Das Geheimniß des Indianers
Es war an einem hellen, sonnigen Tage des Monats Juni, als der mächtige Dampfer Saratoga, nachdem er sich mühsam durch die rauschenden Stromschnellen und die massiv gemauerten Schleusen des St. Marienflusses gearbeitet hatte, unter dem Donner der Böller und der schmetternden Blechmusik einer deutschen Musikbande in den östlichen Zipfel des oberen Sees einlief. Hohe, grünliche Wellen, deren zerrissene Kämme wie flüssiges Silber leuchteten, wälzte die frische Brise dem stattlichen Schiffe entgegen, dessen scharfer Bug wie ein Rennpferd das Wasser theilte und den glänzenden Schaum zu beiden Seiten weit hinauswarf, während das heftigere Puffen und Keuchen der Maschine anzeigte, daß die Feuerleute ihre Thätigkeit verdoppelten. Die Zahl der Passagiere war außerordentlich groß, denn die glänzenden Berichte über die Ausgiebigkeit der vielen neuentdeckten Kupfermimen und die großartigen Naturschönheiten an den weitgestreckten Küsten des Sees hatten dieses Jahr eine Menge Speculanten und Touristen aus allen Theilen der Union angezogen, die begierig waren, das nordische Eldorado kennen zu lernen, oder sich überhaupt mit der Absicht trugen, dort Niederlassungen oder lucrative Bergwerke zu gründen. Die Gesellschaft in den mit dem höchsten Luxus ausgestatteten weitläufigen Kajüten bestand zum, größten Theile aus Herren, die noch nie in dieser erst durch den riesenhaften Bau des St. Marien-Kanals zugänglich gewordenen Gegend gewesen waren und sich daher ganz gegen die sonst schweigsame Natur des Amerikaners die größte Mühe gaben, mit denjenigen Gentlemen, welche schon längere Zeit an den Ufern des Oberen Sees gewohnt hatten, Gespräche anzuknüpfen, um ausführliche Mittheilungen über die Natur und die Producte des Landes zu erhalten. Namentlich bildete der Ertrag der kolossalen Kupferminen, welche sich von Keweena-Point bis zum Ontonagonflusse längs der südlichen Küste hinziehen, das Hauptgespräch der Gesellschaft, und ein Agent, der im Auftrage einer großen östlichen Actiencompagnie dort längere Zeit beschäftigt gewesen war, konnte kaum Worte genug finden, um alle die Fragen zu beantworten, mit welchen er bestürmt wurde.
„Ja, meine Herren,“ rief er aus. „wenn wir so mit unserer Ausbeute fortfahren, wie voriges Jahr, so brauchen wir die Leute in Californien nicht zu beneiden. Wir münzen aus unserm Kupfer eben so viel Gold, wie diese aus ihrem Quarz. Bedenken Sie, die Cliffmine gab das letzte Mal dreißig Procent Dividende, und die Preise des Metalls steigen noch immer!“
„Der Ertrag muß wirklich ein außerordentlicher sein,“ fuhr ein anderer Herr fort, „wenn die Blöcke reinen Kupfers, die drei- bis viertausend Pfund wiegen und wie ich sie in Pittsburg vor den Schmelzöfen haben liegen sehen, häufig vorkommen.“
„Dazu kommt noch,“ setzte der Agent hinzu, „daß der Verbrauch dieses Metalls durch die moderne Industrie enorm zugenommen hat. Alle Compagnien haben sich deshalb entschlossen, den Bergbau auf wissenschaftlichere Weise betreiben zu lassen, weil der oberflächliche Betrieb nicht mehr genügt. Sie werden, meine Herren, unten im Zwischendeck eine Menge cornische Bergleute bemerkt haben, welche wir zu diesem Zwecke aus England verschrieben haben. Auch haben wir als Betriebsdirector einen deutschen Gentleman engagirt, der früher seine Studien auf der berühmten Bergschule zu Freiberg in Sachsen gemacht bat und uns von Professor Agassiz empfohlen worden ist. Sehen Sie den Herrn, der dort auf der Galerie sitzt und so emsig nach der Küste schaut. Das ist er!“
Die neugierigen Blicke der Amerikaner richteten sich jetzt durch die offenstehende Seitenthür der Kajüte auf den Fremden, der nun aufgestanden war und ruhig auf dem langen Gangwege des Dampfers auf- und abschritt, während er von Zeit zu Zeit mit Hülfe eines kurzen Fernrohrs die südliche Küste des Sees musterte, an der sich hier die berühmten Sandsteingebilde, gewöhnlich die pictured rocks genannt, in schroffen Formen erheben und durch eine wunderbare Zeichnung mit kolossalen rothen Streifen eine angenehme Abwechselung dem Auge bereiten, welches durch die meilenlange weißschimmernde Düne gleich am Eingänge des großen Wasserbeckens ermüdet ist. Der Deutsche schien dieses geologische Räthsel mit dem größten Interesse zu betrachten, zog eine Brieftasche heraus und versuchte, ohne sich von dem Schaukeln des Schiffes stören zu lassen, eine flüchtige Zeichnung jener malerischen Felsen zu entwerfen, deren Entstehung die Naturkundigen zu den gewagtesten Hypothesen verführt bat.
„Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie störe, mein Herr,“ sagte hinzutretend einer der Passagiere, „ich habe soeben von Mr. Tomkins, dem Agenten, gehört, daß Sie ein Mineraloge aus dem alten Lande sind und daß seine Compagnie sich von Ihrer Thätigkeit viel verspricht. Da ich nun selbst ein wenig in den Kupferminen speculiren möchte, so erlaube ich mir, mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Jones und ich bin am Michigan-See zu Haus.“
„Der meinige ist Werner,“ erwiderte der Deutsche, indem er dem Amerikaner seine Karte überreichte, „und es sollte mich freuen, wenn ich Ihnen nützlich sein könnte, Ich gehe nach Ontonagon. Wo werden Sie aussteigen?“
„Ebendaselbst,“ entgegnete Mr. Jones, „aber lassen Sie sich bei Ihrer Zeichnung nicht stören, Ich hoffe, daß Sie hier im fernen Nordwesten noch manche Scenerie finden werden, die Ihren europäischen Augen interessant erscheint. Schauen Sie [146] nur diesen mächtigen Süßwasser-See an, der fast ein eben so großes Becken zeigt, wie das baltische Meer. Hier ist Alles großartiger, als drüben. Wenn Sie in Deutschland das Bischen Kupfer mühsam durch Pochwerke und künstliche chemische Scheidungsprocesse gewinnen, so ragt es hier massenweise fast in gediegenem Zustande aus der jungfräulichen Erde bervor.“
„Ja, ich habe wirklich Wunderdinge davon erzählen hören,“ sagte Werner, „und bin äußerst gespannt, die Mineralländereien an Ort und Stelle kennen zu lernen. Auch habe ich so meine Vermuthungen, daß in dieser Trappformation außer dem Kupfer noch andere Metalle vorkommen müssen.“
„Sie meinen doch nicht Silber?“ unterbrach hier hastig der Amerikaner, „könnten Sie Silbererz in ordentlichen Stufen finden, dann wäre Ihr Glück für immer gemacht!“
„Ei nun,“ sagte Werner, „die alten Handschriften aus der Zeit, wo der Vater Marquette und die andern Jesuiten diese Gegenden bereisten, lassen keinen Zweifel obwalten, daß das felsige Plateau, in welchem der Obere See gewissermaßen mit seinem Becken eingesprengt ist, an vielen Stellen silberhaltigen Quarz aufweisen muß. Ich selbst habe zu Quebec und Montreal in den Klosterbibliotheken vergilbte Manuscripte gefunden, in welchen die alten Reisenden, freilich mit ihrer gewöhnlichen Uebertreibung, erzählen, daß auf den Inseln des Sees früher ein Volksstamm gelebt habe, dessen Geräthschaften ohne Ausnahme mit dem schwersten Silber geschmückt gewesen wären.“
Mr. Jones war bei diesen Worten Werner’s ganz Auge und Ohr und hätte die Unterhaltung noch gern fortgesetzt, wenn nicht der Dampfer in Sicht der berühmten Felscapelle gekommen wäre, welche hier durch die schaffende oder zerstörende Hand der Natur mitten in die Felsenwände eingesprengt ist. Dieses wunderbare Schauspiel zog den größten Theil der Passagiere auf die Galerie hinaus, um den prachtvollen Anblick sich nicht entgehen zu lassen, den diese ohne Mitwirkung von Menschenhänden geschaffene Basilica mit ihren bunten, gleichsam gemalten Pfeilern und romanischen Schwibbogen dem staunenden Auge darbietet. Dumpf schlug die Brandung an die über dreihundert Fuß hohe marmorirte Mauer der Küste, und eine grüne Woge nach der andern wälzte sich mit schaumbedecktem Kamme durch das hohe Portal der Felsenkirche, wo die zwischen den starren Säulen zusammengepreßten Gewässer, durcheinander wirbelnd, ein Geräusch hervorbrachten, das mit dem Echo der weiten Wölbung vermischt dem Donner des Niagara nicht nachstand.
Der Capitain, der bis dahin aus Gefälligkeit für seine Passagiere, um ihnen die mehr als romantische Scenerie zu zeigen, längs der Küste gefahren war, ließ nun den Dampfer mehr der Mitte des Sees zu steuern, und bald glaubten die Reisenden, daß sie sich auf offenem Meere befänden, denn die Küste schwand aus Sicht, und der große Dampfer von mehr als zweitausend Tonnen Gehalt begann zu schlingern und zu rollen, daß die Meisten es vorzogen, ihre Mahlzeiten im Stiche zu lassen und ihre Betten aufzusuchen. Werner hatte eine kräftige Natur und überwand die tückischen Angriffe der Seekrankheit leicht dadurch, daß er sich fortwährend auf Deck hielt, wo er dem Spiel der Wellen und Wolken zuschaute und die reine Luft einathmete, die diesem Klima eigen ist. Mr. Jones und alle anderen Herren, mit welchen er an Bord Bekanntschaft gemacht, waren gegen Abend unsichtbar geworden, und die Gesellschaft im Schenkzimmer, wo einige professionelle Spieler, wie diese leider auf allen Dampfbooten der Union zu finden sind, ihr wüstes Handwerk trieben und zechten, zog ihn nicht an. So blieb ihm denn nach dem eingenommenen Thee Nichts weiter übrig, als gedankenvoll auf der Galerie zu sitzen und den tief indigoblauen Himmel anzustaunen, auf dem die wohlbekannten Sternbilder in einer unendlichen Klarheit glänzten, wie er sie in seiner Heimath nie geschaut hatte. Vor seinem geistigen Auge schwebten die politischen Kämpfe, welche ihn aus dem Vaterland vertrieben hatten, die Gesichter seiner Lieben, als sie Abschied von dem Flüchtling nahmen, und die Anstrengungen seines unterdrückten Volkes, wie es um nationale Selbstständigkeit rang. Alles das tauchte in seiner Erinnerung auf. Der atlantische Ocean war ihm wie ein weißes Blatt im Buche seines Lebens erschienen; es handelte sich jetzt für ihn darum, eine neue Existenz zu erkämpfen, um späterhin eine Vereinigung mit den Seinen möglich zu machen. Freilich hatte er vor vielen andern Eingewanderten das voraus, daß seine in Amerika so gesuchten Fachkenntnisse ihm schon eine sichere Stellung verschafft hatten, in der er wenigstens frei von Nahrungssorgen zu sein glaubte; indessen ließ sein deutsches Gemüth nicht zu, daß er sich unter diesen scharfmarkirten anglo-sächsischen Charakteren wohl fühlte. So fürchtete er, stets als ein Fremdling isolirt und einsam zu stehen, namentlich in diesem Theile des Landes, wo die Erscheinung eines gebildeten Deutschen eine Seltenheit war.
Seinen Gedanken überlassen, saß denn Werner spät in die Nacht hinein, bis die Sterne hinter grauem Gewölk verschwanden und ein steifer Nordwestwind einsetzte, der den bis dahin ziemlich ruhigen See in Aufruhr brachte. Der Dampfer befand sich nach Mitternacht auf der Höhe der Manitouinsel, nicht weit von Eagle-Harbor, in einer Gegend, wo durch die eigenthümliche Bildung der Halbinsel, welche hier von der Südküste fast achtzig Meilen weit in das Wasserbecken hineinragt, entgegengesetzte Luftströmungen eintreten und oft, selbst mitten im Sommer, heftige Stürme verursachen. Schon die Indianer fürchteten diese Stelle des Sees und nannten diese Insel deshalb Geisterinsel, weil sie glaubten, daß die heftigen Windstöße, welche hier dem unvorsichtigen Schiffer so gefährlich werden, durch die Tücke böser Dämonen verursacht würden.
Als Werner, von diesem plötzlichen Aufruhr der Elemente überrascht, vorn auf die Galerie getreten war und sich bei dem Stampfen des Schiffes an einem der Pfeiler hielt, welche das Hurricanedeck unterstützen, huschte eine Gestalt aus der noch erleuchteten Kajüte hervor und ergriff ihn am Arme. Erstaunt sah sich der Deutsche um und erkannte bei dem Lichtschein, welcher durch die geöffnete Thüre des Salons fiel, seinen neuen Reisegefährten, Mr. Jones.
„Machen Sie geschwind, daß Sie hereinkommen!“ rief ihm dieser mit einer Stimme zu, welche das Heulen des Windes übertönte, „Sie kennen die Stürme auf diesen Seeen noch nicht. Sehen Sie nicht, die Galerie kann jeden Augenblick über Bord gehen! sie ist ja nur angebaut, und jede starke Welle vermag sie abzureißen, kommen Sie hübsch herein; der Rumpf des Dampfers ist fest genug, da sind Sie sicher.“
Bestürzt schaute Werner durch die Nacht in das wilde Wogengetöse und bemerkte zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß man ihn ganz allein auf der zerbrechlichen Galerie gelassen hatte, ohne ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Vielleicht hatten die Schiffsleute bei dem ausbrechenden Wetter zu viel zu thun gehabt, um an ihn zu denken, oder sie huldigten dem amerikanischen Grundsatze, daß Jedermann für sich selbst sorgen müsse. Ein paar Dankesworte stammelnd, folgte er Mr. Jones in die Kajüte, wo man vor dem Anprall der Wellen sicher war.
Eine Viertelstunde später erreichte der Sturm seine größte Höhe, und die Officiere des Dampfers hatten alle mögliche Mühe, diesen dem Winde gerade in die Zähne zu steuern, obgleich das lange Fahrzeug dem Helme vortrefflich gehorchte. Trotz der correcten Führung stifteten die scharfen, kurzen Wellen des Sees, die denen der Ostsee gleichen, an den Außenwerken des Dampfers vielen Schaden, wenn sie auch dem eigentlichen Rumpf Nichts anhaben konnten. Sie zertrümmerten die Radkasten und brachen auch denjenigen Theil der Starbordgalerie ab, wo Werner noch vor kurzer Zeit gestanden hatte. Dieser mußte deshalb auch die freundschaftliche Fürsorge Mr. Jones’ dankbar anerkennen, als er bei Tagesanbruch die Verwüstungen betrachtete, welche der Sturm während der Nacht angerichtet hatte.
Schnell, wie das Wetter aufgezogen war, ebenso schnell ließ es nach, und als die Sonne aufging, hatte die Saratoga nur noch mit der heftigen Strömung zu kämpfen, welche ihr bei Keweena Point entgegenrollte. Die Passagiere krochen aus ihren Cabinen hervor, wenn sie nicht seekrank waren, und die Stewards setzten ein substantielles Frühstück auf, bei dessen Genuß die Leiden der Nacht bald vergessen wurden. Gegen Mittag kam auch die deutsche Musikbande wieder zum Vorschein, die während der Nacht im Zwischendeck eben kein comfortables Quartier bezogen hatte und ziemlich übernächtig aussah; aber als die braven Leute die frische Seeluft wieder in vollen Zügen einsogen und die hellen Sonnenstrahlen über das grüue, bewegte Wasser hinspielen sahen, faßten sie wieder Muth und bliesen „Heil Columbia“ mit einer solchen Präcision und solchem Feuer, daß selbst die Seekranken in ihren Kojen mit einstimmten. So ging der Rest des Tages ganz angenehm hin, und gegen Abend kam Eagle Harbor in Sicht, die [147] erste kleine Stadt, an welcher die für die Mineralgegend bestimmten Dampfer anlegen.
Die Saratoga lud hier aus und ein, setzte einige Passagiere ab und dampfte nach einem Aufenthalt von ein paar Stunden nach Ontonagon weiter, wo sie ohne Unfall am nächsten Morgen ankam. – Gedankenvoll stand Werner auf dem Sturmdeck des Schiffes und betrachtete mit prüfenden Augen die Gegend, welche nun für einige Jahre sein Aufenthalt werden sollte. Er mußte sich selbst gestehen, daß seine Erwartungen übertroffen wurden, denn überall begegnete seinen Blicken eine wundervolle Mischung von Wald- und Felspartien, die sich über dem immer bewegten Spiegel des Sees terrassenförmig erhoben, bis sie sich in weiter Ferne an einen weitgestreckten, zackigen Gebirgskamm lehnten. Das Städtchen selbst bot dieselben Erscheinungen, wie alle neu angelegten amerikanischen Orte in ihrer Kindheit: hübsche und breitausgemessene Straßen, sich rechtwinkelig durchschneidend, freundliche Backsteinhäuser, untermischt mit noch rohen Blockhäusern, und einige primitive Kirchen, deren verschiedener Baustyl den Beweis lieferte, daß das landesübliche Sectenwesen auch schon bis hierher vorgedrungen war. In Begleitung von Mr. Tomkins, dem Agenten, überschritt Werner die Landungsbrücke und begab sich nach dem Bureau der Minnesotacompagnie, vor welchem ein paar hundert Fässer voll Kupfererz aufgeschichtet lagen, fertig zur Verschiffung. Dort wurde der neue Betriebsdirector von einigen Beamten gastfreundlich aufgenommen und die Bestimmung getroffen, daß derselbe sich in einigen Tagen nach einem neuangekauften Minendistrict begeben solle, um für dessen zukünftige Ausbeutung die nöthigen Vorarbeiten zu machen.
Gegen Abend, als Werner am Ufer des Flusses, der sich bei Ontonagon in den See ergießt, lustwandelte und das verfallene Indianerdorf, welches am Abhange des Hügels der Stadt gegenüber liegt, mit neuigierigen Augen betrachtete, begegnete ihm wie zufällig Mr. Jones, der sich außerordentlich zu freuen schien, noch einmal mit seinem Reisegefährten von der Saratoga zusammenzutreffen, und sein Bedauern ausdrückte, ihm nicht weiter dienen zu können, da er morgen schon mit dem nächsten Dampfer sich weiter nach dem Westende des Sees begeben wolle.
„Ich werde Ihnen nie vergessen,“ sagte der Deutsche, „daß Sie mich bei jenem Sturme vor großem Unglück bewahrt haben, denn, in der That, ich muß gestehen, ich hatte keine Ahnung davon, daß ich damals mich an einer so gefährlichen Stelle des Schiffes befand.“
„Ei, Sie haben nichts zu danken,“ versetzte Jones, „ich that nichts, als meine Schuldigkeit. Ich sah, daß Sie wie alle Ausländer die Gefahren, welche hier mit dem Reisen verknüpft sind, noch nicht kannten, und ich kann die Schiffsofficiere nicht genug tadeln, daß man Sie bei dem Ausbruch des Wetters nicht hineingehen hieß. Lassen wir das bei Seite. Aber ich möchte Sie, als Fremden, noch auf andere Dinge aufmerksam machen, wenn Sie es mir nicht übel deuten. Sie sind hier von der Minnesotacompagnie engagirt, um durch Ihre höhere Fachkunde einen größern Ertrag aus den Minen zu erzielen, den die Herren bei ihrer oberflächlichen Kunde des Bergbaues bis dahin nicht gewinnen konnten. Man wird nun Ihre Kenntnisse und Talente so gut wie möglich ausbeuten, und wenn Sie dann alle Einrichtungen getroffen haben werden, wenn zweckmäßigere Schachte und Stollen hergestellt sind, kurz und gut, wenn man Ihnen Ihre Kunst und Wissenschaft abgelauscht hat und Ihre Dienste nicht mehr nothwendig braucht, dann wird man Sie wegwerfen wie eine ausgequetschte Citrone und an Ihre Stelle einen Yankee einstellen, der den Herren mehr zu Willen ist und die fremden Arbeiter besser beschwindeln kann.“
„Was Sie mir da sagen,“ entgegnete Werner, „klingt allerdings sehr beunruhigend für mich, indessen bin ich nicht so grün, wie sich die Herren vorstellen, und was das Bergfach anbetrifft, so wird so ein oberflächlich gebildeter Mensch erst noch lange lernen müssen, ehe er in meine Functionen treten kann.“
„Glauben Sie das nicht,“ versetzte Jones, „die Amerikaner sind ungemein praktisch und wißbegierig, wenn es sich darum handelt, Geld zu verdienen, und dem Ausländer gönnen meine Landsleute vollends nichts. Nun, hören Sie meine Worte. Ich habe gesprächsweise an Bord der Saratoga gehört, wenigstens gab Mr. Tomkins es nicht undeutlich zu verstehen, daß Ihre Compagnie jetzt hauptsächlich darauf speculirt, Silbererze aufzufinden, und daß man Sie gerade zu diesem Zwecke als praktischen Bergmann engagirt hat. Vor einigen Monaten hat ein irischer Arbeiter irgendwo in der Gegend eine gewaltige Stufe des edeln Metalls gefunden und ohne Hülfe Anderer gelöst. Sie soll wenigstens fünfzehnhundert Dollars werth gewesen sein. Das Merkwürdigste bei der Geschichte ist aber, daß der Mann, nachdem er sich positiv geweigert hatte, den Ort seines glücklichen Fundes anzugeben, spurlos aus der Gegend verschwunden ist, so daß man hin und wieder von einer schwarzen That gemunkelt hat. Möglich, daß ihn die Odschibbewas, die sich hier noch immer am südlichen Ufer des Sees herumtreiben, in der Wildniß erschlagen haben, wenn sich der Narr so weit von den Ansiedlungen weg wagte.“
„Ich dachte,“ sagte Werner, „die hiesigen Indianer wären friedlicher Natur und ohnehin genug zu beklagen, daß die fortschreitende Civilisation sie aus der Heimath ihrer Väter verdrängt.“
„Da sind Sie im Irrthum,“ erwiderte Jones, „es ist verrätherisches Gesindel, welches jede Gelegenheit ablauert, um einen Weißen kalt zu machen. Einige von den alten Sagamores kennen durch Tradition noch die Metallschätze des Landes und wissen genau, wo das Silber liegt, aber sie behalten das Geheimniß für sich, weil sie fürchten, daß die Kunde davon unzählige Ansiedler herbeiziehen würde, denen in kürzester Frist Grund und Boden anheimfiele.“
„Aber mit welchem Rechte?“ unterbrach Werner.
„So kann nur ein Deutscher fragen,“ antwortete Jones. „In unsern Augen sind diese rothen Diebe nur so eine Art zweibeinigen Ungeziefers, das jeder ordentliche Weiße mit Fug und Recht vertilgen kann. Die Kirche lehrt ja, daß die Brut von Kain abstammt und deshalb, zum unstäten Wanderleben verdammt, keinen bleibenden Besitz eignen kann.“
„Da sind unsere Begriffe von dem Christenthume anders!“ rief Werner aus.
„Mag sein, daß die Europäer verschieden denken,“ sagte Jones, „wir wollen darüber nicht streiten; aber, um auf das früher Gesagte zurückzukommen, will ich Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, daß Sie, wenn es Ihnen gelingen sollte, eine Silbermine zu entdecken, die Sache zunächst für sich behalten, um ruhig überlegen zu können, wie Sie den besten Nutzen daraus ziehen mögen; denn wenn die Compagnie oder andere Leute dahinter kämen, so würde man Ihnen den Besitztitel abzuschwindeln oder Sie auf irgend eine Weise mit einer Kleinigkeit abzufinden suchen, falls Sie Ihr Eigenthumsrecht nicht vollständig vor dem Gesetze gewahrt haben.“
„Ei nun,“ sagte Werner, „so weit sind wir noch nicht. Sollte mich wirklich das Glück begünstigen, so werde ich mein Recht schon zu behaupten suchen. Uebrigens, Mr. Jones, bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihre Mittheilungen, da Sie mich als Ausländer nicht mit nativistischen Gesinnungen betrachten, sondern im Gegentheil mit Freundschaft überhäufen, indem Sie mir Aufschlüsse über die hiesigen Zustände gegeben haben, welche von großem Nutzen für mich sein werden.“
„Ich werde vielleicht längere Zeit am Oberen See bleiben,“ sagte Jones, „und wahrscheinlich öfter in diese Gegend kommen, dann werde ich, wenn Sie nichts dagegen haben, Sie in Ihrer Wildniß besuchen und sehen, ob Ihnen das Glück günstig gewesen ist. In Ontonagon kann ich ja immer erfahren, wo Sie sich augenblicklich aufhalten. Ist Ihnen das recht?“
„Nichts wird mich mehr erfreuen, als ein solcher Besuch,“ erwiderte Werner, „Kehren wir indeß zur Stadt zurück, da die Sonne im Sinken begriffen ist und wir den Weg verlieren möchten. Dort können wir bei einer Flasche Wein das Gespräch fortsetzen und auf baldiges Wiedersehen anstoßen.“
Einige Wochen später war Werner in voller Thätigkeit. Die
Compagnie hatte in der Nachbarschaft des Ontonagonflusses, nicht
weit von der Küste, einen Mineraldistrict gekauft, der schon früher,
vor undenklichen Zeiten von einer gänzlich verschollenen Nation bearbeitet
worden war und aus diesem Grunde die Toltec-Diggings
genannt wurde, wahrscheinlich, weil man meinte, daß hier früher
die Vorfahren der alten Azteken gehaust hätten. Ueberall, wo die
ausgestorbene oder schon vor Jahrhunderten ausgewanderte Race,
[148] die mit den jetzigen Indianern nichts gemein hat, mit ihren unzureichenden
Werkzengen die Erde ausgehöhlt hatte, fand Werner
große Haufen zerschlagener Steinhämmer, und man brauchte an
solchen Stellen nur etwas mehr in die Tiefe zu gehen, um auf
die reichsten Kupfererze zu stoßen. Das Metall war in derartigen
Massen vorhanden, daß es in der entlegenen Gegend nur an Arbeitern
fehlte, um die Minen äußterst lucrativ zu machen, und
selbst der oberflächliche Bau brachte tonnenschwere Stücke Kupfertönig
zum Vorschein. Die Compagnie war aber damit noch nicht
zufrieden und trieb Schachte und Stollen tief in die Erde, um
den Ertrag noch mehr zu steigern; auch schmeichelte man sich
jedesmal, wenn eine dünne Quarzdruse mit eingesprengtem Silber
gefunden wurde, weiter unten endlich auf eine Hauptader zu stoßen,
deren Fund dann den Werth der Actien gleich auf das Doppelte
schnellen würde.
Daß Werner, der das Ganze leitete, unter diesen Umständen eine außerordentliche Thätigkeit entwickeln mußte und keine Zeit für das Heimweh übrig hatte, ist leicht begreiflich. Seine Mußestunden, die eintraten, wenn etwa die Maschinerie aufgab oder wenn es an Pulver zum Sprengen fehlte, suchte er durch das Vergnügen der Jagd auszufüllen, die ihn mitunter zu weiten Streifzügen in dieser wilden Gegend verführte. Häufig kam er bei solchen Partieen in die Nachbarschaft eines Indianerdorfes, das mit seinen Wigwams von Birkenrinde und Fellen im Schatten hoher Schierlingstannen lag und an einen mit laubgekrönten Inseln bedeckten malerischen See grenzte. Es war ein Zweig der Odschibbewas, der, von den Weißen aus seinen frühern Wohnsitzen bei Keweena-Point verdrängt, nach den romantischen Bergschluchten am Ontonagonflusse ausgewandert war und von Jagd und Fischfang lebte, ohne den Leuten in den Minendistricten beschwerlich zu fallen. Werner, der die gehässigen Ansichten der Amerikaner über die Rothhäute nicht theilte, wurde bald näher mit ihnen bekannt und fand in den Indianern einen harmlosen Menschenschlag, welcher für empfangene Wohlthaten ein warmes Gefühl der Dankbarkeit hegte.
Tawanka, der Häuptling, ein schöngewachsener Mann von herculischen Formen, schloß sich an den vorurtheilsfreien Deutschen innig an, so weit es seine schweigsame Natur erlaubte, besuchte ihn öfters in den Minen und zog ihn gern bei allen Streitigkeiten zu Rathe, die zwischen den weißen Eindringlingen und seinen Stammgenossen vorfielen. Bei seinem Rechtsgefühl stand Werner fast immer auf der Seite der Indianer, worüber freilich die andern Beamten der Compagnie und deren Arbeiter, meistentheils rohe Irländer und Cornwaliser, ihre Unzufriedenheit laut genug äußerten. Dafür wurde der Deutsche aber auch von den Indianern hoch geehrt, und wenn ihn der Zufall auf seinen Streifereien in ihr Dorf führte, so konnten sie ihm nicht Ehre genug anthun. Dann wurden ihm die besten Stücke Wildpret und die saftigsten Lachsforellen vorgesetzt; dann wanderte die Friedenspfeife von einem schweigsamen Munde zum andern, während die Squaws mit ihren wildscheuen Augen im Kreise umherstanden und die muntern Papusen sich wohl an den gutmüthigen Fremden hinanschlichen und ihm nach Kinderart die Taschen visitirten, um zu sehen, ob er ihnen nicht ein Spielzeug oder eine Näscherei mitgebracht hätte. Wollte Werner jagen oder sonst eine Excursion machen, so konnte er sicher darauf rechnen, daß Tawanka ihm zur Seite ging oder, falls derselbe Abhaltung hatte, ihm einige seiner jungen Krieger zur Begleitung gab, deren Ortskunde und Waidmannskunst ihm trefflich zu statten kam. Namentlich aber gewann er sich die Sympathien der Indianer durch den Beistand, denen er ihnen bei Grenzdifferenzen und gegen die maßlosen Anmaßungen der ländergierigen Nativisten leistete.
Der schreckliche Winter von 1854 auf 55 kam in das Land und mit ihm große Noth für die Bergwerkscolonien, deren Verproviantirung von den untern Seen aus zu geschehen pflegt und dieses Jahr wegen des ungewöhnlich früh eintretenden Frostes keine vollständige war. Schon im November fror der St. Mariensfluß zu und die Dampfer, welche noch spät im Herbst von Chicago und Detroit aus die nothwendigen Lebensbedürfnisse für die Minendistricte bringen sollten, mußten des Eises wegen umkehren. Farmen existirten damals in der Gegend noch nicht, weil alle neuen Ankömmlinge sich auf den Bergbau warfen, von welchem sie größern Gewinn zu ziehen hofften, als aus dem sicherern, aber nicht so lucrativen Ackerbau. Schon nach Neujahr gingen deshalb in manchen Ansiedlungen die Lebensmittel aus und die Leute wurden gezwungen, ihren geringen Viehstand zu opfern. In den Toltec-Diggings war die Noth nicht ganz so hart, wie an andern Orten, aufgetreten, weil die Magazine der Compagnie zufällig dieses Jahr etwas früher als gewöhnlich für den Winter verproviantirt wurden, und so konnten die Beamten derselben ihren nächsten Nachbarn manches Faß Mehl und Salzfleisch zukommen lassen.
Am schlimmsten erging es den armen Indianern. Werner’s Freunden, weil der ungewöhnlich frühe Frost ihre Maisfelder zerstört und die Thiere des Waldes nach mildern Himmelsstrichen, fern im Süden, verscheucht hatte, so daß der Ertrag der sonst so ergiebigen Winterjagd vollständig wegfiel. Auch das beliebte Fischen unter dem Eise des kleinen Sees, an dem ihr Dorf lag, konnte nicht stattfinden, denn das Wasser war bis auf den Grund gefroren. Die Folge dieses Elends waren Hunger und Seuchen, welche unter den sonst so abgehärteten Odschibbewas mit ungemeiner Heftigkeit auftraten und der Bevölkerung des Dorfes den Stempel der Verzweiflung aufdrückten.
In dieser Noth wandte sich Tawanka an seinen deutschen Freund, zeigte ihm seine abgemagerten Arme und Schenkel und bat ihn, seinen Stammgenossen doch einige Lebensmittel zukommen zu lassen. Werner zeigte sich gleich dazu bereit, fest entschlossen, seine neuen Freunde zu unterstützen, obgleich er wußte, daß die andern Beamten der Compagnie die Indianer gern hätten verhungern sehen, wie denn überhaupt der Amerikaner eher einem Hunde ein Stück Brod zuwirft, als einer unglücklichen Rothhaut. Schon am nächsten Tage erhielten die Indianer trotz des Protestes des Magazinverwalters ein Paar Fässer Mehl, denen eine Woche später ein großer Sack voll Mais folgte. Damit war jedoch der humane Deutsche noch nicht zufrieden, denn er wollte sich selbst an Ort und Stelle von ihrem Elend überzeugen und helfen, so weit er konnte.
In seinen raufen Büffelpelz gehüllt und auf Schneeschuhen dahingleitend, deren Gebrauch er sich bald angeeignet hatte, eilte er über Berg und Thal, und als er vor Tawanka’s Wigwam anhielt, hörte er zu seinem großen Schrecken den dumpfen Klagegesang der Squaws. Er fand seinen Freund mit schweren Wunden bedeckt, die dieser im Kampfe gegen einen schwarzen Bären davongetragen. Tawanka hatte trotz seiner durch die letzten Entbehrungen herbeigeführten Schwäche die Spur des Thieres im Dickicht verfolgt, dieses Mal aber fast den Kürzern gezogen, da die Bestie, bei dem Mangel an Wild ausnehmend hungrig und wüthend, ihn mit der Mordgier eines Tigers angefallen hatte. Nur seiner Geistesgegenwart verdankte der Häuptling das Leben. Auf allen Vieren nach dem Dorfe zurückkriechend, hatte er indeß kaum noch Besinnung genug gehabt, um seinen Leuten sagen zu können, wo der Bär gefallen war. –
Nachdem Werner sich überzeugt hatte, daß die Wunden äußerst gefährlich waren, und daß selbst eine unverdorbene indianische Natur ohne Kunsthülfe solchen Verletzungen unterliegen müsse, entschloß er sich sofort, den Häuptling nach der Bergwerkscolonie bringen zu lassen, um ihn dem dort angestelllen Arzte zur Behandlung zu übergeben. Er selbst räumte dem Kranken eines seiner wohlgewärmten Zimmer ein und unterließ Nichts, was zu dessen Genesung und Pflege dienen konnte. Die angestrengte Sorgfalt des Doctors – die gebildeten Aerzte Amerikas sind in der Regel sehr human – und die rastlose Aufmerksamkeit des Deutschen im Bunde mit der urwüchsigen Lebenskraft Tawanka’s hatten denn auch ein günstiges Resultat zur Folge, und vier Wochen nach dem Unglücksfalle konnte der Häuptling schon so gut auf Krücken im Hause herumhinken, daß sich bei ihm der Wunsch einstellte, wieder zu seinen Stammgenossen zurückzukehren, was übrigens Werner einstweilen nicht zugab.
[161] Eines Tages war Werner auf seinem Bureau damit beschäftigt, ein Conglomerat von Quarzkristallen, das die Arbeiter in einer der Gruben gefunden hatten, mittels der Lupe und des Hammers zu untersuchen. Er zerschlug einen Theil der Masse und fand zu seinem freudigen Erstaunen mitten zwischen dem Gestein eine vollwichtige Silberdruse eingebettet, welche er dem Reconvalescenten, der neugierig dicht hinter ihm stand, mit den Worten zeigte: „Ich wollte, ich hätte einen ganzen Schacht voll davon, Tawanka, dann solltet Ihr einmal sehen, wie schnell ich diesen gierigen Yankees den Rücken zeigen wollte.“
Bei diesem unwillkürlichen Ausrufe seines Freundes überflog ein eigenthümliches Lächeln die dunkeln Züge des Häuptlings, und seine braune Hand sanft auf die Schulter Werners legend, sagte er würdevoll: „Wenn solches Gestein Euer Herz erfreut, so kann ich Euch einen Ort weisen, wo Ihr zwölf Monde lang täglich davon herunterschlagen könnt, ohne daß es merklich abnähme.“
„Ihr wollt doch damit nicht sagen, Tawanka.“ rief Werner aus, „daß Ihr eine Silbermine kennt?“
„Gewiß!“ erwiderte der Häuptling. „Manitou hat eine solche meinem Großvater gezeigt, als er einst an einer wüsten Insel auf dem großen See landete. Dieser hat die Kunde auf meinen Vater vererbt, und mein Vater hat mich selbst an den Ort geführt, als die ersten weisen Männer auf den großen Canoes in die Gegend kamen. Da die Blaßgesichter gierig nach Schätzen spähten, so befahl mir mein Vater, die Felsspalte, welche zu dem weißen Erze führt, mit Steinen und Geröll auszufüllen, um sie unkenntlich zu machen. Er glaubte nämlich, daß die Weißen, wenn sie das weiße Metall, welches sie suchten, nicht finden könnten, wieder abziehen und die Rothhäute in ungestörtem Besitz des Landes lassen würden. Es ist aber anders gekommen. Sie entdeckten die Kupferfelsen bei Keweena, und seit der Zeit strömen sie in Massen herbei und verdrängen uns von den Jagdgründen, die unsere Väter als Geschenk vom großen Geiste erhalten haben.“
„Tawanka, wollt Ihr mir die Stelle zeigen?“ fragte der Deutsche.
„Wenn Ihr den Yankees nichts davon sagen wollt, so werde ich es thun,“ antwortete der Häuptling. Mein Vater nahm mir nur das Versprechen ab, den Schatz vor ihnen, den Abkömmlingen des Teufels, zu verbergen. Ihr seid aber kein Yankee und habt Gutes an mir und meinem Stamme gethan, deshalb will ich Euch das weiße Gestein zeigen, wenn es Euch glücklich macht. Sobald die Sonne wieder hoch steigt und das Eis an der Küste bricht, dann haltet Euch bereit. Dann werden auch Tawanka’s Glieder wieder kräftig genug sein, um die Berge besteigen und das Ruder führen zu können. Aber seid still und verschwiegen. wie der rothe Mann: denn erfahren die Yankees etwas von dem, was wir vorhaben, so werden ihre List und Tücke Mittel genug finden, Euch zu berauben oder Euch den Besitz streitig zu machen.“
„Aber, Tawanka, irrt Ihr Euch nicht?“ sagte Werner, „das weiße Gestein, welches Ihr damals gesehen, war vielleicht nur Bleierz, das Ihr für Silber gehalten habt.“
„Ein Sagamore der Odschibbewas sagt nie etwas, was er nicht beweisen könnte. Wenn sein Auge so scharf war, daß er die falschen Dollars, womit der große Häuptling der Pelzhändler (Astor) die Rothäute für gelieferte Felle zu bezahlen pflegte, von den echten spanischen Pfeilerstücken (Piastern) unterscheiden konnte, so wird er auch beurtheilen können, ob das Gestein, welches er damals sah, mit Silber oder mit Blei gefüllt war.“
Werner stellte noch verschiedene Fragen an den Häuptling, welche dieser mit solcher Sicherheit und Klarheit beantwortete, daß jeder Zweifel an dem Vorhandensein des edeln Metalls, und zwar in großen Massen, wegfallen mußte. Nur über die Localität der Silbermine konnte er nichts in Erfahrung bringen, da der schweigsame Indianer darauf bestand, ihm erst im nächsten Frühjahr, wann der See wieder offen sei, die nöthigen Aufklärungen zu geben. Bis dahin, bat ihn Tawanka, solle er das Geheimniß tief in seiner Brust verbergen und es so einzurichten suchen, daß er sich dann dem Dienste der Compagnie auf einige Wochen entziehen könne.
Einige Wochen später kehrte der nun vollkommen wieder hergestellte Häuptling nach dem Indianerdorfe zurück, reich beschenkt mit Lebensmitteln, die er im Auftrage Werners unter seine darbenden Stammgenossen vertheilen sollte. Bei dem Abschiede sprach er zu dem Deutschen: „Wenn die Schneegänse wieder nach Norden ziehen und der Whippoorwill sein Nest zu bauen anfängt, dann macht Euch frei und haltet Euch bereit, damit Ihr seht, wie Tawanka sein Wort hält. Aber fesselt Eure Zunge, auf daß sie Euch kein Unglück bringt.“
Die Aufschlüsse über die geheimnißvolle Silbermine ließen Werner keine Ruhe, da er guten Grund hatte, zu glauben, daß der Indianer es ehrlich mit ihm meine. Sein Leben in der Wildniß und der gezwungene Umgang mit vorurtheilsvollen Amerikanern und ungebildeten irischen und englischen Arbeitern trugen freilich nicht dazu bei, ihm seine Stellung so angenehm zu machen, um die Entbehrung der gewöhnten Genüsse der civilisirten Welt verschmerzen zu können. Auch das Heimweh fing an, sich bei ihm [162] zu rühren, und der Gedanke an die Möglichkeit, durch schnell erworbene Reichthümer sich und die Seinen im fernen Vaterlande unabhängig zu machen, hatte so viel Lockendes für ihn, daß er kaum die Zeit abwarten konnte, die Tawanka festgesetzt hatte, um die mysteriöse Expedition zu unternehmen. Jedenfalls aber sah er ein, daß er allein nicht im Stande sei, die zu erwartenden Schätze auszubeuten, und daß er zu diesem Zwecke sich mit einem Compagnon associiren müsse, der die ihm selbst fehlenden Geldmittel vorstrecken könne, um die Mine mit Erfolg zu bearbeiten, denn er erkannte die Wahrheit des spanischen Sprüchworts zu gut, „daß man in ein Silberbergwerk eine Goldquelle leiten müsse, um es einträglich zu machen.“ Unwillkürlich fiel ihm bei diesen Reflexionen Mr. Jones ein, der ihm ja schon manchen guten Rath gegeben und das größte Interesse für ihn zur Schau getragen hatte. Diesen wollte er, falls derselbe wieder nach Ontonagon käme, trotz des eindringlichen Verbots des Indianers in das Geheimniß ziehen, um mit seiner Hülfe und Geschäftskenntniß das Unternehmen zu beginnen. Freilich warnte ihn eine innere Stimme vor dem aufdringlichen Amerikaner, dessen lauernde Physiognomie gleich bei dem ersten Anblick einen unangenehmen Eindruck auf ihn gemacht hatte, indessen kannte Werner Niemanden anders, dem er sich hätte anvertrauen mögen, und Jones hatte ja durch den Umstand, daß er den Deutschen von dem gefährdeten Theile des Schiffes bei Gelegenheit jenes Sturmes fortgerissen hatte, hinlänglich bewiesen, daß er dem unerfahrenen Ausländer wohlwollte. –
Das Frühjahr war gekommen und mit ihm die ersehnte Zeit der Expedition. Werner hatte von seiner Compagnie auf einige Wochen Urlaub erhalten, und Tawanka wartete an einer kleinen Bucht nicht weit von Ontonagon mit sechs seiner Krieger auf die Ankunft seines weißen Freundes. Sie hatten ein großes, festes Canoe, ein sogenanntes Mackinawboot, construirt und mit den nöthigen Vorräthen versehen, da der Ertrag der Jagd und Fischerei an den wüsten Küsten des Oberen Sees im Voraus nicht zu berechnen ist. Unmittelbar nach der Ankunft des Deutschen, der sich mit Pickaxt und Steinhammer versehen hatte, stießen sie ab, obgleich der Anblick des Himmels und des Wassers drohend genug war, gerade, als wenn der Winter noch einmal sein Recht wahren wollte. Aber es war jetzt zu spät, um einen andern Entschluß zu fassen und die Reise aufzuschieben, und die Odschibbewas kämpften nun gegen Wellen und Wind mit demselben Muthe, mit welchem ihre Väter einst den Kriegspfad betreten hatten. Ehe die Sonne aufstieg, lagen sie schon auf ihren Rudern, und keine See war so rauh, daß sie ihr nicht getrotzt hätten, obgleich die kurzen, sich überstürzenden Wellen rings um sie kochten und ihre Gesichter mit blendendem Schaum überspritzten, den der bitter kalte Nordwind in scharfe Eistheilchen verwandelte.
Es war der fünfte Morgen nach ihrer Abreise, als sie bei den matten Strahlen des untergehenden Mondes noch vor Tagesanbruch die südliche Küste des obern Sees im Nebel versinken sahen und noch vor Abend den Ort ihrer Bestimmung zu erreichen hofften, weil hier am Westende des Sees die Ufer sich schon einander nähern. Die Luft war außerordentlich kalt, denn der Wind, welcher die Hände, die das Ruder führten, fast erstarren machte, kam direct von den Eisfeldern des Nordpols. Aber furchtlos fuhren sie weiter und setzten mit dem scharfgebauten Canoe wie auf einem Rennpferde über die zerrissenen Kämme der Wellen, so daß das Kielwasser hoch aufschäumte. Mit der zunehmenden Tageshelle nahm auch der Wind zu, bis er gegen Mittag zu einer gewaltigen Böe anwuchs, in deren Gefolge sich dicke Schneewolken entluden und die Flocken so dicht herunterfielen, daß sich die Rudernden kaum mehr erkennen konnten. Sie waren jetzt mitten auf dem See, hatten keine Landmarken mehr in Sicht und würden bei dem furchtbaren Aufruhr und Tumult der Elemente gewiß die Richtung verloren haben, wenn nicht Tawanka, der vorn wie ein zweiter Frithjof im Buge stand, aus der eisigen Kälte des Windes die Richtung desselben beurtheilend, mit ausgestreckter Rechten den einzuschlagenden Curs angegeben hätte.
Vorwärts ging es trotz Sturmwind und Wellen, und eine Meile nach der andern wurde zurückgelegt, bis der Schnee, der immer dichter fiel und ihnen alle Aussicht nahm, jede Falte ihrer Kleider ausfüllte und sich hoch am Boden des Bootes anhäufte, während der Orkan von Zeit zu Zeit mit heftigern Stößen einsetzte, welche die Wellen des Sees so in Aufruhr brachten, daß sie jeden Augenblick über dem schwachen Canoe zusammenzubrechen drohten. Schweigsam und stetig, wie bronzefarbige Automaten, ruderten die Indianer weiter, ihren Häuptling unverwandt in das Auge fassend, dessen herculische Figur wie ein riesenhafter Schatten im Vordertheil hervorragte, als ein plötzlicher Stoß sie von ihren Sitzen warf und eine gewaltige Welle, vom Bug nach dem Sterne durch das Boot stürzend, dasselbe gewissermaßen unter ihren Füßen wegriß und die ganze Bemannung nebst Werner mit unwiderstehlicher Gewalt in die kochende Brandung stürzte.
Die Katastrophe kam so plötzlich und das Wirbeln der Schneemassen, das Heulen des Windes und das Brausen der Wogen wirkten so betäubend, daß Werner im ersten Augenblick kaum seine gefährliche Lage inne wurde, allein instinctmäßig begann er zu schwimmen, ehe die nächste Welle ihn niederdrücken konnte. Rings um ihn her tauchten die Indianer wie Ottern auf, aber er konnte sie vor den dicht niederfallenden Schneeflocken nicht sehen. Auch hörte er laute Ausrufe in der Odschibbewasprache, wie sie in rascher Folge einander zuschrieen, aber das Brüllen der Brandung und die mangelhafte Kenntniß des Idioms erlaubten ihm nicht, diese Worte zu verstehen. Halb erstarrt in dem eisigen Wasser, geblendet durch den um sein Haupt wirbelnden Schnee, wußte er nicht, in welcher Richtung er schwimmen sollte, um das Ufer zu erreichen. Schon gab er die Hoffnung auf, daß sein schwacher Hülferuf gehört würde, und schon schwebten die trüben Bilder der Vergangenheit, ein kurzer Abriß seines ganzen Lebens, wie das bei Ertrinkenden der Fall zu sein pflegt, vor seinem geistigen Auge, als er auf einmal die Stimmen der Indianer deutlicher zu hören glaubte. Sie schienen einander zuzurufen, um nicht auseinander zu kommen, und diese rauhen Kehllaute hatten etwas so wunderbar Ermuthigendes für den fast den Kampf mit den Wellen aufgebenden Werner, daß er seine letzten Kräfte zusammenraffte und einen hellen, weithin tönenden Verzweiflungsschrei ausstieß. Augenblicklich wurde dieser durch eine Menge Stimmen beantwortet und wenige Minuten nachher schon viel näher durch einen zweiten einstimmigen Zuruf, der dem Deutschen wie himmlische Musik erklang. Unmittelbar darauf schwamm Tawanka bereits an seiner Seite, der ihm jede mögliche Unterstützung gewährte, bis noch ein paar seiner Leute herzukamen, mit deren Hülfe es nun nicht mehr schwer fiel, den erstarrten und abgematteten Werner auf dem Felsen, an welchem vor einer Viertelstunde das Canoe gestrandet war und wohin die falkenäugigen Indianer sich sofort zu retten gewußt hatten, in Sicherheit zu bringen.
Nichts kann die erhabene Schönheit eines hellen Frühlingstages an den Gestaden des Oberen Sees übertreffen, wenn der warme Südwind, der über den mexicanischen Golf wegstreichend tropische Gluth eingesogen, die Eisfelder von den Küsten abgelöst hat. Der See ist dann ruhig und glatt wie ein Spiegel und mit einer Menge von größern und kleinern, in allen Farben des Prisma schimmernden Eisbergen bedeckt, welche die wunderbarsten und pikantesten Formen zeigen. Die tiefste Stille herrscht über den schweigenden, leicht gekräuselten Gewässern, nur dann und wann unterbrochen von dem donnerähnlichen Krachen der Gletscher, mit welchen die höchsten Berge des Ufers gekrönt sind, von dem rauhen Geschrei des weißköpfigen Adlers, der in Spiralen gegen den blauen Aether aufsteigt, und von den heisern Rufen der Kraniche und schwarzen Schwäne, welche auf den niedrigern Klippen ihre alten Nester suchen. Diese Scenerie und diese Eindrücke einer wilden Natur sind einzig schön in ihrer Art, sodaß Niemand, der sie einmal empfunden, sie vergessen wird. Aber es existirt auch eine Kehrseite dieses schönen Gemäldes, eines Bildes, wie es der genialste Maler nicht schaffen kann. Eine kurze Spanne Zeit genügt, um den Anblick der ganzen Gegend umzugestalten. Eisige Windstöße fahren jählings von den ewigen Schneefeldern des Nordpols hinunter, dicker, undurchdringlicher Nebel mit seinem Gefolge durcheinander wirbelnder weißer Flocken steigt auf, die in purpurnen Tinten schimmernden Gletscher verbergen sich im dunkeln, drohenden Gewölk, und von dem eben noch so prachtvollen Panorama bleibt Nichts zurück, als ein beschränkter Gesichtskreis von ein paar Quadratruthen, der nur schwarze, aufgeregte Wellen und phantastische Nebelgebilde zeigt.
Dieselbe Erfahrung hatten die Odschibbewas bei ihrer gewagten Canoefahrt gemacht. Unmittelbar vor ihrem Aufbruch herrschte das schönste Frühlingswetter, gleich nach ihrer Abfahrt aber hatte der nordische Winter noch einmal seine ganze Tücke gezeigt, indessen sie wären keine Indianer gewesen, wenn sie sich [163] durch den drohenden Anblick des Wetters hätten abschrecken lassen. Auch jetzt in einer Lage, die jedem Europäer als eine trostlose erschienen wäre, verzagten sie keinesweges, da sie wußten, daß in dieser Jahreszeit schon der nächste Tag einen Wechsel mit sich führen könne. Bald fanden sie eine gegen den erstarrenden Nordwind geschützte Vertiefung in den Felsen, wo sie, nachdem der fast ohnmächtige Werner dort niedergelegt war, ein helles, lustiges Feuer aus Fichtenholz, das sich in Hülle und Fülle auf der Insel fand, anzündeten und dann, nachdem sie ihre Decken getrocknet hatten, zusammenkrochen und, sich gegenseitig erwärmend, in einen gesunden Schlaf fielen.
Spät am Morgen erwachte der von so viel Aufregung und Strapazen hart mitgenommene Deutsche auf seinem aus duftigen Tannenzweigen hergestellten warmen Lager. Sein erster Blick fiel auf Tawanka, der in der Höhle schweigend neben ihm saß und die Flamme des Feuers mit dürrem Holze nährte, während einer der Indianer eine Schneegans in der Asche briet. Auf seine Frage, wo die Andern wären, erfuhr er, daß dieselben an dem Orte, wo das Canoe gescheitert sei, Anstalten machten, die verlorenen Gegenstände aus der Tiefe zu holen, auch habe man das Boot hoch und trocken zwischen den Felsen eingeklemmt gefunden, wo es von einer Welle hingespült sei, und es werde nicht schwer fallen, den eingestoßenen Bug mit Birkenrinde zu repariren; außerdem, setzte der Häuptling hinzu, habe sich der Nordwind gelegt, und er erwarte ganz bestimmt noch im Laufe des Tages gutes Wetter.
Bei diesen aufmunternden Worten reckte Werner seine steifen Glieder zurecht, und ein neuer Hoffnungsstrahl fuhr durch seinen Geist, der aber sofort zur hellen Flamme aufschlug, als Tawanka, welcher mit einem Winke seiner Hand dem andern Indianer sich zu entfernen bedeutet hatte, mit geheimnißvollem Lächeln fortfuhr: „Wißt Ihr, Freund, daß wir an Ort und Stelle sind und daß ich trotz des Sturmes gestern die Insel nicht verfehlt habe, auf der ich einst mit meinem Vater den Weg zur Silbermine suchte? Trotz der Dunkelheit und des Schneegestöbers fand ich die Richtung und ich irrte nur in der Entfernung, weil sich der Lauf des Canoes bei solchem Wetter nicht berechnen ließ. Noch heute Nacht wollen wir aufbrechen, wenn der Vollmond scheint, doch haltet reinen Mund gegen meine Leute. Sie dürfen Nichts von unserm Vorhaben wissen und werden Euch nicht durch unnütze Fragen lästig werden.“
„Also noch diese Nacht soll ich die Silbermine sehen?“ rief Werner aus, der kaum seine Aufregung bezähmen konnte, da er sich der Erfüllung seiner kühnsten Wünsche so nahe sah.
„Gewiß! noch diese Nacht,“ erwiderte Tawanka; „aber ruht Euch gehörig aus und stärkt Euch, denn wir haben einen beschwerlichen Marsch vor uns. Einstweilen will ich gehen und Sorge tragen, daß das Canoe gehörig ausgebessert wird.“
Der Häuptling hatte das Wetter richtig beurtheilt, denn schon nach Verlauf von einigen Stunden schien die Sonne wieder warm, und die bis vor Kurzem noch so aufgeregte Oberfläche des Sees fing an, sich zu beruhigen, während die finstere Nebelbank fern im Norden sich zertheilte und bei der zunehmenden Helle des Tages die wunderbar gezackten Gipfel des felsigen Höhenzuges sichtbar wurden, welcher das Innere der Insel durchzog. Die Indianer waren bei ihren Tauchversuchen glücklich gewesen und hatten die meisten der bei dem Schiffbruch verlorenen Gegenstände aus der Tiefe hervorgeholt, darunter auch Werners bergmännische Werkzeuge, auch hatten sie einige wilde Kaninchen mit ihren Pfeilen erlegt, die in die Blätter des wilden Sellerie gewickelt und dann in der Erde gebraten eine vortreffliche Mahlzeit abgaben. Tawanka aber, der sich während des Tages auf einige Stunden entfernt hatte, um die Umgegend zu recognosciren und vermittelst seines Ortssinns alte Erinnerungen aufzufrischen, kam befriedigt zurück und bedeutete dem ängstlich harrenden Deutschen, sich bei dem Eintritt des Mondscheines fertig zu halten, denn genau um Mitternacht müßten sie an Ort und Stelle sein, wenn sie ihren Zweck erreichen wollten.
Es war schon spät am Abend, als der Vollmond siegreich durch die dicken Dunstschichten brach, welche über dem See lagerten, und die schneebedeckten Gipfel der Felsen mit bläulichem Lichte übergoß. Nichts störte die allgemeine Ruhe, als der melancholische Ruf des Whippoorwill im nahen Tannendickicht und die einförmige Melodie der Brandung, wie sie in gewissen Zwischenräumen tactmäßig gegen das Ufer schlug.
Während seine Leute um das prasselnde Feuer lagerten und plauderten, schritt der Häuptling, von Werner gefolgt, durch den dichten Urwald, welcher den Raum zwischen dem Strande und dem zackigen Felsplateau im Innern der Insel bedeckte. An schwierigern Stellen, wo umgestürzte Bäume oder mächtige Steintrümmer den beschwerlichen Pfad noch unwegsamer machten, faßte er den Deutschen bei der Hand und leitete ihn so über die Hindernisse sicher hinüber. Endlich standen beide Männer am Rande des Holzes und sahen den schneebedeckten Höhenzug über ihren Häuptern emporragen. Tawanka besann sich einen Augenblick und richtete dann mit unfehlbarem Ortssinn seine Schritte nach einer dunkeln Bergschlucht, aus welcher sich ein angeschwollener Bach mit starkem Gefälle ergoß. Er folgte nun dem Laufe dieses Baches stromaufwärts und erstieg nach einem mühsamen Marsche von einer Stunde das kahle Plateau. Darauf wandte er sich westlich und erklomm, von dem athemlosen Deutschen gefolgt, über zerrissene Felskämme den Gipfel einer Klippe, wo er sich von Neuem orientirte. Am Fuß der letztern lag ein kleines tiefes Thal, dessen Form an einen erloschenen Krater erinnerte und an dessen Rande sich eine himmelhohe, abgestorbene Schierlingstanne erhob. Dorthin richteten beide Männer ihre Schritte und als sie am Fuße des einsam stehenden Baumes angekommen waren, warf Tawanka forschende Blicke auf den Lauf des Mondes, dessen volle Scheibe ihr mildes Licht über die wilde Scenerie warf.
„Setzt Euch nieder,“ sprach er zu dem ermüdeten Werner, der unter der Last seiner Pickaxt und des schweren Steinhammers keuchte. „Der Mond wird bald auf dem höchsten Punkte seines Bogens stehen, und dann wird es Zeit sein, zu handeln. Sehet den weitreichenden Schatten des Baumes, wie er über die schroffen Kanten des Gesteins und die düstern Felsspalten fällt; dort, wo genau um Mitternacht die Spitze des Schattens hinzeigt, muß die Oeffnung sein, die zur Silbermine führt, und die ich vor langen Jahren mit meinem Vater zusammen zuwarf und unkenntlich machte. Noch haben die Stürme die Tanne nicht umgeworfen, auch hat, wie ich sehe, keines Menschen Fuß diese Stelle wieder betreten; der Schatz wird also unversehrt sein.“
Nach einer kleinen Pause, in welcher er den Mond genau beobachtet hatte, fuhr er fort: „Nun kommt mit Eueren Eisen! Seht Ihr nicht, daß das Gestirn zu sinken anfängt? Folgt mir und schlagt da ein, wo ich hinweise.“
Damit schritt er, von dem Deutschen gefolgt, längs des schwarzen Schattens, den der riesige Baum warf, auf die Stelle zu, wo jener zwischen mächtigen, moosbewachsenen Felstrümmern endigte, und deutete, das kurze Gestrüpp zur Seite biegend, auf eine kaum bemerkbare Spalte hin, welche mit Steinen und Geröll gefüllt war. Sausend fiel die Pickaxt hernieder, und in wenigen Minuten zeigte sich nach Entfernung der Trümmer eine große, schräg hinabsteigende Oeffnung, durch die ein Mann bequem hinunterschlüpfen konnte. Tawanka ergriff eine der mitgebrachten Kienfackeln, setzte sie in Brand und glitt, nachdem er Werner aufgefordert hatte, ihm furchtlos zu folgen, gewandt und ohne zu fallen in die Tiefe. Einen Augenblick später stand auch der Deutsche auf dem Boden des kaum zehn Fuß unter der Oberfläche befindlichen Ganges, dicht neben dem Häuptling, und war nicht wenig erstaunt, sich in einem natürlichen und trockenen Stollen von Trappformation zu sehen, der sich, soweit er es bei der Flamme des Fichtenspans unterscheiden konnte, tief in den Berg hineinzog. Unbedenklich folgte er Tawanka, welcher in dem niedriger werdenden Gange gebückt vorausschritt, und wer beschreibt seine freudige Aufregung, als sich am Ende des Stollens eine weitgewölbte Höhle zeigte, deren Wandungen aus den schönsten, im hellen Fackellicht strahlenden Quarzkrystallen bestanden, zwischen denen, wie er mit seinen bergmännischen Augen sogleich erkannte, dicke Massen gediegenen Silbers in wunderbaren dendritischen Formationen hervorleuchteten! Stumm vor Erstaunen betrachtete er den unerschöpflichen Reichthum, den die jungfräuliche Natur hier aufgehäuft hatte, und umarmte dann seinen Freund Tawanka, der, still vor sich hinlächelnd und die dunkeln Augen rollend, auf die starken Adern des edeln Metalls zeigte, welche sich nach allen Richtungen hinzogen. Je weiter sie in die Höhle eindrangen, desto schöner und üppiger wucherten die in prismatischem Lichte spielenden Quarzkrystalle und zwischen ihnen die massiven, rebenartig verschlungenen Stränge des Silbers, so daß Werner unwillkürlich an die Märchen von Tausend und eine Nacht dachte.
[164] Instinctmäßig berührte er das glänzende Gestein, um sich zu überzeugen, ob er auch nicht träume, und erst der helle Klang, den der Schlag des Berghammers den Adern des edeln Metalls entlockte, bewies ihm, daß das, was er vor sich sah, volle Wirklichkeit war. Erst als die Fackel nahe am Verlöschen war und die Rückkehr deshalb nothwendig wurde, dachte er daran, Proben des reichen Gesteins mitzunehmen und schlug in aller Eile so viele Stücke von den Wandungen der Höhle ab, wie er tragen konnte. Tawanka half ihm anfangs dabei, dann aber, als der letzte Rest des Kienspans ihm die Hand zu versengen drohte, faßte er seinen aufgeregten Freund am Arme und zog den Widerstrebenden in den Gang hinein, durch welchen Beide ohne Unfall an die oben erwähnte Oeffnung gelangten, durch die der Mond sein mildes Licht fallen ließ. Die kühle Nachtluft that dem Deutschen wohl und es gelang ihm, seine Aufregung gewaltsam zu bemeistern. Tawanka mahnte zur Rückkehr nach dem Lager. Werner warf rasch noch einmal prüfende Blicke auf die Umgebungen, damit er, falls er ohne des Indianers Begleitung die Stelle wieder aufsuchen wolle, dieselbe auch allein wiederfinden könne. Dann belud sich der Häuptling mit dem ledernen Sacke, welcher die Silberproben enthielt, winkte dem Deutschen ihm zu folgen und schlug denselben unwegsamen Pfad nach der Küste ein, auf welchem sie gekommen waren. Zwei Stunden später langten Beide am Bivouac an, wo sie die Indianer sämmtlich schlafend antrafen, bis auf einen, der die Flamme des Feuers zu unterhalten hatte, und streckten sich ermüdet bald selbst zur Ruhe hin.
Vierzehn Tage später finden wir Werner auf seinem Bureau wieder, wo er bei verschlossenen Thüren die reichen Silbererze, welche er von jener gefahrvollen Expedition, ohne Aufsehen zu erregen, glücklich nach den Toltec-diggings gebracht hatte, einer genauern Prüfung unterwarf. Tawanka stand neben ihm und sah mit dem Ausdruck innerer Zufriedenheit, wie der deutsche Bergmann die schönen Krystalle im Lichte der untergehenden Sonne betrachtete. Er war gekommen, um Abschied zu nehmen, denn die unerbittlichen Feldmesser waren dieses Frühjahr angelangt und hatten ihm angekündigt, daß er mit seinen Stammgenossen die Jagdgründe an dem kleinen See verlassen und sich eine andere Heimath im fernen Westen suchen müsse. In Folge dieser Aufforderung, die einem Befehle gleichkam, hatten die Indianer ihre Wigwams abgebrochen und sich Canoes am Ontonagonflusse gebaut, um auf ihnen irgend einen Punkt des britischen Territoriums auf der Nordküste des Oberen Sees zu erreichen, wo sie von den Behörden Schutz und Aufnahme zu finden hofften. Nur der Häuptling war noch zurückgeblieben, um seinem deutschen Freunde gegenüber, den er allein von allen Weißen nicht haßte, sein Herz auszuschütten.
„Ihr sollt bald von uns hören,“ sagte er zu Werner beim Abschied, „und wenn wir erst in Canada unsere Wigwams aufgebaut und unsern Mais gepflanzt haben, sollen meine Leute Euch zu Diensten sein. Wir werden dann ein Lager auf der Insel aufschlagen und so viel Silbererz aus der Höhle schaffsen, als Ihr verlangt. Also bis dahin wartet und behaltet das Geheimniß für Euch, denn wenn die Yankees etwas davon wittern, so werden sie Euch, den Ausländer, eher kalt machen, als Euch die Ausbeute gönnen, denn sie sind die Kinder des Teufels.“ Dann schüttelte er seinem Freunde herzlich die dargebotene Hand, schulterte seine Büchse und verschwand bald in dem düstern Schatten der Wälder, welche die Toltec-diggings umgeben, ohne die weißen Arbeiter, die ihm begegneten, eines Blickes zu würdigen.
Werner, der sich der Erfüllung seiner Wünsche so nahe sah, dachte nunmehr an Nichts weiter, als sich die Mittel zu verschaffen, um die auf der Insel verborgenen Schätze realisiren zu können. Zwar theilte er in etwas das Mißtrauen des Indianers gegen die Yankees, aber er sah auf der andern Seite ein, daß ohne die Hülfe von tüchtigen Geschäftsmännern und Capitalisten die Silbermine nur ein todtes Gut für ihn sein würde. Als praktischem Bergmanne war es ihm klar, daß der flüchtige Beistand von ein Dutzend unerfahrenen Rothhäuten, die ohnedem zur regelmäßigen Arbeit selbst bei dem besten Willen untauglich waren, lange nicht genügen würde, um die seinen gesteigerten Wünschen entsprechenden Reichthümer an das Tageslicht zu schaffen. Seine eigenen Mittel waren viel zu beschränkt, um einen Dampfer zu unterhalten, welcher doch unumgänglich nothwendig war, um den Proviant für die Arbeiter, das Sprengpulver, die verschiedenen Maschinerien und das sonstige Material für den regelmästigen Bergbau nach der wüsten Insel von den Häfen des Sees herbeizuschleppen. Eine oberflächliche Ausbeute, obgleich eine solche ihn ebenfalls zu einem unabhängigen Manne gemacht haben würde, da das edle Metall in leicht zu lösenden Massen vorhanden war, genügte ihm nicht mehr, weil er, von dem allgemeinen Minenfieber angesteckt, nun einmal seinen Kopf daran gesetzt hatte, ein schwerreicher Mann zu werden. Deshalb fing er an, die wohlgemeinten Warnungen Tawanka’s, von seiner Entdeckung nichts verlauten zu lassen, zu vergessen, und sann nur darüber nach, auf welche Weise er sich einen gewandten und bemittelten Compagnon verschaffen könnte, um mit dessen Hülfe und Geld den größtmöglichen Ertrag aus dem Bergwerk zu erzielen und dann bald als reicher Mann nach Deutschland heimzukehren.
Als Werner sich eines Tages, nicht lange nach der Abreise Tawanka’s, in solchen lucullischen Träumen wiegte, trat plötzlich Mr. Jones in sein Bureau ein und drückte seine große Freude darüber aus, daß er schon in Ontonagon, wo er am vorigen Tage angekommen sei, so viel Rühmens von der Thätigkeit des deutschen Bergmanns gehört habe. „Ich konnte,“ sagte er, „der Versuchung, Sie hier zu besuchen, gar nicht widerstehen, da mich meine Reiseroute in Ihre unmittelbare Nähe führte. Im Auftrage einer New Yorker Compagnie bereise ich nämlich dieses Jahr die Mineralgegenden am See zum zweiten Male wieder, um wo möglich einen Minendistrict zu kaufen, der den Wünschen der Herren entspricht. Ich habe deshalb den kurzen Weg nach den Toltec-diggings nicht gescheut, um mir Ihren Rath zu holen, da ich im Voraus annehmen muß, daß die Erfahrung, welche Sie jetzt in Folge Ihrer Stellung gewonnen haben werden, Ihrem Urtheile großen Werth verleihen wird.“
[189] Nichts konnte Werner bei seiner Unschlüssigkeit willkommener sein, als der Besuch Jones’, desjenigen Amerikaners, dem er vor Allen das meiste Vertrauen schenkte. Die Anwesenheit dieses Mannes, der sich früher, wie er glaubte, so uneigennützig gegen ihn betragen hatte, schien ihm ein Fingerzeig zu sein, um alle Bedenklichkeiten zu lösen. Rasch entschlossen, zeigte er Jones die reichen Silbererze, das Resultat jener geheimnißvollen Expedition nach der wüsten Insel, und stellte die Frage an ihn, ob er Mittel genug besitze, das zur Ausbeutung der Mine nothwendige Capital einzuschießen, und ob er in diesem Falle Willens sei, sein Compagnon zu werden.
Diese Frage hatte der Yankee, der mit gierigen Augen die schimmernden Metallproben verschlungen und mit einer wahren Wollust die werthvollsten Stücke in seinen Händen gewogen hatte, erwartet; denn er schlug sofort ein. Offenbar hatte er schon in Ontonagon oder auf dem Wege nach den Toltec-diggings von dem Gerüchte gehört, daß Werner auf einer mysteriösen Excursion nach dem westlichen Ende des Sees große Mineralschätze entdeckt hätte, denn so geheim auch letzterer die Sache gehalten, so war es doch den neugierigen Beamten der Compagnie nicht entgangen, daß der Deutsche nach seiner Rückkehr einen schweren Koffer durch die Indianer nach seiner Wohnung hatte bringen lassen und diesen stets unter Schloß und Riegel hielt, ein Umstand, der nothwendiger Weise in einer so kleinen Gemeinde die Veranlassung zu allerhand Gerede gab. Der listige Jones verstand es nur zu gut, sich in das unbedingte Vertrauen Werner’s einzuschmeicheln, der ihm nun seine Erlebnisse auf dem See und der unbewohnten Insel bis auf die kleinsten Details erzählte.
Beide gingen dann daran, eine Calculation über die Unkosten und den muthmaßlichen Gewinn der Unternehmung zu machen, und der geschäftskundige Yankee rechnete einen solchen colossalen Reinertrag heraus und wußte die Ziffern der Art zu gruppiren, daß dem Deutschen die Zukunft im rosigsten Lichte erschien und er seine Bedenken wegen Tawanka’s leicht beschwichtigen ließ. Es wurde ausgemacht, daß man ungesäumt zum Werke schreiten solle; zuvor aber wollte sich Jones nur in Begleitung Werner’s nach der Insel begeben, um sich dort an Ort und Stelle von dem Vorhandensein der Mine zu überzeugen und den Plan zu der künftigen Bergwerkscolonie zu entwerfen.
Acht Tage später fuhren beide Männer nach Superior City, einem aufblühenden Städtchen am äußersten Westende des Sees. Dort verließen sie den Dampfer und mietheten von einem der vielen Pelzhändler, welche sich dort aufzuhalten pflegen, ein kleines Segelboot, mit dem sie an der nördlichen Küste hin ostwärts heraufkreuzten, bis sie die Gruppe felsiger Inseln erblickten, unter denen sich nach Werner’s Berechnung das metallreiche Eiland befinden mußte. Das Wetter war dieses Mal schön und klar, und so gelang es dem Deutschen, der ein scharfes Orientirungsorgan besaß und sich ohnedem die verschiedenen Landmarken und Vorgebirge des kleinen Archipels genau eingeprägt hatte, nach einigem Hin- und Herlaviren die scharfmarkirte Form der Klippe auszumachen, an deren Fuß die Silbermine lag. Sie begrüßten den Anblick des zerklüfteten Höhenzuges, der die gesuchte Insel kennzeichnete, mit einem lauten Hurrah, braßten ihr Segel bei dem günstigen Winde stärker an und erreichten trotz der entgegen stehenden Strömung das Ufer ziemlich an derselben Stelle, wo einst Werner mit den Indianern Schiffbruch gelitten hatte. Nachdem sie das Boot in einer kleinen felsumgürteten Bucht versteckt und in Sicherheit gebracht hatten, schritten sie, mit einigen Lebensmitteln und bergmännischen Werkzeugen beladen, längs des Strandes hin, bis sie nach wenigen Minuten zu der höhlenartigen Vertiefung des Ufers kamen, wo die noch vorhandenen Kohlenreste die alte Lagerstelle der Odschibbewas bezeichneten.
Es war indessen Abend geworden. Heute konnte nichts Weiteres vorgenommen werden. Man entzündete also zum Schutz gegen die Landplage, die Moskitos, ein tüchtiges Feuer und bald streckten sich Beide, in ihre Decken gehüllt, zur Ruhe nieder.
Als die regelmäßigen Athemzüge des Deutschen Jones überzeugt hatten, daß des Ersteren Schlummer ein tiefer und fester sei, erhob er sich leise und schlich mit dem geräuschlosen Tritt einer Pantherkatze, wenn diese auf Raub ausgeht, aus dem hellen Umkreis des Feuers in die Finsterniß hinaus. Erst, als er am hohen Ufer angelangt war, trat er fester auf und richtete dann seine Schritte nach dem kleinen Seeeinschnitt, wo das Boot befestigt war. Gewandt sprang er in das von der Uferbrandung geschaukelte Fahrzeug und holte seinen festen, ledernen Koffer aus dem unter dem Steuer angebrachten Verschluß hervor. Er öffnete ihn und nahm einen zierlichen Revolver und ein wuchtiges Bowiemesser [190] heraus, dessen breite Klinge er lüftete, um sich zu überzeugen, daß sie nicht eingerostet war. Beide Waffen steckte er dann in die nach südländischer Sitte unter der Schnalle seiner Beinkleider verborgen angebrachten Taschen, schob den Koffer an seinen Platz zurück und schwang sich vermittelst einer tief herunterragenden Baumwurzel an das Land. Behutsam näherte er sich dem Feuer und nahm auf einem abgestorbenen Baumstamme Platz, von wo er auf den ruhig fortschlummernden Werner die Blicke eines Raubthiers warf, das eben im Begriff ist, auf seine Beute zu springen.
Seinen Revolver hervorziehend, untersuchte er genau, ob auch die Zündhütchen fest auf ihrem Piston säßen, und richtete dann mechanisch die Mündung der Waffe nach dem Kopfe des Schlafenden.
„Nicht doch,“ sagte er in leisem Selbstgespräch, die Waffe wieder einsteckend: „weiß ich doch bis jetzt noch nicht, wo das Silber eigentlich liegt, da ich trotz aller Fragen, die ich gethan, kein klares Bild von der Realität besitze; die Bergkette, welche mir Werner gestern vom See aus zeigte, scheint eine bedeutende Ausdehnung zu haben. Da könnte ich Wochen lang suchen und am Ende doch nichts finden. Nein, da warte ich lieber, bis mich der Dutchman an Ort und Stelle bringt; dann ist es ja noch Zeit genug, ihn kalt zu machen.“
Unter solchen Betrachtungen schlief Jones ein, denn die Natur wollte auch bei ihm ihr Recht behaupten, und die Ruhe beider Männer wurde nicht eher gestört, als bis das helle Geschrei der Möven und Seeraben, welche die ausgehende Sonne begrüßten, in ihre Ohren drang. Eine Viertelstunde später, nachdem sie gefrühstückt hatten, waren sie unterwegs und drangen, weil es heller Tag war, ohne große Schwierigkeiten bis zu dem Bergrücken vor, der die Insel durchzog. Hier am Saume des Waldes wußte sich Werner ziemlich genau zu orientiren, nachdem er die oben beschriebene Schlucht gefunden hatte. Durch diese stiegen sie zum Plateau hinauf, über welches sie in westlicher Richtung fortschritten, bis der hohe, abgestorbene Baum ihnen zu Gesicht kam, dessen nächtlicher Schatten wie ein Zeiger auf die Mündung der Mine wies. Trotz des mangelnden Mondscheins war es leicht, dieselbe zu finden, denn der umsichtige Deutsche hatte sie durch drei große Steine markirt, welche in Form eines Dreiecks die Oeffnung umgaben. Nachdem sie eine Fackel angezündet und das absichtlich ausgeschüttete Geröll weggeräumt hatten, stiegen sie in die Tiefe, und der gierige Jones brach in einen Schrei des Erstaunens aus, als er die längst begehrten Schätze mit eigenen Augen sah. Sie brachen nun mit Hammer und Pickart so viel von dem edlen Gesteine los, wie die Zeit und ihre Kräfte erlaubten, und ruhten nicht eher, als bis sie vor der Mündung der Mine ein bedeutendes Quantum des reichen Erzes aufgehäuft hatten. Dieses betrachtend, sagte Werner, der von der Arbeit erschöpft sich auf dem felsigen Grunde niedergelassen hatte, zu dem Amerikaner, welcher die schwersten und werthvollsten Stücke in seinen Händen wog: „Nicht wahr, Jones, da drunten im Schachte ist genug für uns Beide, und wenn wir das Alles in blanke Dollars umgemünzt haben werden, dann tauschen wir mit keinem Wallstreet-Banquier?“
„Ei ja, wenn wir erst soweit sind, dann können wir den Teufel tanzen lassen,“ erwiderte der Yankee, indem er dem Deutschen einen falschen, lauernden Blick zuwarf. Dann fuhr er fort: „Ich sehe aus dem Stande der Sonne, daß es Zeit ist, wieder nach dem Lager zurückzukehren, wenn uns nicht die Nacht in dem unwegsamen Walde überraschen soll. Unsere Werkzeuge können wir hier lassen, von dem Silber jedoch wollen wir soviel mitschleppen, wie wir können, der Rest ist hier sicher genug.“
Werner gab seine Beistimmung und beide Männer füllten ihre Säcke mit so viel Erz, als sie möglicherweise tragen konnten, worauf sie den mühsamen Weg nach der Küste antraten. Stillschweigend schritten sie über das von den Strahlen der sinkenden Sonne beleuchtete Plateau und von da die dunkele Schlucht hinunter, Jeder unter seiner Last keuchend, bis sie den Saum des Waldes erreichten. Hier setzte sich der durch den beschwerlichen Marsch angegriffene Deutsche auf einen hingestürzten Baumstamm nieder, ließ seinen Sack auf die Erde gleiten und erklärte, einen Augenblick ausruhen zu müssen. Jones folgte seinem Beispiel und nahm, mit dem Gesichte nach der Schlucht gewandt, auf einem moosbewachsenen Felsblock Platz. So saßen sie einige Minuten, und nichts störte ihre Ruhe, als Werner, der in dem Anblick der schönen Natur vertieft war und auf das melodische Rufen eines Whippoorwill horchte, durch einen plötzlichen, unterdrückten Ausruf des Amerikaners aus seinen Träumereien gerissen wurde.
„Was ist? Sehen Sie Etwas?“ fragte der Deutsche Jones, welcher unverwandt nach einem kleinen Gebüsch blickte, das sich längs des Baches, der die tiefe Schlucht durchfloß, in einer Entfernung von ein paar hundert Schritten erstreckte.
„Verdammt will ich sein,“ flüsterte der Yankee, „wenn dort in dem Busche keine Rothhäute stecken. Schauen Sie aus, ob Sie nicht hinter dem Stamme der weißen Birke dort eine dunkle Gestalt entdecken können. Sehen Sie, es regt sich schon wieder!“
Werner, welcher anfänglich bei diesen Worten erschrocken war, faßte sich doch gleich wieder, da er keinen Zweifel hegte, daß, wenn wirklich Indianer in dem Dickicht steckten, es nur Tawanka mit seinen Leuten sein könne. Den Häuptling fürchtete er nicht, da dieser ihm, wie er dachte, höchstens Vorwürfe über seine Wortbrüchigkeit machen konnte; deshalb trat er dreist aus dem Schatten der Bäume hervor und blickte, indem er mit der Hand seine Augen vor den Strahlen der untergehenden Sonne schützte, angestrengt nach der von dem Amerikaner bezeichneten Richtung hin, obgleich er nichts Verdächtiges wahrnehmen konnte.
Diesen Moment und den Umstand, daß der arglose Deutsche ihm den Rücken zuwandte, benutzte der tückische Yankee. Den Revolver vorsichtig unter dem Rockschooße hervorziehend, schlich er sich leise heran und feuerte in rascher Reihenfolge zwei Schüsse in Werner’s Rücken, dicht unter dem linken Schulterblatt, so daß dieser, im Herzen getroffen, einen wilden Schrei ausstieß und, einen Augenblick mit den Händen in der Luft fechtend, todt zusammensank.
Mit einem teuflischen Lächeln auf den Lippen zog dann Jones sein Bowiemesser hervor und scalpirte ziemlich ungeschickt die Leiche des Mannes, der ihm eben noch blindes Vertrauen geschenkt hatte. Seine satanische List war ihm gelungen, denn von Indianern war auf der Insel keine Spur vorhanden, und der arglistige Yankee hatte jenen Ausruf nur gethan, um sein Opfer bequem von hinten zu schlachten. Jetzt wollte er auch, falls die Leiche jemals gefunden würde, um jeden Verdacht von sich abzuwenden, durch den Umstand des Scalpirens diesen auf die Rothhäute lenken, ein Stratagem, das in diesen gesetzlosen Gegenden sehr häufig von herumschweifendem Raubgesindel angewandt wird. Um ganz sicher zu gehen, schleppte der Mörder noch sein blutiges Opfer in den Wald hinein, wo er es unter einem riesigen, gestürzten Baume versteckte und alle Spuren durch aufgehäufte trockene Zweige zu vertilgen suchte. Dann kehrte er zu dem Platze, wo der Mord geschehen, zurück, belud sich außer seiner noch mit Werners Bürde und trug, da er ein außergewöhnlich starker Mann war, beide Säcke glücklich auf dem unwegsamen Pfade nach der Lagerstätte zurück, wo er das Feuer wieder anmachte und, ohne Gewissensbisse zu fühlen, von den Anstrengungen des Tages ermattet, sich dem Schlafe überließ.
Kurze Zeit nach diesem entsetzlichen Vorfalle traf Tawanka mit einigen seiner Stammgenossen in Ontonagon ein. Die Behörden von Ober-Canada, welche in der Regel den armen verfolgten Indianern gern eine Freistätte gewähren, wenn sie über überflüssige Ländereien zu disponiren haben, waren auch in diesem Falle so freundlich gewesen, den vertriebenen Odschibbewas einen Wohnsitz auf der britischen Seite des Sees einzuräumen, und der Häuptling, der einstweilen die Seinigen versorgt wußte, war jetzt auf einem großen Mackinawboote herübergekommen, um seinen deutschen Freund nach der Silberinsel zu bringen, wo dieser dann mit Hülfe der Rothhäute so viel des edlen Metalles zusammenbringen sollte, wie das Fahrzeug tragen konnte. Wie groß war aber das Erstaunen Tawanka’s, als er schon in Ontonagon von einem halbblütigen Canadier erfuhr, daß der deutsche Bergmann bereits vor einiger Zeit in Begleitung eines Yankees auf einem Dampfer nach dem Westende des Sees gefahren sei und daß man seit jener Zeit Nichts mehr über ihn vernommen habe. In Folge dieser Nachricht begab sich der Häuptling sofort nach den Toltec-Diggings, um dort bei den Beamten der Compagnie Näheres zu erfahren. Die Nachforschungen, welche er dort anstellte, ergaben auch Nichts weiter, als daß Werner seine Stellung aufgegeben habe und dann in Begleitung eines Mannes, Namens Jones, dessen Persönlichkeit man ihm beschrieb, abgereist sei, um neue Mineralländereien am Westende des Sees zu entdecken. Betrübt [191] kehrte der Häuptling, in dessen Gemüth schon der Verdacht zu wurzeln anfing, daß Werner sein Versprechen, die ganze Angelegenheit der Silbermine geheim zu halten, thörichter Weise verletzt habe, nach Ontonagon zu seinen Leuten zurück, unschlüssig, was er zu thun habe. Er fragte den in dem Städtchen ansässigen Canadier, zu dem er schon deshalb Zutrauen hegte, weil dessen Mutter eine Indianerin aus dem Chippewastamme gewesen war, noch einmal aus, dieser wußte ihm jedoch weiter keinen Rath zu geben, als einstweilen in Ontonagon zu bleiben und an Bord aller vom Westen kommenden Dampfer, welche hier anlegen mußten, Nachforschungen anzustellen, ob Werner oder dessen Begleiter an Bord sei, oder ob vielleicht die Passagiere Auskunft über die beiden Männer ertheilen könnten.
Schon am nächsten Tage lief ein großes Schiff, welches von Superior City am Westende des Sees kam, in den Hafen von Ontonagon ein, um wie gewöhnlich Passagiere auszusetzen und einzunehmen. Wie das immer der Fall zu sein pflegt, strömte ein Theil der Bevölkerung des Städtchens nach dem Landungsdamm, da in diesen entfernten Gegenden die Ankunft eines Dampfers immer als ein Ereigniß betrachtet wird, welches die Monotonie des alltäglichen Lebens angenehm unterbricht. Tawanka und der Canadier folgten dem Strome der Menschen und ließen von dem Ufer aus ihre Blicke über die lange Galerie des Schiffes schweifen, auf der die Passagiere in bunten Gruppen standen, um die herrliche Scenerie des Hafens zu betrachten. Da stieß Ambrose, so hieß der Canadier, den Häuptling leise an und machte ihn auf einen Mann aufmerksam, welcher, den Hut in die Augen gedrückt und das Gesicht theilweise durch einen Shawl verborgen, in der Kajütenthüre stand, gleichsam als scheue er sich, offen auf die Galerie hervorzutreten.
„Das ist der Begleiter des deutschen Bergmanns!“ sagte der Canadier und eilte dann, von dem Häuptling gefolgt, an Bord des Dampfers, wo sie hastig alle Räume durchspähten, ohne eine Spur von Werner zu entdecken. Ambrose, der mit den Gewohnheiten des civilisirten Lebens ziemlich vertraut war, ging nun zu dem Clerk des Schiffes, um dort Auskunft darüber zu erhalten, ob der Deutsche unter den Passagieren sei, oder nicht. Als der Clerk, nachdem er die lange Liste durchgesehen, erklärte, daß ein Mr. Werner sich nicht darunter befände, fragte der Canadier, ob nicht ein Mr. Jones an Bord sei. „Ei ja,“ war die Antwort, „Cabine Nr. 40, derselbe, welcher zwei schwere Kisten im Raume verladen hat. Doch da kommt er ja selbst!“ und zu dem eben in die Kajüte Eintretenden gewandt, rief der Clerk: „Mr. Jones, da ist ein Canadier und ein Indianer, die Sie zu sprechen wünschen.“
Der so Angeredete schien anfangs etwas betroffen zu sein; doch da er sah, daß er es nur mit einem Halbblut und einer Rothhaut zu thun hatte, trat er dreist vor und fragte mit barscher Stimme, was man von ihm wolle. Dieses Mal nahm aber Tawanka das Wort und, den Amerikaner von oben bis unten mit seinen Augen musternd, flüsterte er in tiefem Kehlton: „Wo ist Werner? sagt mir, habt Ihr ihn nach der Insel begleitet?“
„Gott verdamme Eueren Werner und Euere Insel!“ rief Jones aus, „ich weiß nicht, was Ihr wollt. Geht zum Henker, sonst will ich Euch zeigen, wie ein Gentleman solche rothe Canaille behandelt.“
„Meine Haut ist wohl roth, aber Euere Hand ist vielleicht röther,“ erwiderte gelassen Tawanka. „Sagt mir, wo habt Ihr den deutschen Bergmann verlassen?“
„Ich sage Euch noch einmal, ich kenne keinen deutschen Bergmann,“ antwortete Jones, „und wenn Ihr mich nicht in Ruhe laßt, so werde ich Euch durch die Matrosen vom Bord jagen lassen.“
Jetzt mischte sich auch Ambrose in den Streit und behauptete Jones in das Gesicht hinein, daß er wissen müsse, wo Werner geblieben sei, denn er selbst, Ambrose, habe sie beide an Bord gehen sehen.
Dieser heftige Auftritt hätte vielleicht noch ernste Folgen nach sich gezogen, da einige der Passagiere sich in den Streit zu mischen anfingen und, weil es Amerikaner waren, unbedingt für ihren Landsmann Partei nahmen. Die Ruhe und Würde Tawanka’s imponirten ihnen freilich, indessen, da sie nicht wußten, worum es sich handelte, wäre es vielleicht bei ihren Vorurtheilen gegen die rothe Race zu Thätlichkeiten gekommen, wenn nicht gerade im kritischen Augenblick die Glocke des Dampfers das Zeichen zur Abfahrt gegeben hätte. Der Häuptling und der Canadier hatten nun keine Zeit mehr zu verlieren, um über die Landungsbrücke zu kommen, wenn sie nicht anders als unfreiwillige Passagiere mitfahren wollten, und so blieb ihnen Nichts weiter übrig, als das Schiff schleunigst zu verlassen, ohne von Jones irgend einen Aufschluß über Werner’s Schicksal bekommen zu haben.
Tawanka, der bis dahin nur einen leichten Verdacht gegen den Yankee gehegt hatte, wurde nun ernstlich besorgt und befürchtete, daß dieser ein verrätherisches Spiel mit Werner getrieben habe, denn wenn Jones sich von dem Deutschen in irgend einer friedlichen Weise getrennt hätte, dann war kein Grund vorhanden, jede Bekanntschaft mit diesem abzuleugnen. Er besprach sich also noch einmal mit dem Canadier, trug ihm auf, alle möglichen Erkundigungen einzuziehen, und begab sich dann eiligst nach der stillen Bucht, wo ihn seine Leute mit dem Mackinawboote erwarteten. Ohne Zeit zu verlieren, machten sich die Indianer auf den Weg und landeten schon nach Verlauf von drei Tagen, weil Wind und Wetter günstig waren, an der Silberinsel, wo der Häuptling, den eine innere Stimme dazu antrieb, weitere Nachforschungen über das Schicksal seines Freundes anstellen wollte.
Zuerst suchten sie die alte Lagerstelle auf und überzeugten sich, daß dieselbe seit der letzten Anwesenheit Tawanka’s von zwei weißen Männern besucht und benutzt worden sei, was sie aus den zurückgelassenen Geräthen und Speiseresten sofort erkannten. Hierauf verfolgten die Odschibbewas verschiedene Fußspuren, welche von dem Feuerplatze in den Wald führten, mit dem sichern Instincte des Bluthundes und kamen bald zu der Gewißheit, daß beide Männer nach dem Innern der Insel zu vorgedrungen wären, daß aber nur einer zurückgekehrt sei. Dieser Umstand kam dem Häuptling besonders verdächtig vor, und nachdem er seinen Leuten die gehörigen Weisungen gegeben hatte, drang er selbst vorsichtig, stets die Spur im Auge haltend, durch das dichte Unterholz bis an den Saum des Forstes vor, welchen er auch richtig an derjenigen Stelle erreichte, wo Werner auf dem umgestürzten Baumstamme ausgeruht hatte.
Seinem scharfen Blicke entging nicht, daß hier Etwas vorgefallen sein müsse, denn er sah neben einer Menge stark markirter Fußstapfen einen breiten Eindruck auf dem Rasen, wie wenn eine schwere Last weggeschleift sei. Als er sich bückte, bemerkte er einen ausgerissenen Grasbüschel, an dem vertrocknetes Blut klebte, und zu gleicher Zeit im niedrigen Gestrüpp einen Scalp. Er schauderte einen Augenblick, denn er erkannte Werners hellen Haarwuchs, und der Gedanke kam ihn an, daß dieser von keinem weißen Manne getödtet sei, sondern von einem Indianer; wie er jedoch die abgezogene Kopfhaut genauer betrachtete, sah er auf der Stelle ein, daß eine Rothhaut unmöglich der Thäter gewesen sein konnte, da der Scalp zu ungeschickt gelöst war, auch würde kein Indianer einen solchen wegwerfen. Während er über diesen sonderbaren Umstand nachdachte, kam einer seiner Leute athemlos gelaufen und machte ihm die Anzeige, daß die Leiche eines weißen Mannes im Walde gefunden sei und keine andere sein könne, als diejenige Werner’s, welche man trotz der vorgeschrittenen Verwesung zu erkennen glaube. Die Füchse und die Seeraben, welche den Ort umkreisten, hatten die im Walde vertheilten Odschibbewas aufmerksam gemacht, und so hatten sie die traurigen Ueberreste ihres alten Freundes unter den Baumzweigen, welche der Mörder darüber aufgehäuft hatte, hervorgezogen.
Groß war der Schmerz Tawanka’s, als er die verstümmelte und entstellte Leiche an ihm wohlbekannten Merkzeichen und an dem fehlenden Scalp wiedererkannte, und er wäre kein Indianer gewesen, wenn er nicht in diesem Augenblicke dem feigen Mörder blutige Rache gelobt hätte. Der Umstand, daß der todte Mann das Versprechen der Verschwiegenheit gebrochen hatte, fiel bei ihm nicht mehr in das Gewicht, er dachte nur daran, wie er Jones, denn kein Anderer konnte der arglistige Verbrecher sein, zur Strafe ziehen könnte. Doch er bemeisterte seine innere Bewegung bald und trug seinen Leuten sofort auf, die Leiche tief und sicher in der Erde zu verscharren, damit sie keine Beute der Raubthiere werde. Nachdem der Befehl vollzogen, kehrten die Odschibbewas zu der Lagerstelle am Ufer zurück, um dort auf ihren Häuptling zu warten, der allein und in Gedanken versunken den steilen Höhen zuschritt, auf denen sich die Silbermine befand.
[201] Auf den steilen Höhen angelangt, auf denen sich die Silbermine befand, suchte Tawanka die Mündung des Schachtes auf und überzeugte sich bei dem ersten Blick, daß hier seit seiner letzten Anwesenheit etwas vorgegangen sei. Er sah eine Menge zerschlagenen Erzes umherliegen und fand auch zwischen dem Gestrüpp die Werkzeuge, welche Jones dagelassen hatte, weil er sich nicht damit hatte belasten wollen. Anfänglich wollte er seine Nachforschungen auch im Innern der Mine fortsetzen, doch stand er nach einigem Nachsinnen davon ab, da es ihm nur darauf ankam, jede Spur des Einganges wie überhaupt die ganze Localität vollkommen unkenntlich zu machen. Er war fest entschlossen, den verräterischen Yankee, der außer ihm selbst der einzige Mann nach Werner’s Tode war, welcher um das Geheimniß wußte, aufzusuchen und unter allen Umständen zu tödten, noch ehe dieser wieder Gelegenheit hätte, die Insel zu besuchen; denn wenn Jones seinen Landsleuten auch Mittheilungen über das Dasein der Silbermine gemacht hatte, so war doch nicht anzunehmen, daß diese ohne einen mit der Oertlichkeit vollkommen vertrauten Führer sich in einem solchen Labyrinthe von Klippen und nackten Felsschluchten zurechtfinden würden.
So ging denn Tawanka rasch an das Werk und fing damit an, die alte abgestorbene Schierlingstanne, welche auf dem sonst baumlosen Plateau als Merkzeichen hätte dienen können, in Brand zu setzen. Während die gierige Flamme den harzreichen Stamm, welcher wie eine Pechfackel aufloderte, bis auf die Wurzeln verzehrte, warf der Indianer zuerst die aufgefundenen Werkzeuge der weißen Männer in die Tiefe des Schachtes, dann sammelte er die [202] Reste des funkelnden Erzes, welche um die Mündung zerstreut umherlagen, und versenkte sie ebenfalls. Hierauf schüttete er Geröll und Steine in das Loch, bis es fast bis an den Rand ausgefüllt war, und endlich schleppte oder rollte er vielmehr einen mächtigen Felsblock herbei und schloß mit diesem den Eingang zur Mine so vollkommen und so täuschend, daß selbst das schärfste Auge nichts darunter gesucht hätte. Auch die drei Steine, mit welchen damals Werner die Stelle markirt hatte, entgingen seinen aufmerksamen Blicken nicht; er nahm sie und rollte sie einen steilen Abhang hinunter, wo dieselben in verschiedenen Richtungen auseinander flogen. Nachdem Tawanka diese anstrengende Arbeit vollbracht und sich noch einmal überzeugt hatte, daß auch nichts zurückgeblieben sei, was die Aufmerksamkeit nach Schätzen lüsterner Yankees erregen könne, schritt er nach der Stelle, wo jetzt statt des hohen und in die Augen springenden Baumgerippes nur ein großer Haufen Asche zu sehen war.
Als er darüber nachdachte, wie er diese wegschaffen könne, kam ihm der Zufall in Gestalt eines jener heftigen Stürme, wie sie selbst im Sommer am obern See so häufig sind, zu Hülfe. Es fing auf einmal heftig an zu wehen und der Wind, welcher mit ungemeiner Stärke über die kahlen Felsrücken hinfuhr, fegte die Asche wirbelnd durch die Lüfte, so daß nur einige Kohlenreste zurückblieben, welche der Indianer mit leichter Mühe nach verschiedenen Richtungen hin in dem Gestrüpp verbarg. Die Stelle selbst, wo der Baum gestanden hatte, war freilich durch das Feuer geschwärzt, aber er grub sie mit seinem Tomahawk um und rollte dann Steine darüber, so daß auch hier jeder Anhaltspunkt für etwaige Schatzgräber wegfiel.
Vom Sturme gepeitscht, stand Tawanka auf der steilen Klippe, an deren Fuße die Silbermine lag, und ließ seine dunkeln Auqen noch einmal über die wilde Gegend schweifen, während sein langes Haar aufgelöst im Winde flatterte. „Nie, nie,“ sagte er zu sich selbst, „sollen diese weißen Teufel des Indianers Schatz heben. Einmal, glaubte ich, hätte ich einen braven Weißen gefunden; er war ja kein Yankee und kam über das große Wasser von daher, wo die Weißen von ihren eigenen Häuptlingen mißhandelt werden. Aber auch er wurde angesteckt und brach, vom Gelddurst verzehrt, das Wort, welches er dem rothen Manne gegeben. Sein Herz war gut, aber seine Zunge war die eines alten Weibes. Doch wehe dem, der seine Zunge löste und ihn dann erschlug!“ Hier ertönte ein gewaltiger Donnerschlag und die ganze Gegend erschien bei dem Schein des züngelnden Blitzes wie von einem Feuermeer übergossen. „Ich höre dich, Manitou,“ fuhr der Indianer mit lauter Stimme fort, „du sprichst zu deinen rothen Kindern! Soll ich des weißen Schurken Scalp mir holen? Noch habe ich meine Hände in das Blut der Weißen nicht getaucht!“
Es folgte ein zweiter Donnerschlag, noch stärker als der erste, und erschütterte die Klippe, auf welcher der Häuptling stand, in ihren Grundvesten, während das elektrische Feuer die Insel bis zu den entfernten Ufern erhellte, deren Umrisse die weiße Brandung des aufgeregten Sees kennzeichnete.
„Ich verstehe dich, Manitou!“ rief Tawanka aus und stimmte sofort den monotonen, rauhen Kriegsgesang seiner Vorfahren in tiefem Gutturaltone an:
„Manitou hat mir die Kraft des Bären gegeben,
Fehlt mir auch Klaue und Gebiß, so habe ich Bogen und Pfeil.
Manitou hat mir die Kraft des Büffels gegeben,
Doch fehlt mir das Horn, so schwinge ich die Streitaxt.
Ich werde dich treffen mit der Gewalt des Blitzes!
Meine Stimme wird dir erschallen wie der rollende Donner!
Wie ein Wasserfall werde ich auf deinen Wigwam stürzen!
Deinen Scalp werde ich umtanzen und dann wird mein Himmel heiter!“
Die wilde Melodie dieser kriegerischen Verse absingend, stieg der Häuptling von der Klippe herab und schritt dann eiligst über die zackigen Bergrücken in die Ebene hinunter, von wo er sich leicht nach dem Lager zurechtfand. Auch hier wurden auf seinen Befehl alle Gegenstände und Spuren vertilgt, welche einem spätern Besucher der Insel die Vermuthung hätten einflößen können, daß hier jemals Menschen gehaust hätten, und nachdem Tawanka den Odschibbewas absolutes Stillschweigen über das, was sie gesehen, aufgelegt hatte, gab er das Zeichen zur Abfahrt. –
Nach wenigen Tagen finden wir den Indianer in Ontonagon wieder, wo er mit dem Halbblut Ambrose lange und geheime Unterredungen hatte. Letzterer hatte durch einen Missionär, mit welchem er in Verbindung stand, in Erfahrung gebracht, daß die Presse von Detroit eine Mittheilung gemacht hätte, welche in allen Städten der unteren Seen großes Aufsehen errege, nämlich „daß ein bedeutender Mineraloge, Namens Jones, irgendwo am oberen See ein mächtiges Silberlager entdeckt habe und damit umginge, eine Compagnie zur Ausbeutung desselben zu bilden. Sobald Herr Jones sein Vorkaufsrecht in dem Vereinigten-Staaten-Landbureau gewahrt haben würde, sollten die Arbeiten anfangen. Zu diesem Zwecke würde der glückliche Entdecker demnächst in Begleitung einer Gesellschaft von Ingenieuren nach dem neuen Eldorado aufbrechen.“
Wenn noch irgend Etwas fehlte, um die Thatsache festzustellen, daß der Yankee wirklich Werner’s Mörder war, so war es dieser Zeitungsbericht, den Ambrose, welcher die Verbindung Tawankas mit der civilisirten Welt unterhielt, sich des bessern Verständnisses wegen zweimal von dem Missionär hatte vorlesen lassen, ohne daß der fromme Herr eine Ahnung davon bekam, daß er dadurch dem Rachedurste des Indianers Vorschub leistete. Letzterer sah ein, daß er Jones zuvorkommen müsse, ehe derselbe mit seinen Landmessern an der Insel lande, und deshalb entschloß er sich, ihn an einem Punkte aufzusuchen, den er nothwendiger Weise auf seinem Wege von den unteren Seen her berühren mußte. Mit dieser Absicht begab er sich, nur von zweien seiner besten Leute begleitet, die er mit seinem Vorhaben bekannt gemacht hatte, nach Mackinaw, um dort die erwünschte Gelegenheit abzupassen.
Im ganzen Nordwesten giebt es keinen romantischeren und schöneren Ort, als die kleine Stadt Mackinaw, auf der Insel gleichen Namens gelegen. So kalt wie das Klima der Insel im Winter ist, wo deren Gestade Meilen weit von einem klafterdicken Eisgürtel eingeschlossen sind, so mild und gesund ist dieses im Sommer, so daß Tausende aus südlichern Breiten hierher eilen, um durch das Einathmen der fortwährend durch frische Seebrisen in Bewegung gesetzten Luft ihre Nerven zu stärken und die schleichenden Fieber abzuschütteln, welche ihnen im Mississippithale das Mark verzehrten. Dann sind alle Hotels mit Fremden gefüllt, deren Luxus und modische Trachten gar sehr von dem primitiven Costüm und den buntfarbigen Decken der Indianer abstechen, welche hier am Fuße des Felsens, auf welchem das Fort liegt und die Vereinigte-Staaten-Flagge weht, ein malerisches Dorf bewohnen, dessen braunrothe Birkenrinden-Wigwams von mächtigen Eichen und Tannen beschattet sind.
Auch die Seele des ganzen socialen Lebens in Amerika, der Handel, fehlt nicht in Mackinaw, denn hier pflegen alle großen Dampfer, welche von den untern Seen, d. h. von Buffalo, Cleveland und Detroit nach dem Michigan- oder Obern See segeln, eine kurze Zeit anzulegen und umgekehrt alle Schiffe, welche von dem reichen Chicago, dem aufblühenden Milwaukie und durch den St. Mariencanal in entgegengesetzter Richtung steuern. Der Segelschiffe, welche hier vom Ende Aprils an bis zu Anfang Novembers die Meer- oder besser Seeenge passiren, sind unzählige, von dem stolzen Dreimaster herunter bis zur einmastigen Schaluppe, und schwerlich wird sich in der alten Welt, selbst den Sund nicht ausgenommen, eine Wasserstraße finden, welche sich um diese Jahreszeit an Frequenz und Großartigkeit des Verkehrs mit der Straße von Mackinaw messen könnte.
Daß es an einem solchen Orte, wie Mackinaw, wo täglich eine Menge Dampfer landen, um Passagiere auszusetzen und einzunehmen, außerordentlich schwer sein mußte, eine einzelne Person herauszufinden, schreckte Tawanka nicht ab. Da außer den Amerikanern, welche ihrer Gesundheit wegen sich den Sommer über auf der Insel aufzuhalten pflegen, und den eingeborenen Indianern noch eine Menge Rothhäute aus den benachbarten Missionen, welche dem Fischfange oblagen, am Hafendamme des Städtchens herumlungerte, so war es dem Häuptling der Odschibbewas ein Leichtes, sich unerkannt in den großen Haufen von Menschen zu mischen, der jedesmal, wenn ein Packetboot anlegte, nach dem Ufer eilte, um die angekommenen Fremden zu mustern. In seine gestreifte Decke gehüllt und das Gesicht mit dem um die Stirn geschlungenen Shawl halb verdeckt, stand er stumm unter den Neugierigen und strengte, anscheinend theilnahmlos, seine Falkenaugen an, um die verhaßten Züge seines Feindes unter den Weißen, welche täglich in Mackinaw, wenn auch nur für kurze Zeit, ausstiegen, zu erkennen. So konnte man ihn Tag für Tag am Hafendamme stehen sehen, ohne daß er mit Jemand anders verkehrte, als mit den beiden Odschibbewas, welche ihm nach Mackinaw gefolgt [203] waren. Diese aber bemerkte man öfters, wie sie in einem kleinen, flinken Canoe die Insel umkreuzten und dann zuweilen an irgend einer einsamen Stelle des Ufers landeten, um dort unbeobachtet ein leises Gespräch mit ihrem Häuptling zu führen.
Es war an einem Sonntag Morgen, als der dem Leser schon bekannte Dampfer Saratoga, ein regelmäßiges Paketboot für den Oberen See, in den Hafen von Mackinaw einlief. Das Schiff hatte unterwegs einen kleinen Unfall gehabt, da an der Maschine Etwas zerbrochen war, und mußte deshalb einige Stunden länger als gewöhnlich anhalten, um den Schaden auszubessern. Diesen Aufenthalt wollten die Passagiere nicht unbenutzt lassen und so strömten sie denn über die Landungsbrücke an das Ufer, um die Stadt und deren malerische Umgebungen in Augenschein zu nehmen. Während der größte Theil der Ankömmlinge die steile Höhe erklomm, wo das alte Fort liegt und von wo man eine entzückende Aussicht über den Huron- und Michigan-See und die waldgekrönten Inseln der Enge genießt, blieb eine andere Gruppe am Hafendamm stehen, gleichsam unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte. Ein Herr in elegantem Reiseanzuge schien das Factotum der Gentlemen zu sein, welche, rings um ihn stehend, die Meinung äußerten, daß sie gern Willens seien, sich seiner Führung anzuvertrauen.
„Ich mache den Vorschlag,“ sagte einer der Passagiere, „daß Mr. Jones, der schon öfters in Mackinaw gewesen ist und die Localität kennt, damit beauftragt wird, uns die Merkwürdigkeiten des Platzes zu zeigen.“
„Angenommen!“ riefen die Andern.
„Ich werde mein Bestes thun, Ihren Wünschen zu entsprechen,“ erwiderte Jones – denn der eben erwähnte Führer war Niemand anders, als der Mörder des deutschen Bergmanns. – „Sie müssen wissen, Gentlemen, daß das Schönste und Interessanteste hier bei Mackinaw die berühmte Felsenbrücke ist. Sie ist die höchste und längste in der Welt und übertrifft die bekannte virginische bei Weitem. Wenn Sie es wünschen, so engagiren wir einen Bootsmann und lassen uns auf der Stelle hinfahren, damit wir rechtzeitig wieder an Bord der Saratoga sein können.“
Dieser Vorschlag wurde sofort von der Gesellschaft acceptirt, und wenige Minuten später fuhr dieselbe auf einer kleinen Segelschaluppe am felsigen Strande der Insel hin, um das gerühmte Naturwunder vom Wasser aus zu betrachten. Kaum war das Boot eine halbe Meile unterwegs, als ein winziges Birkencanoe, von drei Indianern gerudert, aus einer kleinen, versteckten Bucht hervorschoß, sich dicht am Ufer haltend, derselben Richtung folgte und in unglaublich kurzer Zeit den Vorsprung gewann. Da, wo das kolossale Felsenthor seinen gigantischen Schatten über die unter ihm wogenden Gewässer wirft, verschwand es im Dunkel der Bäume, welche dicht am Saume des Strandes ihre Aeste weit über die sich kräuselnden Wellen hinausstrecken.
Nichts kann das Erstaunen und die Bewunderung übertreffen, mit welcher jetzt die Begleiter Jones’ diesen großartigen Bau der Natur betrachteten, als sie sich auf ihrem langsamern Fahrzeuge von der Seeseite her näherten. Die aus Kalkstein-Conglomerat bestehende Brücke zeigt sich von dem Wasser aus wie eine ungeheuere, knorrige Baumwurzel, welche in einer Höhe von zweihundert Fuß sich über einen Seearm spannt, der wohl einen Büchsenschuß breit ist. In der Mitte wird sie so schmal, daß sie von unten wie ein mäßig dicker Zimmerbalken erscheint und daß es einem schwindelt, wenn man die leichtfüßigen Jäger der Insel darüber wegschreiten sieht.
Nachdem die Gesellschaft von der Saratoga, in stummem Anschauen versunken, die Felsenbrücke eine Zeit lang von unten aus betrachtet hatte, machte Jones, der sich gern als Ortskundigen ausweisen wollte, den Vorschlag, das Boot an’s Ufer zu legen; er wolle dann die Gentlemen auf einem ihm bekannten Pfade auf das Plateau führen und von da auf das Thor selbst, denn von diesem Standpunkte aus habe man die ganze wundervolle Straße von Mackinaw zu Füßen.
Eine Viertelstunde später war die Gesellschaft auf der mühsam erstiegenen Höhe angelangt und schickte sich eben an, den nächsten Theil der Felsenbrücke zu betreten, der hier, dicht am Plateau, breit genug ist, so daß man ohne Gefahr eine Strecke weit darauf fortschreiten kann. Da fiel es einem der Gentlemen, der, wie alle Amerikaner, von dem Geiste des Wettens beseelt war, wenn es sich darum handelt, irgend einen waghalsigen Sport auszuführen, auf einmal ein, die Frage aufzuwerfen, ob sich wohl einer der Anwesenden getraue, die ganze Spannweite des Thores zu überschreiten.
„Ich wette fünfzig Dollars, daß es Niemand wagt!“ rief er aus.
„Sagen Sie hundert, und ich acceptire,“ antwortete sofort Jones, der sich auf seine körperliche Gewandtheit nicht wenig einbildete und, weil er schon bei einem frühern Aufenthalt in Mackinaw dies Wagestück ausgeführt hatte, sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, seiner eigenen Eitelkeit zu fröhnen und dabei ein gutes Stück Geldes zu verdienen.
„Das ist mir fast zu viel,“ erwiderte der erste Herr, „doch, wenn ich auch keine Silbermine besitze, wie Mr. Jones, so will ich doch die hundert Dollars riskiren. Ich wette also noch einmal, daß Mr. Jones es nicht wagt, die ganze Brücke zu überschreiten.“
„Und ich wette, daß ich von einem Ende zum andern auf meinen zwei Füßen gehen werde, und zwar aufrecht, wie ein Seiltänzer,“ prahlte Jones. Dann übergab er einem der Herrn zehn Golddollarstücke als seinen Einsatz; das Gleiche geschah von der Gegenpartei, und die Anwesenden wären keine Amerikaner gewesen, wenn sie sich nicht sämmtlich in größere und kleinere Wetten für oder gegen den improvisirten Blondin eingelassen hätten.
Die Gesellschaft folgte nun dem kühn voranschreitenden Jones auf der Felsenbrücke bis dahin, wo diese sich plötzlich von beiden Seiten verengt und zu einem kaum zwei Fuß breiten, knorrigen Strang zusammenschmilzt, der sich in der Länge von weit über zweihundert Fuß nach dem andern Ufer hinüberzieht und dort von ihm weitentgegenkommenden kolossalen Steinschichten gestützt wird. Während jetzt der verwegene Mann behutsam und anscheinend sicher über die gefährliche Stelle schritt und Aller Augen unverwandt auf ihn gerichtet waren, schoß auf einmal unter den Bäumen, welche das Ufer einsäumten, ein kleines Canoe hervor und näherte sich fast unbemerkt dem gewaltigen Bogen, mit welchem das Felsenthor den Seearm überspannt. Noch ein paar gewaltige Ruderstreiche, und es befand sich gerade unter der Stelle, wo die Figur Jones’ fast thurmhoch über den schwarzen Gewässern schwebte. Die beiden Indianer, welche die Führung des Canoes hatten, brachten dasselbe durch eine geschickte Bewegung zum Stillstand, und die Gestalt eines dritten, welcher bis dahin, in seine Decke vermummt, am Boden des Nachens gesessen, richtete sich wie durch Zauber in die Höhe. Diese unerwartete Erscheinung kam den Begleitern Jones’ einigermaßen befremdend vor, jedoch ahnten sie nicht eher die Gefahr, in welcher sich ihr Genosse befand, als bis dieser, von seiner Höhe hinunterblickend, den Häuptling erkannte und, von plötzlichem Schrecken ergriffen, zu straucheln anfing. Mit zitternden Knieen blieb er einige Secunden lang stehen, unschlüssig, was er in dem Augenblick thun solle, als er aber in den Händen Tawanka’s den Lauf einer Büchse blinken sah, kam er auf den einzig möglichen Gedanken der Rettung und wollte sich platt auf den schmalen Felsgrat niederwerfen, um so dem Schusse zu entgehen.
Doch es war zu spät! Tawanka hatte die kurze Pause dieser Unentschiedenheit benutzt. Ein Schuß dröhnte über das Wasser und das tödtliche Blei hatte den Feind erreicht. Der schwer getroffene Jones versuchte es freilich, sich anzuklammern, aber seine krampfhaft ausgestreckten Finger fanden keinen Halt mehr an dem harten Gestein, und so rollte er, einen furchtbaren Schrei der Verzweiflung ausstoßend, über die abhängige Kante des Felsgrats. Sein Fall von dieser Höhe war schwer, wie der eines Bleigewichts, und die Wellen bäumten sich hoch auf, als sein Körper mit der Geschwindigkeit eines Pfeiles untertauchte, so daß das Canoe, welches rasch auf die Stelle zuschoß, in ein heftiges Schwanken gerieth.
Einen Augenblick später sahen die von Schrecken gelähmten Begleiter Jones’, wie die Indianer die Leiche, welche inzwischen wieder aufgetaucht war, an ihr Fahrzeug zogen und wie derjenige von ihnen, welcher den Schuß abgefeuert, dieselbe im Umsehen scalpirte und die blutige Kopfhaut, seinen Kriegsgesang anstimmend, an dem Gürtel befestigte. Ehe man zu einem Entschlusse kommen konnte, hatten die Odschibbewas schon wieder ihre Ruder ergriffen und trieben ihr Canoe mit einer rasenden Schnelligkeit aus dem Seearme hinaus, von wo sie die Richtung nach dem Festlande von Michigan einschlugen und, um einen Vorsprung der Küste biegend, in kurzer Zeit aus dem Gesichte verschwanden.
[204] Die blutige That Tawanka’s erregte in Mackinaw einen allgemeinen Schrei der Entrüstung, und die Behörden des Ortes ergriffen schleunigst energische Maßregeln, um des mysteriösen Mörders habhaft zu werden, indessen verloren sie bald dessen Spur, da die ausgeschickten Beamten, denen man einige Chippewas von der Insel mitgegeben hatte, die alle Schlupfwinkel der Umgegend genau kannten, unverrichteter Sache zurückkehren mußten, weil sie auf offenem See von einem heftigen Sturme überfallen wurden, der ihr Boot unaufhaltsam nach Mackinaw zurücktrieb. Erst nach Verlauf einiger Jahre wurde der Häuptling in Ontonagon verhaftet, wohin er sich begeben hatte, um von dort aus die Gräber seiner Väter zu besuchen, denn die Sehnsucht nach den alten Wohnsitzen ist bei den Indianern oft unwiderstehlich. Sein alter Freund, der Canadier, der nicht vermuthen konnte, daß Tawanka jemals zurückkehren würde, hatte aber in seiner angeborenen Plauderhaftigkeit den Bewohnern des Städtchens gegenüber schon öfters geäußert, daß Niemand anders der Mörder Jones’ sein könne, als der Häuptling, der aus ihm unbekannten Gründen dem Yankee Rache geschworen habe. So wurde Ambrose wider seinen Willen zum Verräther an dem Indianer. Als dieser von dem Sheriff verhaftet wurde, machte er durchaus keinen Versuch, die That zu leugnen; er legte im Gegentheil ein offenes Geständniß ab, indem er behauptete, einen Act der Gerechtigkeit geübt zu haben. Vergebens bot man ihm Leben und Freiheit an, wenn er Landmesser der Regierung nach der Silberinsel führen wolle; die glänzendsten Versprechungen waren nicht im Stande, ihm das Geheimniß zu entreißen. Ruhig und gelassen hörte er sein Todesurtheil an und ebenso resignirt schritt er nach der Richtstätte, wo ihn die verhängnißvolle Schlinge erwartete.