Das Abbeißen der Fingernägel
[307] Das Abbeißen der Fingernägel ist eine greuliche Unsitte, die man
oft genug bei schlecht erzogenen Kindern beobachten kann. Man wettert
allgemein gegen die Schulkinder, die das thun, aber in einem Falle
huldigt man derselben Unsitte noch so allgemein, daß ein Wort dagegen
angebracht zu sein scheint. Veranlassung dazu giebt uns eine Anfrage,
die von einem Manne aus den sogenannten „gebildeten Ständen“ an
uns gerichtet wird, ob man Kindern unter einem Jahre die Nägel abschneiden
darf oder lieber abbeißen soll. Jeder vernünftige Mensch
(medizinische Vorbildung ist dazu gewiß nicht nöthig) wird sich sagen
müssen, daß das Abschneiden der Nägel dem Kinde zuträglicher sein muß
als das Abbeißen, denn man hat doch die Schere besser in der Gewalt
als die Zähne. Der Grund, warum man dem Säugling die Nägel abbeißen
soll, ist auch kein gesundheitlicher, sondern findet seine Quelle
im Aberglauben. Die Gefahren, welche das Abschneiden der Nägel dem
Säugling bringen soll, sind nach der Volksüberlieferung folgende: In
Oesterreichisch-Schlesien glaubt man, das Kind werde dadurch einfältig,
im Erzgebirge, man schneide ihm dadurch das Glück ab; fast allgemein
aber behauptet man, daß durch das Nägelabschneiden später in den
Herzen der Kleinen eine Neigung zum Diebstahl hervorgerufen werde.
Die meiste Mütter, die jetzt ihren Kleinen die Nägel abbeißen, thun es,
weil sie es bei andern gesehen haben, ohne zu wissen, warum. Nützlich
und appetitlich ist diese Prozedur keineswegs, und eine Mutter, die dem
Kinde die Nägel abbeißt, bietet auch keinen schönen Anblick dar. Es mag
ja mitunter recht bissige Frauen geben, die meisten aber werden doch
besser mit der Schere schneiden können, und die abgeschnittenen Nägel
werden auch besser und schöner wachsen als die oft in wunderbar zackigen
Formen abgebissenen. *