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Curir-Schwindeleien

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Textdaten
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Autor: Bock
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Titel: Curir-Schwindeleien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 455–457
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bruchschaden
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[455]
Curir-Schwindeleien.
Bruchschäden.


Wehe Dem, der an einem Bruchschaden leidet und in die Hände eines unwissenden Heilkünstlers oder eines gewissenlosen Charlatans fällt! Sein Leben steht dann mehr auf dem Spiele als in einer Schlacht. Es giebt aber auch kein Leiden, welches mehr als ein Bruchschaden eine um- und vorsichtige Behandlung, und zwar vorzugsweise eine rein örtliche, von Seiten eines Sachverständigen verlangt. Ganz entsetzlich ist es deshalb, daß nicht nur die Frechheit von Geheimmittelschwindlern soweit gehen kann, bei einem solchen Leiden nichtsnutzige Pflaster und Balsame zu empfehlen, sondern daß auch die Bornirtheit vieler Laien so groß ist, jenes Zeug zu kaufen und sogar sympathetische Curen, sowie innere homöopathische Mittel dagegen anzuwenden.

Nur mit wenig Worten wollen wir den Leser auf die Wichtigkeit aufmerksam machen, die ein Bruch hat. Im Allgemeinen wird in der Wissenschaft unter Bruch (Eingeweidebruch) das widernatürliche Hervortreten eines Eingeweides aus irgend einer der geschlossenen Höhlen unseres Körpers verstanden. Hierbei tritt das Eingeweide durch eine von der äußeren Haut überdeckte, entweder neu gebildete oder schon vorhandene und erweiterte Oeffnung hervor. Stets wird also das aus seiner Höhle herausgetretene Eingeweide noch von der äußeren Haut überkleidet und bildet in der Regel eine weiche Geschwulst. Im gewöhnlichen Leben bezeichnet man als Brüche das Hervortreten von Unterleibseingeweiden aus der Bauchhöhle und nennt sie deshalb auch Unterleibsbrüche. Von diesen werden die am häufigsten vorkommenden, nach der Stelle des Unterleibes, wo sie sich befinden, Leisten-, Schenkel- und Nabelbrüche benannt. In den allermeisten Fällen liegen in diesen Bruchgeschwülsten Därme oder Netz.

Ein Unterleibsbruch bildet eine fühlbare oder auch sichtbare Geschwulst (meist in der Nähe der Schenkelbeuge), welche von gesunder Haut überkleidet ist. Beim Drucke, oder wenn sich der Kranke auf den Rücken legt, verschwindet sie gewöhnlich, weil das ausgetretene Eingeweide in die Bauchhöhle zurücktritt. Beim Husten und Pressen drängt sich sodann das Eingeweide wieder hervor und die Geschwulst kommt nun von Neuem zum Vorschein, wobei der aufgelegte Finger eine Erschütterung verspürt.

Die Beschwerden, welche ein solcher Bruch veranlassen [456] kann, sind: schmerzhaftes Ziehen in der Geschwulst und im Bauche, träger Stuhl oder Verstopfung, Kolikschmerzen, Kollern und Poltern im Leibe (wobei der Bruch gewöhnlich stärker hervortritt). – Gefährlich kann ein Bruch werden, wenn er sich einklemmt d. h. wenn der im Bruchsacke befindliche Inhalt (besonders ein Darmstück) in Folge von Beengung und Einzwängung an und in der Bauchöffnung (Bruchpforte) von seinen in der Bauchhöhle liegenden Partien abgeschnürt wird. Hier entsteht leicht eine heftige Bauchfellentzündung mit ihren gefährlichen Folgen; die Erscheinungen der Einklemmung (Incarceration) sind: Schmerz im Bruche und Bauche, Verstopfung, Aufstoßen, Würgen, Brechen (selbst Kothbrechen oder Miserere). – Um nun durch eine solche Einklemmung nicht in Todesgefahr zu kommen, so müssen Bruchkranke auf die Erscheinungen einer beginnenden Einklemmung ja recht aufmerksam sein und, sollten sie diese Erscheinungen (nämlich Schmerzen in der gespannten, härtlichen Geschwulst, die vorher beweglich war, jetzt aber unbeweglich und nicht mehr durch Druck zu verkleinern ist) bemerken, so schnell als nur möglich ärztliche Hülfe in Anspruch nehmen, die jetzt durch Zurückbringen (Taxis) des Bruches die Gefahr rasch zu verscheuchen vermag. Gelingt die Reposition (das Zurückbringen) des Bruches nicht, dann ist der Bruchschnitt (die Bruchoperation) das einzige Mittel, um den Kranken vom Tode zu retten.

Allen Bruchkranken ist auf das Dringendste anzurathen, sobald als möglich durch Anschaffung und Tragen eines passenden Bruchbandes sich vor allen Beschwerden und Gefahren, die Unterleibsbrüche verursachen können, sicher zu stellen. Der Bruchkranke, der ein passendes Bruchband trägt, empfindet nicht die mindeste Beschwerde mehr von seinem Bruchschaden und kann sich seiner gewohnten Beschäftigung, ja selbst Körperanstrengungen furchtlos unterziehen. Aber freilich muß er sich ein Bruchband schon dann anschaffen, wenn der Bruch noch beweglich, in die Bauchhöhle zurückzubringen und noch nicht zu groß ist; es muß ferner das Bruchband ja ganz genau passen und richtig angelegt werden; auch muß er den Stuhlgang stets in Ordnung halten und Excesse im Essen vermeiden. Der Zweck eines Bruchbandes ist: nach Zurückbringung der Eingeweide aus dem Bruchsacke in die Bauchhöhle den leeren Bruchsackhals fortwährend zusammenzudrücken, die Bruchpforte zu verschließen und dadurch die Senkung der durch das Band in der Bauchhöhle zurückgehaltenen Eingeweide in den Bruchsack zu verhindern. – Ein Bruchkranker muß sich aber auch Mühe geben, das richtige Anlegen des Bruchbandes zu erlernen; er muß ferner das angelegte Bruchband sorgfältig überwachen, damit es fest und unverrückt liegen bleibt und keine Eingeweide vortreten läßt. Merkt der Kranke, daß der Bruch unter der Pelotte (oder Schilde) des Bruchbandes vorfällt, so muß er sofort das Bruchbaud abnehmen und einen Sachverständigen zu Rathe ziehen, weil dann das Bruchband entweder nicht richtig angelegt ist, oder nicht paßt, oder eine zu geringe Druckkraft besitzt. Sollte bei einem sonst passenden Bruchbande in Folge einer stärkeren Körperanstrengung und Verschiebung des Bandes der Bruch hervortreten, so muß der Kranke das Band sofort abnehmen, sich auf den Rücken legen, mit den Fingern die Eingeweide aus dem Bruchsacke in den Bauch zurückbringen und nun das Bruchband auf’s Neue anlegen. Gelingt ihm das Zurückbringen nicht, dann ziehe er den Arzt zu Hülfe. Da die Druckkraft der Bruchbänder beim längeren Gebrauche abnimmt, so muß darauf geachtet und, sobald das Band nicht mehr fest aufdrückt, schleunigst ein neues angeschafft werden. Erlauben es die Mittel des Kranken, so thut er gut, mehrere Bruchbänder zum Wechseln oder für den Fall der Noth zu besitzen. Der stete Druck eines guten Bruchbandes kann sogar (besonders bei jugendlichen Personen) eine Verwachsung des leeren Bruchsackes und so radicale Heilung veranlassen. – Das fortwährende Tragen des passenden Bruchbandes bei Tag und bei Nacht ist eine unerläßliche Bedingung, um, wo es noch möglich ist, die Verwachsung des Bruchsackes zu erzielen, oder um der Vergrößerung und Einklemmung des Bruches vorzubeugen. Beim Ankaufe eines Bruchbandes wende man sich aber ja an einen tüchtigen Bandagisten und nicht etwa an einen Handschuhmacher, der von der Natur der Brüche nichts versteht. – Einer radicalen Heilung eines nicht eingeklemmten Bruches durch operatives Verfahren würde sich der Verfasser nicht unterziehen, da ein solches recht leicht lebensgefährlich ablaufen und in den allermeisten Fällen das Bruchband nicht entbehrlich machen kann. Wer sich genauer über die Brüche und das Verhalten dabei unterrichten will, dem können wir das vom Bandagist Reichel in Leipzig herausgegebene Schriftchen[1] ebenso empfehlen wie dessen Bruchbänder.

Die entsetzliche Bornirtheit und die ganz kindische Aber- und Leichtgläubigkeit der Menschen in Allem, was auf Gesundheit und Krankheit Bezug hat, macht es erklärlich, daß sogar bei Leiden, die, wie die Bruchschäden, durchaus mechanische oder operative Hülfe verlangen, doch noch Geheimmittel empfohlen und gekauft werden, die nichts als schimpfliche Attentate auf die Geldbeutel dummer Gimpel sind.

Von Geheimmitteln gegen Bruchschäden treiben sich in den Zeitungen vorzugsweise folgende herum:

1) Bruchpflaster von Krüsi-Altherr in Gais (Appenzell). Es ist ein gewöhnliches Harzpflaster, gewonnen durch Zusammenschmelzen von Fichtenharz (5 Th.) und Terpentin (2 Th.); Preis 3 fl., Werth kaum einige Kreuzer. – 2) Bruchpflaster von Menet, auch in Gais; mit dünner Gaze überzogenes Maschinenpapier und bestrichen mit Pflaster aus gelbem Bienenwachs (9 Th.), venetianischem Terpentin (3 Th.) und Elemiharz. Dieses Pflaster ist aber nur eine Lockspeise, um den Kranken theuere Bruchbänder, die natürlich Hr. Menet verkauft, aufzuhängen. – 3) Bruchbalsam von Tanze, das Töpfchen für 21 Sgr. und kaum 3 Sgr. werth. Es werden davon drei Arten verkauft; Nr. 1 (für Kinder) ist ein Gemisch aus grüner Nervensalbe, Muskatbalsam, rothem Johannisöl, gelbem Wachs und Fett oder Butter; Nr. 2 (für Erwachsene und veraltete Bruchschäden) besteht aus Muskatnußseife, Muskatbalsam, Talg, Butter und Wasser; Nr. 3 (für eingeklemmte Brüche) besteht aus grüner Nervensalbe, Lorbeeröl, Muskatbalsam, rotbem Johannisöl, gelbem Wachs, Myrrhen-, Aloe und Opiumtinctur. – 4) Salbe für Bruchleidende von Sturzenegger im Brühl in Herisau (Appenzell), im Preise von 3 Thlr.; ist nichts als Schweinefett. Die Gebrauchsanweisung besagt, daß nothwendigerweise ein passendes Bruchband getragen werden muß, was natürlich Herr Sturzenegger ebenfalls liefert. – 5) Heilung von Brüchen ohne Medicin, Operation und Schmerzen geschieht durch den Chemiker Lavedan und zwar durch eine Pelotte, welche innen mit Zink und Kupferblech belegt ist und in welche öfters eine Lösung des Poudre électrochimique (Kochsalz) eingetröpfelt wird. Dieses nichtsnutzige Mittel kostet 5 bis 6 Thlr. und ist nicht 10 Sgr. werth.

Sympathetische Curen gegen Bruchschäden. 1. Man nehme ein Ei, gieße das Weiße ab, lasse den Kranken dann in das Ei harnen und vergrabe es, aber ohne daß es der Kranke weiß, unter die Thürschwelle, worüber er häufig geht. – 2. Man berühre mit dem Kopfe eines Sargnagels den Bruch in der Mitte, lasse den Kranken sich barfuß an einen Baum stellen, und schlage den Nagel dicht über dessen Kopfe stillschweigend in den Baum. Sowie der Nagel verwächst, vergeht der Bruch. – 3. Man schlage drei Nägel, mit welchen der Bruch kreuzweise überstrichen worden, an drei aufeinanderfolgenden Freitagen, jedes Mal einen, stillschweigend in eine junge Buche oder Eiche. – 4. Man nehme einen eisernen Ring von der Größe des Bruches, lasse ihn eine Stunde lang auf dem Bruche liegen, wickele ihn darauf in reine Leinwand und trage ihn an einen Ort, wohin weder Sonne noch Mond scheint und weder Zug noch Staub kommt. Dies muß man aber bei Vollmond beginnen und an drei Freitagen nacheinander wiederholen. – 5. Man berühre an drei aufeinanderfolgenden Freitagen den Bruch mit einem eisernen Eggezahn, wickele diesen dann jedes Mal in reine Leinwand und stecke ihn zu sich. – 6. Man gehe zu einem jungen kräftigen Eichbaum, der gerade junge Blätter hat, magnetisire diesen und führe dann den Kranken so rückwärts zum Baume, daß sein Gesicht nach Süden gerichtet ist, und lehne ihn mit dem Rücken an die südliche Seite des Baumes; doch muß Alles stillschweigend geschehen. Das Magnetisiren geschieht dadurch, daß man sich drei Schritte weit vor der Südseite des Baumes hinstellt, eine rechte und linke Seite bildet, welche die Pole sind, und in der Mitte eine Scheidelinie als Aequator gezogen denkt. Nun nimmt man einen neuen Nagel von drei Zoll Länge ohne Kopf in die rechte Hand und beschreibt mit ihm von den Blättern an allen Neben- und Hauptzweigen des Baumes, in der Richtung zum Stamm hin, Linien in der Luft, welche man bis zur Wurzel niederführt. Hierauf verfährt man mit der Nord-, Ost- und Westseite ebenso.

Unter den Homöopathen herrschen über die Behandlung von Brüchen ganz verschiedene Ansichten. So behauptet Constantin Hering, daß Brüche fast immer durch innere Mittel geheilt werden können, wenn man sie nicht zu alt werden läßt. Freilich, sagt er,

[457] nicht durch die alte gemeine Medicin, weshalb auch die gewöhnlichen Aerzte frech ableugnen, daß man Brüche durch innerliche Arzneien heilen könne. Und durch was wird denn nun ein vor Kurzem entstandener Bruch sicher geheilt? Durch Rhus (Gift- oder Wurzelsumach); nur muß man nach jeder Gabe eine Woche lang warten. Nach Arthur Lutze wirkt dieses Rhus besonders auf die rechte Körperhälfte und thut sogar bei eingeklemmten Brüchen gute Dienste. Clotar Müller ist dagegen der Ansicht, daß Brüche bei Erwachsenen durchaus das Tragen eines gut passenden Bruchbandes erfordern, da deren radicale Heilung durch innere und äußere Arzneimittel nicht zu erwarten steht. Wohl heilen aber nach ihm Brüche bei kleinen Kindern durch Nux und Cocculus; vom Rhus scheint er nichts zu halten. Bei eingeklemmten Brüchen gelingt nach Müller die Zurückbringung sehr oft erst nach Darreichung von Aconit, Nux oder Schwefel. Ja, ist Brand der eingeklemmten Theile zu befürchten bei Nachlaß der Schmerzen und dunkler Färbung der Haut, so ist noch von Arsen und Lachesis Hülfe zu erwarten. – Daß in Staaten, wo fast alles Wohl und Wehe der Menschen polizeilich überwacht wird, die homöopathische Heilkünstelei mit ihren Nichtsen ganz unbehindert auch bei solchen gefährlichen Zuständen wirthschaften darf, die durchaus ein energisches Eingreifen verlangen, ist nicht zu begreifen. Es ist geradezu Mord, wenn ein Arzt bei eingeklemmtem Bruche, ohne zu untersuchen, nur auf gewisse Krankheitserscheinungen hin mit allopathischen Arzneien oder homöopathischen Nichtsen curirt, anstatt die Zurückbringung oder Operation des Bruches vorzunehmen.
Bock.

  1. Die am häufigsten vorkommenden Arten der Unterleibsbrüche, zur Beachtung und Belehrung für Jedermann, insbesondere für Bruchkranke. Dargestellt und durch Abbildungen erläutert von Joh. Reichel. Leipzig. Magazin für Literatur.