Ein frischer Trunk
[307] Ein frischer Trunk (Zu dem Bilde auf S. 305.) Jagen ist allerwege und zu allen Zeiten eine durstige Beschäftigung gewesen. Das hat heutzutage in deutschen Landen freilich nicht mehr viel auf sich, da genügt die Jagdtasche und die Feldflasche, um bis zum solennen „Jagdfrühstück“ oder einer ausgiebigeren Stärkung am häuslichen Herde für jeden Durst das erforderliche Löschmaterial in Bereitschaft zu halten. Es giebt heute viele Jagden, so und soviel Morgen groß, in so und soviel Stunden abzuschießen, es giebt da viele Jäger und noch viel mehr Sonntagsjäger, aber keine Pürsch hoch zu Roß, tagelang durch Wald und Heide wie ehedem, und wenn adlige Herrschaften alljährlich ein paarmal nach Art ihrer erlauchten Ahnen der Jagdlust huldigen, so treiben sie eine Kurzweil, bei der niemand auf einen frischen Trunk in Verlegenheit kommt. Das ritterliche Paar, das auf dem Bilde des Meisters Diez in wegloser Hochlandsheide mit Rossen und Rüden vor dem Beschauer hält, gehört der Zeit einer entbehrungs- und strapazenvolleren Jagdlust an und verdankt muthmaßlich nur den lechzenden Kehlen seiner braven Kläffer die Entdeckung des strudelnden Bächleins, das der trockene Gaumen schon eine geraume Weile ersehnt hat. Ein Trinkgefäß besitzt der wackere Kavalier nicht, aber Galanterie und einen Schlapphut, dessen Krämpe ein [308] paar kräftige Schlucke zu fassen vermag; und die Dame sieht bei aller Bedenklichkeit doch danach aus, als ob sie an dem Gefäß um des erquicklichen Inhalts willen nicht allzu lang Anstoß nehmen würde. Das Bild ist ein echter Diez, in Scenerie und Stoff, wie in der markigen Lebendigkeit und Wahrheit der Gestaltung.