Das Ei des Columbus

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Titel: Das Ei des Columbus
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 193, 203, 204
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[193]

Das Ei des Columbus.
Nach dem Oelgemälde von Leo Reiffenstein.

[203]

Das Ei des Columbus.

(Mit Illustration S. 193.)


Unbeschreiblicher Jubel herrschte am 15. März 1493 in dem spanischen Hafenstädtchen Palos; unter Glockengeläute zog die gesammte Einwohnerschaft nach dem Strande, die kühnen Seefahrer zu begrüßen, die vor sieben und einen halben Monat von hier ausgelaufen waren, um die größte Entdeckungsreise in der Geschichte der Menschheit zu vollbringen. Man jubelte, daß der neue Weg nach dem märchenhaften Indien und der Goldinsel Cipangu entdeckt worden, daß der Traum vieler Jahrhunderte in Erfüllung gegangen war, und ahnte noch nicht, daß die Wirklichkeit alle Phantasien früherer Zeiten weit überflügelte und durch Columbus für die europäischen Völker die Erde nun einen gewaltigen Welttheil größer geworden war. Daß an jenem Tage in Palos die Entdeckung der Neuen Welt zum ersten Male eingeläutet wurde, wer dachte damals daran? Am allerwenigsten der glückliche Genuese, der in einem Triumphzuge durch Spanien nach Barcelona zu dem königlichen Hoflager eilte. Vor den Thoren der Stadt ordnete er sein Gefolge und schickte voraus die sprechendsten Zeugen seiner That. Da schritten zunächst die ersten Indianer, welche Europas Boden betreten haben, in ihrem sonderbaren Nationalschmucke, ihnen folgten Leute, welche die Produkte der neuentdeckten Inseln trugen, und staunend schaute die Menge die goldenen Geräthe, die aus offenen Körben hervorschimmerten, bewunderte die schweren Baumwollballen und Kisten voll köstlichsten Pfeffers, sah die bunten Papageien auf 25 Fuß langen Rohren schaukeln, und forschte neugierig, aber vergeblich nach dem Namen der anderen sonderbaren Thiere, die bis dahin kein Gelehrter der alten Welt gekannt und beschrieben hatte. – Und hinter diesem märchenhaften Aufzuge ritt Columbus, von Rittern Spaniens umgeben! Kein Wunder, daß der König und die Königin von ihren Sitzen beim Eintritte des Triumphators aufsprangen, daß sie den an den Stufen des Thrones Niederknieenden sich zu erheben und sich zu setzen nöthigten.

Also hatte Columbus den Gipfel seines Glückes erreicht, aber so zuversichtlich der energische Mann in die Zukunft auch blicken mochte, die Erfahrung sollte ihm nicht erspart bleiben, die das Los aller Sterblichen bildet, daß Undank der Welt Lohn ist und daß erst nach dem Tode des Großen der Lorbeer seines Ruhmes die frischesten Blätter treibt.

Man erzählt, daß kurze Zeit nach jenem glorreichen Einzug in Barcelona Kardinal Mendoza ein Gastmahl zu Ehren des Columbus gegeben habe. Dem Gefeierten huldigte der Hof, und so waren Freunde wie Feinde bei der Tafel erschienen. Die Letzteren ärgerten sich im Stillen, daß ein Fremdling, der einst als hungernder Bettler an die Pforte des Franziskanerklosters Rabida geklopft hatte, dem stolzen Spanien diese Macht und diesen Ruhm gebracht. In ihrem Neid suchten sie das Verdienst Columbus’ zu schmälern und ihn nur als den glücklichen Abenteurer hinzustellen, der geschickt fremde Pläne auszuführen verstanden hatte. Und bei jenem Festmahle konnte einer der Höflinge sich nicht enthalten, dieser emporkeimenden Meinung lauteren Ausdruck zu verleihen. Er fragte listig den Admiral, ob denn das Werk, das er vollbrachte, wirklich so schwierig gewesen sei, und ob nicht ein Anderer, weniger Begabte dasselbe gleichfalls hätte erreichen können.

Da soll Columbus an ihn die Gegenfrage gerichtet haben, ob er ein Ei auf dem Tische aufrecht hinstellen könne. Man versuchte es hin und her, aber Niemand konnte die Aufgabe lösen, bis Columbus ein Ei ergriff, es hart auf die Tischplatte setzte, daß die Spitze einknickte und das Ei stehen blieb. Damit hatte er dem Vorwitzigen die beschämende Antwort ertheilt, daß es nicht genüge einen bestimmten Plan zu kennen, sondern daß man auch die Mittel und Wege genau wissen müsse, wenn man denselben ausführen will.

So berichten uns die späteren Chronisten in ihren Geschichten der Welt und fügen hinzu, daß sie diesen Vorgang nur durch Hörensagen wissen. Sie hatten auch guten Grund, sich zu entschuldigen, denn die Erzählung gehört einfach in die Kategorie jener historischen Anekdoten, die durch glückliche Berücksichtigung der Zeitverhältnisse gewisse Ereignisse in bündigster und populärster Form illustriren. Und in der That braucht man es nicht zu bedauern, daß die Fabel vom Ei des Columbus sich bis auf unsere Zeit erhalten hat, denn aus ihr haben wir schon in den Kinderschuhen von dem bitteren Unrecht erfahren, mit welchem das Verdienst des großen Entdeckers von seinen Zeitgenossen belohnt wurde.

Dasselbe Kunststück mit dem Ei haben schon Andere vor Columbus gekannt. So soll der Baumeister Filippo Brunelleschi, als er im Jahre 1421 nach Florenz berufen wurde, um den Bau des Domes Santa Maria del Fiore mit einer Kuppel abzuschließen, seinem neugierigen Rivalen dieselbe Eigeschichte aufgetischt haben. Sie drangen in den Künstler, daß er ihnen seinen Plan vorzeige, und er ersuchte sie in Gegenrede, ein Ei auf die Spitze zu stellen. Als sie dann, von ihm belehrt, ausriefen, daß sie es so auch hätten machen können, antwortete ihnen Brunelleschi lachend, sie würden es auch verstanden haben, die Kuppel zu wölben, wenn sie sein [204] Modell oder seine Zeichnung gesehen hätten. Uebrigens war dieses Kunststück, wie Büchmann in seinen „Geflügelten Worten“ erzählt, in Spanien unter dem Stichwort „Hänschens Ei“ volksthümlich, und der Dichter Calderon berichtet darüber in seinem „La dama duende“ (Die Dame Kobold):

„Das andere (Geheimniß)
Kennst du doch mit Hänschens Ei?
Womit viele hoch erhabene
Geister sich umsonst bemühten,
Um auf einen Tisch von Jaspis
Solches aufrecht hinzustellen:
Aber Hänschen kam und gab ihm
Einen Knicks nur, und es stand.“

Doch mögen die Forscher um die Berechtigung der Fabel streiten, der Künstler nimmt seine Stoffe, ohne nach ihrer strengen Wahrheit zu fragen, aus dem voll pulsirenden Leben, und um Columbus darzustellen, wie er gegen Neid und Mißgunst kämpfen mußte, konnte er keinen besseren Vorwurf finden. Da steht vor uns der kühne Seefahrer, noch einmal über die Schaar der Höflinge triumphirend. Er wird noch mehrmals die Anker lichten, um die Neue Welt zu schauen, aber im Triumph, wie nach Barcelona, wird er nie wieder heimkehren. Als Angeklagter erscheint er nach seiner zweiten Reise vor dem königlichen Hofe. In Ketten gefesselt muß er die dritte Rückfahrt nach Spanien antreten, Noth und Enttäuschung erntet er auf seiner vierten Reise, bis seinen zuletzt umnachteten Geist der barmherzige Todesengel im stillen Valladolid von allen Mühen und Kämpfen erlöste. – i.