlaubte man| aber auch den Sprung über die Gränze der Erfahrung hinaus, vermittelst des dynamischen Gesetzes der Beziehung der Wirkungen auf ihre Ursachen: welchen Begriff kan uns dieses Verfahren verschaffen? bey weitem keinen Begriff von einem höchsten Wesen, weil uns Erfahrung niemals die größte aller möglichen Wirkungen (als welche das Zeugniß von ihrer Ursache ablegen soll), darreicht. Soll es uns erlaubt seyn, blos, um in unserer Vernunft nichts Leeres übrig zu lassen, diesen Mangel der völligen Bestimmung durch eine blosse Idee der höchsten Vollkommenheit und ursprünglichen Nothwendigkeit auszufüllen: so kan dieses zwar aus Gunst eingeräumt, aber nicht aus dem Rechte eines unwiderstehlichen Beweises gefodert werden. Der physischtheologische Beweis könte also vielleicht wol anderen Beweisen (wenn solche zu haben sind) Nachdruck geben, indem er Speculation mit Anschauung verknüpft: vor sich selbst aber bereitet er mehr den Verstand zur theologischen Erkentniß vor und giebt ihm dazu eine gerade und natürliche Richtung, als daß er allein das Geschäfte vollenden könte.
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 Man sieht also hieraus wol: daß transscendentale Fragen nur transscendentale Antworten, d. i. aus lauter Begriffen a priori ohne die mindeste empirische Beimischung erlauben. Die Frage ist hier aber offenbar synthetisch und verlangt eine Erweiterung unserer Erkentniß über alle Gränzen der Erfahrung hinaus, nemlich zu dem Daseyn eines Wesens, was unserer blossen Idee entsprechen| soll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kommen kan. Nun ist, nach unseren obigen Beweisen, alle synthetische Erkentnis a priori nur dadurch möglich, daß sie die formale Bedingungen einer möglichen Erfahrung ausdrückt, und alle Grundsätze sind also nur von immanenter Gültigkeit, d. i. sie beziehen sich lediglich auf Gegenstände empirischer Erkentniß, oder Erscheinungen. Also wird auch durch transscendentales Verfahren in Absicht auf die Theologie einer blos speculativen Vernunft nichts ausgerichtet.
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 Wolte man aber lieber alle obige Beweise der Analytik in Zweifel ziehen, als sich die Ueberredung von dem Gewichte der so lange gebrauchten Beweisgründe rauben lassen, so kan man sich doch nicht weigern, der Auffoderung ein Gnüge zu thun, wenn ich verlange: man solle sich wenigstens darüber rechtfertigen, wie und vermittelst welcher Erleuchtung man sich denn getraue, alle mögliche Erfahrung durch die Macht blosser Ideen zu überfliegen. Mit neuen Beweisen, oder ausgebesserter Arbeit alter Beweise, würde ich bitten, mich zu verschonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu wählen hat, indem endlich doch alle blos speculative Beweise auf einen einzigen, nemlich den ontologischen hinauslaufen und ich also eben nicht fürchten darf, sonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatischen Verfechter iener sinnenfreien Vernunft belästigt zu werden, obgleich ich überdem auch, ohne mich darum sehr streitbar zu dünken, die Ausfoderung| nicht ausschlagen will, in iedem Versuche dieser Art den Fehlschluß aufzudecken und dadurch seine Anmassung zu vereiteln: so wird daher doch die Hoffnung besseren Glücks bey denen, welche einmal dogmatischer Ueberredungen gewohnt seyn, niemals völlig aufgehoben und ich halte mich daher an der einzigen billigen Foderung, daß man sich allgemein und aus der Natur des menschlichen Verstandes, samt allen übrigen Erkentnißquellen, darüber rechtfertige, wie man es anfangen wolle, sein Erkentniß ganz und gar a priori zu erweitern und bis dahin zu erstrecken, wo keine mögliche Erfahrung und mithin kein Mittel hinreicht, irgend einem von uns selbst ausgedachten Begriffe seine obiective Realität zu versichern. Wie der Verstand auch zu diesem Begriffe gelanget seyn mag, so kan doch das Daseyn des Gegenstandes desselben nicht analytisch in demselben gefunden werden, weil eben darin die Erkentniß der Existenz des Obiects besteht, daß dieses ausser dem Gedanken an sich selbst gesezt ist. Es ist aber gänzlich unmöglich, aus einem Begriffe von selbst hinaus zu gehen und, ohne daß man der empirischen Verknüpfung folgt, (wodurch aber iederzeit nur Erscheinungen gegeben werden), zu Entdeckung neuer Gegenstände und überschwenglicher Wesen zu gelangen.
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 Ob aber gleich die Vernunft in ihrem blos speculativen Gebrauche zu dieser so grossen Absicht bey weitem nicht zulänglich ist, nemlich zum Daseyn eines obersten Wesens zu gelangen, so hat sie doch darin sehr grossen| Nutzen, die Erkentniß desselben, im Fall sie anders woher geschöpft werden könte, zu berichtigen, mit sich selbst und ieder intelligibelen Absicht einstimmig zu machen, und von allem, was dem Begriffe eines Urwesens zuwider seyn möchte, und aller Beimischung empirischer Einschränkungen zu reinigen.
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 Die transscendentale Theologie bleibt demnach, aller ihrer Unzulänglichkeit ungeachtet, dennoch von wichtigem negativen Gebrauche und ist eine beständige Censur unserer Vernunft, wenn sie blos mit reinen Ideen zu thun hat, die eben darum kein anderes, als transscendentales Richtmaaß zulassen. Denn, wenn einmal, in anderweitiger, vielleicht practischer Beziehung, die Voraussetzung eines höchsten und allgnugsamen Wesens, als oberster Intelligenz, ihre Gültigkeit ohne Widerrede behauptete: so wäre es von der größten Wichtigkeit, diesen Begriff auf seiner transscendentalen Seite, als den Begriff eines nothwendigen und allerrealesten Wesens, genau zu bestimmen und, was der höchsten Realität zuwider ist, was zur blossen Erscheinung (dem Anthropomorphism im weiteren Verstande) gehört, wegzuschaffen und zugleich alle entgegengesezte Behauptungen, sie mögen nun atheistisch, oder deistisch, oder anthropomorphistisch seyn, aus dem Wege zu räumen, welches in einer solchen critischen Behandlung sehr leicht ist, indem dieselben Gründe, durch welche das Unvermögen der menschlichen Vernunft, in Ansehung der Behauptung des Daseyns eines dergleichen| Wesens, vor Augen gelegt wird, nothwendig auch zureichen, um die Untauglichkeit einer ieden Gegenbehauptung zu beweisen. Denn, wo will iemand durch reine Speculation der Vernunft die Einsicht hernehmen: daß es kein höchstes Wesen, als Urgrund von Allem, gebe, oder daß ihm keine von den Eigenschaften zukomme, welche wir, ihren Folgen nach, als analogisch mit den dynamischen Realitäten eines denkenden Wesens, uns vorstellen, oder daß sie, in dem lezteren Falle auch allen Einschränkungen unterworfen seyn müßten, welche die Sinnlichkeit den Intelligenzen, die wir durch Erfahrung kennen, unvermeidlich auferlegt.
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 Das höchste Wesen bleibt also vor den blos speculativen Gebrauch der Vernunft ein blosses, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkentniß schließt und krönet, dessen obiective Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kan und, wenn es eine Moraltheologie geben solte, die diesen Mangel ergänzen kan, so beweiset alsdenn die vorher nur problematische transscendentale Theologie ihre Unentbehrlichkeit, durch Bestimmung ihres Begriffs und unaufhörliche Censur einer durch Sinnlichkeit oft genug getäuschten und mit ihren eigenen Ideen nicht immer einstimmigen Vernunft. Die Nothwendigkeit, die Unendlichkeit, die Einheit, das Daseyn ausser der Welt (nicht als Weltseele), die Ewigkeit, ohne Bedingungen der Zeit, die Allgegenwart, ohne Bedingungen| des Raumes, die Allmacht etc. sind lauter transscendentale Prädicate und daher kan der gereinigte Begriff derselben, den eine iede Theologie so sehr nöthig hat, blos aus der transscendentalen gezogen werden.


Anhang
zur transscendentalen Dialectik.
Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der
reinen Vernunft.

Der Ausgang aller dialectischen Versuche der reinen Vernunft bestätigt nicht allein, was wir schon in der transscendentalen Analytik bewiesen, nemlich, daß alle unsere Schlüsse, die uns über das Feld möglicher Erfahrung hinausführen wollen, trüglich und grundlos seyn, sondern er lehrt uns zugleich dieses besondere: daß die menschliche Vernunft dabey einen natürlichen Hang habe, diese Gränze zu überschreiten, daß transscendentale Ideen ihr eben so natürlich seyn, als dem Verstande die Categorien, obgleich mit dem Unterschiede, daß, so wie die leztere zur Wahrheit, d. i. der Uebereinstimmung unserer Begriffe mit dem Obiecte führen, die erstere einen blossen, aber unwiderstehlichen Schein bewirken, dessen Täuschung man kaum durch die schärfste Critik abhalten kan.

 Alles, was in der Natur unserer Kräfte gegründet ist, muß zweckmässig und mit dem richtigen Gebrauche derselben einstimmig seyn, wenn wir nur einen gewissen| Mißverstand verhüten und die eigentliche Richtung derselben ausfindig machen können. Also werden die transscendentale Ideen allem Vermuthen nach ihren guten und folglich immanenten Gebrauch haben, obgleich, wenn ihre Bedeutung verkant und sie vor Begriffe von wirklichen Dingen genommen werden, sie transscendent in der Anwendung und eben darum trüglich seyn können. Denn nicht die Idee an sich selbst, sondern blos ihr Gebrauch kan, entweder in Ansehung der gesamten möglichen Erfahrung, überfliegend (transscendent), oder einheimisch (immanent) seyn, nachdem man sie entweder gerade zu auf einen ihr vermeintlich entsprechenden Gegenstand, oder nur auf den Verstandesgebrauch überhaupt in Ansehung der Gegenstände, mit welchen er zu thun hat, richtet und alle Fehler der Subreption sind iederzeit einem Mangel der Urtheilskraft, niemals aber dem Verstande oder der Vernunft zuzuschreiben.
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 Die Vernunft bezieht sich niemals gerade zu auf einen Gegenstand, sondern lediglich auf den Verstand und vermittelst desselben auf ihren eigenen empirischen Gebrauch, schaft also keine Begriffe (von Obiecten), sondern ordnet sie nur und giebt ihnen dieienige Einheit, welche sie in ihrer größtmöglichen Ausbreitung haben können, d. i. in Beziehung auf die Totalität der Reihen, als auf welche der Verstand gar nicht sieht, sondern nur auf dieienige Verknüpfung, dadurch allerwerts Reihen der Bedingungen nach Begriffen zu Stande kommen. Die Vernunft hat| also eigentlich nur den Verstand und dessen zweckmässige Anstellung zum Gegenstande und, wie dieser das Mannigfaltige im Obiect durch Begriffe vereinigt, so vereinigt iene ihrer Seits das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen, indem sie eine gewisse collective Einheit zum Ziele der Verstandeshandlungen sezt, welche sonst nur mit der distributiven Einheit beschäftigt sind.
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 Ich behaupte demnach: die transscendentale Ideen sind niemals von constitutivem Gebrauche, so, daß dadurch Begriffe gewisser Gegenstände gegeben würden und in dem Falle, daß man sie so versteht, sind es blos vernünftelnde (dialectische) Begriffe. Dagegen aber haben sie einen vortreflichen und unentbehrlichnothwendigen regulativen Gebrauch, nemlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungslinien aller seiner Regeln in einen Punct zusammen laufen, der, ob er zwar nur eine Idee (focus imaginarius), d. i. ein Punct ist, aus welchem die Verstandesbegriffe wirklich nicht ausgehen, indem er ganz ausserhalb den Gränzen möglicher Erfahrung liegt, dennoch dazu dient, ihnen die größte Einheit neben der größten Ausbreitung zu verschaffen. Nun entspringt uns zwar hieraus die Täuschung, als wenn diese Richtungslinien von einem Gegenstande selbst, der ausser dem Felde empirischmöglicher Erkentniß läge, ausgeschlossen wären (so wie die Obiecte hinter der Spiegelfläche gesehen werden), allein diese Illusion (welche man doch hindern kan, daß sie nicht betriegt) ist gleichwol unentbehrlich| nothwendig, wenn wir ausser den Gegenständen, die uns vor Augen sind, auch dieienige zugleich sehen wollen, die weit davon uns im Rücken liegen, d. i. wenn wir, in unserem Falle, den Verstand über iede gegebene Erfahrung (dem Theile der gesamten möglichen Erfahrung) hinaus, mithin auch zur größtmöglichen und äussersten Erweiterung abrichten wollen.
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 Uebersehen wir unsere Verstandeserkentnisse in ihrem ganzen Umfange, so finden wir, daß dasienige, was Vernunft ganz eigenthümlich darüber verfügt und zu Stande zu bringen sucht, das Systematische der Erkentniß sey, d. i. der Zusammenhang derselben aus einem Princip. Diese Vernunfteinheit sezt iederzeit eine Idee voraus, nemlich die von der Form[WS 2] eines Ganzen der Erkentniß, welches vor der bestimten Erkentniß der Theile vorhergeht und die Bedingungen enthält, iedem Theile seine Stelle und Verhältniß zu den übrigen a priori zu bestimmen. Diese Idee postulirt demnach vollständige Einheit der Verstandeserkentniß, wodurch diese nicht blos ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach nothwendigen Gesetzen zusammenhangendes System wird. Man kan eigentlich nicht sagen: daß diese Idee ein Begriff vom Obiecte sey, sondern von der durchgängigen Einheit dieser Begriffe, so fern dieselbe dem Verstande zur Regel dient. Dergleichen Vernunftbegriffe werden nicht aus der Natur geschöpft, vielmehr befragen wir die Natur nach diesen Ideen und halten unsere Erkentniß vor mangelhaft, so lange sie| denselben nicht adäquat ist. Man gesteht: daß sich schwerlich reine Erde, reines Wasser, reine Luft etc. finde. Gleichwol hat man die Begriffe davon doch nöthig (die also, was die völlige Reinigkeit betrift, nur in der Vernunft ihren Ursprung haben), um den Antheil, den iede dieser Naturursachen an der Erscheinung hat, gehörig zu bestimmen und so bringt man alle Materien auf die Erden (gleichsam die blosse Last), Salze und brennliche Wesen (als die Kraft), endlich auf Wasser und Luft als Vehikeln (gleichsam Maschinen, vermittelst deren die vorige wirken), um, nach der Idee eines Mechanismus, die chemische Wirkungen der Materien unter einander zu erklären. Denn, wiewol man sich nicht wirklich so ausdrückt, so ist doch ein solcher Einfluß der Vernunft auf die Eintheilungen der Naturforscher sehr leicht zu entdecken.
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 Wenn die Vernunft ein Vermögen ist, das Besondere aus dem Allgemeinen abzuleiten, so ist entweder das Allgemeine schon an sich gewiß und gegeben, und alsdenn erfodert es nur Urtheilskraft zur Subsumtion und das Besondere wird dadurch nothwendig bestimt. Dieses will ich den apodictischen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine wird nur problematisch angenommen und ist eine blosse Idee, das Besondere ist gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge ist noch ein Problem, so werden mehrere besondere Fälle, die insgesamt gewiß seyn, an der Regel versucht, ob sie daraus fliessen und in diesem Falle, wenn es den Anschein hat, daß alle| anzugebende besondere Fälle daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus dieser aber nachher auf alle Fälle, die auch an sich nicht gegeben sind, geschlossen. Diesen will ich den hypothetischen Gebrauch der Vernunft nennen.

 Der hypothetische Gebrauch der Vernunft aus zum Grunde gelegten Ideen, als problematischer Begriffe, ist eigentlich nicht constitutiv, nemlich nicht so beschaffen, daß dadurch, wenn man nach aller Strenge urtheilen will, die Wahrheit der allgemeinen Regel, die als Hypothese angenommen worden, folge; denn, wie will man alle mögliche Folgen wissen, die, indem sie aus demselben angenommenen Grundsatze folgen, seine Allgemeinheit beweisen, sondern er ist nur regulativ, um dadurch, so weit als es möglich ist, Einheit in die besondere Erkentnisse zu bringen und die Regel dadurch der Allgemeinheit zu näheren.

 Der hypothetische Vernunftgebrauch geht also auf die systematische Einheit der Verstandeserkentnisse, diese aber ist der Probierstein der Wahrheit der Regeln. Umgekehrt ist die systematische Einheit (als blosse Idee) lediglich nur proiectirte Einheit, die man an sich nicht als gegeben, sondern nur als Problem ansehen muß, welche aber dazu dient, zu dem Mannigfaltigen und besonderen Verstandesgebrauche ein Principium zu finden und diesen dadurch auch über die Fälle, die nicht gegeben sind, zu leiten und zusammenhängend zu machen.

|  Man siehet aber hieraus nur: daß die systematische oder Vernunfteinheit der mannigfaltigen Verstandeserkentniß ein logisches Princip sey, um, da wo der Verstand allein nicht zu Regeln hinlangt, ihm durch Ideen fortzuhelfen und zugleich der Verschiedenheit seiner Regeln Einhelligkeit unter einem Princip (systematische) und dadurch Zusammenhang zu verschaffen, so weit als es sich thun läßt. Ob aber die Beschaffenheit der Gegenstände, oder die Natur des Verstandes, der sie als solche erkent, an sich zur systematischen Einheit bestimt sey und ob man diese a priori, auch ohne Rücksicht auf ein solches Interesse der Vernunft in gewisser Maasse postuliren und also sagen könne: alle mögliche Verstandeserkentnisse (darunter die empirische) haben Vernunfteinheit und stehen unter gemeinschaftlichen Principien, woraus sie, unerachtet ihrer Verschiedenheit, abgeleitet werden können, das würde ein transscendentaler Grundsatz der Vernunft seyn, welcher die systematische Einheit nicht blos subiectiv- und logisch als Methode, sondern obiectivnothwendig machen würde.
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 Wir wollen dieses durch einen Fall des Vernunftgebrauchs erläutern. Unter die verschiedene Arten von Einheit nach Begriffen des Verstandes gehöret auch die der Caussalität einer Substanz, welche Kraft genant wird. Die verschiedene Erscheinungen eben derselben Substanz zeigen beym ersten Anblicke so viel Ungleichartigkeit, daß man daher anfänglich beynahe so vielerley Kräfte derselben annehmen muß, als Wirkungen sich hervorthun, wie in| dem menschlichen Gemüthe die Empfindung, Bewustseyn, Einbildung, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft, Lust, Begierde u. s. w. Anfänglich gebietet eine logische Maxime diese anscheinende Verschiedenheit so viel als möglich dadurch zu verringern, daß man durch Vergleichung die versteckte Identität entdecke und nachsehe, ob nicht Einbildung, mit Bewustseyn verbunden, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft, vielleicht gar Verstand und Vernunft sey. Die Idee einer Grundkraft, von welcher aber die Logik gar nicht ausmittelt, ob es dergleichen gebe, ist wenigstens das Problem einer systematischen Vorstellung der Mannigfaltigkeit von Kräften. Das logische Vernunftprincip erfodert diese Einheit, so weit als möglich zu Stande zu bringen und, ie mehr die Erscheinungen der einen und anderen Kraft unter sich identisch gefunden werden, desto wahrscheinlicher wird es, daß sie nichts, als verschiedene Aeusserungen einer und derselben Kraft seyn, welche (comparativ) ihre Grundkraft heissen kan. Eben so verfährt man mit den übrigen.
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 Die comparativen Grundkräfte müssen wiederum unter einander verglichen werden, um sie dadurch, daß man ihre Einhelligkeit entdeckt, einer einzigen radicalen, d. i. absoluten Grundkraft nahe zu bringen. Diese Vernunfteinheit aber ist blos hypothetisch. Man behauptet nicht, daß eine solche in der That angetroffen werden müsse, sondern, daß man sie zu Gunsten der Vernunft, nemlich zu Errichtung gewisser Principien, vor die mancherley Regeln,| die die Erfahrung an die Hand geben mag, suchen und, wo es sich thun läßt, auf solche Weise systematische Einheit ins Erkentniß bringen müsse.

 Es zeigt sich aber, wenn man auf den transscendentalen Gebrauch des Verstandes Acht hat, daß diese Idee einer Grundkraft überhaupt, nicht blos als Problem zum hypothetischen Gebrauche bestimt sey, sondern obiective Realität vorgebe, dadurch die systematische Einheit der mancherley Kräfte einer Substanz postuliret und ein apodictisches Vernunftprincip errichtet wird. Denn, ohne daß wir einmal die Einhelligkeit der mancherley Kräfte versucht haben, ia selbst wenn es uns nach allen Versuchen mißlingt, sie zu entdecken, setzen wir doch voraus: es werde eine solche anzutreffen seyn und dieses nicht allein, wie in dem angeführten Falle, wegen der Einheit der Substanz, sondern, wo so gar viele, obzwar in gewissem Grade gleichartige, angetroffen werden, wie an der Materie überhaupt, sezt die Vernunft systematische Einheit mannigfaltiger Kräfte voraus, da besondere Naturgesetze unter allgemeineren stehen und die Ersparung der Principien nicht blos ein ökonomischer Grundsatz der Vernunft, sondern inneres Gesetz der Natur wird.

 In der That ist auch nicht abzusehen, wie ein logisches Princip der Vernunfteinheit der Regeln statt finden könne, wenn nicht ein transscendentales vorausgesezt würde, durch welches eine solche systematische Einheit, als den Obiecten selbst anhängend, a priori als nothwendig| angenommen wird. Denn mit welcher Befugniß kan die Vernunft im logischen Gebrauche verlangen, die Mannigfaltigkeit der Kräfte, welche uns die Natur zu erkennen giebt, als eine blos versteckte Einheit zu behandeln und sie aus irgend einer Grundkraft, so viel an ihr ist, abzuleiten, wenn es ihr frey stände zuzugeben, daß es eben so wol möglich sey, alle Kräfte wären ungleichartig, und die systematische Einheit ihrer Ableitung der Natur nicht gemäß: denn alsdenn würde sie gerade wider ihre Bestimmung verfahren, indem sie sich eine Idee zum Ziele sezte, die der Natureinrichtung ganz widerspräche. Auch kan man nicht sagen: sie habe zuvor von der zufälligen Beschaffenheit der Natur diese Einheit nach Principien der Vernunft abgenommen. Denn das Gesetz der Vernunft, sie zu suchen, ist nothwendig, weil wir ohne dasselbe gar keine Vernunft, ohne diese aber keinen zusammenhangenden Verstandesgebrauch und, in dessen Ermangelung, kein zureichendes Merkmal empirischer Wahrheit haben würden und, wir also in Ansehung des lezteren die systematische Einheit der Natur durchaus als obiectivgültig und nothwendig voraussetzen müssen.
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 Wir finden diese transscendentale Voraussetzung auch auf eine bewundernswürdige Weise in den Grundsätzen der Philosophen versteckt, wiewol sie solche darin nicht immer erkant, oder sich selbst gestanden haben. Daß alle Mannigfaltigkeiten einzelner Dinge die Identität der Art nicht ausschließen, daß die mancherley Arten nur als verschiedentliche| Bestimmungen von wenigen Gattungen, diese aber von noch höheren Geschlechtern etc. behandelt werden müssen, daß also eine gewisse systematische Einheit aller möglichen empirischen Begriffe, so fern sie von höheren und allgemeineren abgeleitet werden können, gesucht werden müsse, ist eine Schulregel oder logisches Princip, ohne welches kein Gebrauch der Vernunft statt fände, weil wir nur so fern vom Allgemeinen aufs besondere schliessen können, als allgemeine Eigenschaften der Dinge zum Grunde gelegt werden, unter denen die besondere stehen.
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 Daß aber auch in der Natur eine solche Einhelligkeit angetroffen werde, setzen die Philosophen in der bekanten Schulregel voraus: daß man die Anfänge (Principien) nicht ohne Noth vervielfältigen müsse (entia praeter necessitatem non esse multiplicanda). Dadurch wird gesagt: daß die Natur der Dinge selbst zur Vernunfteinheit Stoff darbiete und die anscheinende unendliche Verschiedenheit dürfe uns nicht abhalten, hinter ihr Einheit der Grundeigenschaften zu vermuthen, von welchen die Mannigfaltigkeit nur durch mehrere Bestimmung abgeleitet werden kan. Dieser Einheit, ob sie gleich eine blosse Idee ist, ist man zu allen Zeiten so eifrig nachgegangen, daß man eher Ursache gefunden, die Begierde nach ihr zu mäßigen, als sie aufzumuntern. Es war schon viel: daß die Scheidekünstler alle Salze auf zwey Hauptgattungen, saure und laugenhafte, zurückführen konten, sie versuchen so gar auch diesen Unterschied blos als eine Varietät,| oder verschiedene Aeusserung eines und desselben Grundstoffs, anzusehen. Die mancherley Arten von Erden (den Stoff der Steine und sogar der Metalle) hat man nach und nach auf drey, endlich auf zwey, zu bringen gesucht; allein damit noch nicht zufrieden, können sie sich des Gedankens nicht entschlagen, hinter diesen Varietäten dennoch eine einzige Gattung, ia wol gar, zu diesen und den Salzen, ein gemeinschaftliches Princip zu vermuthen. Man möchte vielleicht glauben, dieses sey ein blos ökonomischer Handgriff der Vernunft, um sich so viel als möglich Mühe zu ersparen und ein hypothetischer Versuch, der, wenn er gelingt, dem vorausgesezten Erklärungsgrunde eben durch diese Einheit Wahrscheinlichkeit giebt. Allein eine solche selbstsüchtige Absicht ist sehr leicht von der Idee zu unterscheiden, nach welcher iedermann voraussezt: diese Vernunfteinheit sey der Natur selbst angemessen, und daß die Vernunft hier nicht bettele, sondern gebiete, obgleich ohne die Gränzen dieser Einheit bestimmen zu können.
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 Wäre unter den Erscheinungen, die sich uns darbieten, eine so grosse Verschiedenheit, ich will nicht sagen der Form (denn darin mögen sie einander ähnlich seyn), sondern dem Inhalte, d. i. der Mannigfaltigkeit existirender Wesen nach, daß auch der allerschärfste menschliche Verstand durch Vergleichung der einen mit der anderen nicht die mindeste Aehnlichkeit ausfündig machen könte (ein Fall, der sich wol denken läßt), so würde das logische Gesetz der Gattungen ganz und gar nicht statt finden, und es würde| selbst kein Begriff von Gattung, oder irgend ein allgemeiner Begriff, ia so gar kein Verstand statt finden, als der es lediglich mit solchen zu thun hat. Das logische Princip der Gattungen sezt also ein transscendentales voraus, wenn es auf Natur (darunter ich hier nur Gegenstände, die uns gegeben werden, verstehe) angewandt werden soll. Nach demselben wird in dem Mannigfaltigen einer möglichen Erfahrung nothwendig Gleichartigkeit vorausgesezt, (ob wir gleich ihren Grad a priori nicht bestimmen können), weil ohne dieselbe keine empirische Begriffe, mithin keine Erfahrung möglich wäre.
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 Dem logischen Princip der Gattungen, welches Identität postulirt, steht ein anderes, nemlich das der Arten entgegen, welches Mannigfaltigkeit und Verschiedenheiten der Dinge, unerachtet ihrer Uebereinstimmung unter derselben Gattung, bedarf und es dem Verstande zur Vorschrift macht, auf diese nicht weniger als auf iene aufmerksam zu seyn. Dieser Grundsatz (der Scharfsinnigkeit, oder des Unterscheidungsvermögens) schränkt den Leichtsinn des ersteren (des Witzes) sehr ein und die Vernunft zeigt hier ein doppeltes einander widerstreitendes Interesse, einerseits das Interesse des Umfanges (der Allgemeinheit) in Ansehung der Gattungen, andererseits des Inhalts (der Bestimtheit), in Absicht auf die Mannigfaltigkeit der Arten, weil der Verstand im ersteren Falle zwar viel unter seinen Begriffen, im zweiten aber desto mehr in denselben denkt. Auch äussert sich dieses| an der sehr verschiedenen Denkungsart der Naturforscher, deren einige (die vorzüglich speculativ sind), der Ungleichartigkeit gleichsam feind, immer auf die Einheit der Gattung hinaussehen, die andere (vorzüglich empirische Köpfe) die Natur unaufhörlich in so viel Mannigfaltigkeit zu spalten suchen, daß man beinahe die Hoffnung aufgeben müßte, ihre Erscheinungen nach allgemeinen Principien zu beurtheilen.
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 Dieser lezteren Denkungsart liegt offenbar auch ein logisches Princip zum Grunde, welches die systematische Vollständigkeit aller Erkentnisse zur Absicht hat, wenn ich, von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, das darunter enthalten seyn mag, herabsteige, und auf solche Weise dem System Ausbreitung, wie im ersteren Falle, da ich zur Gattung aufsteige, Einfalt zu verschaffen suche. Denn aus der Sphäre des Begriffs, der eine Gattung bezeichnet, ist eben so wenig, wie aus dem Raume, den Materie einnehmen kan, zu ersehen, wie weit die Theilung derselben gehen könne. Daher iede Gattung verschiedene Arten, diese aber verschiedene Unterarten erfodert und, da keine der lezteren statt findet, die nicht immer wiederum eine Sphäre (Umfang als conceptus communis) hätte, so verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweiterung, daß keine Art als die unterste an sich selbst angesehen werde, weil, da sie doch immer ein Begriff ist, der nur das, was verschiedenen Dingen gemein ist, in sich enthält, dieser nicht durchgängig bestimt, mithin auch nicht| zunächst auf ein Individuum bezogen seyn könne, folglich iederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten unter sich enthalten müsse. Dieses Gesetz der Specification könte so ausgedrückt werden: entium varietates non temere esse minuendas.

 Man sieht aber leicht: daß auch dieses logische Gesetz ohne Sinn und Anwendung seyn würde, läge nicht ein transscendentales Gesetz der Specification zum Grunde, welches zwar freilich nicht von den Dingen, die unsere Gegenstände werden können, eine wirkliche Unendlichkeit in Ansehung der Verschiedenheiten fodert, denn dazu giebt das logische Princip, als welches lediglich die Unbestimtheit der logischen Sphäre in Ansehung der möglichen Eintheilung behauptet, keinen Anlaß, aber dennoch dem Verstande auferlegt, unter ieder Art, die uns vorkomt, Unterarten und zu ieder Verschiedenheit kleinere Verschiedenheiten zu suchen. Denn würde es keine niedere Begriffe geben, so gäbe es auch keine höhere. Nun erkent der Verstand alles nur durch Begriffe: folglich, so weit er in der Eintheilung reicht, niemals durch blosse Anschauung, sondern immer wiederum durch niedere Begriffe. Die Erkentniß der Erscheinungen in ihrer durchgängigen Bestimmung (welche nur durch Verstand möglich ist) fodert eine unaufhörlich fortzusetzende Specification seiner Begriffe und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Verschiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch mehr, dem der Gattung, abstrahirt worden.

|  Auch kan dieses Gesetz der Specification nicht von der Erfahrung entlehnt seyn; denn diese kan keine so weit gehende Eröfnungen geben. Die empirische Specification bleibt in der Unterscheidung des Mannigfaltigen bald stehen, wenn sie nicht durch das schon vorhergehende transscendentale[WS 3] Gesetz der Specification, als einem Princip der Vernunft, geleitet worden, solche zu suchen und sie noch immer zu vermuthen, wenn sie sich gleich nicht den Sinnen offenbaret. Daß absorbirende Erden nach verschiedener Art (Kalk- und muriatische Erden) seyn, bedurfte zur Entdeckung eine zuvorkommende Regel der Vernunft, welche dem Verstande es zur Aufgabe machte, die Verschiedenheit zu suchen, indem sie die Natur so reichhaltig voraussetzte, sie zu vermuthen. Denn wir haben eben sowol nur unter Voraussetzung der Verschiedenheiten in der Natur Verstand, als unter der Bedingung, daß ihre Obiecte Gleichartigkeit an sich haben, weil eben die Mannigfaltigkeit desienigen, was unter einem Begriff zusammengefaßt werden kan, den Gebrauch dieses Begriffs und die Beschäftigung des Verstandes ausmacht.
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 Die Vernunft bereitet also dem Verstande sein Feld 1. durch ein Princip der Gleichartigkeit des Mannigfaltigen unter höheren Gattungen, 2. durch einen Grundsatz der Varietät des Gleichartigen unter niederen Arten; und um die systematische Einheit zu vollenden, fügt sie 3. noch ein Gesetz der Affinität aller Begriffe hinzu, welches einen continuirlichen Uebergang von einer ieden| Art zu ieder anderen durch stufenartiges Wachsthum der Verschiedenheit gebietet. Wir können sie die Principien der Homogenität, der Specification und der Continuität der Formen nennen. Das leztere entspringt dadurch: daß man die zwey erstere vereinigt, nachdem man, sowol im Aufsteigen zu höheren Gattungen, als im Herabsteigen zu niederen Arten, den systematischen Zusammenhang in der Idee vollendet hat; denn alsdenn sind alle Mannigfaltigkeiten unter einander verwandt, weil sie insgesamt durch alle Grade der erweiterten Bestimmung von einer einzigen obersten Gattung abstammen.
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 Man kan sich die systematische Einheit unter den drey logischen Principien auf folgende Art sinnlich machen. Man kan einen ieden Begriff als einen Punct ansehen, der, als der Standpunct eines Zuschauers, seinen Horizont hat, d. i. eine Menge von Dingen, die aus demselben können vorgestellet und gleichsam überschauet werden. Innerhalb diesem Horizonte muß eine Menge von Puncten ins Unendliche angegeben werden können, deren ieder wiederum seinen engeren Gesichtskreis hat, d. i. iede Art enthält Unterarten, nach dem Princip der Specification und der logische Horizont besteht nur aus kleineren Horizonten (Unterarten), nicht aber aus Puncten, die keinen Umfang haben (Individuen). Aber zu verschiedenen Horizonten, d. i. Gattungen, die aus eben so viel Begriffen bestimt werden, läßt sich ein gemeinschaftlicher Horizont, daraus man sie insgesamt als aus einem Mittelpunkte überschauet,| gezogen denken, welcher die höhere Gattung ist, bis endlich die höchste Gattung der allgemeine und wahre Horizont ist, der aus dem Standpuncte des höchsten Begriffs bestimt wird und alle Mannigfaltigkeit, als Gattungen, Arten und Unterarten unter sich befaßt.
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 Zu diesem höchsten Standpuncte führt mich das Gesetz der Homogenität, zu allen niedrigen und deren größten Varietät das Gesetz der Specification. Da aber auf solche Weise in dem ganzen Umfange aller möglichen Begriffe nichts leeres ist, und ausser demselben nichts angetroffen werden kan, so entspringt aus der Voraussetzung ienes allgemeinen Gesichtskreises und der durchgängigen Eintheilung desselben der Grundsatz: non datur vacuum formarum, d. i. es giebt nicht verschiedene ursprüngliche und erste Gattungen, die gleichsam isolirt und von einander (durch einen leeren Zwischenraum) getrennet wären, sondern alle mannigfaltige Gattungen sind nur Abtheilungen einer einzigen obersten und allgemeinen Gattung und aus diesem Grundsatze, dessen unmittelbare Folge datur continuum formarum, d. i. alle Verschiedenheiten der Arten gränzen an einander und erlauben keinen Uebergang zu einander durch einen Sprung, sondern nur durch alle kleinere Grade des Unterschiedes, dadurch man von einer zu der anderen gelangen kan, mit einem Worte, es giebt keine Arten oder Unterarten, die einander (im Begriffe der Vernunft) die nächsten wären, sondern es sind noch immer Zwischenarten möglich, deren Unterschied von der ersten| und zweiten kleiner ist, als dieser ihr Unterschied von einander.

 Das erste Gesetz also verhütet die Ausschweifung in die Mannigfaltigkeit verschiedener ursprünglichen Gattungen und empfiehlt die Gleichartigkeit, das zweite schränkt dagegen diese Neigung zur Einhelligkeit wiederum ein und gebietet Unterscheidung der Unterarten, bevor man sich mit seinem allgemeinen Begriffe zu den Individuen wende. Das dritte vereinigt iene beide, indem sie bey der höchsten Mannigfaltigkeit dennoch die Gleichartigkeit durch den stufenartigen Uebergang von einer Species zur anderen vorschreibt, welches eine Art von Verwandschaft der verschiedenen Zweige anzeigt, in so fern sie insgesamt aus einem Stamme entsprossen sind.

 Dieses logische Gesetz des continui specierum (formarum logicarum) sezt aber ein transscendentales voraus, (lex continui in natura), ohne welches der Gebrauch des Verstandes durch iene Vorschrift nur irre geleitet werden würde, indem sie vielleicht einen der Natur gerade entgegengesezten Weg nehmen würde. Es muß also dieses Gesetz auf reinen transscendentalen und nicht empirischen Gründen beruhen. Denn in dem lezteren Falle würde es später kommen, als die Systeme; es hat aber eigentlich das Systematische der Naturerkentniß zuerst hervorgebracht. Es sind hinter diesen Gesetzen auch nicht etwa Absichten auf eine, mit ihnen, als blossen Versuchen, anzustellende Probe verborgen, obwol freilich dieser Zusammenhang,| wo er zutrift, einen mächtigen Grund abgiebt, die hypothetischausgedachte Einheit vor gegründet zu halten und sie also auch in dieser Absicht ihren Nutzen haben, sondern man sieht es ihnen deutlich an: daß sie die Sparsamkeit der Grundursachen, die Mannigfaltigkeit der Wirkungen und eine daherrührende Verwandschaft der Glieder der Natur an sich selbst vor vernunftmäßig und der Natur angemessen urtheilen und diese Grundsätze also direct und nicht blos als Handgriffe der Methode ihre Empfehlung bey sich führen.

 Man siehet aber leicht: daß diese Continuität der Formen eine blosse Idee sey, der ein congruirender Gegenstand in der Erfahrung gar nicht aufgewiesen werden kan, nicht allein um deswillen, weil die Species in der Natur wirklich abgetheilt sind, und daher an sich ein quantum discretum ausmachen müssen und, wenn der stufenartige Fortgang in der Verwandschaft derselben continuirlich wäre, sie auch eine wahre Unendlichkeit der Zwischenglieder, die innerhalb zweer gegebenen Arten lägen, enthalten müßte, welches unmöglich ist: sondern auch, weil wir von diesem Gesetz gar keinen bestimten empirischen Gebrauch machen können, indem dadurch nicht das geringste Merkmal der Affinität angezeigt wird, nach welchem und wie weit wir die Gradfolge ihrer Verschiedenheit zu suchen, sondern nichts weiter, als eine allgemeine Anzeige, daß wir sie zu suchen haben.

|  Wenn wir die iezt angeführten Principien ihrer Ordnung nach versetzen, um sie dem Erfahrungsgebrauch gemäß zu stellen, so würden die Principien der systematischen Einheit etwa so stehen: Mannigfaltigkeit, Verwandschaft und Einheit, iede derselben aber als Ideen im höchsten Grade ihrer Vollständigkeit genommen. Die Vernunft sezt die Verstandeserkentnisse voraus, die zunächst auf Erfahrung angewandt werden, und sucht ihre Einheit nach Ideen, die viel weiter geht, als Erfahrung reichen kan. Die Verwandschaft des Mannigfaltigen, unbeschadet seiner Verschiedenheit, unter einem Princip der Einheit, betrift nicht blos die Dinge, sondern weit mehr noch, die blosse Eigenschaften und Kräfte der Dinge. Daher, wenn uns z. B. durch eine (noch nicht völlig berichtigte) Erfahrung der Lauf der Planeten als Kreisförmig gegeben ist und wir finden Verschiedenheiten, so vermuthen wir sie in demienigen, was den Cirkel nach einem beständigen Gesetze durch alle unendliche Zwischengrade, zu einer dieser abweichenden Umläufe abändern kan, d. i. die Bewegungen der Planeten, die nicht Cirkel sind, werden etwa dessen Eigenschaften mehr oder weniger nahe kommen und fallen auf die Ellipse. Die Cometen zeigen eine noch grössere Verschiedenheit ihrer Bahnen, da sie (so weit Beobachtung reicht) nicht einmal im Kreise zurückkehren, allein wir rathen auf einen parabolischen Lauf, der doch mit der Ellipsis verwandt ist und, wenn die lange Achse der lezteren sehr weit gestreckt ist, in allen unseren| Beobachtungen von ihr nicht unterschieden werden kan. So kommen wir, nach Anleitung iener Principien, auf Einheit der Gattungen dieser Bahnen in ihrer Gestalt, dadurch aber weiter auf Einheit der Ursache aller Gesetze ihrer Bewegung (die Gravitation), von da wir nachher unsere Eroberungen ausdehnen und auch alle Varietäten und scheinbare Abweichungen von ienen Regeln aus demselben Princip zu erklären suchen, endlich gar mehr hinzufügen, als Erfahrung iemals bestätigen kan, nemlich, uns nach den Regeln der Verwandschaft selbst hyperbolische Cometenbahnen zu denken, in welcher diese Cörper ganz und gar unsere Sonnenwelt verlassen und, indem sie von Sonne zu Sonne gehen, die entfernteren Theile eines vor uns unbegränzten Weltsystems, das durch eine und dieselbe bewegende Kraft zusammenhängt, in ihrem Laufe vereinigen.
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 Was bey diesen Principien merkwürdig ist, und uns auch allein beschäftigt, ist dieses: daß sie transscendental zu seyn scheinen und, ob sie gleich blosse Ideen zur Befolgung des empirischen Gebrauchs der Vernunft enthalten, denen der leztere nur gleichsam asymptotisch, d. i. blos annähernd folgen kan, ohne sie iemals zu erreichen, sie gleichwol, als synthetische Sätze a priori, obiective aber unbestimte Gültigkeit haben und zur Regel möglicher Erfahrung dienen, auch wirklich in Bearbeitung derselben, als hevristische Grundsätze, mit gutem Glücke gebraucht werden, ohne daß man doch eine transscendentale Deduction derselben| zu Stande bringen kan, welches, wie oben bewiesen worden, in Ansehung der Ideen iederzeit unmöglich ist.

 Wir haben in der transscendentalen Analytik unter den Grundsätzen des Verstandes die dynamische, als blos regulative Principien der Anschauung, von den mathematischen, die in Ansehung der lezteren constitutiv sind, unterschieden. Diesem ungeachtet sind gedachte dynamische Gesetze allerdings constitutiv in Ansehung der Erfahrung, indem sie die Begriffe, ohne welche keine Erfahrung statt findet, a priori möglich machen. Principien der reinen Vernunft können dagegen nicht einmal in Ansehung der empirischen Begriffe constitutiv seyn, weil ihnen kein correspondirendes Schema der Sinnlichkeit gegeben werden kan und sie also keinen Gegenstand in concreto haben können. Wenn ich nun von einem solchen empirischen Gebrauch derselben, als constitutiver Grundsätze, abgehe, wie will ich ihnen dennoch einen regulativen Gebrauch und mit demselben einige obiective Gültigkeit sichern und was kan derselbe vor Bedeutung haben?

 Der Verstand macht vor die Vernunft eben so einen Gegenstand aus, als die Sinnlichkeit vor den Verstand. Die Einheit aller möglichen empirischen Verstandeshandlungen systematisch zu machen, ist ein Geschäfte der Vernunft, so wie der Verstand das Mannigfaltige der Erscheinungen durch Begriffe verknüpft und unter empirische Gesetze bringt. Die Verstandeshandlungen aber, ohne Schemate der Sinnlichkeit, sind unbestimt; eben so ist die Vernunfteinheit| auch in Ansehung der Bedingungen, unter denen, und des Grades, wie weit, der Verstand seine Begriffe systematisch verbinden soll, an sich selbst unbestimt. Allein, obgleich vor die durchgängige systematische Einheit aller Verstandesbegriffe kein Schema in der Anschauung ausfündig gemacht werden kan, so kan und muß doch ein Analogon eines solchen Schema gegeben werden, welches die Idee des Maximum der Abtheilung und der Vereinigung der Verstandeserkentniß in einem Princip ist. Denn das Grösseste und Absolutvollständige läßt sich bestimt gedenken, weil alle restringirende Bedingungen, welche unbestimte Mannigfaltigkeit geben, weggelassen werden. Also ist die Idee der Vernunft ein Analogon von einem Schema der Sinnlichkeit, aber mit dem Unterschiede, daß die Anwendung der Verstandesbegriffe auf das Schema der Vernunft nicht eben so eine Erkentniß des Gegenstandes selbst ist (wie bey der Anwendung der Categorien auf ihre sinnliche Schemate), sondern nur eine Regel oder Princip der systematischen Einheit alles Verstandesgebrauchs. Da nun ieder Grundsatz, der dem Verstande durchgängige Einheit seines Gebrauchs a priori festsezt, auch, obzwar nur indirect, von dem Gegenstande der Erfahrung gilt: so werden die Grundsätze der reinen Vernunft auch in Ansehung dieses lezteren obiective Realität haben, allein nicht um etwas an ihnen zu bestimmen, sondern nur um das Verfahren anzuzeigen, nach welchem der empirische und bestimte Erfahrungsgebrauch des Verstandes mit sich selbst| durchgängig zusammenstimmend werden kan, dadurch, daß er mit dem Princip der durchgängigen Einheit, so viel als möglich, in Zusammenhang gebracht und davon abgeleitet wird.

 Ich nenne alle subiective Grundsätze, die nicht von der Beschaffenheit des Obiects, sondern dem Interesse der Vernunft, in Ansehung einer gewissen möglichen Vollkommenheit der Erkentniß dieses Obiects, hergenommen sind, Maximen der Vernunft. So giebt es Maximen der speculativen Vernunft, die lediglich auf dem speculativen Interesse derselben beruhen, ob es zwar scheinen mag, sie wären obiective Principien.

 Wenn blos regulative Grundsätze als constitutiv betrachtet werden, so können sie als obiective Principien widerstreitend seyn; betrachtet man sie aber blos als Maximen, so ist kein wahrer Widerstreit, sondern blos ein verschiedenes Interesse der Vernunft, welches die Trennung der Denkungsart verursacht. In der That hat die Vernunft nur ein einiges Interesse und der Streit ihrer Maximen ist nur eine Verschiedenheit und wechselseitige Einschränkung der Methoden, diesem Interesse ein Gnüge zu thun.

 Auf solche Weise vermag bey diesem Vernünftler mehr das Interesse der Mannigfaltigkeit (nach dem Princip der Specification), bey ienem aber das Interesse der Einheit (nach dem Princip der Aggregation). Ein ieder| derselben glaubt sein Urtheil aus der Einsicht des Obiects zu haben und gründet es doch lediglich auf der grösseren oder kleineren Anhänglichkeit an einen von beiden Grundsätzen, deren keine auf obiectiven Gründen beruht, sondern nur auf dem Vernunftinteresse, und die daher besser Maximen als Principien genant werden könten. Wenn ich einsehende Männer mit einander wegen der Characteristik der Menschen, der Thiere oder Pflanzen, ia selbst der Cörper des Mineralreichs im Streite sehe, da die einen z. B. besondere und in der Abstammung gegründete Volkscharactere, oder auch entschiedene und erbliche Unterschiede der Familien, Racen u. s. w. annehmen, andere dagegen ihren Sinn darauf setzen, daß die Natur in diesem Stücke ganz und gar einerley Anlagen gemacht habe und aller Unterschied nur auf äusseren Zufälligkeiten beruhe, so darf ich nur die Beschaffenheit des Gegenstandes in Betrachtung ziehen, um zu begreifen, daß er vor beide viel zu tief verborgen liege, als daß sie aus Einsicht in die Natur des Obiects sprechen könten. Es ist nichts anderes, als das zwiefache Interesse der Vernunft, davon dieser Theil das eine, iener das andere zu Herzen nimt, oder auch affectirt, mithin die Verschiedenheit der Maximen der Naturmannigfaltigkeit, oder der Natureinheit, welche sich gar wol vereinigen lassen, aber so lange sie vor obiective Einsichten gehalten werden, nicht allein Streit, sondern auch Hindernisse veranlassen, welche die Wahrheit lange aufhalten, bis ein Mittel gefunden wird, das| strittige Interesse zu vereinigen und die Vernunft hierüber zufrieden zu stellen.
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 Eben so ist es mit der Behauptung, oder Anfechtung des so berufenen, von Leibnitz in Gang gebrachten und durch Bonnet treflich aufgestutzten Gesetzes der continuirlichen Stufenleiter der Geschöpfe bewandt, welche nichts als eine Befolgung des auf dem Interesse der Vernunft beruhenden Grundsatzes der Affinität ist; denn Beobachtung und Einsicht in die Einrichtung der Natur konte es gar nicht als obiective Behauptung an die Hand geben. Die Sprossen einer solchen Leiter, so wie sie uns Erfahrung angeben kan, stehen viel zu weit aus einander und unsere vermeintlichkleine Unterschiede sind gemeiniglich in der Natur selbst so weite Klüfte, daß auf solche Beobachtungen (vornemlich bey einer grossen Mannigfaltigkeit von Dingen, da es immer leicht seyn muß, gewisse Aehnlichkeiten und Annäherungen zu finden), als Absichten der Natur gar nichts zu rechnen ist. Dagegen ist die Methode, nach einem solchen Princip Ordnung in der Natur aufzusuchen, und die Maxime, eine solche, obzwar unbestimt wo, oder wie weit, in einer Natur überhaupt als gegründet anzusehen, allerdings ein rechtmässiges und trefliches regulatives Princip der Vernunft, welches aber, als ein solches, viel weiter geht, als daß Erfahrung oder Beobachtung ihr gleich kommen könte, doch ohne etwas zu bestimmen, sondern ihr nur zur systematischen Einheit den Weg vorzuzeichnen.


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Von der
Endabsicht der natürlichen Dialectik der
menschlichen Vernunft.

 Die Ideen der reinen Vernunft können nimmermehr an sich selbst dialectisch seyn, sondern ihr blosser Mißbrauch muß es allein machen, daß uns von ihnen ein trüglicher Schein entspringt; denn sie sind uns durch die Natur unserer Vernunft aufgegeben und dieser oberste Gerichtshof aller Rechte und Ansprüche unserer Speculation kan unmöglich selbst ursprüngliche Täuschungen und Blendwerke enthalten. Vermuthlich werden sie also ihre gute und zweckmässige Bestimmung in der Naturanlage unserer Vernunft haben. Der Pöbel der Vernünftler schreit aber, wie gewöhnlich, über Ungereimtheit und Widersprüche und schmähet auf die Regierung, in deren innerste Plane er nicht zu dringen vermag, deren wohlthätigen Einflüssen er auch selbst seine Erhaltung und so gar die Cultur verdanken solte, die ihn in den Stand sezt, sie zu tadeln und zu verurtheilen.

 Man kan sich eines Begriffes a priori mit keiner Sicherheit bedienen, ohne seine transscendentale Deduction zu Stande gebracht zu haben. Die Ideen der reinen Vernunft verstatten zwar keine Deduction von der Art, als die Categorien; sollen sie aber im mindesten einige, wenn auch nur unbestimte, obiective Gültigkeit haben und nicht blos leere Gedankendinge (entia rationis ratiocinantis) vorstellen,| so muß durchaus eine Deduction derselben möglich seyn, gesezt, daß sie auch von derienigen weit abwiche, die man mit den Categorien vornehmen kan. Das ist die Vollendung des critischen Geschäftes der reinen Vernunft und dieses wollen wir iezt übernehmen.
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 Es ist ein grosser Unterschied, ob etwas meiner Vernunft als ein Gegenstand schlechthin, oder nur als ein Gegenstand in der Idee gegeben wird. In dem ersteren Falle gehen meine Begriffe dahin, den Gegenstand zu bestimmen, im zweiten ist es wirklich nur ein Schema, dem direct kein Gegenstand, auch nicht einmal hypothetisch zugegeben wird, sondern welches nur dazu dient, um andere Gegenstände, vermittelst der Beziehung auf diese Idee, nach ihrer systematischen Einheit, mithin indirect uns vorzustellen. So sage ich, der Begriff einer höchsten Intelligenz ist eine blosse Idee, d. i. seine obiective Realität soll nicht darin bestehen, daß er sich gerade zu auf einen Gegenstand bezieht (denn in solcher Bedeutung würden wir seine obiective Gültigkeit nicht rechtfertigen können), sondern er ist nur ein, nach Bedingungen der größten Vernunfteinheit geordnetes Schema, von dem Begriffe eines Dinges überhaupt, welches nur dazu dient, um die größte systematische Einheit im empirischen Gebrauche unserer Vernunft zu erhalten, indem man den Gegenstand der Erfahrung gleichsam von dem eingebildeten Gegenstande dieser Idee, als seinem Grunde, oder Ursache, ableitet. Alsdann heißt es z. B. die Dinge der Welt müssen| so betrachtet werden, als ob sie von einer höchsten Intelligenz ihr Daseyn hätten. Auf solche Weise ist die Idee eigentlich nur ein hevristischer und nicht ostensiver Begriff und zeigt an, nicht wie ein Gegenstand beschaffen ist, sondern wie wir, unter der Leitung desselben, die Beschaffenheit und Verknüpfung der Gegenstände der Erfahrung überhaupt suchen sollen. Wenn man nun zeigen kan, daß, obgleich die dreierley transscendentale Ideen (die psychologische, cosmologische, und theologische) direct auf keinen ihnen correspondirenden Gegenstand und dessen Bestimmung bezogen werden, dennoch alle Regeln des empirischen Gebrauchs der Vernunft unter Voraussetzung eines solchen Gegenstandes in der Idee auf systematische Einheit führen und die Erfahrungserkentniß iederzeit erweitern, niemals aber derselben zuwider seyn können: so ist es eine nothwendige Maxime der Vernunft, nach dergleichen Ideen zu verfahren. Und dieses ist die transscendentale Deduction aller Ideen der speculativen Vernunft, nicht als constitutiver Principien der Erweiterung unserer Erkentniß über mehr Gegenstände, als Erfahrung geben kan, sondern als regulativer Principien der systematischen Einheit des Mannigfaltigen der empirischen Erkentniß überhaupt, welche dadurch in ihren eigenen Gränzen mehr angebauet und berichtigt wird, als es ohne solche Ideen durch den blossen Gebrauch der Verstandesgrundsätze geschehen könte.
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|  Ich will dieses deutlicher machen. Wir wollen den genanten Ideen als Principien zu Folge erstlich (in der Psychologie) alle Erscheinungen, Handlungen und Empfänglichkeit unseres Gemüths an dem Leitfaden der inneren Erfahrung so verknüpfen, als ob dasselbe eine einfache Substanz wäre, die, mit persönlicher Identität, beharrlich (wenigstens im Leben) existirt, indessen daß ihre Zustände, zu welcher die des Cörpers nur als äussere Bedingungen gehören, continuirlich wechseln. Wir müssen zweitens (in der Cosmologie) die Bedingungen, der inneren sowol als der äusseren Naturerscheinungen, in einer solchen nirgend zu vollendenden Untersuchung verfolgen, als ob dieselbe an sich unendlich und ohne ein erstes oder oberstes Glied sey, obgleich wir darum, ausserhalb allen Erscheinungen, die blos intelligibele erste Gründe derselben nicht läugnen, aber sie doch niemals in den Zusammenhang der Naturerklärungen bringen dürfen, weil wir sie gar nicht kennen. Endlich und drittens müssen wir (in Ansehung der Theologie) alles, was nur immer in den Zusammenhang der möglichen Erfahrung gehören mag, so betrachten, als ob diese eine absolute, aber durch und durch abhängige und immer noch innerhalb der Sinnenwelt bedingte Einheit ausmache, doch aber zugleich, als ob der Inbegriff aller Erscheinungen (die Sinnenwelt selbst) einen einzigen obersten und allgnugsamen Grund ausser ihrem Umfange habe, nemlich eine, gleichsam selbständige, ursprüngliche und schöpferische Vernunft, in Beziehung auf welche wir allen| empirischen Gebrauch unserer Vernunft in seiner größten Erweiterung so richten, als ob die Gegenstände selbst aus ienem Urbilde aller Vernunft entsprungen wären, das heißt: nicht von einer einfachen denkenden Substanz die innere Erscheinungen der Seele, sondern nach der Idee eines einfachen Wesens iene von einander ableiten; nicht von einer höchsten Intelligenz die Weltordnung und systematische Einheit derselben ableiten, sondern von der Idee einer höchstweisen Ursache die Regel hernehmen, nach welcher die Vernunft bey der Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen in der Welt zu ihrer eigenen Befriedigung am besten zu brauchen sey.  Nun ist nicht das Mindeste, was uns hindert, diese Ideen auch als obiectiv und hypostatisch anzunehmen, ausser allein die cosmologische, wo die Vernunft auf eine Antinomie stößt, wenn sie solche zu Stande bringen will (die psychologische und theologische enthalten dergleichen gar nicht). Denn, ein Widerspruch ist in ihnen nicht, wie solte uns daher iemand ihre obiective Realität streiten können, da er von ihrer Möglichkeit eben so wenig weis, um sie zu verneinen, als wir, um sie zu beiahen. Gleichwol ists, um etwas anzunehmen, noch nicht gnug, daß keine positive Hinderniß dawider ist, und es kan uns nicht erlaubt seyn, Gedankenwesen, welche alle unsere Begriffe übersteigen, obgleich keinem widersprechen, auf den blossen Credit der, ihr Geschäfte gern vollendenden speculativen Vernunft, als wirkliche und bestimte Gegenstände einzuführen.| Also sollen sie an sich selbst nicht angenommen werden, sondern nur ihre Realität, als eines Schema des regulativen Princips der systematischen Einheit aller Naturerkentniß, gelten, mithin sollen sie nur als Analoga von wirklichen Dingen, aber nicht als solche an sich selbst zum Grunde gelegt werden. Wir heben von dem Gegenstande der Idee die Bedingungen auf, welche unseren Verstandesbegriff einschränken, die aber es auch allein möglich machen, daß wir von irgend einem Dinge einen bestimten Begriff haben können. Und nun denken wir uns ein Etwas, wovon wir, was es an sich selbst sey, gar keinen Begriff haben, aber wovon wir uns doch ein Verhältniß zu dem Inbegriffe der Erscheinungen denken, das demienigen analogisch ist, welches die Erscheinungen unter einander haben.
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 Wenn wir demnach solche idealische Wesen annehmen, so erweiteren wir eigentlich nicht unsere Erkentniß über die Obiecte möglicher Erfahrung, sondern nur die empirische Einheit der lezteren, durch die systematische Einheit, wozu uns die Idee das Schema giebt, welche mithin nicht als constitutives, sondern blos als regulatives Princip gilt. Denn, daß wir ein der Idee correspondirendes Ding, ein Etwas, oder wirkliches Wesen setzen, dadurch ist nicht gesagt: wir wolten unsere Erkentniß der Dinge mit transscendenten Begriffen erweitern; denn dieses Wesen wird nur in der Idee und nicht an sich selbst zum Grunde gelegt, mithin nur um die systematische Einheit| auszudrücken, die uns zur Richtschnur des empirischen Gebrauchs der Vernunft dienen soll, ohne doch etwas darüber auszumachen, was der Grund dieser Einheit, oder die innere Eigenschaft eines solchen Wesens sey, auf welchem, als Ursache, sie beruhe.

 So ist der transscendentale und einzige bestimte Begriff, den uns die blos speculative Vernunft von Gott giebt, im genauesten Verstande deistisch, d. i. die Vernunft giebt nicht einmal die obiective Gültigkeit eines solchen Begriffs, sondern nur die Idee von Etwas an die Hand, worauf alle empirische Realität ihre höchste und nothwendige Einheit gründet und welches wir uns nicht anders, als nach der Analogie einer wirklichen Substanz, welche nach Vernunftgesetzen die Ursache aller Dinge sey, denken können, wofern wir es ia unternehmen, es überall als einen besonderen Gegenstand zu denken und nicht lieber, mit der blossen Idee des regulativen Princips der Vernunft zufrieden, die Vollendung aller Bedingungen des Denkens, als überschwenglich vor den menschlichen Verstand, bey Seite setzen wollen, welches aber mit der Absicht einer vollkommenen systematischen Einheit in unserem Erkentniß, der wenigstens die Vernunft keine Schranken sezt, nicht zusammen bestehen kan.

 Daher geschiehts nun, daß, wenn ich ein göttliches Wesen annehme, ich zwar, weder von der inneren Möglichkeit seiner höchsten Vollkommenheit, noch der Nothwendigkeit seines Daseyns, den mindesten Begriff habe,| aber alsdenn doch allen anderen Fragen, die das Zufällige betreffen, ein Gnüge thun kan und der Vernunft die vollkommenste Befriedigung in Ansehung der nachzuforschenden größten Einheit in ihrem empirischen Gebrauche, aber nicht in Ansehung dieser Voraussetzung selbst, verschaffen kan, welches beweiset: daß ihr speculatives Interesse und nicht ihre Einsicht sie berechtige, von einem Puncte, der so weit über ihrer Sphäre liegt, auszugehen, um daraus ihre Gegenstände in einem vollständigen Ganzen zu betrachten.
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 Hier zeigt sich nun ein Unterschied der Denkungsart, bey einer und derselben Voraussetzung, der ziemlich subtil, aber gleichwol in der Transscendentalphilosophie von grosser Wichtigkeit ist. Ich kan gnugsamen Grund haben, etwas relativ anzunehmen, (suppositio relativa), ohne doch befugt zu seyn, es schlechthin anzunehmen (suppositio absoluta). Diese Unterscheidung trift zu, wenn es blos um ein regulatives Princip zu thun ist, wovon wir zwar die Nothwendigkeit an sich selbst, aber nicht den Quell derselben erkennen und dazu wir einen obersten Grund blos in der Absicht annehmen, um desto bestimter die Allgemeinheit des Princips zu denken, als z. B. wenn ich mir ein Wesen als existirend denke, das einer blossen und zwar transscendentalen Idee correspondirt. Denn, da kan ich das Daseyn dieses Dinges niemals an sich selbst annehmen, weil keine Begriffe, dadurch ich mir irgend| einen Gegenstand bestimt denken kan, dazu gelangen und die Bedingungen der obiectiven Gültigkeit meiner Begriffe durch die Idee selbst ausgeschlossen seyn. Die Begriffe der Realität, der Substanz, der Caussalität selbst, die der Nothwendigkeit im Daseyn, haben, ausser dem Gebrauche, da sie die empirische Erkentniß eines Gegenstandes möglich machen, gar keine Bedeutung, die irgend ein Obiect bestimmete. Sie können also zwar zu Erklärung der Möglichkeit der Dinge in der Sinnenwelt, aber nicht der Möglichkeit eines Weltganzen selbst gebraucht werden, weil dieser Erklärungsgrund ausserhalb der Welt und mithin kein Gegenstand einer möglichen Erfahrung seyn müßte. Nun kan ich gleichwol ein solches unbegreifliches Wesen, den Gegenstand einer blossen Idee, relativ auf die Sinnenwelt, obgleich nicht an sich selbst, annehmen. Denn, wenn dem größtmöglichen empirischen Gebrauche meiner Vernunft eine Idee (der systematischvollständigen Einheit, von der ich bald bestimter reden werde) zum Grunde liegt, die an sich selbst niemals adäquat in der Erfahrung kan dargestellet werden, ob sie gleich, um die empirische Einheit dem höchstmöglichen Grade zu nähern, unumgänglich nothwendig ist, so werde ich nicht allein befugt, sondern auch genöthigt seyn, diese Idee zu realisiren, d. i. ihr einen wirklichen Gegenstand zu setzen, aber nur als ein Etwas überhaupt, das ich an sich selbst gar nicht kenne und dem ich nur, als einem Grunde iener systematischen Einheit, in Beziehung auf diese leztere solche Eigenschaften gebe,| als den Verstandesbegriffen im empirischen Gebrauche analogisch sind. Ich werde mir also nach der Analogie der Realitäten in der Welt, der Substanzen, der Caussalität und der Nothwendigkeit, ein Wesen denken, das alles dieses in der höchsten Vollkommenheit besizt und, indem diese Idee blos auf meiner Vernunft beruht, dieses Wesen als selbstständige Vernunft, was durch Ideen der größten Harmonie und Einheit, Ursache vom Weltganzen ist, denken können, so daß ich alle, die Idee einschränkende, Bedingungen weglasse, lediglich um, unter dem Schutze eines solchen Urgrundes, systematische Einheit des Mannigfaltigen im Weltganzen und, vermittelst derselben, den größtmöglichen empirischen Vernunftgebrauch möglich zu machen, indem ich alle Verbindungen so ansehe, als ob sie Anordnungen einer höchsten Vernunft wären, von der die unsrige ein schwaches Nachbild ist. Ich denke mir alsdenn dieses höchste Wesen durch lauter Begriffe, die eigentlich nur in der Sinnenwelt ihre Anwendung haben, da ich aber auch iene transscendentale Voraussetzung zu keinem anderen als relativen Gebrauch habe, nemlich, daß sie das Substratum der größtmöglichen Erfahrungseinheit abgeben solle, so darf ich ein Wesen, das ich von der Welt unterscheide, ganz wol durch Eigenschaften denken, die lediglich zur Sinnenwelt gehören. Denn ich verlange keinesweges und bin auch nicht befugt, es zu verlangen, diesen Gegenstand meiner Idee, nach dem, was er an sich seyn mag, zu erkennen; denn dazu habe ich keine Begriffe| und selbst die Begriffe von Realität, Substanz, Caussalität, ia so gar der Nothwendigkeit im Daseyn verlieren alle Bedeutung und sind leere Titel zu Begriffen, ohne allen Inhalt, wenn ich mich ausser dem Felde der Sinne damit hinauswage. Ich denke mir nur die Relation eines mir an sich ganz unbekanten Wesens zur größten systematischen Einheit des Weltganzen, lediglich um es zum Schema des regulativen Princips des größtmöglichen empirischen Gebrauchs meiner Vernunft zu machen.

 Werfen wir unseren Blick nun auf den transscendentalen Gegenstand unserer Idee, so sehen wir: daß wir seine Wirklichkeit nach den Begriffen von Realität, Substanz, Caussalität etc. an sich selbst nicht voraussetzen können, weil diese Begriffe auf etwas, das von der Sinnenwelt ganz unterschieden ist, nicht die mindeste Anwendung haben. Also ist die Supposition der Vernunft von einem höchsten Wesen, als oberster Ursache, blos relativ, zum Behuf der systematischen Einheit der Sinnenwelt gedacht und ein blosses Etwas in der Idee, wovon wir, was es an sich sey, keinen Begriff haben. Hiedurch erklärt sich auch: woher wir zwar in Beziehung auf das, was existirend den Sinnen gegeben ist, der Idee eines an sich nothwendigen Urwesens bedürfen, niemals aber von diesem und seiner absoluten Nothwendigkeit den mindesten Begriff haben können.

 Nunmehr können wir das Resultat der ganzen transscendentalen Dialectik deutlich vor Augen stellen und die| Endabsicht der Ideen der reinen Vernunft, die nur durch Mißverstand und Unbehutsamkeit dialectisch werden, genau bestimmen. Die reine Vernunft ist in der That mit nichts, als sich selbst beschäftigt und kan auch kein anderes Geschäfte haben, weil ihr nicht die Gegenstände zur Einheit des Erfahrungsbegriffs, sondern die Verstandeserkentnisse zur Einheit des Vernunftbegriffs, d. i. des Zusammenhanges in einem Princip gegeben werden. Die Vernunfteinheit ist die Einheit des Systems, und diese systematische Einheit dient der Vernunft nicht obiectiv zu einem Grundsatze, um sie über die Gegenstände, sondern subiectiv als Maxime, um sie über alles mögliche empirische Erkentniß der Gegenstände zu verbreiten. Gleichwol befördert der systematische Zusammenhang, den die Vernunft dem empirischen Verstandesgebrauche geben kan, nicht allein dessen Ausbreitung, sondern bewährt auch zugleich die Richtigkeit desselben und das Principium einer solchen systematischen Einheit ist auch obiectiv, aber auf unbestimte Art (principium vagum) nicht als constitutives Princip, um etwas in Ansehung seines directen Gegenstandes zu bestimmen, sondern um, als blos regulativer Grundsatz und Maxime, den empirischen Gebrauch der Vernunft durch Eröfnung neuer Wege, die der Verstand nicht kent, ins Unendliche (Unbestimte) zu befördern und zu befestigen, ohne dabey iemals den Gesetzen des empirischen Gebrauchs im Mindesten zuwider zu seyn.
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|  Die Vernunft kan aber diese systematische Einheit nicht anders denken, als daß sie ihrer Idee zugleich einen Gegenstand giebt, der aber durch keine Erfahrung gegeben werden kan, denn Erfahrung giebt niemals ein Beispiel vollkommener systematischer Einheit. Dieses Vernunftwesen (ens rationis ratiocinatae) ist nun zwar eine blosse Idee und wird also nicht schlechthin und an sich selbst als etwas Wirkliches angenommen, sondern nur problematisch zum Grunde gelegt (weil wir es durch keine Verstandesbegriffe erreichen können), um alle Verknüpfung der Dinge der Sinnenwelt so anzusehen, als ob sie in diesem Vernunftwesen ihren Grund hätten, lediglich aber in der Absicht, um darauf die systematische Einheit zu gründen, die der Vernunft unentbehrlich, der empirischen Verstandeserkentniß aber auf alle Weise beförderlich und ihr gleichwol niemals hinderlich seyn kan.
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 Man verkennet sogleich die Bedeutung dieser Idee, wenn man sie vor die Behauptung, oder auch nur die Voraussetzung einer wirklichen Sache hält, welcher man den Grund der systematischen Weltverfassung zuzuschreiben gedächte; vielmehr läßt man es gänzlich unausgemacht, was der, unseren Begriffen sich entziehende Grund derselben an sich vor Beschaffenheit habe und setzet sich nur eine Idee zum Gesichtspuncte, aus welchem einzig und allein man iene, der Vernunft so wesentliche und dem Verstande so heilsame, Einheit verbreiten kan, mit einem Worte:| dieses transscendentale[WS 4] Ding ist blos das Schema ienes regulativen Princips, wodurch die Vernunft, so viel an ihr ist, systematische Einheit über alle Erfahrung verbreitet.
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 Das erste Obiect einer solchen Idee bin ich selbst, blos als denkende Natur (Seele) betrachtet. Will ich die Eigenschaften, mit denen ein denkend Wesen an sich existirt, aufsuchen, so muß ich die Erfahrung befragen und selbst von allen Categorien kan ich keine auf diesen Gegenstand anwenden, als in so fern das Schema derselben in der sinnlichen Anschauung gegeben ist. Hiemit gelange ich aber niemals zu einer systematischen Einheit aller Erscheinungen des inneren Sinnes. Statt[WS 5] des Erfahrungsbegriffs also (von dem, was die Seele wirklich ist), der uns nicht weit führen kan, nimt die Vernunft den Begriff der empirischen Einheit alles Denkens und macht dadurch, daß sie diese Einheit unbedingt und ursprünglich denkt, aus demselben einen Vernunftbegriff (Idee) von einer einfachen Substanz, die an sich selbst unwandelbar (persönlich identisch), mit andern wirklichen Dingen ausser ihr in Gemeinschaft stehe, mit einem Worte: von einer einfachen selbstständigen Intelligenz. Hiebey aber hat sie nichts anders vor Augen, als Principien der systematischen Einheit in Erklärung der Erscheinungen der Seele, nemlich: alle Bestimmungen, als in einem einigen Subiecte, alle Kräfte, so viel möglich, als abgeleitet von einer einigen Grundkraft, allen Wechsel, als gehörig zu den Zuständen| eines und desselben beharrlichen Wesens zu betrachten, und alle Erscheinungen im Raume, als von den Handlungen des Denkens ganz unterschieden vorzustellen. Jene Einfachheit der Substanz etc. solte nur das Schema zu diesem regulativen Princip seyn und wird nicht vorausgesezt, als sey sie der wirkliche Grund der Seeleneigenschaften. Denn diese können auch auf ganz anderen Gründen beruhen, die wir gar nicht kennen, wie wir denn die Seele auch durch diese angenommene Prädicate eigentlich nicht an sich selbst erkennen könten, wenn wir sie gleich von ihr schlechthin wolten gelten lassen, indem sie eine blosse Idee ausmachen, die in concreto gar nicht vorgestellet werden kan. Aus einer solchen psychologischen Idee kan nun nichts anders als Vortheil entspringen, wenn man sich nur hütet, sie vor etwas mehr als blosse Idee, d. i. blos relativisch auf den systematischen Vernunftsgebrauch in Ansehung der Erscheinungen unserer Seele, gelten zu lassen. Denn, da mengen sich keine empirische Gesetze körperlicher Erscheinungen, die ganz von anderer Art seyn, in die Erklärungen dessen, was blos vor den inneren Sinn gehöret, da werden keine windige Hypothesen, von Erzeugung, Zerstöhrung und Palingenesie der Seelen etc. zugelassen, also die Betrachtung dieses Gegenstandes des inneren Sinnes ganz rein und unvermengt mit ungleichartigen Eigenschaften angestellet, überdem die Vernunftuntersuchung darauf gerichtet, die Erklärungsgründe in diesem Subiecte, so weit es möglich ist, auf ein einziges Princip hinaus zu| führen, welches alles durch ein solches Schema, als ob es ein wirkliches Wesen wäre, am besten, ia so gar einzig und allein, bewirkt wird. Die psychologische Idee kan auch nichts andres als das Schema eines regulativen Begriffs bedeuten. Denn wolte ich auch nur fragen: ob die Seele nicht an sich geistiger Natur sey, so hätte diese Frage gar keinen Sinn. Denn durch einen solchen Begriff nehme ich nicht blos die körperliche Natur, sondern überhaupt alle Natur weg, d. i. alle Prädicate irgend einer möglichen Erfahrung, mithin alle Bedingungen zu einem solchen Begriffe einen Gegenstand zu denken, als welches doch einzig und allein es macht, daß man sagt, er habe einen Sinn.
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 Die zweite regulative Idee der blos speculativen Vernunft ist der Weltbegriff überhaupt. Denn Natur ist eigentlich nur das einzige gegebene Obiect, in Ansehung dessen die Vernunft regulative Principien bedarf. Diese Natur ist zwiefach, entweder die denkende, oder die körperliche Natur. Allein zu der lezteren, um sie ihrer inneren Möglichkeit nach zu denken, d. i. die Anwendung der Categorien auf dieselbe zu bestimmen, bedürfen wir keiner Idee, d. i. einer die Erfahrung übersteigenden Vorstellung; es ist auch keine in Ansehung derselben möglich, weil wir darin blos durch sinnliche Anschauung geleitet werden und nicht, wie in dem psychologischen Grundbegriffe (Ich), welcher eine gewisse Form des Denkens, nemlich die Einheit desselben, a priori enthält. Also bleibt uns vor die| reine Vernunft nichts übrig, als Natur überhaupt, und die Vollständigkeit der Bedingungen in derselben nach irgend einem Princip. Die absolute Totalität der Reihen dieser Bedingungen, in der Ableitung ihrer Glieder, ist eine Idee, die zwar im empirischen Gebrauche der Vernunft niemals völlig zu Stande kommen kan, aber doch zur Regel dient, wie wir in Ansehung derselben verfahren sollen, nemlich in der Erklärung gegebener Erscheinungen (im Zurückgehen oder Aufsteigen) so, als ob die Reihe an sich unendlich wäre, d. i. in indefinitum, aber wo die Vernunft selbst als bestimmende Ursache betrachtet wird (in der Freiheit), also bey practischen Principien, als ob wir nicht ein Obiect der Sinne, sondern des reinen Verstandes vor uns hätten, wo die Bedingungen nicht mehr in der Reihe der Erscheinungen, sondern ausser derselben gesezt werden können und die Reihe der Zustände angesehen werden kan, als ob sie schlechthin (durch eine intelligibele Ursache) angefangen würde, welches alles beweiset: daß die cosmologische Ideen nichts als regulative Principien und weit davon entfernt sind, gleichsam constitutiv, eine wirkliche Totalität solcher Reihen zu setzen. Das übrige kan man an seinem Orte unter der Antinomie der reinen Vernunft suchen.
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 Die dritte Idee der reinen Vernunft, welche eine blos relative Supposition eines Wesens enthält, als der einigen und allgnugsamen Ursache aller cosmologischen Reihen, ist der Vernunftbegriff von Gott. Den Gegenstand| dieser Idee, haben wir nicht den mindesten Grund, schlechthin anzunehmen (an sich zu supponiren); denn was kan uns wol dazu vermögen, oder auch nur berechtigen, ein Wesen von der höchsten Vollkommenheit, und als seiner Natur nach schlechthin nothwendig, aus dessen blossem Begriffe an sich selbst zu glauben, oder zu behaupten, wäre es nicht die Welt, in Beziehung auf welche diese Supposition allein nothwendig seyn kan, und da zeigt es sich klar: daß die Idee desselben, so wie alle speculative Ideen, nichts weiter sagen wolle, als daß die Vernunft gebiete, alle Verknüpfung der Welt nach Principien einer systematischen Einheit zu betrachten, mithin als ob sie insgesamt aus einem einzigen allbefassenden Wesen, als oberster und allgnugsamer Ursache, entsprungen wären. Hieraus ist klar: daß die Vernunft hiebey nichts als ihre eigene formale Regel in Erweiterung ihres empirischen Gebrauchs zur Absicht haben könne, niemals aber eine Erweiterung über alle Gränzen des empirischen Gebrauchs, folglich unter dieser Idee kein constitutives Princip ihres auf mögliche Erfahrung gerichteten Gebrauchs verborgen liege.
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 Die höchste formale Einheit, welche allein auf Vernunftbegriffen beruht, ist die zweckmässige Einheit der Dinge, und das speculative Interesse der Vernunft macht es nothwendig, alle Anordnung in der Welt so anzusehen, als ob sie aus der Absicht einer allerhöchsten Vernunft entsprossen wäre. Ein solches Princip eröfnet nemlich unserer| auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Aussichten nach teleologischen[WS 6] Gesetzen die Dinge der Welt zu verknüpfen, und dadurch zu der größten systematischen Einheit derselben zu gelangen. Die Voraussetzung einer obersten Intelligenz, als der alleinigen Ursache des Weltganzen, aber freilich blos in der Idee, kan also iederzeit der Vernunft nutzen und dabey doch niemals schaden. Denn, wenn wir in Ansehung der Figur der Erde (der runden doch etwas abgeplatteten[2], der Gebirge und Meere etc. lauter weise Absichten eines Urhebers zum voraus annehmen, so können wir auf diesem Wege eine Menge von Entdeckungen machen. Bleiben wir nur bey dieser Voraussetzung, als einem blos regulativen Princip, so kan selbst der Irrthum uns nicht schaden. Denn es kan allenfalls daraus nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen teleologischen Zusammenhang (nexus finalis) erwarteten, ein blos mechanischer oder physischer (nexus effectiuus)| angetroffen werde, wodurch wir, in einem solchen Falle, nur eine Einheit mehr vermissen, aber nicht die Vernunfteinheit in ihrem empirischen Gebrauche verderben. Aber so gar dieser Querstrich kan das Gesetz selbst in allgemeiner und teleologischer Absicht überhaupt nicht treffen. Denn, ob zwar ein Zergliederer eines Irrthumes überführt werden kan, wenn er irgend ein Gliedmaas eines thierischen Cörpers auf einen Zweck bezieht, von welchem man deutlich zeigen kan, daß er daraus nicht erfolge: so ist es doch gänzlich unmöglich, in einem Falle zu beweisen, daß eine Natureinrichtung, es mag seyn welche da wolle, ganz und gar keinen Zweck habe. Daher erweitert auch die Physiologie (der Aerzte) ihre sehr eingeschränkte empirische Kentniß von den Zwecken des Gliederbaues eines organischen Cörpers durch einen Grundsatz, welchen blos reine Vernunft eingab, so weit, daß man darin ganz dreust und zugleich mit aller Verständigen Einstimmung annimt, es habe alles an dem Thiere seinen Nutzen und gute Absicht, welche Voraussetzung, wenn sie constitutiv seyn solte, viel weiter geht, als uns bisherige Beobachtung berechtigen kan, woraus denn zu ersehen ist: daß sie nichts als ein regulatives Princip der Vernunft sey, um zur höchsten systematischen Einheit, vermittelst der Idee der zweckmässigen Caussalität der obersten Weltursache und, als ob diese, als höchste Intelligenz nach der weisesten Absicht die Ursache von allem sey, zu gelangen.
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|  Gehen wir aber von dieser Restriction der Idee auf den blos regulativen Gebrauch ab, so wird die Vernunft auf so mancherley Weise irre geführt, indem sie alsdenn den Boden der Erfahrung, der doch die Merkzeichen ihres Ganges enthalten muß, verläßt, und sich über denselben zu dem Unbegreiflichen und unerforschlichen hinwagt, über dessen Höhe sie nothwendig schwindlicht wird, weil sie sich aus dem Standpuncte desselben von allem mit der Erfahrung stimmigen Gebrauch gänzlich abgeschnitten sieht.
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 Der erste Fehler, der daraus entspringt, daß man die Idee eines höchsten Wesens nicht blos regulativ, sondern (welches der Natur einer Idee zuwider ist) constitutiv braucht, ist die faule Vernunft (ignaua ratio[3]). Man kan ieden Grundsatz so nennen, welcher macht, daß man seine Naturuntersuchung, wo es auch sey, vor| schlechthin vollendet ansieht und die Vernunft sich also zur Ruhe begiebt, als ob sie ihr Geschäfte völlig ausgerichtet habe. Daher selbst die psychologische Idee, wenn sie als ein constitutives Princip vor die Erklärung der Erscheinungen unserer Seele, und hernach gar, zur Erweiterung unserer Erkentniß dieses Subiects, noch über alle Erfahrung hinaus (ihren Zustand nach dem Tode) gebraucht wird, es der Vernunft zwar sehr bequem macht, aber auch allen Naturgebrauch derselben nach der Leitung der Erfahrungen ganz verdirbt und zu Grunde richtet. So erklärt der dogmatische Spiritualist die durch allen Wechsel der Zustände unverändert bestehende Einheit der Person aus der Einheit der denkenden Substanz, die er in dem Ich unmittelbar wahrzunehmen glaubt, das Interesse, was wir an Dingen nehmen, die sich allererst nach unserem Tode zutragen sollen, aus dem Bewustseyn der immateriellen Natur unseres denkenden Subiects etc. und überhebt sich aller Naturuntersuchung der Ursache dieser unserer inneren Erscheinungen aus physischen Erklärungsgründen, indem er gleichsam durch den Machtspruch einer transscendenten Vernunft die immanente Erkentnißquellen der Erfahrung, zum Behuf seiner Gemächlichkeit, aber mit Einbusse aller Einsicht, vorbey geht. Noch deutlicher fällt diese nachtheilige Folge bey dem Dogmatism unserer Idee von einer höchsten Intelligenz und dem darauf fälschlich gegründeten theologischen System der Natur (Physicotheologie)| in die Augen. Denn da dienen alle sich in der Natur zeigende, oft nur von uns selbst dazu gemachte Zwecke dazu, es uns in der Erforschung der Ursachen recht bequem zu machen, nemlich, anstatt sie in den allgemeinen Gesetzen des Mechanismus der Materie zu suchen, sich geradezu auf den unerforschlichen Rathschluß der höchsten Weisheit zu berufen, und die Vernunftbemühung alsdenn vor vollendet anzusehen, wenn man sich ihres Gebrauchs überhebt, der doch nirgend einen Leitfaden findet, als wo ihn uns die Ordnung der Natur und die Reihe der Veränderungen, nach ihren inneren und allgemeinern Gesetzen, an die Hand giebt. Dieser Fehler kan vermieden werden, wenn wir nicht blos einige Naturstücke, als z. B. die Vertheilung des festen Landes, das Bauwerk desselben und die Beschaffenheit und Lage der Gebirge, oder wol gar nur die Organisation im Gewächs- und Thierreiche aus dem Gesichtspuncte der Zwecke betrachten, sondern diese systematische Einheit der Natur, in Beziehung auf die Idee einer höchsten Intelligenz, ganz allgemein machen. Denn alsdenn legen wir eine Zweckmässigkeit nach allgemeinen Gesetzen der Natur zum Grunde, von denen keine besondere Einrichtung ausgenommen, sondern nur mehr oder weniger kentlich vor uns ausgezeichnet worden, und haben ein regulatives Princip der systematischen Einheit einer teleologischen Verknüpfung, die wir aber nicht zum voraus bestimmen, sondern nur in Erwartung derselben| die physischmechanische Verknüpfung nach allgemeinen Gesetzen verfolgen dürfen. Denn so allein kan das Princip der zweckmässigen Einheit den Vernunftgebrauch in Ansehung der Erfahrung iederzeit erweitern, ohne ihm in irgend einem Falle Abbruch zu thun.
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 Der zweite Fehler, der aus der Mißdeutung des gedachten Princips der systematischen Einheit entspringt, ist der der verkehrten Vernunft (peruersa ratio, ὕστερον πρότερον rationis). Die Idee der systematischen Einheit solte nur dazu dienen, um als regulatives Princip sie in der Verbindung der Dinge nach allgemeinen Naturgesetzen zu suchen und, so weit sich etwas davon auf dem empirischen Wege antreffen läßt, um so viel auch zu glauben, daß man sich der Vollständigkeit ihres Gebrauchs genähert habe, ob man sie freilich niemals erreichen wird. Anstatt dessen kehrt man die Sache um und fängt davon an, daß man die Wirklichkeit eines Princips der zweckmässigen Einheit als hypostatisch zum Grunde legt, den Begriff einer solchen höchsten Intelligenz, weil er an sich gänzlich unerforschlich ist, anthropomorphistisch bestimt und denn der Natur Zwecke, gewaltsam und dictatorisch, aufdringt, anstatt sie, wie billig, auf dem Wege der physischen Nachforschung zu suchen, so daß nicht allein Teleologie, die blos dazu dienen solte, um die Natureinheit nach allgemeinen Gesetzen zu ergänzen, nun vielmehr dahin wirkt, sie aufzuheben,| sondern die Vernunft sich noch dazu selbst um ihren Zweck bringt, nemlich das Daseyn einer solchen intelligenten obersten Ursache, nach diesem, aus der Natur zu beweisen. Denn, wenn man nicht die höchste Zweckmässigkeit in der Natur a priori, d. i. als zum Wesen derselben gehörig, voraussetzen kan, wie will man denn angewiesen seyn, sie zu suchen und auf der Stufenleiter derselben sich der höchsten Vollkommenheit eines Urhebers, als einer schlechterdingsnothwendigen, mithin a priori erkenbaren Vollkommenheit, zu nähern. Das regulative Princip verlangt die systematische Einheit als Natureinheit, welche nicht blos empirisch erkant, sondern a priori, obzwar noch unbestimt, vorausgesezt wird, schlechterdings, mithin als aus dem Wesen der Dinge folgend, vorauszusetzen. Lege ich aber zuvor ein höchstes ordnendes Wesen zum Grunde, so wird die Natureinheit in der That aufgehoben. Denn sie ist der Natur der Dinge ganz fremde und zufällig und kan auch nicht aus allgemeinen Gesetzen derselben erkant werden. Daher entspringt ein fehlerhafter Cirkel im beweisen, da man das voraussezt, was eigentlich hat bewiesen werden sollen.
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 Das regulative Princip der systematischen Einheit der Natur vor ein constitutives zu nehmen und, was nur in der Idee zum Grunde des einhelligen Gebrauchs der Vernunft gelegt wird, als Ursache hypostatisch voraussetzen,| heißt nur die Vernunft verwirren. Die Naturforschung geht ihren Gang ganz allein an der Kette der Naturursachen nach allgemeinen Gesetzen derselben, zwar nach der Idee eines Urhebers, aber nicht um die Zweckmässigkeit, der sie allerwerts nachgeht, von demselben abzuleiten, sondern sein Daseyn aus dieser Zweckmässigkeit, die in den Wesen der Naturdinge gesucht wird, wo möglich auch in den Wesen aller Dinge überhaupt, mithin als schlechthin nothwendig zu erkennen. Das leztere mag nun gelingen oder nicht, so bleibt die Idee immer richtig und eben sowol auch deren Gebrauch, wenn er auf die Bedingungen eines blos regulativen Princips restringirt worden.
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 Vollständige zweckmässige Einheit ist Vollkommenheit (schlechthin betrachtet). Wenn wir diese nicht in dem Wesen der Dinge, welche den ganzen Gegenstand der Erfahrung, d. i. aller unserer obiectivgültigen Erkentniß, aus machen, mithin in allgemeinen und nothwendigen Naturgesetzen finden, wie wollen wir daraus gerade auf die Idee einer höchsten und schlechthin nothwendigen Vollkommenheit eines Urwesens schliessen, welches der Ursprung aller Caussalität ist. Die größte systematische, folglich auch die zweckmässige Einheit ist die Schule und selbst die Grundlage der Möglichkeit des größten Gebrauchs der Menschenvernunft. Die Idee derselben ist also mit dem Wesen| unserer Vernunft unzertrenlich verbunden. Eben dieselbe Idee ist also vor uns gesetzgebend und so ist es sehr natürlich, eine ihr correspondirende gesetzgebende Vernunft (intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle systematische Einheit der Natur, als dem Gegenstande unserer Vernunft, abzuleiten sey.

 Wir haben bey Gelegenheit der Antinomie der reinen Vernunft gesagt: daß alle Fragen, welche die reine Vernunft aufwirft, schlechterdings beantwortlich seyn müssen, und daß die Entschuldigung mit den Schranken unserer Erkentniß, die in vielen Naturfragen ebenso unvermeidlich, als billig ist, hier nicht gestattet werden könne, weil uns hier nicht von der Natur der Dinge, sondern allein durch die Natur der Vernunft und lediglich über ihre innere Einrichtung, die Fragen vorgelegt werden. Jezt können wir diese dem ersten Anscheine nach kühne Behauptung in Ansehung der zween Fragen, wobey die reine Vernunft ihr größtes Interesse hat, bestätigen und dadurch unsere Betrachtung über die Dialectik derselben zur gänzlichen Vollendung bringen.

 Frägt man denn also (in Absicht auf eine transscendentale Theologie[4]) erstlich: ob es etwas von der Welt| Unterschiedenes gebe, was den Grund der Weltordnung und ihres Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen enthalte, so ist die Antwort: ohne Zweifel. Denn die Welt ist eine Summe von Erscheinungen, es muß also irgend ein transscendentaler, d. i. blos dem reinen Verstande denkbarer Grund derselben seyn. Ist zweitens die Frage: ob dieses Wesen Substanz, von der größten Realität, nothwendig etc. sey: so antworte ich: daß diese Frage gar keine Bedeutung habe. Denn alle Categorien, durch welche ich mir einen Begriff von einem solchen Gegenstande zu machen versuche, sind von keinem anderen, als empirischen Gebrauche und haben gar keinen Sinn, wenn sie nicht auf Obiecte möglicher Erfahrung, d. i. auf die Sinnenwelt angewandt werden. Ausser diesem Felde sind sie blos Titel zu Begriffen, die man einräumen, dadurch man aber auch nichts verstehen kan. Ist endlich drittens die Frage: ob wir nicht wenigstens dieses von der Welt unterschiedene Wesen nach einer Analogie mit den Gegenständen der Erfahrung denken dürfen? so ist die Antwort: allerdings, aber nur als Gegenstand in der| Idee und nicht in der Realität, nemlich nur, so fern er ein uns unbekantes Substratum der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmässigkeit der Welteinrichtung ist, welche sich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Naturforschung machen muß. Noch mehr, wir können in dieser Idee gewisse Anthropomorphismen, die dem gedachten regulativen Princip beförderlich seyn, ungescheut und ungetadelt erlauben. Denn es ist immer nur eine Idee, die gar nicht direct auf ein von der Welt unterschiedenes Wesen, sondern auf das regulative Princip der systematischen Einheit der Welt, aber nur vermittelst eines Schema derselben, nemlich einer obersten Intelligenz, die nach weisen Absichten Urheber derselben sey, bezogen wird. Was dieser Urgrund der Welteinheit an sich selbst sey, hat dadurch nicht gedacht werden sollen, sondern wie wir ihn, oder vielmehr seine Idee, relativ auf den systematischen Gebrauch der Vernunft in Ansehung der Dinge der Welt, brauchen sollen.
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 Auf solche Weise aber können wir doch (wird man fortfahren zu fragen) einen einigen weisen und allgewaltigen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir müssen einen solchen voraussetzen. Aber alsdenn erweitern wir doch unsere Erkentniß über das Feld möglicher Erfahrung? Keinesweges. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgesezt, wovon| wir gar keinen Begriff haben, was es an sich selbst sey (einen blos transscendentalen Gegenstand), aber, in Beziehung auf die systematische und zweckmässige Ordnung des Weltbaues, welche wir, wenn wir die Natur studiren, voraussetzen müssen, haben wir ienes uns unbekante Wesen nur nach der Analogie mit einer Intelligenz (ein empirischer Begriff) gedacht, d. i. es in Ansehung der Zwecke und der Vollkommenheit, die sich auf demselben gründen, gerade mit denen Eigenschaften begabt, die nach den Bedingungen unserer Vernunft den Grund einer solchen systematischen Einheit enthalten können. Diese Idee ist also respectiv auf den Weltgebrauch unserer Vernunft ganz gegründet. Wolten wir ihr aber schlechthin obiective Gültigkeit ertheilen, so würden wir vergessen: daß es lediglich ein Wesen in der Idee sey, das wir denken und, indem wir alsdenn von einem durch die Weltbetrachtung gar nicht bestimbaren Grunde anfingen, würden wir dadurch ausser Stand gesezt, dieses Princip dem empirischen Vernunftgebrauch angemessen anzuwenden.
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 Aber (wird man ferner fragen) auf solche Weise kan ich doch von dem Begriffe und der Voraussetzung eines höchsten Wesens in der vernünftigen Weltbetrachtung Gebrauch machen? Ja, dazu war auch eigentlich diese Idee von der Vernunft zum Grunde gelegt. Allein darf ich nun zweckähnliche Anordnungen als Absichten ansehen, indem| ich sie vom göttlichen Willen, obzwar vermittelst besonderer dazu in der Welt darauf gestellten Anlagen, ableite? Ja, das könt ihr auch thun, aber so, daß es euch gleich viel gelten muß, ob iemand sage, die göttliche Weisheit hat alles so zu seinen obersten Zwecken geordnet, oder die Idee der höchsten Weisheit ist ein regulativ in der Nachforschung der Natur und ein Princip der systematischen und zweckmässigen Einheit derselben nach allgemeinen Naturgesetzen, auch selbst da, wo wir iene nicht gewahr werden, d. i. es muß euch da, wo ihr sie wahrnehmt, völlig einerley seyn, zu sagen: Gott hat es weislich so gewolt, oder die Natur hat es also weislich geordnet. Denn die größte systematische und zweckmässige Einheit, welche eure Vernunft aller Naturforschung als regulatives Princip zum Grunde zu legen verlangte, war eben das, was euch berechtigte, die Idee einer höchsten Intelligenz als ein Schema des regulativen Princips zum Grunde zu legen und, so viel ihr nun, nach demselben, Zweckmässigkeit in der Welt antreft, so viel habt ihr Bestätigung der Rechtmässigkeit eurer Idee; da aber gedachtes Princip nichts anders zur Absicht hatte, als nothwendige und größtmögliche Natureinheit zu suchen, so werden wir diese zwar, so weit als wir sie erreichen, der Idee eines höchsten Wesens zu danken haben, können aber die allgemeine Gesetze der Natur, als in Absicht auf welche die Idee nur zum Grunde gelegt wurde, ohne mit uns selbst in Widerspruch zu gerathen,| nicht vorbey gehen, um die Zweckmässigkeit der Natur als zufällig und hyperphysisch ihrem Ursprunge nach anzusehen, weil wir nicht berechtigt waren, ein Wesen über die Natur von den gedachten Eigenschaften anzunehmen, sondern nur die Idee desselben zum Grunde zu legen, um nach der Analogie einer Caussalbestimmung der Erscheinungen als systematisch unter einander verknüpft anzusehen.
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 Eben daher sind wir auch berechtigt, die Weltursache in der Idee nicht allein nach einem subtileren Anthropomorphism (ohne welchen sich gar nichts von ihm denken lassen würde), nemlich als ein Wesen, was Verstand, Wolgefallen und Mißfallen, imgleichen eine demselben gemässe Begierde und Willen hat etc. zu denken, sondern demselben unendliche Vollkommenheit beyzulegen, die also dieienige weit übersteigt, dazu wir durch empirische Kentniß der Weltordnung berechtigt seyn können. Denn das regulative Gesetz der systematischen Einheit will: daß wir die Natur so studiren sollen, als ob allenthalben ins Unendliche systematische und zweckmässige Einheit, bey der größtmöglichen Mannigfaltigkeit, angetroffen würde. Denn, wiewol wir nur wenig von dieser Weltvollkommenheit ausspähen, oder erreichen werden, so gehört es doch zur Gesetzgebung unserer Vernunft, sie allerwerts zu suchen und zu vermuthen und es muß uns iederzeit vortheilhaft seyn, niemals aber kan es nachtheilig werden, nach diesem Princip| die Naturbetrachtung anzustellen. Es ist aber, unter dieser Vorstellung, der zum Grunde gelegten Idee eines höchsten Urhebers, auch klar: daß ich nicht das Daseyn und die Kentniß eines solchen Wesens, sondern nur die Idee desselben zum Grunde lege und also eigentlich nichts von diesem Wesen, sondern blos von der Idee desselben, d. i. von der Natur der Dinge der Welt, nach einer solchen Idee, ableite. Auch scheint ein gewisses, obzwar unentwickeltes Bewustseyn, des ächten Gebrauchs dieses unseren Vernunftbegriffs, die bescheidene und billige Sprache der Philosophen aller Zeiten veranlaßt zu haben, da sie von der Weisheit und Vorsorge der Natur und der göttlichen Weisheit, als gleichbedeutenden Ausdrücken, reden, ia den ersteren Ausdruck, so lange es um blos speculative Vernunft zu thun ist, vorziehen, weil er die Anmassung einer grösseren Behauptung, als die ist, wozu wir befugt seyn, zurück hält und zugleich die Vernunft auf ihr eigenthümliches Feld, die Natur, zurück weiset.
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 So enthält die reine Vernunft, die uns Anfangs nichts Geringeres, als Erweiterung der Kentnisse über alle Gränzen der Erfahrung, zu versprechen schiene, wenn wir sie recht verstehen, nichts als regulative Principien, die zwar grössere Einheit gebieten, als der empirische Verstandesgebrauch erreichen kan, aber eben dadurch, daß sie das Ziel der Annäherung desselben so weit hinaus rücken,| die Zusammenstimmung desselben mit sich selbst durch systematische Einheit zum höchsten Grade bringen, wenn man sie aber mißversteht und sie vor constitutive Principien transscendenter Erkentnisse hält, durch einen zwar glänzenden, aber trüglichen Schein, Ueberredung und eingebildetes Wissen, hiemit aber ewige Widersprüche und Streitigkeiten hervorbringen.
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 So fängt denn alle menschliche Erkentniß mit Anschauungen an, geht von da zu Begriffen und endigt mit Ideen. Ob sie zwar in Ansehung aller dreyen Elemente Erkentnißquellen a priori hat, die beym ersten Anblicke die Gränzen aller Erfahrung zu verschmähen scheinen, so überzeugt doch eine vollendete Critik, daß alle Vernunft im speculativen Gebrauche mit diesen Elementen niemals über das Feld möglicher Erfahrung hinaus kommen könne, und daß die eigentliche Bestimmung dieses obersten Erkentnißvermögens sey, sich aller Methoden und der Grundsätze derselben nur zu bedienen, um der Natur nach allen möglichen Principien der Einheit, worunter die der Zwecke die vornehmste ist, bis in ihr Innerstes nachzugehen, niemals aber ihre Gränze zu überfliegen, ausserhalb welcher vor uns nichts als leerer Raum ist. Zwar hat uns die critische Untersuchung aller Sätze, welche unsere Erkentniß| über die wirkliche Erfahrung hinaus erweitern können, in der transscendentalen Analytik hinreichend überzeugt: daß sie niemals zu etwas mehr, als einer möglichen Erfahrung leiten können und, wenn man nicht selbst gegen die kläreste oder abstracte und allgemeine Lehrsätze mißtrauisch wäre, wenn nicht reitzende und scheinbare Aussichten uns locketen, den Zwang der ersteren abzuwerfen, so hätten wir allerdings der mühsamen Abhörung aller dialectischen Zeugen, die eine transscendente Vernunft zum Behuf ihrer Anmassungen auftreten läßt, überhoben seyn können; denn wir wußten es schon zum voraus mit völliger Gewißheit: daß alles Vorgeben derselben zwar vielleicht ehrlich gemeint, aber schlechterdings nichtig seyn müsse, weil es eine Kundschaft betraf, die kein Mensch iemals bekommen kan. Allein, weil doch des Redens kein Ende wird, wenn man nicht hinter die wahre Ursache des Scheins komt, wodurch selbst der Vernünftigste hintergangen werden kan und die Auflösung aller unserer transscendenten Erkentniß in ihre Elemente (als ein Studium unserer inneren Natur) an sich selbst keinen geringen Werth hat, dem Philosophen aber so gar Pflicht ist, so war es nicht allein nöthig, diese ganze, obzwar eitele Bearbeitung der speculativen Vernunft bis zu ihren ersten Quellen ausführlich nachzusuchen, sondern, da der dialectische Schein hier nicht allein dem Urtheile nach täuschend, sondern auch dem Interesse nach, das man hier am Urtheile nimt, anlockend| und iederzeit natürlich ist und so in alle Zukunft bleiben wird, so war es rathsam, gleichsam die Acten dieses Processes ausführlich abzufassen und sie im Archive der menschlichen Vernunft, zu Verhütung künftiger Irrungen ähnlicher Art, nieder zu legen.



  1. Nicht theologische Moral; denn die enthält sittliche Gesetze, welche das Daseyn eines höchsten Weltregierers voraussetzen, dahingegen die Moraltheologie eine Ueberzeugung vom Daseyn eines höchsten Wesens ist, welche auf sittliche Gesetze gegründet ist.
  2. Der Vortheil, den eine kugelichte Erdgestalt schaft, ist bekant gnug; aber wenige wissen: daß ihre Abplattung, als eines Sphäroids, es allein verhindert, daß nicht die Hervorragungen des festen Landes, oder auch kleinerer, vielleicht durch Erdbeben aufgeworfener Berge, die Achse der Erde continuirlich und in nicht eben langer Zeit ansehnlich verrücke, wäre nicht die Aufschwellung der Erde unter der Linie ein so gewaltiger Berg, den der Schwung iedes andern Berges niemals merklich aus seiner Lage in Ansehung der Achse bringen kan. Und doch erklärt man diese weise Anstalt ohne Bedenken aus dem Gleichgewicht der ehmals flüssigen Erdmasse.
  3. So nanten die alten Dialectiker einen Trugschluß, der so lautete: Wenn es dein Schicksal mit sich bringt, du solst von dieser Krankheit genesen, so wird es geschehen, du magst einen Arzt brauchen, oder nicht. Cicero sagt: daß diese Art zu schliessen ihren Namen daher habe, daß, wenn man ihr folgt, gar kein Gebrauch der Vernunft im Leben übrig bleibe. Dieses ist die Ursache, warum ich das sophistische Argument der reinen Vernunft mit demselben Nahmen belege.
  4. Dasienige, was ich schon vorher von der psychologischen Idee und deren eigentlichen Bestimmung, als Princip’s [696] zum blos regulativen Vernunftgebrauch, gesagt habe, überhebt mich der Weitläuftigkeit, die transscendentale Illusion, nach der iene systematische Einheit aller Mannigfaltigkeit des inneren Sinnes hypostatisch vorgestellt wird noch besonders zu erörtern. Das Verfahren hiebey ist demienigen sehr ähnlich, welches die Critik in Ansehung des theologischen Ideals beobachtet.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: schlethinnothwendig
  2. Vorlage: Fom
  3. Vorlage: transscendentate
  4. Vorlage: transsendentale
  5. Vorlage: Satt
  6. Vorlage: telologischen


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