Critik der reinen Vernunft (1781)/Erster Abschnitt. Von dem Ideal überhaupt.
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Aber noch weiter, als die Idee, scheint dasienige von der obiectiven Realität entfernt zu seyn, was ich das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht blos in concreto, sondern in indiuiduo, d. i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimbares, oder gar bestimtes Ding, verstehe.
Die Menschheit in ihrer ganzen Vollkommenheit, enthält nicht allein die Erweiterung aller zu dieser Natur gehörigen wesentlichen Eigenschaften, welche unseren Begriff von derselben ausmachen, bis zur vollständigen Congruenz mit ihren Zwecken, welches unsere Idee der vollkommenen Menschheit seyn würde, sondern auch alles, was ausser diesem Begriffe zu der durchgängigen Bestimmung der Idee gehöret; denn von allen entgegengesezten Prädicaten kan sich doch nur ein einziges zu der Idee des vollkommensten Menschen schicken. Was uns ein Ideal ist, war dem Plato eine Idee des göttlichen Verstandes, ein einzelner Gegenstand in der reinen Anschauung desselben, das Vollkommenste einer ieden Art möglicher Wesen und der Urgrund aller Nachbilder in der Erscheinung.
| Ohne uns aber so weit zu versteigen, müssen wir gestehen: daß die menschliche Vernunft nicht allein Ideen, sondern auch Ideale enthalte, die zwar nicht, wie die platonische, schöpferische, aber doch practische Kraft (als regulative Principien) haben, und der Möglichkeit der Vollkommenheit gewisser Handlungen zum Grunde liegen. Moralische Begriffe sind nicht gänzlich reine Vernunftbegriffe, weil ihnen etwas Empirisches (Lust oder Unlust) zum Grunde liegt. Gleichwol können sie in Ansehung des Princips, wodurch die Vernunft der an sich gesetzlosen Freiheit Schranken sezt, (also wenn man blos auf ihre Form Acht hat) gar wol zum Beispiele reiner Vernunftbegriffe dienen. Tugend und, mit ihr, menschliche Weisheit in ihrer ganzen Reinigkeit, sind Ideen. Aber der Weise (des Stoikers) ist ein Ideal, d. i. ein Mensch der blos in Gedanken existirt, der aber mit der Idee der Weisheit völlig congruiret. So wie die Idee die Regel giebt, so dient das Ideal in solchem Falle zum Urbilde der durchgängigen Bestimmung des Nachbildes und wir haben kein anderes Richtmaaß unserer Handlungen, als das Verhalten dieses göttlichen Menschen in uns, womit wir uns vergleichen, beurtheilen und dadurch uns bessern, obgleich es niemals erreichen können. Diese Ideale, ob man ihnen gleich nicht obiective Realität (Existenz) zugestehen möchte, sind doch um deswillen nicht vor Hirngespinste anzusehen, sondern geben ein unentbehrliches Richtmaaß der Vernunft ab, die des Begriffs von dem, was| in seiner Art ganz vollständig ist, bedarf, um darnach den Grad und die Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen. Das Ideal aber in einem Beispiele, d. i. in der Erscheinung, realisiren wollen, wie etwa den Weisen in einem Roman, ist unthunlich und hat überdem etwas widersinnisches und wenig erbauliches an sich, indem die natürliche Schranken, welche der Vollständigkeit in der Idee continuirlich Abbruch thun, alle Illusion in solchem Versuche unmöglich und dadurch das Gute, das in der Idee liegt, selbst verdächtig und einer blossen Erdichtung ähnlich machen.Die Absicht der Vernunft mit ihrem Ideale ist dagegen die durchgängige Bestimmung nach Regeln a priori; daher sie sich einen Gegenstand denkt, der nach Principien durchgängig bestimbar seyn soll, obgleich dazu die hinreichende Bedingungen in der Erfahrung mangeln und der Begriff selbst also transscendent ist.
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