Das Ei des Columbus
Das Ei des Columbus.
Unbeschreiblicher Jubel herrschte am 15. März 1493 in dem spanischen
Hafenstädtchen Palos; unter Glockengeläute zog die gesammte Einwohnerschaft
nach dem Strande, die kühnen Seefahrer zu begrüßen, die vor sieben
und einen halben Monat von hier ausgelaufen waren, um die größte
Entdeckungsreise in der Geschichte der Menschheit zu vollbringen. Man
jubelte, daß der neue Weg nach dem märchenhaften Indien und der
Goldinsel Cipangu entdeckt worden, daß der Traum vieler Jahrhunderte
in Erfüllung gegangen war, und ahnte noch nicht, daß die Wirklichkeit
alle Phantasien früherer Zeiten weit überflügelte und durch Columbus
für die europäischen Völker die Erde nun einen gewaltigen Welttheil größer
geworden war. Daß an jenem Tage in Palos die Entdeckung der Neuen
Welt zum ersten Male eingeläutet wurde, wer dachte damals daran? Am
allerwenigsten der glückliche Genuese, der in einem Triumphzuge durch
Spanien nach Barcelona zu dem königlichen Hoflager eilte. Vor den
Thoren der Stadt ordnete er sein Gefolge und schickte voraus die
sprechendsten Zeugen seiner That. Da schritten zunächst die ersten
Indianer, welche Europas Boden betreten haben, in ihrem sonderbaren
Nationalschmucke, ihnen folgten Leute, welche die Produkte der neuentdeckten
Inseln trugen, und staunend schaute die Menge die goldenen Geräthe,
die aus offenen Körben hervorschimmerten, bewunderte die schweren
Baumwollballen und Kisten voll köstlichsten Pfeffers, sah die bunten Papageien
auf 25 Fuß langen Rohren schaukeln, und forschte neugierig, aber
vergeblich nach dem Namen der anderen sonderbaren Thiere, die bis dahin
kein Gelehrter der alten Welt gekannt und beschrieben hatte. – Und hinter
diesem märchenhaften Aufzuge ritt Columbus, von Rittern Spaniens
umgeben! Kein Wunder, daß der König und die Königin von ihren Sitzen
beim Eintritte des Triumphators aufsprangen, daß sie den an den Stufen
des Thrones Niederknieenden sich zu erheben und sich zu setzen nöthigten.
Also hatte Columbus den Gipfel seines Glückes erreicht, aber so zuversichtlich der energische Mann in die Zukunft auch blicken mochte, die Erfahrung sollte ihm nicht erspart bleiben, die das Los aller Sterblichen bildet, daß Undank der Welt Lohn ist und daß erst nach dem Tode des Großen der Lorbeer seines Ruhmes die frischesten Blätter treibt.
Man erzählt, daß kurze Zeit nach jenem glorreichen Einzug in Barcelona Kardinal Mendoza ein Gastmahl zu Ehren des Columbus gegeben habe. Dem Gefeierten huldigte der Hof, und so waren Freunde wie Feinde bei der Tafel erschienen. Die Letzteren ärgerten sich im Stillen, daß ein Fremdling, der einst als hungernder Bettler an die Pforte des Franziskanerklosters Rabida geklopft hatte, dem stolzen Spanien diese Macht und diesen Ruhm gebracht. In ihrem Neid suchten sie das Verdienst Columbus’ zu schmälern und ihn nur als den glücklichen Abenteurer hinzustellen, der geschickt fremde Pläne auszuführen verstanden hatte. Und bei jenem Festmahle konnte einer der Höflinge sich nicht enthalten, dieser emporkeimenden Meinung lauteren Ausdruck zu verleihen. Er fragte listig den Admiral, ob denn das Werk, das er vollbrachte, wirklich so schwierig gewesen sei, und ob nicht ein Anderer, weniger Begabte dasselbe gleichfalls hätte erreichen können.
Da soll Columbus an ihn die Gegenfrage gerichtet haben, ob er ein Ei auf dem Tische aufrecht hinstellen könne. Man versuchte es hin und her, aber Niemand konnte die Aufgabe lösen, bis Columbus ein Ei ergriff, es hart auf die Tischplatte setzte, daß die Spitze einknickte und das Ei stehen blieb. Damit hatte er dem Vorwitzigen die beschämende Antwort ertheilt, daß es nicht genüge einen bestimmten Plan zu kennen, sondern daß man auch die Mittel und Wege genau wissen müsse, wenn man denselben ausführen will.
So berichten uns die späteren Chronisten in ihren Geschichten der Welt und fügen hinzu, daß sie diesen Vorgang nur durch Hörensagen wissen. Sie hatten auch guten Grund, sich zu entschuldigen, denn die Erzählung gehört einfach in die Kategorie jener historischen Anekdoten, die durch glückliche Berücksichtigung der Zeitverhältnisse gewisse Ereignisse in bündigster und populärster Form illustriren. Und in der That braucht man es nicht zu bedauern, daß die Fabel vom Ei des Columbus sich bis auf unsere Zeit erhalten hat, denn aus ihr haben wir schon in den Kinderschuhen von dem bitteren Unrecht erfahren, mit welchem das Verdienst des großen Entdeckers von seinen Zeitgenossen belohnt wurde.
Dasselbe Kunststück mit dem Ei haben schon Andere vor Columbus gekannt. So soll der Baumeister Filippo Brunelleschi, als er im Jahre 1421 nach Florenz berufen wurde, um den Bau des Domes Santa Maria del Fiore mit einer Kuppel abzuschließen, seinem neugierigen Rivalen dieselbe Eigeschichte aufgetischt haben. Sie drangen in den Künstler, daß er ihnen seinen Plan vorzeige, und er ersuchte sie in Gegenrede, ein Ei auf die Spitze zu stellen. Als sie dann, von ihm belehrt, ausriefen, daß sie es so auch hätten machen können, antwortete ihnen Brunelleschi lachend, sie würden es auch verstanden haben, die Kuppel zu wölben, wenn sie sein [204] Modell oder seine Zeichnung gesehen hätten. Uebrigens war dieses Kunststück, wie Büchmann in seinen „Geflügelten Worten“ erzählt, in Spanien unter dem Stichwort „Hänschens Ei“ volksthümlich, und der Dichter Calderon berichtet darüber in seinem „La dama duende“ (Die Dame Kobold):
„Das andere (Geheimniß)
Kennst du doch mit Hänschens Ei?
Womit viele hoch erhabene
Geister sich umsonst bemühten,
Um auf einen Tisch von Jaspis
Solches aufrecht hinzustellen:
Aber Hänschen kam und gab ihm
Einen Knicks nur, und es stand.“
Doch mögen die Forscher um die Berechtigung der Fabel streiten,
der Künstler nimmt seine Stoffe, ohne nach ihrer strengen Wahrheit zu
fragen, aus dem voll pulsirenden Leben, und um Columbus darzustellen, wie
er gegen Neid und Mißgunst kämpfen mußte, konnte er keinen besseren
Vorwurf finden. Da steht vor uns der kühne Seefahrer, noch einmal über
die Schaar der Höflinge triumphirend. Er wird noch mehrmals die Anker
lichten, um die Neue Welt zu schauen, aber im Triumph, wie nach Barcelona,
wird er nie wieder heimkehren. Als Angeklagter erscheint er nach seiner
zweiten Reise vor dem königlichen Hofe. In Ketten gefesselt muß er die
dritte Rückfahrt nach Spanien antreten, Noth und Enttäuschung erntet er
auf seiner vierten Reise, bis seinen zuletzt umnachteten Geist der
barmherzige Todesengel im stillen Valladolid von allen Mühen und Kämpfen
erlöste. – i.