Das Gewitter (Schwab)
[298]
Das Gewitter.*)[1]
1828.
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind,
In dumpfer Stube beisammen sind;
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Wie wehen die Lüfte so schwül!
Das Kind spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
Wie will ich spielen im grünen Hag,
Wie will ich springen durch Thal und Höh’n,
Dem Anger, dem bin ich hold!“ –
Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
[299] Die Mutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
Da halten wir alle fröhlich Gelag,
Das Leben es hat auch Lust nach Leid,
Dann scheint die Sonne wie Gold!“ –
Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
Großmutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid,
Das Leben ist Sorg’ und viel Arbeit;
Wohl dem, der that, was er sollt’!“ –
Hört ihr’s, wie der Donner grollt?
Am liebsten morgen ich sterben mag:
Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
Was thu’ ich noch auf der Welt?“ –
Sie hören’s nicht, sie sehen’s nicht,
Es flammet die Stube wie lauter Licht:
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind,
Und morgen ist’s Feiertag.
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- ↑ *) Am 30. Juni 1828 schlug der Blitz in ein von zwei armen Familien bewohntes Haus der württembergischen Stadt Tuttlingen, und tötete von zehn Bewohnern desselben vier Personen weiblichen Geschlechts: Großmutter, Mutter, Tochter und Enkelin, die erste 71, die letzte 8 Jahre alt. Siehe Schwäb. Merkur, 8. Juli 1828, Nr. 163. (Anm. Schwabs in der 1. Aufl. der Gedichte.)
Anmerkung (Wikisource)
Zu diesem Gedicht existieren mehrere Parodien, etwa Schwerer Unglücksfall von Hanns von Gumppenberg oder Das Unwetter von Heinz Erhardt.
Dieser Quellentext existiert auch als Audiodatei. (Mehr Informationen zum Projekt Gesprochene Wikisource) | |||
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